Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 186,84 EUR (darin enthalten 31,14 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist bosnische Staatsangehörige und hält sich seit dem Jahr 2008 in Österreich auf. Sie arbeitete zunächst in einer Wäscherei und im Anschluss daran als Hilfskraft in einem (anderen) Unternehmen. Ihre zunächst auf ein Jahr ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung wurde (am 12. 8. 2009) um ein weiteres Jahr, nämlich bis 20. 8. 2010 verlängert.
Am Tag des Unfalls (21. 6. 2010) fuhr die in ***** S***** wohnende Klägerin nach ***** L*****, um bei der Bezirkshauptmannschaft (kurz: BH) L***** einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu stellen. Zum Unfallszeitpunkt war die Klägerin arbeitslos, bezog Arbeitslosengeld und war beim Arbeitsmarktservice (kurz: AMS) L***** als arbeitssuchend gemeldet.
Die Klägerin hatte vom AMS L***** auch Zuschriften von Stellen erhalten, mit der Aufforderung, diese Stellen aufzusuchen. Am Tag des Unfalls hatte das AMS L***** die Klägerin jedoch nicht vorgeladen. Am 22. 4. und 7. 6. 2010 waren beim AMS L***** persönliche Beratungsgespräche durchgeführt worden. Bis 17. 9. 2010 war jedoch kein weiterer Beratungstermin mehr vorgesehen, den die Klägerin hätte einhalten müssen. Die Klägerin wurde vom AMS L***** auch nicht aufgefordert, die BH L***** aufzusuchen, um die Aufenthaltsbewilligung verlängern zu lassen.
Am 21. 6. 2010 (Tag des Unfalls) beabsichtigte die Klägerin zuerst zur BH L***** zu fahren, um die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern und in weiterer Folge das AMS aufzusuchen, um eine „Stellenliste“ abzuholen. Als sie mit ihrem PKW nach L***** unterwegs war, ereignete sich auf der S*****bundesstraße ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin verletzt wurde.
Die beklagte AUVA sprach mit Bescheid vom 26. 7. 2011 aus, dass der Unfall vom 21. 6. 2010 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe. Der Verkehrsunfall habe sich weder im Zusammenhang mit einer die Versicherung nach dem ASVG begründenden Beschäftigung noch bei einer unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit ereignet. Die Fahrt zur BH L***** zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung stehe nicht unter Versicherungsschutz.
Die dagegen erhobene Klage ist darauf gerichtet, mit Wirkung zwischen den Parteien festzustellen, dass die Verletzungen der Klägerin durch den Unfall vom 21. 6. 2010, um ca 11:14 Uhr auf der S*****bundesstraße bei L*****, Folgen eines Arbeitsunfalls seien und die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin „die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß für die Folgen dieses Unfalls“ zu gewähren. Für die Klägerin als bosnische Staatsbürgerin sei die Aufenthaltsbewilligung Voraussetzung für die Beschäftigungsbewilligung. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe die Klägerin Arbeitslosengeld bezogen. Da sie nach geltender Gesetzeslage auch zur selbständigen Arbeitssuche verpflichtet sei, bestehe auch dann Unfallversicherungsschutz, wenn sie als Arbeitssuchende beweisen könne, dass sich der Unfall bei der selbstständigen Arbeitssuche ereignet habe. Die Klägerin sei regelmäßig alle zwei bis drei Tage nach L***** zum Arbeitsamt gefahren, um dort Einsicht in die ausgehängten Stellenangebote zu nehmen, was jedenfalls als selbstständige Arbeitssuche zu beurteilen sei.
Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, § 176 Abs 1 Z 8 ASVG schütze nach ständiger Rechtsprechung nur Vermittlungstätigkeiten und nicht den Bezug von Arbeitslosengeld selbst. Tätigkeiten oder Erledigungen, die erforderlich seien, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben, stünden nicht unter Versicherungsschutz. Die Klägerin habe sich am Tag des Unfalls auf dem Weg zur Besorgung einer Arbeitsbewilligung befunden und im Anschluss daran vorgehabt, sich beim Arbeitsamt zu melden, obwohl an diesem Tag kein verpflichtender Beratungstermin vorgesehen gewesen sei. Da Versicherungsschutz nur bei Vermittlungstätigkeiten gegeben sei, nicht jedoch für den Weg zur Besorgung der Arbeitsbewilligung, sei die Anerkennung als Arbeitsunfall abzulehnen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich wie folgt:
Auch wenn die Aufenthaltsbewilligung Grundlage für die Beschäftigungsbewilligung der Klägerin sei, habe es sich bei dem Weg zur BH nicht um einen auf Veranlassung der Arbeitsmarktverwaltung unternommenen und einen Versicherungsschutz begründenden Weg zur Arbeitssuche gehandelt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG müsse es sich um Tätigkeiten handeln, die auf Veranlassung des AMS unternommen würden. Selbst wenn nach § 9 Abs 1 AlVG der Arbeitslose zur selbständigen Arbeitssuche verpflichtet und der Wegunfall bei der Arbeitssuche aus eigenem Antrieb geschützt sei (vgl RIS‑Justiz RS0117316), könne dieser Schutz nicht auf den vorliegenden Fall angewendet werden, weil die Klägerin auch dann nicht auf Arbeitssuche gewesen sei, wenn sie beabsichtigt habe, eine Stellenliste beim AMS abzuholen. Da das Aufsuchen der BH zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und in weiterer Folge das Aufsuchen des AMS zur Abholung einer Stellenliste ohne Veranlassung des AMS erfolgt sei, bestehe kein Versicherungsschutz.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zur allein erhobenen Rechtsrüge vertrat es den Standpunkt, der Unfallversicherungsschutz gemäß § 176 Abs 1 Z 8 ASVG werde nach der Rechtsprechung auch auf Personen ausgedehnt, die sich auf privater Arbeitssuche befänden, weil nach § 9 Abs 1 AlVG Arbeitslose nunmehr ausdrücklich zur selbständigen Arbeitssuche verpflichtet seien. Auch in diesen Fällen habe der Betreffende „auf Veranlassung des AMS“ eine Arbeitsstelle aufgesucht (vgl RIS‑Justiz RS0117316; Sonntag in Sonntag ASVG2 § 176 Rz 31 mwN). Nach dieser Judikatur wäre auch ein Unfall, der sich auf dem Weg zur Arbeitssuche ereigne, geschützt, nicht aber ein anderer im Zusammenhang mit Vorbereitungshandlungen zur Arbeitsaufnahme stehender Wegunfall, der nicht unter § 176 Abs 1 Z 8 ASVG falle.
Selbst wenn man daher davon ausgehe, dass das Abholen der Stellenliste beim AMS eine Handlung darstelle, zu der die Klägerin iSd § 9 Abs 1 AlVG verpflichtet gewesen wäre und die unter Unfallversicherungsschutz stünde, hätte sich der Unfall nicht auf „direktem“ Weg zum AMS, sondern auf den Weg zur BH L***** ereignet, wo die Klägerin einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung habe stellen wollen. Es liege aber auch kein Fall der Unterbrechung des Arbeitswegs bzw des Wegs zum AMS vor.
Daher sei zu prüfen, ob die Fahrt zur BH L***** unter Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 8 ASVG stehe. Zum Unfallszeitpunkt habe die Klägerin offensichtlich über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügt, der konstitutiv wirke und es der Klägerin ermöglicht habe, sich in Österreich für die Dauer der Gültigkeit niederzulassen. Es stehe zwar nicht fest, welche Art des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs 1 und 2 NAG idF BGBl I 2009/135 die Klägerin gehabt habe. Selbst wenn der Klägerin damit der Zugang zum Arbeitsmarkt eröffnet werde, ändere dies jedoch nichts daran, dass dieser Aufenthaltstitel grundsätzlich dem persönlichen und eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin zuzuordnen sei und dessen Erwerb oder Verlängerung nicht vom Versicherungsschutz des § 176 Abs 1 Z 8 umfasst sei. Daher liege keine von der Unfallversicherung geschützte Tätigkeit vor, sondern ein Unfall, der nach dem Schutzzweck des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG überprüft werden müsse. Dieser Schutzzweck bestehe darin, Wege zur Arbeitssuche zu schützen, nicht hingegen Wege, die der Verlängerung des Niederlassungs‑ und Aufenthaltsrechts dienten, auch wenn sie Voraussetzung dafür seien, überhaupt einer Beschäftigung in Österreich nachgehen zu können. Abgesehen davon könne auch von einer Veranlassung durch das AMS keine Rede sein.
