OGH 8Ob10/16b

OGH8Ob10/16b25.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Pitzal/Cerny/Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. S***** R*****, vertreten durch Dr. Johannes Jaksch und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen 12.501,01 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Oktober 2015, GZ 3 R 51/15y‑11, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Juni 2015, GZ 15 Cg 14/15y‑7, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00010.16B.1025.000

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Beklagte war in den verbundenen Insolvenzverfahren einer GmbH & Co KG und deren Komplementär-GmbH zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die Klägerin hatte in beiden Verfahren Forderungen aus öffentlichen Abgaben „gemäß § 51 und § 14 IO“ angemeldet. Im Insolvenzverfahren der GmbH waren der Forderungsanmeldung und einer späteren Korrektur jeweils Kopien vollstreckbarer Rückstandsausweise angeschlossen, auf denen sich der Vermerk „für 08/0306721 gem. § 6 Kommunalsteuergesetz als unbeschränkt haftender Gesellschafter der (...) GmbH & Co KG“ befindet. In der darunter befindlichen Tabelle sind Forderungspositionen zu der Kontonummer 08/0306721 und Forderungspositionen zu einer anderen Kontonummer aufgelistet.

Im Anmeldungsverzeichnis der GmbH wurde die gesamte angemeldete Forderung der Klägerin zu PN 55 mit dem beigefügten Rechtsgrund „Komplementärhaftung“ eingetragen. Der Beklagte anerkannte als Insolvenzverwalter die unbedingte Forderung der Klägerin im Verfahren der GmbH zur Gänze mit (zuletzt) 61.756,57 EUR.

Das Sanierungsverfahren der GmbH & Co KG wurde durch Aufhebung gemäß § 123b Abs 2 IO nach Ausschüttung einer 100%igen Quote beendet. In der Folge beantragte die GmbH auch die Aufhebung ihres Sanierungsverfahrens nach § 123b IO, da ihre Komplementärhaftungen weggefallen seien. Zur gänzlichen Befriedigung der verbliebenen Masse‑ und Insolvenzforderungen werde ein hinreichendes Guthaben auf dem Massekonto erlegt.

In seiner aufgetragenen Stellungnahme zu diesem Antrag erklärte der Beklagte, es sei eine Einzahlung einer Gesellschafterin auf seinem Anderkonto eingegangen. Laut Anmeldungsverzeichnis wären noch drei festgestellte Insolvenzforderungen in Gesamthöhe von 12.398,41 EUR offen. Bei Zahlung eines weiteren Ergänzungsbetrags von 1.025,71 EUR auf das Anderkonto vor der Prüfungstagsatzung würde dessen Guthaben ausreichen, um die Masseforderungen und eine 100%ige Quote zu bezahlen.

Der Beklagte ging bei Erstattung dieser Stellungnahme sowie des beigelegten Verteilungsentwurfs von der Annahme aus, dass die festgestellte Forderung der Klägerin sich zur Gänze auf die Komplementärhaftung bezogen hatte und darum im Verfahren der KG bereits vollständig befriedigt wurde.

Das Erstgericht hob mit Beschluss vom 19. 12. 2015 das Insolvenzverfahren der GmbH nach Vorlage der Schlussrechnung gemäß § 123b Abs 2 IO auf. Zuvor hatte der Schuldnervertreter den Beklagten unwiderruflich bevollmächtigt und beauftragt, aus dem auf dem Massekonto erlegten Guthaben eine Quote von 100 % an die drei in der Stellungnahme genannten Gläubiger zu bezahlen. Die Klägerin hat den Aufhebungsbeschluss nicht angefochten, er ist in Rechtskraft erwachsen.

In der Klage bringt sie vor, der Beklagte habe in Verletzung seiner Verpflichtungen als Insolvenzverwalter übersehen, dass ihre Forderungsanmeldung auch eigene Abgabenverbindlichkeiten der GmbH umfasst habe, die durch die Auszahlung der Quote in der Insolvenz der KG nicht befriedigt worden seien. Der Beklagte habe einen unrichtigen Verteilungsentwurf erstellt und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens ermöglicht, obwohl die Voraussetzung einer rechtzeitigen Befriedigung oder Sicherstellung aller Gläubigerforderungen nicht erfüllt gewesen sei.

