OGH 6Ob238/12m

OGH6Ob238/12m19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. I***** M*****, 2. H***** M*****, beide *****, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Dr. K***** S*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 9.695,63 EUR und Feststellung (Streitwert 500 EUR, Gesamtstreitwert 10.195,63 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. September 2012, GZ 4 R 146/12m‑22, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 26. Juni 2012, GZ 1 Cg 30/12w‑18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 844,85 EUR (darin 140,81 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten zur Leistung von Schadenersatz, weil dieser in einem Vorverfahren als Sachverständiger tätig wurde, ohne darauf hinzuweisen, dass er Präsident eines Vereins war, bei dem der im damaligen Verfahren Beklagte Rechnungsprüfer war, sohin ein Naheverhältnis zu einer Verfahrenspartei bestand.

Das Berufungsgericht ließ nachträglich die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es liege keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu vor, ob die Verfahrensbestimmungen im Zusammenhang mit der Bestellung eines Sachverständigen den Schutz des Vermögens der Parteien bezwecken.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig:

1.1. Nach dem Wortlaut des § 355 ZPO ist der Sachverständige zwar nicht zu einer „Selbstablehnung“ verpflichtet, doch wird er schon wegen seiner eidlich übernommenen Amtspflicht zur Unparteilichkeit und wegen der Unannehmlichkeit einer begründeten Ablehnung durch die Parteien selbst auf alle Gründe hinweisen müssen, die eine unparteiische Führung seines Amtes auch nur theoretisch in Zweifel ziehen könnten (10 ObS 316/02x; Rechberger in Fasching/Konecny² § 355 ZPO Rz 10 mwN). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte als Sachverständiger unter den festgestellten Umständen auf sein Naheverhältnis zu einer der Parteien des Ausgangsverfahrens hätte hinweisen müssen, ist daher nicht zu beanstanden.

1.2. Das bereits erstattete Gutachten eines mit Erfolg abgelehnten Sachverständigen darf nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr als Prozessstoff berücksichtigt werden. Andernfalls läge ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Dies gilt auch im Fall einer „Selbstablehnung“ durch den Sachverständigen (RIS‑Justiz RS0040667 [T2, T4, T5]).

2.1. Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710).

2.2. Auch verfahrensrechtliche Vorschriften können grundsätzlich Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sein. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften dienen nicht nur der Sicherung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs, sondern auch der Verhinderung von Mehrkosten, die durch deren Verletzung entstehen. Dies hat der Oberste Gerichtshof bereits im Zusammenhang mit der Erscheinens‑ und Aussagepflicht von Zeugen ausgesprochen (vgl RIS‑Justiz RS0038749). In der Entscheidung 6 Ob 156/08x (JBl 2009, 111 [Schumacher] = EvBl 2009/18 [Wall] = ÖBA 2009/1577 [Lukas] = SZ 2008/104) hat der erkennende Senat mit eingehender Begründung die Haftung einer Partei für unrichtiges Vorbringen ihres Rechtsanwalts in einem Konkursantrag bejaht.

2.3. In der Entscheidung 2 Ob 180/08x hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass ein Sachverständiger den Parteien nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts auch für alle Schäden haftet, die dadurch verursacht werden, dass sein Gutachten der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden konnte. Diese Entscheidung betraf zwar inhaltliche Mängel des Gutachtens und fehlende Sachkenntnis des Sachverständigen. Allerdings ist durch diese Entscheidung klargestellt, dass auch jene Vorschriften, die auf die verfahrensrechtliche Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens abzielen, (auch) den Schutz der Parteien vor frustrierten Verfahrenskosten bezwecken.

3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Beklagte im Vorverfahren als Sachverständiger wegen Befangenheit enthoben. Diese Entscheidung ist nach § 366 Abs 2 ZPO nicht anfechtbar. Die Bindungswirkung dieser Entscheidung steht der vom Beklagten nunmehr begehrten neuerlichen Überprüfung seiner Befangenheit im nunmehrigen Verfahren entgegen. Dies entspricht dem im Amtshaftungsverfahren entwickelten Grundsatz, wonach das Amtshaftungsgericht an die rechtskräftige Entscheidung über die Befangenheit eines Richters im Vorverfahren gebunden ist (1 Ob 3/92).

4. Liegt die schädigende Handlung in der Veranlassung einer erfolgreichen Ablehnung, so kann der auf Ersatz von Kosten des deshalb für nichtig erklärten Verfahrens (Abschnittes) gerichtete Schadenersatzanspruch nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Geschädigte einen öffentlich‑rechtlichen Kostenersatzanspruch nach der ZPO hätte (1 Ob 3/92).

5. Soweit der Revisionswerber einen Verstoß gegen § 182a ZPO moniert, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt. Bei einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO hat der Rechtsmittelwerber nämlich darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen der aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RIS-Justiz RS0120056 [T12]). Demgegenüber beschränkt sich der Revisionswerber auf die Behauptung, die unerörterte Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei unrichtig.

6. Damit bringt der Beklagte aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte