OGH 8Ob70/15z

OGH8Ob70/15z25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J***** K*****, vertreten durch Mag. Werner Seifried, Mag. Farid Beglari, Rechtsanwälte in Judenburg, wegen 17.154,83 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 6. Mai 2015, GZ 4 R 32/15f‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 10. Dezember 2014, GZ 7 Cg 49/14f‑11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das abweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.456,56 EUR (darin 242,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.411,04 EUR (darin 174,84 EUR USt und 1.362 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die im Geschäftszweig der Ausforschung unbekannter Erben tätig ist, setzte den Beklagten am 14. 3. 2011 telefonisch von seiner Erbenstellung in einem Verlassenschaftsverfahren nach seinem Cousin in Kenntnis.

Mit Schreiben vom 12. 4. 2011 übermittelte sie ihm eine von ihm zu unterschreibende Vereinbarung, worin er sich verpflichten sollte, für die von der Klägerin entfaltete Ermittlungstätigkeit eine Vergütung von 35 % des Werts des ihm als Erben zufallenden Vermögens zu bezahlen. Ein dem Beklagten zustehendes Rücktrittsrecht wurde in dem Schreiben nicht erwähnt.

Der Beklagte nahm in der Folge mit einer Mitarbeiterin der Klägerin telefonisch Kontakt auf, die ihm klar zu machen versuchte, dass er von der Klägerin als Erbe ausfindig gemacht worden sei und diese daher Anspruch auf Kostenersatz habe. Der Beklagte unterschrieb am 18. 4. 2011 die zugemittelte Vereinbarung, ohne vorher Rechtsberatung einzuholen, und schickte sie der Klägerin zurück. Mit Schreiben vom 27. 11. 2013 erklärte der Beklagte seinen Rücktritt von dem allenfalls zustandegekommenen Vertrag.

Die Klägerin begehrt, gestützt auf die Vereinbarung vom 18. 4. 2011, die Zahlung des bedungenen Honorars. Die Höhe der Vergütung sei für die erbrachte Leistung verkehrsüblich. Ein Rücktrittsrecht stehe dem Beklagten nicht zu, weil ihm ausreichend Überlegungszeit zur Verfügung gestanden und er daher nicht überrumpelt worden sei.

Der Beklagte wandte ein, die Tätigkeit der Klägerin habe ihm keinen Vorteil gebracht, weil ihm seine Erbenstellung bereits vor ihrem Anruf bekannt gewesen sei. Die Vereinbarung habe er nur unterschrieben, weil ihn die Klägerin telefonisch dazu gedrängt und über ihren behaupteten Rechtsanspruch in Irrtum geführt habe. Es sei keine rechtswirksame Vereinbarung zustande gekommen, jedenfalls sei er aber rechtswirksam zurückgetreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe sein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG wirksam ausgeübt.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und hob das Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Der Rücktrittstatbestand des § 3 KSchG sei, insbesondere in der auf den im Jahre 2011 verwirklichten Sachverhalt noch anzuwendenden Fassung, formal konzipiert. Er stelle nicht auf das Merkmal der Überrumpelung ab, sondern nur auf typische Situationen, in denen eine Überrumpelungssituation vermutet werde. Aus Gründen der Rechtssicherheit nehme er in Kauf, dass das Rücktrittsrecht auch dann ausgeübt werden kann, wenn im konkreten Fall doch kein psychologischer Druck bestanden hat.

Dies schließe aber nicht aus, dass die Tatbestandsmerkmale ihrerseits der Auslegung bedürften, ob sie unter § 3 KSchG zu subsumieren seien. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung seien solche Auslegungsprobleme im Lichte des Gesetzeszwecks zu lösen, den Verbraucher nicht einer Zwangssituation auszusetzen. Habe der Verbraucher aber im Einzelfall Gelegenheit erhalten, das Geschäft in Ruhe und unbeeinflusst zu überlegen und habe er in Abwesenheit des Unternehmers schriftlich geantwortet, sei die typisierte Überrumpelungsgefahr nicht erkennbar und das Rücktrittsrecht zu versagen.

Im vorliegenden Fall habe der Beklagte den Entwurf einer Honorarvereinbarung erst mehrere Wochen nach dem Anruf der Klägerin erhalten und ihn dann erst einige weitere Tage später unterschrieben. Dieser Sachverhalt sei nicht unter § 3 KSchG zu subsumieren. Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund auf die weiteren Einwendungen des Beklagten einzugehen haben.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Vertragserklärungen im schriftlichen Wege mit mehrtägigem Abstand zwischen Anbot und Annahme und zwischenzeitigem Telefonkontakt typischerweise (keine) Gefahr für die Willensfreiheit des Verbrauchers bestehe und daher (k)ein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin beantwortete Rekurs des Beklagten, mit dem er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils anstrebt, ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur bedarf. Der Rekurs ist dementsprechend auch berechtigt.

1. Für die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts ist, wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist, § 3 KSchG in der im April 2011 geltenden Fassung maßgeblich (§ 41a Abs 49 KSchG). Danach kann der Verbraucher vom Vertragsantrag oder Vertrag zurücktreten, wenn er seine Vertragserklärung weder in den vom Unternehmer für seine geschäftlichen Zwecke dauernd benützten Räumen noch bei einem von diesem dafür auf einer Messe oder einem Markt benützten Stand abgegeben hat.

Nach § 3 Abs 3 KSchG in der hier anzuwendenden Fassung steht dem Verbraucher das Rücktrittsrecht nicht zu,

„1. wenn er selbst die geschäftliche Verbindung mit dem Unternehmer oder dessen Beauftragten zwecks Schließung dieses Vertrages angebahnt hat,

2. wenn dem Zustandekommen des Vertrages keine Besprechungen zwischen den Beteiligten oder ihren Beauftragten vorangegangen sind,

3. bei Verträgen, bei denen die beiderseitigen Leistungen sofort zu erbringen sind, wenn sie üblicherweise von Unternehmern außerhalb ihrer Geschäftsräume geschlossen werden und das vereinbarte Entgelt 15 Euro, oder wenn das Unternehmen nach seiner Natur nicht in ständigen Geschäftsräumen betrieben wird und das Entgelt 45 Euro nicht übersteigt.“

Das Rücktrittsrecht bezweckt den Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung beim Vertragsabschluss durch fragwürdig agierende Unternehmer und ihre Vertreter (vgl 4 Ob 521/84; 7 Ob 594/94; 2 Ob 1/12d; RIS‑Justiz RS0078387; Krejci in Rummel , ABGB³ II/4 § 3 KSchG Rz 1). Der Verbraucher soll vor Rechtsnachteilen bewahrt werden, die ihm durch die Ausnützung seiner typischerweise schwächeren Position drohen (5 Ob 509/92). Geschützt wird der freie Willensentschluss des Verbrauchers, sich mit einem Angebot des Unternehmers näher zu befassen und es mit anderen Angeboten zu vergleichen ( Apathy in Schwimann , ABGB³ V § 3 KSchG Rz 2).

Der vorliegende Sachverhalt erfüllt die Tatbestandselemente des § 3 Abs 1 KSchG, hat der Beklagte doch seine Vertragserklärung außerhalb der Geschäftsräume der Beklagten abgegeben. Es liegt auch keiner der Ausnahmefälle des Abs 3 vor: die Tatbestände der Z 1 und Z 3 sind überhaupt nicht einschlägig, genauso wenig treffen die Voraussetzungen der Z 2 zu, weil dem Vertragsabschluss telefonische Besprechungen (vgl Kathrein/Schoditsch , KBB 4 § 3 KSchG Rz 7) der Streitteile vorangegangen sind, in denen die Beklagte dem Kläger „klar zu machen versuchte“, dass ihr der behauptete Anspruch zustehe.

Wie bereits das Berufungsgericht richtig festgehalten hat, kommt eine teleologische Reduktion dieser Rücktrittsvoraussetzungen nach Maßgabe der konkreten Überrumpelungsgefahr grundsätzlich nicht in Frage (RIS‑Justiz RS0065288), weil es die klare Anordnung des Gesetzgebers verbietet, entgegen der von ihm vorgenommenen Typisierung auf die Ungleichgewichtslage im Einzelfall abzustellen ( Apathy aaO § 3 KSchG Rz 3; RIS‑Justiz RS0123041). Wenn überhaupt, kommt eine teleologische Reduktion der Verbraucherrechte nach dem KSchG nur bei Anwendung konkreter, aber zweifelhafter Einzelvorschriften auf atypische Situationen in Betracht (RIS‑Justiz RS0065288, 7 Ob 515/82).

Eine solche Zweifelslage ist im vorliegenden Fall, in dem sämtliche Zurechnungskriterien des § 3 KSchG erfüllt sind, nicht zu erkennen.

Gegenstand der vom Berufungsgericht für seine Rechtsauffassung zitierten Entscheidung 5 Ob 509/92 war ein mit dem vorliegenden nicht vergleichbarer Sachverhalt. Die Verbraucherin hatte dort von sich aus wegen des geplanten Verkaufs eines Zinshauses telefonisch Kontakt mit einem Handelsunternehmen aufgenommen. Sie nahm kurz darauf ein per Telefax übermitteltes Anbot eines anderen (anscheinend vom kontaktierten Handelsunternehmen vermittelten) Interessenten ohne weitere Besprechung im Telefaxweg an. In diesem Fall eines Veräußerungsgeschäfts im Korrespondenzweg (§ 3 Abs 3 Z 2 KSchG) verneinte der Oberste Gerichtshof ein Rücktrittsrecht der Verkäuferin, nicht ohne explizit zu betonen, dass sich diese Beurteilung auf Liegenschaftsverkäufe beziehe.

Hingegen hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 78/04b, die einen Wertpapierkauf via Telefax betrafen, festgehalten, dass eine einschränkende Auslegung des in § 3 KSchG eingeräumten Rücktrittsrechts jedenfalls auch dann nicht in Frage komme, wenn die Vertragserklärung des Konsumenten schriftlich (per Telefax) übermittelt wurde, aber dennoch typischerweise, im Anlassfall wegen Zeitdrucks, eine Überrumpelungssituation vorlag.

Aus dieser Begründung ist jedoch nicht der Umkehrschluss abzuleiten, dass ein Rücktrittsrecht ausgeschlossen ist, wenn der Verbraucher vor Vertragsabschluss hinreichend Zeit hatte, sich das Geschäft zu überlegen (7 Ob 508/93; so auch: Iro , Vertragsschluss per Fax und Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG, RdW 1993, 2 mwN).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts trifft die Einschätzung, dass eine Überrumpelungssituation vorlag, gerade auch auf den vorliegenden Fall zu.

Über dem Aspekt, dass dem Beklagten der Vertragsentwurf erst Wochen nach dem ersten Telefonat übermittelt wurde und er sich die Annahme unbefristet überlegen konnte, darf nämlich nicht übersehen werden, dass ihm die Beklagte bereits im ersten Telefonat jene Information, für die sie Bezahlung fordert, ungebeten aufgedrängt hatte. Der von § 3 KSchG geschützte freie Willensentschluss, sich mit dem Angebot der Klägerin näher zu befassen und es mit anderen Angeboten zu vergleichen ( Apathy aaO § 3 KSchG Rz 2) war dem Beklagten schon zu diesem Zeitpunkt endgültig genommen. Die einmal erhaltene Information konnte er nicht rückgängig machen.

Selbst wenn der Beklagte nach Erhalt des Vereinbarungsentwurfs einen Rechtsanwalt konsultiert hätte, hätte er im Jahre 2011 nur erfahren können, dass die damals herrschende Rechtsprechung Erbensuchern regelmäßig einen prozentuellen Anteil vom Wert des zu erlangenden Vermögens aufgrund nützlicher Geschäftsführung ohne Auftrag zuerkannt hat (zB 7 Ob 155/00w; gegenteilig erstmals 3 Ob 228/13w).

Dem Beklagten verblieben daher nach dem ersten Anruf der Klägerin praktisch nur zwei Möglichkeiten: die übermittelte Vereinbarung zu akzeptieren, oder sich ‑ da die Klägerin in den folgenden Telefonaten auf ihrem Rechtsanspruch beharrte ‑ im Fall der Bestreitung auf einen möglichen Prozess mit ungewissem Ausgang und entsprechendem Kostenrisiko einzulassen. In dieser Situation wurde die eingeengte Willensfreiheit des Klägers auch nicht dadurch entlastet, dass ihm für die Entscheidung zwischen zwei Nachteilen eine längere Überlegungsfrist offenstand. Aus Sicht der Klägerin konnte der Beklagte ihren Ansprüchen so oder so nicht mehr entkommen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bietet daher der vorliegende Sachverhalt keinen Anlass, dem Beklagten das Rücktrittsrecht in einschränkender Auslegung des § 3 Abs 1 KSchG zu versagen.

Die Rechtzeitigkeit der Rücktrittserklärung ist unstrittig. Da die Klägerin ihren Anspruch nur auf die aufgelöste Vereinbarung gestützt hat, besteht die Klagsforderung nicht zu Recht und war die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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