Die Klägerin habe noch versucht, die restliche Forderung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens bei der GmbH einbringlich zu machen, sei damit aber gescheitert.

Der Beklagte wandte ein, es werde in der Klage keine konkrete haftungsbegründende Pflichtverletzung dargelegt und es liege auch keine vor. Der Gesamtbetrag der im Insolvenzverfahren der KG angemeldeten und anerkannten Abgabenforderung der Klägerin sei höher gewesen als jener in der Forderungsanmeldung gegen die GmbH, sodass eine vollständige Überdeckung anzunehmen gewesen sei. Es habe auch mangels beschäftigter Dienstnehmer keine Kommunalsteuerpflicht der nicht operativ tätigen GmbH bestanden, weshalb er eine solche Forderung bestritten hätte. Es habe außerdem vor der Einzahlung der Gesellschafterin Massearmut bestanden, sodass die Klägerin jedenfalls keine Quote erhalten hätte.

In jedem Fall treffe sie ein überwiegendes Mitverschulden, weil sie kein Rechtsmittel gegen den Aufhebungsbeschluss erhoben habe. Es wäre der Klägerin oblegen und auch aussichtsreich gewesen, die Forderung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegenüber der unmittelbaren Schuldnerin geltend zu machen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es könne keine pflichtwidrige Amtsführung des Beklagten erkennen, außerdem habe es die Klägerin unterlassen, ihrer Rettungsobliegenheit nachzukommen und einen Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zu erheben.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin teilweise Folge und änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es ihr die Hälfte des Klagsbetrags unter Abweisung des Mehrbegehrens zusprach.

Es sei dem Beklagten sehr wohl als Verstoß gegen insolvenzspezifische Pflichten anzurechnen, den Rechtsgrund der von der Klägerin angemeldeten Forderungen nicht genauer geprüft und in seiner Stellungnahme zum Aufhebungsantrag dadurch die offene Restforderung übersehen zu haben.

Die Kausalität dieses Versehens für den Schaden der Klägerin bejahte das Berufungsgericht aufgrund der Überlegung, dass die Gesellschafterin im Fall der Bekanntgabe einer weiteren offenen Forderung wohl einen entsprechend höheren Betrag erlegt hätte, um die angestrebte Aufhebung des Verfahrens zu erreichen. Es wäre dem Beklagten oblegen, das Gegenteil zu behaupten und zu beweisen. Die Ersatzpflicht des Beklagten sei von der ursprünglichen Verpflichtung unabhängig. Die Klägerin müsse keineswegs zuerst die Schuldnerin vergeblich gerichtlich belangen, bevor sie die Haftung des Insolvenzverwalters in Anspruch nehmen könne.

Die Klägerin habe sich jedoch ein im Zweifel gleichteiliges Mitverschulden anrechnen zu lassen, weil sie den Beklagten weder rechtzeitig auf seinen Fehler aufmerksam gemacht, noch einen Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss erhoben habe.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Haftung eines Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit einem Verfahren nach § 123b IO keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die vorliegenden Revisionen beider Parteien. Die Klägerin strebt eine vollinhaltliche Klagsstattgebung, der Beklagte die Wiederherstellung der klagsabweisenden erstgerichtlichen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig und im Sinne der darin gestellten Aufhebungsanträge auch berechtigt, weil der von den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt noch keine abschließende rechtliche Beurteilung ermöglicht.

1. Zur Revision des Beklagten

1.1. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor.

Ob dem Beklagten als Insolvenzverwalter Fahrlässigkeit bei der Vornahme seiner Geschäfte anzulasten war, ist keine einem Beweisverfahren zugängliche Tat-, sondern eine Rechtsfrage.

Die unterbliebene Parteienvernehmung des Beklagten kann schon deswegen in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, weil sie im Berufungsverfahren nicht als Mangel gerügt wurde. Soweit der Revisionswerber mit seinem Vorbringen aber darauf abzielt, dass der Sachverhalt durch die Nichterledigung von Beweisanträgen nicht ausreichend aufgeklärt worden sei, macht er in Wahrheit sekundäre Feststellungsmängel geltend, die dem im Folgenden behandelten Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnen sind.

1.2. Die Frage, ob der vom Berufungsgericht zur tragenden Begründung seiner Entscheidung erhobene Vorwurf einer unzureichenden Prüfung der Forderungsanmeldung vom Klagsvorbringen umfasst war, sowie ob es so weit spezifiziert war, dass es als Anspruchsgrundlage ausreichte, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (RIS‑Justiz RS0042828).

Die Klägerin hat hier bereits in erster Instanz vorgebracht, dass ein Teil ihrer anerkannten Forderung bei der Verteilung der Quote aus Verschulden des Beklagten nicht berücksichtigt wurde. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass dieses ziemlich allgemein gehaltene Vorbringen auch den Vorwurf einschließt, dass dem Beklagten bereits im Stadium der Prüfung der Forderungsanmeldungen der entscheidende Fehler unterlaufen ist, der sich bei der Prüfung des Aufhebungserfordernisses fortgesetzt und letztlich zum Schadenseintritt geführt hat, ist durchaus schlüssig und unbedenklich.

1.3. Entgegen den Revisionsausführungen hat das Berufungsgericht auch die Frage, ob der Beklagte insolvenzspezifische Sorgfaltspflichten verletzt hat, zutreffend beantwortet.

Gemäß § 104 Abs 6 IO hat der Insolvenzverwalter die angemeldeten Forderungen nach der beanspruchten Rangordnung in ein Verzeichnis einzutragen, das dem Insolvenzgericht vorzulegen ist. Nach § 105 Abs 2 und 3 IO sind die angemeldeten Forderungen nach ihrer Rangordnung, bei gleicher Rangordnung nach der Reihenfolge der Anmeldung zu prüfen und hat der Insolvenzverwalter bei jeder angemeldeten Forderung ohne Vorbehalte eine bestimmte Erklärung über ihre Richtigkeit und Rangordnung abzugeben.

Der Beklagte hat bei der Eintragung der von der Klägerin (insgesamt zweimal) angemeldeten Forderung (unstrittig) nicht erkannt, dass sich die darin angegebenen Abgabenrückstände auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen beziehen. Es trifft zu, dass dieses Versehen dadurch erleichtert wurde, dass die Klägerin im Schriftsatztext auf die Geltendmachung von eigenen Abgabenschulden der GmbH neben Haftungsverbindlichkeiten nicht ausdrücklich hingewiesen hat. Die Darstellung, aus welchen bestimmten Abgabenforderungen sich die Gesamtsumme zusammensetzt, ergab sich aber aus dem angeschlossenen vollstreckbaren Rückstandsausweis, der sich deutlich auf zwei unterschiedliche Abgabenkonten bezieht. Von diesen beiden Konten wird in der Überschrift ausdrücklich nur eines der Komplementärhaftung der GmbH für die KG zugeordnet (zur möglichen Präzisierung einer Forderungsanmeldung durch die Beilagen: RIS‑Justiz RS0089657 [T14]; 8 Ob 169/02i).

Bei einer sorgfältigen Prüfung des Inhalts der Anmeldung hätte dem Beklagten als Insolvenzverwalter diese Unterscheidung auffallen müssen. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die im Rückstandsausweis gebrauchte Formulierung nicht völlig eindeutig war, ist daraus für den Standpunkt des Beklagten nichts zu gewinnen, weil er eine unklar begründete Forderung bei pflichtgemäßer Amtsführung nicht ohne Nachfrage als richtig anerkennen hätte dürfen.

Aus diesem Grund überzeugt auch das Argument des Beklagten nicht, er habe mit einer eigenen Kommunalsteuerpflicht der GmbH mangels Beschäftigung von Dienstnehmern nicht rechnen müssen, darf doch ein pflichtbewusster Insolvenzverwalter seine Aufmerksamkeit naturgemäß nicht nur auf Forderungen beschränken, deren Anmeldung er erwartet hat und die er für berechtigt hält.

Der Umstand, dass der gegen die Komplementärin angemeldete Abgabenforderungsbetrag niedriger war als die Forderung gegen die KG mag ein Indiz für eine bloße Inanspruchnahme der gesetzlichen Komplementärhaftung ergeben haben, enthob den Beklagten aber nicht von der Verpflichtung zur genauen Prüfung. Eine genaue Übereinstimmung, die eine Identität der Forderungen vermuten ließe, lag nicht vor.

1.4. Die Revision des Beklagten verweist allerdings mit Recht darauf, dass das Berufungsgericht seinen Einwand, er hätte die Klagsforderung bestritten, wenn ihm der Prüfungsfehler nicht unterlaufen wäre, mit einer nicht tragfähigen Begründung abgetan hat.

Das Argument, die Anerkennung im Insolvenzverfahren stelle ein bindendes Entscheidungssurrogat dar, das einer nachträglichen Überprüfung der Berechtigung der Forderung entgegenstehe, greift insofern zu kurz, als das Beklagtenvorbringen nicht auf eine Beseitigung der Anerkennungswirkung abzielt. Es wird vielmehr der Einwand erhoben, dass der Klägerin kein Schaden entstanden sei, weil sie im Insolvenzverfahren der GmbH für ihre Forderung auch dann keine Befriedigung erlangt hätte, wenn dem Beklagten kein Versehen unterlaufen wäre.

Der dem Obersten Gerichtshof zur Beurteilung vorgelegte Sachverhalt reicht für die Beantwortung dieser Frage derzeit nicht aus, sodass schon aus diesem Grund eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unumgänglich ist.

1.5. In diesem Sinn wird insbesondere das Vorbringen, dass im Insolvenzverfahren der GmbH Massearmut bestand und es ohne freiwillige Zuzahlung der Gesellschafterin zu überhaupt keiner Quotenausschüttung gekommen wäre, zu beachten sein.

Bei der Beurteilung, ob ein Schaden entstanden ist, sind zwei Vermögenslagen miteinander zu vergleichen: Die wirkliche, die durch das in Frage stehende schädigende Ereignis eingetreten ist, und die, welche ohne dieses Ereignis bestand – eine gedachte hypothetische Lage. Ist die wirkliche Vermögenslage gegenüber der gedachten zum Nachteil des Betroffenen, dann liegt ein Schaden im Rechtssinn vor (RIS‑Justiz RS0022477).

Die Behauptung und der Beweis dafür, dass die Gesellschafterin im hypothetischen Fall der Berücksichtigung der Klagsforderung im Verteilungsentwurf einen entsprechend höheren, auch zur völligen Abdeckung der Klagsforderung ausreichenden Erlag getätigt hätte, oblag daher nicht dem Beklagten, sondern der für den Schadenseintritt beweispflichtigen Klägerin.

Hätte im vorliegenden Fall die Masse bei pflichtgemäßem Vorgehen des Beklagten nicht ausgereicht, um eine 100%ige Quote zu erfüllen, dann wäre es nicht zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 123b Abs 2 IO gekommen. Der Klägerin wäre dann wegen des Versehens des Beklagten entweder gar nichts (wenn die Gesellschafterin diesfalls gar keine Einzahlung geleistet hätte) oder nur eine geringere Quote (wenn die Gesellschafterin nicht mehr eingezahlt hätte als tatsächlich geschehen) entgangen.

In erster Instanz hat die Klägerin nicht vorgebracht, wie der Beklagte die in Aussicht gestellte 100%ige Quote auch an sie ausschütten hätte können. Da diese Unschlüssigkeit ihres Vorbringens nicht erörtert wurde, muss den Parteien zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung die Möglichkeit zur Ergänzung ihres Vorbringens und Beweisanbots eröffnet werden.

1.6. Soweit das Berufungsgericht Feststellungen über die hypothetische Quote mit der Begründung für obsolet gehalten hat, dass die Forderung der Klägerin wenigstens zum Teil in der zuletzt vorhandenen Masse gedeckt gewesen wäre und der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nur greifen könne, wenn dabei derselbe rechnerische Schaden eingetreten wäre, verkennt es die Bedeutung des für diese Meinung herangezogenen Rechtssatzes (RIS‑Justiz RS0111706). Dieser besagt, dass es für eine Haftungsbefreiung auf die rechnerische Höhe des im Vermögen des Klägers auch bei rechtmäßigem Beklagtenverhalten hypothetischen Schadens ankommt und nicht darauf, ob dieselben Personen oder Sachen auf dieselbe Weise geschädigt worden wären (vgl 2 Ob 20/99a). Ist das geschädigte Gut unmittelbar das Vermögen des Geschädigten, dann ist in dem Ausmaß, um das es auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Schädigers verringert worden wäre, aber von vornherein kein kausaler Schaden entstanden.

1.7. Die Revision stellt nicht in Frage, dass die Haftung des Insolvenzverwalters im Sinne des § 81 Abs 3 IO nach ständiger Rechtsprechung nicht subsidiär ist und dem Geschädigten einen selbständigen Rechtsschutzanspruch und eine verschuldensabhängige Ersatzpflicht nach den Regeln des ABGB verschafft (RIS‑Justiz RS0065416).

Da der weite Schadensbegriff des ABGB jeden Zustand umfasst, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist (RIS‑Justiz RS0022537 [T5]; RS0022537 [T2]), ist die unmittelbare Verfügung über einen präsenten Bargeldbetrag einer gleich hohen Geldforderung nicht gleichzuhalten, weil diese mit dem Risiko der Einbringlichkeit beziehungsweise der Rechtsverfolgung belastet ist (RIS‑Justiz RS0022537 [T3]). Geht man von dem Vorbringen aus, dass die Klägerin bei pflichtgemäßer Amtsführung des Beklagten bereits vollständige Zahlung erlangt hätte, dann ist sie als geschädigt anzusehen, wenn sie aus seinem Verschulden weiterhin nur eine offene Forderung gegen die GmbH hat. Sie kann den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens gegen den Beklagten geltend machen, ohne vorher die eigentliche Schuldnerin in Anspruch zu nehmen.

1.8. Dieses Ergebnis hindert aber den Beklagten nicht an der Einwendung, die Klägerin habe ihre aus § 1304 ABGB abzuleitende Obliegenheit, den Schaden möglichst gering zu halten, dadurch verletzt, dass sie keine zweckmäßigen Eintreibungsversuche unternommen habe (RIS‑Justiz RS0027043; ua Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1304 Rz 37).

Eine Obliegenheitsverletzung liegt vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den geltend gemachten Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl diese Handlungen – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (2 Ob 144/11g; RIS‑Justiz RS0023573). Die Unterlassung kann dem Geschädigten nur vorgeworfen werden, wenn ihm die Handlung zumutbar und wenn sie geeignet gewesen wäre, den Schaden zu verringern (RIS‑Justiz RS0109225). Wird ein risikobehafteter Rechtsweg nicht beschritten, weil die Rechtslage nicht unproblematisch ist, dann liegt keine Verletzung der Schadenminderungspflicht vor (SZ 62/185 = ecolex 1990, 143; 6 Ob 31/08i).

Das Berufungsgericht ist in seiner rechtlichen Beurteilung nur davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht verpflichtet gewesen wäre, „auch gerichtliche Einbringungsversuche“ zu unternehmen. Diese Begründung berücksichtigt aber nicht, dass es sich bei der Forderung der Klägerin gegen die GmbH um eine titulierte und vollstreckbare Abgabenforderung handelt, die sofort dem behördlichen Vollstreckungsverfahren unterzogen werden könnte.

Bei objektiver Betrachtung würde ein durchschnittlicher verständiger Gläubiger in dieser Situation zumindest einen Exekutionsversuch unternehmen, um den Schaden hintanzuhalten oder zu verringern, bevor er sich auf die Kosten und Risiken eines Gerichtsverfahrens gegen einen möglicherweise ersatzpflichtigen Dritten einlässt. Welche gescheiterten Eintreibungsversuche die Klägerin unternommen hat und ob sich diese tatsächlich nur auf das vorgelegte formlose Anschreiben beschränkt haben, wurde nicht erörtert und festgestellt.