Die Berufung zitiere weitgehend Gerhartl (in RdW 2011/29), der sich mit der Entscheidung 10 ObS 37/10d auseinandersetze, wo es um eine als Diplomkrankenschwester beschäftigte Klägerin gegangen sei, die während ihrer Dienstzeit das AMS aufgesucht habe, um sich über die Möglichkeit einer Altersteilzeit beraten zu lassen. Auch wenn es sich dort ‑ wie hier ‑ um eine Auslegungsfrage der Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG gehandelt habe, sei dieser Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.
Zum Leistungsbegehren sei noch anzumerken, dass auch in Sozialrechtssachen aus dem Begehren erkennbar hervorgehen müsse, welche Leistung die Klägerin begehre. Ein allgemein gehaltenes Begehren auf Zuspruch von gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung reiche nicht aus (RIS‑Justiz RS0085917; 10 ObS 21/06w; Neumayr in ZellKomm II² § 82 ASGG Rz 4).
Die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sei „infolge Einzelbetrachtung“ nicht zuzulassen.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.
Die Revision ist entgegen dem, den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden, Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil ein vergleichbarer Fall noch nicht entschieden wurde; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin rügt als sekundären, in der Berufung bereits geltend gemachten Feststellungsmangel, die Tatsacheninstanzen hätten nicht festgestellt, dass sich der Unfall auf der Strecke, die dem direkten Weg vom Wohnort der Klägerin zum AMS entspreche, ereignet habe. Demgegenüber werde das angefochtene Urteil nunmehr damit begründet, dass sich der Unfall nicht auf direktem Weg zum AMS, sondern auf dem Weg zur BH L***** ereignet hätte, wo die Klägerin die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung habe beantragen wollen.
Es sei gerichtsbekannt und auch nicht bestritten worden, dass der Unfallort auf der direkten Verbindung vom Wohnsitz der Klägerin zur Stadt L***** liege und es sich dabei um die kürzeste Verbindung handle. Wie bereits in der Berufung ausgeführt, hätte die Klägerin, auch wenn sie „nur“ zum AMS nach L***** gefahren wäre, keinen anderen (etwa kürzeren) Weg gewählt. Die Trennung des Wegs zum AMS bzw zur BH L***** hätte erst etwa einen Kilometer nach dem Unfallort stattgefunden.
Die Nichtbehandlung dieser Rechtsrüge in der Berufung (zum Fehlen der Feststellung, dass sich der Unfall auf der direkten Wegstrecke der Klägerin auch zum Arbeitsamt ereignet habe) stelle eine unrichtige rechtliche Beurteilung in der angefochtenen Entscheidung dar. Es liege auch kein Umweg nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Ausgehend von der irrigen Annahme, dass es sich nicht um einen Unfall auf diesem direkten Weg gehandelt habe, lasse die Berufungsentscheidung die Frage offen, ob diese Fahrt unter Unfallversicherungsschutz stehe, und behandle die Fahrt nach L***** nur unter dem Aspekt einer Fahrt zur BH L***** zwecks Einholung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung.
Die außerordentliche Revision der Klägerin macht also ‑ zusammengefasst ‑ geltend, es bestehe noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Unfallversicherungsschutz auf einer solchen Fahrt zur BH (um die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern), sowie dazu, ob eine „Veranlassung“ des AMS iSd § 176 Abs 1 Z 8 ASVG vorliege, wenn der Arbeitssuchende dort ‑ zur Erfüllung der Vorgaben durch das AMS ‑ eine Stellenliste „aushebt“. Die Revision vertritt dazu weiterhin den Standpunkt, der Unfall habe sich im „örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang“ mit der die Versicherung begründenden „Beschäftigung und Arbeitssuche“ (?) der Klägerin ereignet, die im Sinn der zitierten Bestimmung „auf Veranlassung“ des AMS eine Arbeitsstelle aufgesucht habe.
Rechtliche Beurteilung
Dazu wurde erwogen:
1. Es trifft zu, dass die Anerkennung des gegenständlichen Unfalls als Arbeitsunfall iSd § 175 Abs 1 ASVG voraussetzen würde, dass er sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit einer „die Versicherung begründenden Beschäftigung“ ereignet hätte. Hier wird jedoch übersehen, dass ein die Unfallversicherung begründendes Beschäftigungsverhältnis gerade nicht bestand. Demgemäß befand sich die Klägerin im Unfallszeitpunkt auch nicht auf einem mit der Beschäftigung nach § 175 Abs 1 ASVG zusammenhängenden Weg; ein Versicherungsschutz nach dieser Gesetzesstelle kommt nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Erwerb oder die Verlängerung des Aufenthaltstitels ‑ wie grundsätzlich auch die Arbeitssuche selbst ‑ dem eigenwirtschaftlichen Bereich der Klägerin zuzuordnen und daher nicht dem Schutz der Unfallversicherung unterliegt.
2. Es ist daher zu prüfen, ob der Unfall der Klägerin nach § 176 Abs 1 Z 8 ASVG geschützt ist. Nach dieser mit der 29. ASVG-Novelle, BGBl 1973/31, neu in das Gesetz aufgenommenen Bestimmung waren Unfälle geschützt, die sich bei der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AlVG 1958 oder dem AMFG sowie in den Fällen ereignen, in denen Personen auf Veranlassung von Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle aufsuchen oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehen. Nach den Gesetzesmaterialien (404 BlgNR 13. GP 96) sollte damit der Katalog der den Arbeitsunfällen gleichgestellten Unfällen nach einer vom österreichischen Arbeiterkammertag an das Bundesministerium für soziale Verwaltung herangetragenen Anregung erweitert werden, und zwar sollte der Unfallversicherungsschutz auf Tätigkeiten ausgedehnt werden, die sich bei der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AlVG 1958 oder dem AMFG sowie in den Fällen ereignen, in denen Arbeitssuchende in Befolgung einer im Zusammenhang mit der Durchführung der Arbeitsvermittlung „ergehenden Aufforderung“ einer Dienststelle der Arbeitsmarktverwaltung eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle aufsuchen oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehen (10 ObS 420/02s, SSV‑NF 17/19).
3. Nach der hier anzuwendenden Fassung des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG ist (nunmehr) unter anderem ein Unfall den Arbeitsunfällen gleichgestellt, der sich in Fällen ereignet, „in denen Personen auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle aufsuchen oder sich einer Eignungsuntersuchung oder Eignungsprüfung unterziehen“. Nach § 176 Abs 3 ASVG werden unter anderem den iSd Abs 1 Z 8 tätig werdenden Personen die Leistungen der Unfallversicherung aus einem bei dieser Tätigkeit eingetretenen Unfall auch gewährt, wenn sie nicht unfallversichert sind. Gemäß § 176 Abs 5 ASVG ist auch § 175 Abs 2 Z 1 entsprechend anzuwenden.
4. Bereits in der Entscheidung 10 ObS 199/92, SSV-NF 6/92 hielt der Oberste Gerichtshof ausdrücklich fest, dass dieser (gemäß § 176 Abs 1 Z 8 ASVG aF während des Aufsuchens einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle auf Veranlassung von Dienststellen der Arbeitsmarktverwaltung bestehende) Unfallversicherungsschutz nicht analog auf Fälle ausgedehnt werden könne, in denen der Weg zur Vorstellung bei einem möglichen künftigen Arbeitgeber aus eigenem Antrieb angetreten werde (RIS-Justiz RS0084320).
4.1. Zu 10 ObS 420/02s, SSV-NF 17/19 (DRdA 2004/10, 139 [abl R. Müller]) wurde jedoch ausgeführt, seit der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 stehe auch ein Unfall bei der selbständigen Arbeitssuche iSd § 9 Abs 1 letzter HS AlVG gemäß § 176 Abs 1 Z 8 ASVG unter Versicherungsschutz, was gemäß § 176 Abs 5 ASVG auch für Unfälle auf dem Weg vom und zum Vorstellungsgespräch gelte. Diese Entscheidung wurde unter Bezugnahme auf die Lehrmeinung von Tomandl (in Tomandl, SV-System 13. ErgLfg 2.3.2.3.1.8 Anm 1) im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 (BGBl 1993/502) in § 9 Abs 1 AlVG erstmals ausdrücklich eine Verpflichtung des Arbeitslosen normiert hat, auch alle gebotenen Anstrengungen von sich aus zu unternehmen, um eine Beschäftigung zu erlangen, soweit ihm dies nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
4.1.1. Da der Arbeitssuchende nunmehr auch zur selbständigen Arbeitssuche verpflichtet ist, sei der Unfallversicherungsschutz auch dann zu bejahen, wenn der Arbeitssuchende beweisen kann, dass sich der Unfall bei der (selbständigen) Arbeitssuche ereignete. Auch in diesen Fällen habe der Betreffende iSd § 176 Abs 1 Z 8 ASVG „auf Veranlassung des AMS“ eine Arbeitsstelle aufgesucht (RIS‑Justiz RS0084320 [T1 und T2]; RS0117316).
4.1.2. Diese Entscheidung wurde von R. Müller in DRdA 2004/10, 139 ablehnend besprochen und für das Bestehen eines Unfallversicherungsschutzes nach § 176 Abs 1 Z 8 ASVG weiterhin eine konkrete Veranlassung des Aufsuchens eines bestimmten Arbeitgebers durch das Arbeitsmarktservice verlangt: Selbst wenn man dem § 9 AlVG eine entsprechende Ausstrahlungswirkung unterstellte, so käme eine entsprechende Erweiterung des UV‑Schutzes nach dem Wortlaut des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG von vornherein nur dann in Betracht, wenn das AMS vom Arbeitslosen bereits konkret den Nachweis „initiativer Arbeitssuche“ in einer bestimmten Anzahl von Fällen in einem bestimmten Zeitraum verlangt hätte. Erst die daraufhin entfaltete selbständige Arbeitssuche könnte als eine solche auf „Veranlassung des AMS“ angesehen werden.
4.2. Der Ablehnung schloss sich jüngst S. Mayer (Unfallversicherungsschutz im Vorfeld der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, DRdA 2012, 143 [146]) an: R. Müller habe (nicht nur) dargelegt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld vor der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 ebenfalls schon dann verloren gehen konnte, wenn von einer „sonst sich bietenden Arbeitsgelegenheit“ kein Gebrauch gemacht wurde, sondern darüber hinaus zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Obersten Gerichtshof vorgenommene unmittelbare Anwendung des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG auf Fälle selbstständiger Arbeitssuche nach dem Wortlaut dieser Bestimmung (nach wie vor) bestenfalls bezüglich jener Aktivitäten in Betracht käme, die auf einem vom AMS konkret verlangten Nachweis einer eigenständigen Arbeitssuche in einer bestimmten (Mindest-)Anzahl von Fällen bzw einer konkreten Aufforderung zur „Absolvierung“ einer bestimmten Anzahl von Vorstellungsterminen beruhten.
4.3. In der jüngsten Entscheidung 10 ObS 25/11s (DRdA 2012/36, 422 [zust Windisch-Graetz]) kam dieser Kritik keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil dort der Unfall eines arbeitslosen Notstandshilfebeziehers zu beurteilen war, der sich auf dem Heimweg von einem Vorbereitungsgespräch zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ereignet hatte. Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, dieser Fall unterscheide sich von dem der Entscheidung 10 ObS 420/02s zugrundeliegenden Sachverhalt schon insofern, als sich der Unfall des beim AMS als arbeitslos gemeldeten damaligen Klägers auf dem direkten Heimweg von einem Vorstellungsgespräch zur Erlangung einer (unselbstständigen) Beschäftigung ereignet habe.
4.3.1. Neu festgehalten wurde jedoch, dass sich ein solcher Unfallversicherungsschutz (jedenfalls) nicht auf Bemühungen zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit erstreckt, weil für den Arbeitslosen nach dem AlVG weiterhin keine Verpflichtung besteht, eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen (RIS-Justiz RS0117316 [T1]). Fehlt jedoch eine solche Verpflichtung, dann kann selbst bei einer weiten Auslegung der Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG, wie sie vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 420/02s, SSV-NF 17/19 vertreten wurde, nicht mehr davon gesprochen werden, dass der Kläger sein Vorbereitungsgespräch mit einem potentiellen Geschäftspartner zur Gründung eines Unternehmens am Unfalltag „auf Veranlassung des Arbeitsmarktservices“ geführt hätte (10 ObS 25/11s, DRdA 2012/36, 422 [zust Windisch-Graetz]).
4.3.2. Wie Gerhartl (Unfallversicherungsschutz bei der Arbeitssuche, ecolex 2012, 338 f) in seiner Besprechung dieser jüngsten Entscheidung zutreffend aufzeigt, ist daher nunmehr das Bestehen einer Sanktionsmöglichkeit iSd §§ 9, 10 AlVG als ausschlaggebendes Moment für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes gemäß § 176 Abs 1 Z 8 ASVG anzusehen:
4.3.3. Entsprechendes gilt auch für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes bei der selbstständigen Arbeitssuche. Sanktionierbar ist gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AlVG der Umstand, dass der Arbeitslose auf Aufforderung durch das AMS nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer (unselbstständigen) Beschäftigung nachzuweisen (Gerhartl aaO 339).
4.4. Verrichtungen und Wege, die mit der Arbeitssuche zusammenhängen, sind ‑ wie bereits ausgeführt - grundsätzlich dem eigenwirtschaftlichen (nicht versicherten) Bereich der Arbeitsuchenden zuzurechnen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz werden seit der 29. ASVG-Novelle auch Arbeitsuchende, die „auf Veranlassung“ des AMS eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle aufsuchen, in den Unfallversicherungsschutz einbezogen. Eine unterschiedliche Behandlung von Fällen, in denen der Arbeitslose in Befolgung eines für den Fall der Nichteinhaltung mit der Sperre des Arbeitslosengeldes sanktionierten Auftrags des AMS oder im Rahmen seiner allgemeinen Verpflichtung zur aktiven Arbeitssuche einen Unfall erleidet, gegenüber jenen Fällen, in denen der Arbeitslose ohne entsprechende Verpflichtung und Sanktionsmöglichkeit darüber hinaus weitere selbstständige Bemühungen zur Arbeitsplatzsuche unternimmt, ist auch in Bezug auf das Bestehen eines Unfallversicherungsschutzes nicht unsachlich (10 ObS 25/11s; DRdA 2012/36, 422 [zust Windisch‑Graetz]).
4.5. Da die Rechtmäßigkeit der Verhängung einer Sanktion erst im Nachhinein beurteilt wird, kommt es für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes darauf an, ob der Arbeitslose vom AMS unter Sanktionsandrohung verpflichtet wurde, sich um eine konkrete Stelle zu bewerben bzw eine bestimmte Zahl an Bewerbungen nachzuweisen (und nicht darauf, ob die Weigerung des Arbeitslosen tatsächlich sanktionierbar wäre ‑ vgl Gerhartl aaO 339).
5. An einer solchen „Veranlassung“ des AMS fehlt es im vorliegenden Fall:
5.1. Auf die dargelegten kritischen Argumente ist auch hier nicht weiter einzugehen, weil der festgestellte Sachverhalt mit jenem der Entscheidung 10 ObS 420/02s (auf die der angestrebte Unfallversicherungsschutz im Rahmen „selbstständiger Arbeitssuche“ der Klägerin weiterhin gestützt wird) nicht zu vergleichen ist: Anders als die bisher beurteilten Unfallopfer, die alle auf dem Weg zu bzw von einer Arbeitsstelle verunglückt sind, hatte die Klägerin gar nicht vor, „eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle“ aufzusuchen. Sie beabsichtigte vielmehr, zur BH L***** zu fahren, um ihre Aufenthaltsbewilligung (als bosnische Staatsangehörige) verlängern zu lassen, und dann (aus eigenem Antrieb, also ohne eine diesbezügliche Vorladung oder Aufforderung) zum AMS weiterzufahren (von dem sie ohnehin bereits Zuschriften von Arbeitsstellen erhalten hatte), um sich dort eine „Stellenliste“ zu holen. Der Unfall ereignete sich auf der Bundesstraße *****, wo die Klägerin mit dem PKW (noch) in Richtung L***** unterwegs war.
5.2. Selbst bei einer weiten Auslegung der Bestimmung des § 176 Abs 1 Z 8 ASVG, wie sie vom Obersten Gerichtshof in der mehrfach zitierten Entscheidung 10 ObS 420/02s (SSV-NF 17/19 = DRdA 2004/10, 139 [abl R. Müller]) vertreten wurde, kann hier nicht mehr davon gesprochen werden, die Klägerin hätte ‑ obwohl sie sich lediglich eine Stellenliste (ohne eine diesbezügliche Aufforderung) beim AMS abholen wollte ‑ „auf Veranlassung des Arbeitsmarktservice eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle auf(ge)sucht“.
5.3. Der Revision der Klägerin muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
5.4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, entspricht es der Billigkeit, der Klägerin, die in angespannten Einkommensverhältnissen lebt, die Hälfte ihrer Kosten im Revisionsverfahren zuzusprechen.
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