OGH 2Ob101/12k

OGH2Ob101/12k24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** W*****, vertreten durch Hauer Puchleitner Majer, Rechtsanwälte OG in Gleisdorf, gegen die beklagten Parteien 1. A***** S*****, 2. B***** S*****, und 3. (richtig) W***** AG *****, sämtliche vertreten durch Reinisch & Wisiak Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, wegen 21.899 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 3.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. März 2012, GZ 3 R 52/12k‑65, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Juli 2011, GZ 14 Cg 78/09z‑56, teilweise als nichtig aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Am 29. 8. 2008 ereignete sich gegen 23:30 Uhr in Feldbach an der Kreuzung der Europastraße mit dem Weidenweg ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines Motorfahrrads und die Erstbeklagte als Lenkerin eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws beteiligt waren.

Die Erstbeklagte näherte sich auf der Europastraße der Kreuzung, die sie zu überqueren beabsichtigte. Die höchstzulässige Geschwindigkeit betrug 30 km/h. Vor Einfahrt in die Kreuzung hatte sie das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ zu beachten, das im Bereich einer Eisenbahnüberführung mit einer den besonderen Verlauf der bevorrangten Straße anzeigenden Zusatztafel gemäß § 54 Abs 5 lit e StVO angebracht war. Die Sicht in den von rechts einmündenden Teil des Weidenwegs war aufgrund der Gestaltung der Örtlichkeit eingeschränkt und in Annäherung an die Kreuzung nur über einen Verkehrsspiegel möglich. Die Erstbeklagte fuhr in die Kreuzung ein, ohne den von rechts aus dem Weidenweg kommenden Kläger vorher gesehen zu haben. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision. Dabei wurden sowohl der Kläger als auch die Erstbeklagte und weitere Mitfahrer in und auf den beteiligten Fahrzeugen verletzt.

Der Kläger wurde in einem Strafverfahren vor dem Bezirksgericht Feldbach mit Urteil vom 1. 3. 2010, 1 U 170/09f, insoweit bestätigt mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 10. 8. 2010, 1 Bl 64/10f, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung mehrerer Personen schuldig erkannt. Nach dem rechtskräftigen Schuldspruch wurde ihm zur Last gelegt, das Motorfahrrad zur Nachtzeit ohne Beleuchtung gelenkt zu haben.

Der Kläger begehrte von den beklagten Parteien Zahlung von 21.899 EUR (Schmerzengeld 20.000 EUR; Fahrzeugschaden 1.899 EUR) sA sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 29. 8. 2008. Die Erstbeklagte habe seinen Vorrang verletzt.

Die beklagten Parteien wandten ein, das Motorfahrrad des Klägers sei unbeleuchtet gewesen, weshalb es aufgrund der schlechten Ausleuchtung der Unfallstelle für sie nicht erkennbar gewesen sei. Eine Vorrangverletzung könne ihr nicht angelastet werden, das Alleinverschulden treffe den Kläger. Die beklagten Parteien wandten eine Gegenforderung von 328,65 EUR (Kaskoselbstbehalt 253,65 EUR; pauschale Unkosten 75 EUR) kompensando gegen die Klagsforderung ein.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung in Höhe von 19.899 EUR als zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend, verpflichtete die beklagten Parteien zur Zahlung des genannten Betrags samt 4 % Zinsen seit 26. 4. 2009 an den Kläger und gab auch dem Feststellungsbegehren statt. Das Zahlungsmehrbegehren von 2.000 EUR sA sowie ein weiteres Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Erstgericht traf, soweit wesentlich, noch folgende Feststellungen:

[...] Der Kläger, der zum Unfallszeitpunkt einen weißen Pullover trug, fuhr mit dem mit einem Frontscheinwerfer ausgestatteten und ordnungsgemäß beleuchteten Klagsfahrzeug aus südlicher Richtung kommend auf dem Weidenweg in den Kreuzungsbereich ein. […] Die Erstbeklagte fuhr in der Folge ohne vorheriges Anhalten in den Kreuzungsbereich ein und querte diesen mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h. Vor dem Queren der Kreuzung warf die Erstbeklagte lediglich einen kontrollierenden Blick in den südwärts ausgerichteten Spiegel, unterließ es jedoch, mit einem direkten Blick nach rechts die Verkehrsfreiheit des südlichen Weidenwegs abzuklären. […] Für die Erstbeklagte war der Kläger zum Zeitpunkt des Überfahrens der Ordnungslinie auf jedem Fall in ihrem Sichtbereich […] Die Erstbeklagte hätte demnach die Kollision verhindern können, so sie ordnungsgemäß die Geschwindigkeit im Bereich der Ordnungslinie auf Schrittgeschwindigkeit verringert und nach rechts geblickt hätte.

Ausgehend von diesen Feststellungen gelangte das Erstgericht zu der rechtlichen Beurteilung, dass die Erstbeklagte den Vorrang des Klägers verletzt und das alleinige Verschulden an dem Unfall zu verantworten habe.

Der abweisende Teil dieser Entscheidung erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Das im Übrigen von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das erstinstanzliche Urteil im angefochtenen Umfang als nichtig auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach ferner aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Das Berufungsgericht ließ die geltend gemachten Berufungsgründe unerledigt, weil das angefochtene Urteil mit einer von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit behaftet sei. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs 1 Ob 612/95 werde in ständiger Rechtsprechung die Bindungswirkung eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses für das Zivilgericht bejaht. Jedenfalls bestehe insoweit Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis, als in einem der strafgerichtlichen Verurteilung folgenden Zivilprozess davon auszugehen sei, dass die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich vom Verurteilten begangen wurde und dass dessen tatsächliche Handlungen für die Schadenfolge kausal waren. Dem Zivilrichter sei es verwehrt, vom Strafurteil abweichende Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen zu treffen. Diese Bindung des Zivilgerichts an verurteilende strafgerichtliche Erkenntnisse werde durch deren materielle Rechtskraft bewirkt und bestehe, so lange das strafgerichtliche Erkenntnis nicht beseitigt sei.

Der Oberste Gerichtshof vertrete allerdings die Ansicht, dass im Hinblick auf die Rechtskrafterstreckungsnormen der §§ 26, 28 KHVG im Bereich der Kfz‑Haftpflichtversicherung im Allgemeinen keine Bindungswirkung bestehe, es sei denn, es könne ausgeschlossen werden, dass es noch zu einem weiteren, das Klagebegehren abweisenden Urteil zugunsten des Versicherers kommen könne. Stünden einander bei der Beurteilung des Schadenersatzanspruchs gegen den versicherten Schädiger die Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils einerseits und die Rechtskraft der Erstreckung des das Klagebegehren abweisenden Urteils nach § 28 KHVG andererseits gegenüber, so gehe die Rechtskrafterstreckung der Bindungswirkung vor.

Diese Rechtsprechung sei anhand von Fällen entwickelt worden, in denen die Klage gegen den Verurteilten gerichtet gewesen sei. Im vorliegenden Fall handle es sich aber um eine Aktivklage des strafgerichtlich Verurteilten, bei dem der auf § 28 KHVG gestützte Grundgedanke dieser Rechtsprechung, einen auf einem einheitlichen Sachverhalt gegründeten Schadenersatzanspruch gegenüber dem Versicherten und dem Versicherer einheitlich zu beurteilen, keine Rolle spiele. Es komme daher die Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils zur Geltung.

Das Erstgericht habe mit seiner Feststellung, das Klagsfahrzeug sei im Unfallszeitpunkt beleuchtet gewesen, gegen die materielle Rechtskraft des strafgerichtlichen Erkenntnisses verstoßen. Dies müsse zur Aufhebung seiner Entscheidung im angefochtenen (stattgebenden) Umfang führen. Die neuerliche Sachentscheidung werde unter Bindung an die rechtskräftige Verurteilung des Klägers zu treffen sein.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil noch keine „eindeutige Judikatur über die Bindungswirkung von strafgerichtlich verurteilten Klägern im Anwendungsbereich des KHVG“ bestehe. In der Entscheidung 2 Ob 206/99d habe das Höchstgericht bei einer vergleichbaren Fallgestaltung die Bindungswirkung zwar grundsätzlich bereits bejaht, sich aber aus prozessualen Gründen nicht vertiefend mit dieser Frage auseinandergesetzt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Rekursbeantwortung dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Das Rechtsmittel ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, es sei nicht einzusehen, warum im Falle eines Aktivprozesses eines strafgerichtlich Verurteilten, in welchem aufrechnungsweise Gegenforderungen erhoben werden, in Abkehr von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs von der Bindung des am Verfahren nicht beteiligten Haftpflichtversicherers des Klägers an das strafgerichtliche Urteil auszugehen sein sollte. Diese Frage der Bindungswirkung sei aber ohnedies nicht entscheidend, weil es infolge der Vorrangverletzung durch die Erstbeklagte unabhängig von der Beleuchtung des Klagsfahrzeugs zum Unfall gekommen sei. Im Übrigen habe sich das Berufungsgericht auch nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Kläger im Strafverfahren einen Wiederaufnahmeantrag gestellt habe, über den noch nicht endgültig entschieden worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

1. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bindung des Zivilgerichts an ein strafgerichtliches Erkenntnis richtig wiedergegeben (vgl 1 Ob 612/95 [verstärkter Senat]; RIS‑Justiz RS0040190, RS0074219, RS0113561, RS0112232). Es kann daher auf die insoweit zutreffende Begründung der zweitinstanzlichen Entscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

2. Die absolute Wirkung der materiellen Rechtskraft des strafgerichtlichen Schuldspruchs hat zwar nur so lange Bestand, als dieser Schuldspruch nicht durch eine Wiederaufnahme beseitigt ist (7 Ob 253/00g mwN; RIS‑Justiz RS0112232 [T2]). Dies ist aber hier nicht der Fall. Der Wiederaufnahmeantrag des Klägers wurde, wie der Senat erhoben hat, mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldbach vom 1. 8. 2011 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 5. 6. 2012 nicht Folge gegeben. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

3. Es entspricht ferner der ständigen Rechtsprechung, dass der Missachtung der Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung das Gewicht eines von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrundes zukommt (2 Ob 117/12p mwN; RIS‑Justiz RS0043823). Aus den im Folgenden darzustellenden Gründen ist aber im vorliegenden Fall von einer Bindungswirkung der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers nicht auszugehen.

4. Gemäß § 28 KHVG wirkt ein rechtskräftiges Urteil, soweit dadurch ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt wird, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherten; wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherten ergeht, wirkt es auch zugunsten des Versicherers. Diese Bestimmung regelt somit einen Fall der Rechtskrafterstreckung (RIS‑Justiz RS0110017, RS0110238). Mitversicherte sind zufolge § 2 Abs 2 KHVG der Eigentümer, der Halter und der Lenker, der das Fahrzeug mit Willen des Halters verwendet. Diese Personen sind daher grundsätzlich von der in § 28 KHVG geregelten Rechtskrafterstreckung erfasst (2 Ob 268/06k mwN).

Aus der zitierten Bestimmung wird abgeleitet, dass ein auf denselben Sachverhalt gegründeter Schadenersatzanspruch gegenüber dem Versicherten und dem Versicherer einheitlich beurteilt werden soll. In einem gegen den (die) Versicherten und den Versicherer gemeinsam geführten Rechtsstreit ist daher darauf Bedacht zu nehmen, dass über den eingeklagten Anspruch grundsätzlich einheitlich entschieden wird. Selbst dann, wenn (zunächst) nur der Versicherte geklagt wird, muss ‑ schon im Hinblick auf die bloße Möglichkeit der Abweisung einer späteren Klage gegen den Versicherer ‑ der Gefahr von Entscheidungsdivergenzen begegnet werden (2 Ob 257/97a; 2 Ob 119/09b; RIS‑Justiz RS0110240).

In der Grundsatzentscheidung 2 Ob 257/97a schloss der Oberste Gerichtshof aus dieser Rechtslage, dass für den Bereich der Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung des versicherten Lenkers im Allgemeinen unabhängig davon nicht bestehe, wen der Geschädigte klageweise in Anspruch nimmt und wann dies geschieht. Nur wenn auszuschließen sei, dass es noch zu einem das Klagebegehren abweisenden Urteil zugunsten des Versicherers kommen könne, wäre dem versicherten Lenker der Einwand, er habe die Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen, verwehrt. Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat in der Folge in zahlreichen Entscheidungen fortgeschrieben (vgl 2 Ob 2075/96p; 2 Ob 2178/96z; 2 Ob 320/02a; 2 Ob 177/03y; 2 Ob 19/09x; 2 Ob 119/09b; RIS‑Justiz RS0110240).

5. Ausgehend von dieser Rechtsprechung wurde in der Entscheidung 2 Ob 206/99d (= RIS‑Justiz RS0074219 [T10]) zunächst klargestellt, dass die Bindung des Zivilgerichts an das strafgerichtliche Erkenntnis unabhängig davon besteht, in welcher Parteirolle dem Verurteilten ein dritter Geschädigter in einem nachfolgenden Rechtsstreit gegenübersteht. Im damaligen Anlassfall ging der bei einem Verkehrsunfall ebenfalls zu Schaden gekommene strafgerichtlich Verurteilte als Kläger gegen den Haftpflichtversicherer seines Unfallgegners vor, der den geltend gemachten Ansprüchen seinerseits die ihm abgetretenen Schadenersatzforderungen des dritten Geschädigten aufrechnungsweise entgegen hielt.

Der Senat hielt damals eine „nähere Vertiefung“ der auch nun zur Beantwortung anstehenden Rechtsfrage nach der Anwendbarkeit der soeben (in Punkt 4.) erörterten Grundsätze für entbehrlich, weil sich die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zwar einerseits am verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnis orientierten, andererseits aber auch Ergebnis eines selbständig durchgeführten Beweisverfahrens waren.

Das Berufungsgericht verweist zutreffend darauf, dass im vorliegenden Fall ‑ anders als in der zitierten Entscheidung ‑ die den strafgerichtlichen Schuldspruch tragenden und die vom Erstgericht durch freie Beweiswürdigung gewonnenen Feststellungen über die Beleuchtung des Klagsfahrzeugs einander „diametral“ widersprechen.

6. Dem Umstand, dass die beklagten Parteien unfallskausale Schadenersatzansprüche gegen die Klagsforderung aufrechnungsweise eingewendet haben, kommt für die Lösung dieses Falls wesentliche Bedeutung zu. Denn auch damit wurde der iSd § 2 Abs 2 KHVG mitversicherte Kläger mit Schadenersatzansprüchen ‑ wenngleich nicht „klageweise“ - in Anspruch genommen.

Die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten zur Kompensation geltend gemachten Gegenforderung ist gemäß § 411 Abs 1 Satz 2 ZPO der Rechtskraft nur bis zur Höhe des Betrags teilhaft, mit welchem aufgerechnet werden soll. Diese Bestimmung wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dahin ausgelegt, dass über eine prozessuale Aufrechnungseinrede immer nur dann und soweit entschieden werden kann, als die Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt wird (RIS‑Justiz RS0033887). In diesem Umfang begründet die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten zur Kompensation geltend gemachten Gegenforderung in einem Folgeprozess die Rechtskrafteinrede (2 Ob 77/07y mwN; 1 Ob 169/08x; RIS‑Justiz RS0041281). Wird einem beklagten Geschädigten auf diese Weise ein Schadenersatzanspruch rechtskräftig aberkannt, kommt die in § 28 KHVG vorgesehene Rechtskrafterstreckung daher ebenso zum Tragen, wie dies bei einer erfolglosen klageweisen Geltendmachung der Fall wäre (idS bereits 2 Ob 248/97b).

7. Ginge man im vorliegenden Fall von einer bindenden Wirkung des strafgerichtlichen Erkenntnisses aus, könnte dies zu einer Abweisung des Klagebegehrens, aber auch ‑ etwa bei Annahme einer Verschuldensteilung ‑ zum Ausspruch der teilweisen Berechtigung der Klagsforderung führen, die eine auf den teilweisen Bestand der eingewendeten Gegenforderung lautende Entscheidung zur Folge haben könnte. Da derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Geschädigte die eingewendete Forderung gegenüber dem an das verurteilende Erkenntnis nicht gebundenen Haftpflichtversicherer des Klägers klageweise geltend machen wird und in diesem Rechtsstreit unterliegt, käme es auch bei dieser Fallgestaltung zu einer Kollision zwischen der Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils und der Rechtskrafterstreckung des abweisenden Zivilurteils, welche der Oberste Gerichtshof aber schon im Sinne eines Vorrangs der Rechtskrafterstreckung entschieden hat.

Die dazu entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung haben demnach nicht nur dann zu gelten, wenn der dritte Geschädigte gegen den verurteilten Versicherten klageweise vorgeht, sondern auch, wenn er ihm eine Schadenersatzforderung aufrechnungsweise entgegenhält.

8. Daraus ergibt sich, dass das Berufungsgericht zu Unrecht eine Bindung des Erstgerichts an die den Schuldspruch das strafgerichtlichen Erkenntnisses tragende Feststellung, der Kläger habe sein Motorfahrrad zur Nachtzeit ohne Beleuchtung gelenkt, angenommen hat. Die beklagte Partei hat in ihrer Berufung die gegenteilige Feststellung des Erstgerichts, aber auch die Feststellungen zu den Sichtmöglichkeiten der Erstbeklagten mit Beweisrüge bekämpft und auch eine Mängelrüge erhoben.

Dies muss zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Erledigung der Berufungsgründe durch das Berufungsgericht führen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte