OGH 2Ob155/14d

OGH2Ob155/14d13.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** B*****, vertreten durch Dr. Christian Schubeck und Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. Stadtgemeinde Salzburg, vertreten durch Dr. Georg Zimmer, Rechtsanwalt in Salzburg, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der erstbeklagten Partei 1. S***** GmbH, *****, 2. H***** S*****, 3. M***** S***** jun, *****, 4. M***** S***** sen, *****, 5. H***** S*****, alle vertreten durch Hübel & Payer Rechtsanwälte OG in Salzburg, und 6. B*****Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Ivo Greiter und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 6.360 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 2. April 2014, GZ 22 R 100/14f‑50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 7. Jänner 2014, GZ 13 C 640/12v‑41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00155.14D.0513.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei und der zweitbeklagten Partei die jeweils mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Antrag der ersten fünf Nebenintervenienten auf Seiten der erstbeklagten Partei auf Zuspruch der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Begründung

Am 23. 5. 2012 fuhr die Lebensgefährtin des Klägers mit einem von diesem gehaltenen Pkw in der Lexengasse in Salzburg, um ihren Sohn vom Gymnasium abzuholen. Die dort befindliche Eisenbahnunterführung, die ihr von zahlreichen Fahrten bekannt war, war nach einem heftigen Unwetter samt „außergewöhnlichem“ Starkregen überschwemmt. Als sich die Pkw-Lenkerin mit der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h der Unterführung näherte, nahm sie die Wasseransammlung wahr. Obwohl sie den Wasserstand nicht einzuschätzen vermochte, fuhr sie mit unverminderter Geschwindigkeit in die Unterführung ein, wo der Motor abstarb und der Pkw bis zum Eintreffen der Feuerwehr im Wasser stehen blieb. Zum Zeitpunkt des Einfahrens in die Unterführung hatte der Wasserstand ca 0,5 m betragen, sodass das Wasser bereits bis kurz vor dem Ein-/Ausfahrtsbereich der Unterführung stand und die Gehsteige in der Unterführung nicht mehr sichtbar waren. Durch eintretendes Wasser wurden sowohl der Motor als auch die gesamte Elektronik des Fahrzeugs beschädigt. An dem Pkw trat wirtschaftlicher Totalschaden ein.

Der die Unterführung durchlaufende Fahrbahnteil ist senkenartig gestaltet. Nur bei kurzen starken Platzregen kommt es zu kurzfristigen Überschwemmungen, weil bei solchen Wetterverhältnissen das städtische Entwässerungsnetz überlastet ist. Die Lexengasse darf in Annäherung an die Unterführung nur von bestimmten Verkehrsteilnehmern befahren werden, ua solchen, die ihre Kinder vom nahe gelegenen Gymnasium abholen (nach dem unbestrittenen Vorbringen der zweitbeklagten Partei besteht ein [mit Ausnahmen versehenes] Fahrverbot nach § 52 lit a Z 6a StVO [„Fahrverbot für alle Kraftfahrzeuge außer einspurigen Motorrädern“]). Ein aufmerksamer Fahrzeuglenker kann eine Wasseransammlung in der Unterführung schon aus einer Entfernung von zumindest 60 m „problemlos“ erkennen und bei Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h mittels leichter Betriebsbremsung rechtzeitig anhalten. Wer den Straßenverlauf kennt, kann aus 60 m Entfernung auch schon den Wasserstand abschätzen. Dies wäre am Tag des Unfalls auch der Lebensgefährtin des Klägers möglich gewesen.

Vom Jahr 2003 bis zum gegenständlichen Vorfall musste die Berufsfeuerwehr Salzburg insgesamt elfmal wegen gemeldeter Wasseransammlungen in der Unterführung Lexengasse ausrücken, wobei in drei Fällen Kraftfahrzeuge im Wasser liegen geblieben waren und durch die Feuerwehr oder den ÖAMTC geborgen werden mussten. Vier dieser Einsätze, darunter ein „Bergungsfall“, wurden der zweitbeklagten Partei, genauer dem Magistrat, Straßen- und Brückenamt, Straßenbauregie Bauhof, zur Kenntnis gebracht.

Die besagte Unterführung hat im Vergleich zu anderen Unterführungen einen erhöhten Reinigungs- und Wartungsbedarf. Besonders nach Starkregenereignissen überprüfen Mitarbeiter des Stadtmagistrats Salzburg die Sickeranlage und erheben, ob die Abflüsse frei sind. Im Zuge der Einsätze der Feuerwehr wurde niemals die Verstopfung des Abwassersystems festgestellt. Die Feuerwehr rückte teils ohne Verrichtung von Arbeiten wieder ab, weil die gemeldete Wasseransammlung bis zu ihrem Eintreffen bereits wieder abgeflossen war.

Der Kläger begehrte von den beklagten Parteien Schadenersatz in Höhe von 6.360 EUR (6.300 EUR Sachschaden; 60 EUR pauschale Unkosten). Die Unterlassung geeigneter schadensverhindernder Maßnahmen trotz Kenntnis der sich bei starkem Regen ergebenden Gefahr sei als rechtswidriges, grob fahrlässiges Verhalten zu beurteilen.

Die beklagten Parteien bestritten jegliche Haftung und wandten das Alleinverschulden der Pkw‑Lenkerin ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es fand keine taugliche Grundlage für die Haftung der erstbeklagten Partei. Die zweitbeklagte Partei sei hingegen Wegehalterin iSd § 1319a ABGB. Selbst wenn aber von einem mangelhaften Zustand des Wegs auszugehen wäre, sei ihr kein grobes Verschulden vorzuwerfen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Unfallursache sei nicht die mangelnde Kennzeichnung oder Sicherung der ohnedies deutlich wahrnehmbaren Gefahrenstelle gewesen, sondern allein die Unachtsamkeit der Pkw-Lenkerin. Erkennbaren Gefahren müsse auch ohne entsprechende Warnung ausgewichen werden. Grobe Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB liege nicht vor.

Nachträglich änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision dahin ab, dass diese doch zulässig sei. Es existiere noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob dem Wegehalter grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei, wenn er die Verkehrsteilnehmer nicht durch Warnschilder oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen auf die Gefahr der ‑ bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen zuvor schon mehrfach aufgetretenen ‑ Überschwemmung einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Unterführung hinweise.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. Zur Haftung der erstbeklagten Partei:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die Haftung des Wegehalters nach § 1319a ABGB. Während die Haltereigenschaft der zweitbeklagten Partei in dritter Instanz nicht mehr in Frage gestellt wird, wurde sie hinsichtlich der erstbeklagten Partei schon vom Erstgericht verneint. Das Berufungsgericht hat diese Beurteilung nicht korrigiert. Dem Revisionsvorbringen lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen die erstbeklagte Partei allenfalls doch als (Mit‑)Halterin des in Rede stehenden Fahrbahnteils anzusehen wäre. Der Kläger geht vielmehr auf diese Haftungsvoraussetzung überhaupt nicht mehr ein, sodass sich der Oberste Gerichtshof zu deren Prüfung nicht veranlasst sieht.

Die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts und im Rechtsmittel des Klägers als erheblich angesehene Rechtsfrage ist demnach für die Beurteilung der Haftung der erstbeklagten Partei nicht präjudiziell (vgl RIS-Justiz RS0088931). Eine erhebliche Rechtsfrage stellt sich aber nur dann, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung dieser Frage abhängt. Im Verhältnis zur erstbeklagten Partei fehlt es daher schon deshalb an einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

2. Zur Haftung der zweitbeklagten Partei:

2.1 Eine solche wird entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht schon allein dadurch begründet, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt (RIS-Justiz RS0122015, RS0110702).

Welche Maßnahmen ein Wegehalter konkret zu ergreifen hat, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet infolge dieser Einzelfallbezogenheit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (vgl 2 Ob 310/02f; 2 Ob 256/09z mwN; RIS‑Justiz RS0030202). Dies trifft auch auf die Beurteilung der Frage zu, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter bereits als grobes Verschulden vorgeworfen werden kann. Ermessensfragen, wie solchen über die Schwere des Verschuldens, kommt nämlich im Allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung zu (2 Ob 256/09z mwN; 8 ObA 81/14s; RIS‑Justiz RS0087606).

2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist unter grober Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maß verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Der objektiv besonders schwere Verstoß muss auch subjektiv schwer anzulasten sein (2 Ob 256/09z mwN; 2 Ob 61/14f; RIS‑Justiz RS0030171).

In Fällen, in denen auf Hindernisse nicht aufmerksam gemacht wurde, die entweder gut sichtbar waren (5 Ob 2023/96b wobl 1997/95, 236 [aus dem Boden ragende Metallösen]) oder bei Einhaltung der Verkehrsvorschriften nicht zum Unfall geführt hätten (vgl 2 Ob 545/59 ZVR 1960/283 [Brückenpfeiler]; 8 Ob 150/78 ZVR 1979/316 [vereistes Straßenstück]), hat der Oberste Gerichtshof grobe Fahrlässigkeit des Wegehalters verneint oder die Verneinung durch die Vorinstanzen zumindest als vertretbar gebilligt, weil der Eintritt eines Schadens zwar möglich, aber nicht geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen war (vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2b § 1319a Rz 17; Ch. Huber in Schwimann, ABGB‑TaKomm2 § 1319a Rz 16).

2.3 Angesichts der Feststellungen der Vorinstanzen zu den Sicht- und Reaktionsmöglichkeiten herannahender Fahrzeuglenker auf Wasseransammlungen in der Unterführung hält sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Rahmen der erörterten Rechtsprechung. Seine (sinngemäß zum Ausdruck gebrachte) Auffassung, die Unterlassung der Anbringung von Warnhinweisen rechtfertige nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit der Wegehalterin, weil die nur bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen auftretende Gefahrenstelle für einen Pkw-Lenker ohnedies deutlich erkennbar sei und der Gefahr bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt durch ein einfaches Fahrmanöver begegnet werden könne, lässt keine grobe Fehlbeurteilung erkennen, die aus Gründen der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.

2.4 Der Kläger hält eine abweichende Beurteilung für geboten, weil die zweitbeklagte Partei trotz der festgestellten Vorunfälle untätig blieb. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen 8 Ob 229/79 ZVR 1980/324 und 2 Ob 293/98x ZVR 2000/61, von denen das Berufungsgericht abgewichen sei.

2.4.1 Daran ist zwar richtig, dass die Rechtsprechung zur Annahme grober Fahrlässigkeit neigt, wenn einer sich aus dem Wegzustand ergebenden Gefahr durch lange bzw längere Zeit nicht begegnet wird (vgl Reischauer aaO § 1319a Rz 17 und Ch. Huber aaO § 1319a Rz 14 je mit zahlreichen Judikaturbeispielen). Im vorliegenden Fall sieht der Kläger ‑ zumindest in dritter Instanz ‑ die Pflichten der Wegehalterin nicht dadurch verletzt, dass sie den Grund für die auftretenden Überschwemmungen nicht beseitigte, sondern dadurch, dass sie das Aufstellen von „schlichten Schildern“ bzw die Anbringung von „Warnzeichen oder warnenden Lichtanlagen“, mittels derer für den Fall von Überschwemmungen vor dem Einfahren in die Unterführung gewarnt werden soll, unterließ.

2.4.2 Gerade auf den Aspekt fehlender Warnhinweise beziehen sich aber die ‑ oben bereits als vertretbar gebilligten ‑ Erwägungen der Vorinstanzen, mit denen sie die Verneinung grober Fahrlässigkeit begründeten. Auch in den vom Kläger genannten Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, auf die ‑ dort nicht gegebene ‑ Erkennbarkeit der Gefahr für die Verkehrsteilnehmer abgestellt (8 Ob 229/79: Höhendifferenzen zwischen Fahrzeugen und Durchlass; 2 Ob 293/98x: Schleudergefahr auf der Abfahrtsrampe einer Schnellstraße, die zu mindestens elf Unfällen allein im damals relevanten Unfallsjahr führte) und gefolgert, dass der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar war.

2.4.3 Die Ablehnung einer analogen Beurteilung im konkreten Fall überschreitet jedoch auch angesichts der festgestellten Vorunfälle (die letzte Bergung lag nach den aktenkundigen Einsatzberichten der Feuerwehr knapp vier Jahre zurück; Beilage ./I) noch nicht den Ermessensspielraum, der den Vorinstanzen bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, zuzubilligen ist.

2.5 Überlegungen zum Fahrverhalten der Pkw-Lenkerin können unter diesem Umständen auf sich beruhen.

3. Ergebnis:

Da es aus den angeführten Gründen der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision in Ansehung beider beklagter Parteien zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 41 und 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Dies trifft zwar auch auf die ersten fünf Nebenintervenienten zu (die sechste Nebenintervenientin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt), die dem Rechtsstreit aber (nur) auf Seiten der erstbeklagten Partei beigetreten sind (ON 10). Da sie in ihrer Rechtsmittelbeantwortung den tragenden Grund nicht nennen, aus dem die Revision gegen ihre Hauptpartei nicht zulässig ist (oben Punkt 1.), dient sie nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Ein Kostenersatz steht den Nebenintervenienten daher nicht zu.

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