Die Behauptungs‑ und Beweislast für die Eignung einer Maßnahme zur Schadensverringerung trifft den Schädiger (vgl 9 Ob 83/15v; RIS‑Justiz RS0027129; Karner in KBB4 § 1304 Rz 11; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1304 Rz 44). Der Beklagte hat dazu in erster Instanz auch vorgebracht, dass die beiden Gesellschaften entschuldet aus dem Insolvenzverfahren hervorgegangen und nach wie vor wirtschaftlich tätig seien, weshalb von der Einbringlichkeit der Forderung auszugehen wäre.

Dieses Vorbringen des Beklagten ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, zumal auch die Erfüllung der Quote im Sanierungsverfahren mit Hilfe Dritter zustandegekommen ist und von dieser Seite Interesse bestehen kann, eine neuerliche Insolvenzgefahr von der Gesellschaft abzuwenden.

2. Revision der klagenden Partei

Die Klägerin wendet sich gegen die vom Berufungsgericht angenommene Verschuldensteilung.

Im Sinne des § 1304 ABGB wird die Ersatzpflicht des Schädigers gemindert, wenn dem Geschädigten selbst eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen ist, die zusammen mit dem Verhalten des Schädigers kausal zum Eintritt oder zur Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Ein solches Mitverschulden kann auch durch eine vorwerfbare Untätigkeit begründet werden, wenn die unterbliebene Schutzmaßnahme nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen anzuwenden gewesen wäre. Wie bei der Haftungsbegründung sind auch bei der Sorgfaltsverletzung in eigenen Angelegenheiten die Maßstäbe der §§ 1297 und 1299 ABGB heranzuziehen (ua Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB4  VI § 1304 Rz 9; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1304 Rz 1a).

Die Unterlassung einer gebotenen Warnung und das Nichterheben eines Rechtsmittels könnten der Klägerin jedenfalls nur dann zur Last gelegt werden, wenn ihr jene Umstände, auf die sie zu ihrem Selbstschutz reagieren hätte müssen, auch rechtzeitig zur Kenntnis gelangt sind. Allein der Umstand, dass sich ein Geschädigter ex post betrachtet nicht richtig verhalten hat, begründet nämlich noch kein Mitverschulden. Im Vordergrund steht die Frage, ob der Geschädigte ex ante jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer am Rechtsverkehr in seiner Lage angewandt hätte, um einen Schaden zu verhindern (Harrer/Wagner aaO § 1304 Rz 25).

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgebracht, dass der Irrtum des Beklagten über die Rechtsnatur ihrer Forderung für sie vor Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses nicht erkennbar gewesen sei. Er habe ausdrücklich angekündigt, dass die Summe aller anerkannten Insolvenzforderungen, somit auch die gesamte Forderung der Klägerin, zu 100 % befriedigt würden. Die Nennung dreier darüber hinausgehender Forderungen, deren Abdeckung durch eine Einzahlung der Gesellschafterin erfolgen sollte, habe daran nichts geändert. Erst durch das Ausbleiben der erwarteten Quotenzahlung nach Rechtskraft der Aufhebung sei das Versehen des Beklagten für die Klägerin erkennbar geworden, weshalb sie auch keinen aussichtsreichen Rekurs erheben hätte können.

Tatsächlich lassen die getroffenen Feststellungen offen, wann die Stellungnahme des Beklagten zum Aufhebungsantrag erstmals zugegangen ist; laut Rubrum wurde die Stellungnahme nur dem Gericht, dem Schuldnervertreter sowie den Mitgliedern des Gläubigerausschusses direkt übermittelt. Dem Aufhebungsbeschluss des Insolvenzgerichts und der Ediktsdatei war, worauf die Klägerin richtig hinweist, nur zu entnehmen, dass alle Forderungen zur Gänze befriedigt oder sichergestellt würden. Das Berufungsgericht hat nicht begründet, wie die Klägerin rechtzeitig erkennen hätte können, dass ihre anerkannte Forderung als Einzige nicht berücksichtigt wurde.

Ob der Klägerin die vom Berufungsgericht angenommene Verletzung ihrer Rettungspflicht vorzuwerfen ist, kann daher erst nach ergänzenden Feststellungen darüber beurteilt werden, welche Informationen ihr zu welchem Zeitpunkt zur Verfügung standen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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