OGH 2Ob141/11s

OGH2Ob141/11s15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin K***** G*****, vertreten durch ASCHMANN & PFANDL, Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, gegen den Antragsgegner M***** P*****, vertreten durch Dr. Franz Gölles und Mag. Robert Pöschl, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 19. Mai 2011, GZ 1 R 174/11g‑22, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 24. März 2011, GZ 16 FAM 34/10s‑17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Entscheidung über den Unterhaltserhöhungsantrag ab 1. 10. 2010) aufgehoben. Die Außerstreitsache wird insoweit zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am ***** 1991 geborene Antragstellerin ist das außereheliche Kind der C***** G***** und des Antragsgegners. Dieser war aufgrund einer am 27. 1. 1998 abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung zuletzt zur Leistung eines monatlichen Unterhalts von 290,69 EUR an die Antragstellerin verpflichtet. Der Vereinbarung war ein monatliches Nettoeinkommen des Antragsgegners von (umgerechnet) 1.380,78 EUR zugrunde gelegen. Nunmehr bezieht der Antragsgegner eine Alterspension, die durchschnittlich im Jahr 2008 monatlich 2.119 EUR, im Jahr 2009 monatlich 2.220 EUR und im Jahr 2010 monatlich 2.151 EUR netto betrug.

Mit ‑ später verbessertem ‑ Antrag vom 27. 9. 2010 begehrte die Antragstellerin für den Zeitraum 1. 10. 2007 bis 30. 9. 2010 die rückwirkende Erhöhung des Unterhalts auf näher präzisierte Beträge. Ab 1. 10. 2010 begehrte sie die Erhöhung auf 490 EUR.

Der Antragsgegner sprach sich gegen jegliche Erhöhung seiner Unterhaltsverpflichtung aus. Ab 1. 10. 2010 habe die Antragstellerin überhaupt keinen Unterhaltsanspruch mehr. Sie absolviere derzeit ein „freiwilliges soziales Jahr“, stehe in einem Dienstverhältnis beim Verein zur Förderung sozialer Dienste und sei während dieses Zeitraums nicht nur bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse sozialversichert, sondern beziehe auch ein monatliches Entgelt von 180 EUR sowie ‑ im Hinblick auf den Wegfall der Familienbeihilfe ‑ eine monatliche Zuwendung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK) in Höhe von 150 EUR. Dazu kämen sonstige Vergünstigungen wie Freifahrten und dergleichen.

Mit dieser Begründung stellte der Antragsgegner seinerseits den Antrag ihn von der Unterhaltspflicht gegenüber der Antragstellerin zu entheben.

Über den zuletzt erwähnten Antrag entschied das Erstgericht zu AZ 16 FAM 43/10i, der Vater sei ab 1. 10. 2010 von der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter befreit. Dieser Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.

Im Übrigen erhöhte das Erstgericht die vom Antragsgegner monatlich zu leistenden Unterhaltsbeiträge auf 420 EUR vom 1. 10. 2007 bis 31. 12. 2008, auf 437 EUR vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2009 und auf 425 EUR vom 1. 1. 2010 bis 30. 9. 2010. Das Erhöhungsmehrbegehren für diese Zeiträume wurde ebenso abgewiesen wie der Erhöhungsantrag für den Zeitraum ab 1. 10. 2010. Dabei ging das Erstgericht noch von folgendem (unstrittigen) Sachverhalt aus:

Die in Köflach wohnhafte Antragstellerin schloss im Mai 2010 den fünften Jahrgang der Höheren Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe in Köflach erfolgreich ab. Anschließend bestand sie die Eignungsprüfung für die Bildungsanstalt für Sozialpädagogik, Kolleg für Sozialpädagogik der Diözese Graz‑Seckau. Mit dem Ergebnis der Eignungsprüfung wurde der Antragstellerin jedoch mitgeteilt, dass sie wegen Platzmangels nicht aufgenommen werden könne. Aufgrund der bestandenen Eignungsprüfung könne sie sich jederzeit auch um die Aufnahme in ein anderes österreichisches Kolleg bewerben, zB am Bundesinstitut für Sozialpädagogik in Baden. Für den Fall, dass sie sich ein weiteres Mal für das Kolleg der Diözese Graz‑Seckau bewerben wolle, wurde der Antragstellerin „nahe gelegt“, für die Zeit der Überbrückung ein „freiwilliges soziales Jahr“ zu absolvieren.

Beginnend mit 11. 10. 2010 absolvierte die Antragstellerin ein „freiwilliges soziales Jahr“ (mit dem vorgesehenen Ende 31. 7. 2011). Sie hatte während dieser Zeit Anspruch auf ein monatliches Taschengeld von 180 EUR netto; zusätzlich war eine vom BMASK gewährte Förderung von monatlich 150 EUR netto vorgesehen.

Ihren Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe hatte das zuständige Finanzamt mit Bescheid vom 21. 9. 2010 für den Zeitraum ab Oktober 2010 abgelehnt. Das Sammeln von Erfahrungen, Aneignen von Fertigkeiten oder eines bestimmten Wissensstandes durch verschiedene Sozialarbeiten stelle ‑ so die Begründung der Finanzbehörde ‑ für sich allein keine Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 dar. Kinder, die ein „freiwilliges soziales Jahr“ absolvierten, erhielten keine spezielle Ausbildung. Als eine Berufsausbildung könne eine solche Tätigkeit nur dann angesehen werden, wenn sie nachweislich Voraussetzung für die Aufnahme in eine Fachschule für Sozialberufe sei. Dass die Absolvierung eines „freiwilligen sozialen Jahres“ für eine nachfolgende Ausbildung wichtig und vorteilhaft sei, mache es noch nicht zum integrativen Bestandteil der Ausbildung.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, für den Zeitraum vom 1. 10. 2007 bis 30. 9. 2010 ergäben sich nach der Prozentsatzmethode unter Berücksichtigung der Transferleistungen die zuerkannten Unterhaltsbeträge. Die Absolvierung eines „freiwilligen sozialen Jahres“ sei keine Voraussetzung für die Aufnahme in das Kolleg für Sozialpädagogik und nicht als Teil der Berufsausbildung anzusehen. Der Antragstellerin wäre es möglich und auch zumutbar gewesen, nach Abschluss ihrer Schulausbildung bis zur nächsten Bewerbung für das Kolleg unter Anspannung all ihrer Kräfte eine angemessene Beschäftigung, wenn auch nur zur Überbrückung, zu erlangen und dabei ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Die Verrichtung des „freiwilligen sozialen Jahres“ biete auch keine Garantie für die Aufnahme infolgenden Ausbildungsjahrgang.

Dieser Beschluss blieb in seinen Aussprüchen über den Zeitraum vom 1. 10. 2007 bis 30. 9. 2010 und über einen Teil des Erhöhungsbegehrens für den Zeitraum ab 1. 10. 2010 unbekämpft und ist insoweit rechtskräftig.

Das im Übrigen, nämlich soweit der Antragstellerin ab 1. 10. 2010 nicht ein monatlicher Unterhalt von „zumindest 397 EUR“ zuerkannt wurde, angerufene Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und fügte hinzu, dass die Fälle, in denen die Rechtsprechung einen Studien‑ oder Berufsausbildungswechsel nach einer Korrekturfrist von etwa einem Jahr toleriere, mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sei. Bei einem Studien‑ oder Berufsausbildungswechsel erfolge schon vor dem Wechsel eine Aus‑ oder Weiterbildung, bei der Absolvierung eines „freiwilligen sozialen Jahres“ sei dies eben nicht der Fall. Der Antragstellerin wäre zumutbar gewesen, sich bei einem anderen österreichischen Kolleg ‑ etwa dem in Baden ‑ zu bewerben, was jedoch offensichtlich nicht geschehen sei; sie habe jedenfalls keine diesbezüglichen Behauptungen aufgestellt. Es wäre ihr „sehr wohl“ auch zumutbar gewesen, für die Zeit der Überbrückung bis zu ihrer neuerlichen Bewerbung im Rahmen einer vorübergehenden Beschäftigung ein entsprechendes, die Selbsterhaltungsfähigkeit herbeiführendes Einkommen zu erzielen. Die diesbezüglichen Einwände im Rekurs der Antragstellerin seien nicht nachvollziehbar, sei sie doch schon vom 2. 7. bis 20. 9. 2008 sowie am 12. 8. 2009 in der Gastronomiebranche tätig gewesen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob die Absolvierung eines „freiwilligen sozialen Jahres“ zur (vorübergehenden) Beseitigung des Unterhaltsanspruchs führe bzw ob dies mit einem Studien‑ oder Berufsausbildungswechsel unter Zubilligung einer Korrekturfrist von etwa einem Jahr vergleichbar sei, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Stattgebung ihres Begehrens auf Erhöhung der monatlichen Unterhaltsbeiträge auf „zumindest 397 EUR“ für den Zeitraum ab 1. 10. 2010 abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Antragsgegner machte von der Möglichkeit zur Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Die zu lösende Rechtsfrage des Eintritts der (hypothetischen) Selbsterhaltungsfähigkeit hängt zwar stets von den Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 126/10h mwN), die Vorinstanzen sind jedoch von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Behauptungs‑ und Beweislast in Unterhaltssachen abgewichen. Er ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Die Antragstellerin macht geltend, es fehle ihr an jeglichem Verschulden, das Voraussetzung für die Anwendung von Anspannungsgrundsätzen sei. Sie habe ihre bisherigen Ausbildungsschritte stets zielstrebig absolviert und auch die Eignungsprüfung für das Kolleg für Sozialpädagogik bestanden. Von dessen Seite habe man ihr die Absolvierung eines „freiwilligen sozialen Jahres“ nahe gelegt. Es könne ihr nicht zum Verschulden gereichen, wenn sie dieser Empfehlung gefolgt sei. Das angesprochene Kolleg in Baden, befinde sich ‑ im Gegensatz zu jenem in Graz ‑ nicht in unmittelbarer Nähe zum Wohnort der Antragstellerin, sodass die Wahl dieses Kollegs mit erheblichen zusätzlichen Aufwendungen verbunden gewesen wäre. Davon abgesehen hätte es keine Garantie dafür gegeben, dass die Antragstellerin in Baden (oder anderswo) aufgenommen worden wäre bzw dort ausreichend Plätze zur Verfügung gestanden wären. Der Antragsgegner habe hierzu kein Vorbringen erstattet, weshalb die Antragstellerin zu den vom Rekursgericht vermissten Behauptungen nicht veranlasst gewesen sei. Auch auf ihre frühere Ferialtätigkeit in der Gastronomie könne sie nicht verwiesen werden. Es wäre ihr nicht zumutbar gewesen, für eine Dauer von nur zehn Monaten einen die Selbsterhaltungsfähigkeit begründenden Beruf auszuüben und dafür auf die für die beabsichtigte Ausbildung jedenfalls vorteilhafte praktische Tätigkeit zu verzichten.

Hierzu wurde erwogen:

1. Ein Kind ist selbsterhaltungsfähig, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (2 Ob 126/10h mwN; RIS‑Justiz RS0047567, vgl RS0047602 [T3]). Es ist selbsterhaltungsfähig, wenn es über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt (RIS‑Justiz RS0047621). Ein Kind verliert seinen Unterhaltsanspruch aber nicht automatisch mit dem Abschluss der Berufsausbildung, sondern nur dann, wenn es die Aufnahme einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (3 Ob 7/97v; 4 Ob 13/01t; 1 Ob 88/08k; 2 Ob 179/10b, vgl RIS‑Justiz RS0047605). Findet das Kind keine seiner Berufsausbildung entsprechende Arbeitsmöglickeit wird dessen Selbsterhaltungsfähigkeit an sich verneint. Erst nach längerer Zeit vergeblicher Suche einen seiner Ausbildung adäquaten Arbeitsplatz zu erlangen, könnte das Kind auch auf „Hilfsarbeitertätigkeiten“ verwiesen werden (7 Ob 640/92; 3 Ob 7/97v; RIS‑Justiz RS0047632).

Im Allgemeinen wird die Zumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit des Kindes nach Abschluss einer Berufsausbildung bejaht (3 Ob 7/97v; 6 Ob 87/99h; RIS‑Justiz RS0047621). Die Ablegung der Reifeprüfung allein bedeutet allerdings noch keine bestimmte Berufsausbildung (6 Ob 87/99h; 2 Ob 126/10h; RIS‑Justiz RS0047527), wobei es nicht darauf ankommt, ob das Kind eine allgemeinbildende höhere Schule (AHS) oder ‑ wie hier ‑ eine berufsbildende höhere Schule (BHS) absolvierte (3 Ob 116/02h; 3 Ob 139/07y; 2 Ob 126/10h; RIS‑Justiz RS0047625 [T2 und T3]).

2. Selbst wenn der Schulabschluss in einer berufsbildenden mittleren oder höheren Lehranstalt mit der Berechtigung zur Ausübung eines Lehrberufs oder den Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes verbunden ist, tritt nicht immer sogleich die Selbsterhaltungsfähigkeit ein. In ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird auch in solchen Fällen der Anspruch eines Kindes bejaht, die bereits erworbene berufliche Qualifikation durch eine weiterführende Berufsausbildung auf Kosten der Eltern im Rahmen deren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu ergänzen, wenn es die erforderliche Neigung und Begabung aufweist und den Abschluss einer solchen Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt (4 Ob 510/85; 4 Ob 540/94; 1 Ob 49/02s; 9 Ob 87/06v; 8 Ob 43/11y; RIS‑Justiz RS0047580). Treffen diese Voraussetzungen zu, wird der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit solange hinausgeschoben, wie die (durchschnittliche) Dauer der weiterführenden Ausbildung beträgt (vgl 8 Ob 43/11y mwN; RIS‑Justiz RS0047617, RS0083694).

Bei einer Zweitausbildung ist das Weiterbestehen des Unterhaltsanspruchs hingegen an strengere Voraussetzungen gebunden als jene, die für die Finanzierung der Erstausbildung maßgeblich sind (2 Ob 179/10b mwN). Demnach kann einem Kind eine zweite Berufsausbildung dann zugebilligt werden, wenn es eine ernsthafte Neigung und besondere Eignung sowie ausreichenden Fleiß für eine derartige weitere Ausbildung erkennen lässt, es dem Unterhaltsschuldner zumutbar erscheint, dafür Leistungen zu erbringen, und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass dadurch eine nicht unbedeutende Verbesserung des künftigen Fortkommens des Kindes eintreten wird (10 Ob 51/08k; 2 Ob 179/10b; RIS‑Justiz RS0107722). Die Bestimmungsfaktoren bilden ein bewegliches System, das eine den jeweiligen Umständen des Einzelfalls angepasste Ausmittlung der weiterbestehenden Unterhaltspflicht ermöglichen soll (2 Ob 179/10b; RIS‑Justiz RS0107723).

3. Auch im Bereich des weithin vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen (§ 16 Abs 1 AußStrG) sind subjektive Behauptungs‑ und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen, wenn über vermögensrechtliche (also auch unterhaltsrechtliche) Ansprüche, in denen einander die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist (RIS‑Justiz RS0006261). In Detailfragen der Unterhaltsbemesung hat grundsätzlich der Unterhaltsschuldner die für seinen Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen ausreichend zu behaupten und zu beweisen (2 Ob 90/09p; 8 Ob 93/11a; RIS‑Justiz RS0106533), insbesondere jene Umstände, die seine Unterhaltsverpflichtung aufheben oder vermindern sollen (RIS‑Justiz RS0111084). Dabei müssen die Tatsachen, auf die ein Antrag oder ein Gegenantrag gestützt werden soll, bereits in erster Instanz vorgebracht werden (8 Ob 93/11a; RIS‑Justiz RS0006790). Die Behauptungs‑ und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen trifft nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei (1 Ob 56/01v; 10 Ob 67/10s; RIS‑Justiz RS0006261 [T5]).

4. Höhere Bundeslehranstalten für wirtschaftliche Berufe sind berufsbildende höhere Schulen iSd § 78 Schulorganisationsgesetzes. Die Reifeprüfung an einer solchen Schule berechtigt nicht nur zum Besuch einer Hochschule und zum Studium an Fachhochschulen und Akademien, sondern ersetzt auch die Lehrabschlussprüfung in verschiedenen Lehrberufen (vgl 4 Ob 510/85).

Dass die von der Antragstellerin angestrebte Ausbildung zur Sozialpädagogin an einem Kolleg für Sozialpädagogik im Sinne der obigen Ausführungen nicht als weiterführende Berufsausbildung, sondern als Zweitausbildung zu qualifizieren wäre, hat der anwaltlich vertretene Antragsgegner nicht behauptet.

Ebensowenig hat er eingewendet, dass der Antragstellerin ungeachtet der Empfehlung des Kollegs in Graz für die Zeit der Überbrückung ein „freiwilliges soziales Jahr“ zu absolvieren, die erfolgreiche Bewerbung an einem anderen Kolleg oder die vorübergehende Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, „etwa in der Gastronomiebranche“ (so die Meinung des Rekursgerichts), zumutbar und möglich gewesen wäre und sie entsprechende Bemühungen aus Verschulden unterlassen hätte. Es fehlt demnach an jeglicher Behauptung des Antragsgegners zu diesen Themen und ‑ folgerichtig ‑ auch an jeglicher diesbezüglichen Feststellung des Erstgerichts.

Unter diesen Umständen haben die Vorinstanzen unter Verkennung der Behauptungs‑ und Beweislast des Antragsgegners zu Unrecht den Anspannungsgrundsatz angewendet und die hypothetische Selbsterhaltungsfähigkeit der Antragstellerin auf dieser Grundlage bejaht (vgl 1 Ob 56/01v). Die den zweitinstanzlichen Zulassungsausspruch begründende Rechtsfrage stellt sich nicht.

5. Der Antragsgegner, der sich weder am Rekurs‑ noch am Revisionsrekursverfahren beteiligt hat, hat in erster Instanz den für den Zeitraum ab Oktober 2010 geltend gemachten Unterhaltsanspruch ausschließlich mit der Begründung bestritten, der Antragstellerin stehe aufgrund des von ihr bezogenen Entgelts von 180 EUR, der Zuwendung des BMASK in Höhe von 150 EUR und ihrer „sonstigen Vergünstigungen“ kein Unterhaltsanspruch mehr zu (AS 65). Dem hielt die Antragstellerin ua entgegen, dass sich die Auszahlung der „Familienbeihilfe-Ersatzleistung“ mittlerweile verzögere und es vorerst auch nicht absehbar sei, ob diese Leistungen erbracht werden würden. Zum Beweis für diese Behauptung legte sie eine Urkunde vor. Auch die vom Antragsgegner angesprochenen Vergünstigungen, so die Antragstellerin weiter, könnten nicht zur Reduktion ihres Unterhaltsanspruchs führen (AS 89).

Zu diesem wechselseitigen Vorbringen, das den Umfang der gerichtlichen Prüfung des Anspruchs festlegt, liegen noch keine ausreichenden Feststellungen vor. Es blieb insbesondere ungeklärt, wie, wo und unter welchen näheren Umständen die Antragstellerin das „freiwillige soziale Jahr“ absolvierte. Nach dem weiteren (unstrittigen) Inhalt der mit dem „Verein zur Förderung freiwilliger sozialer Dienste“ abgeschlossenen Vereinbarung vom 4. 10. 2010 kam der Antragstellerin an ihrer Einsatzstelle möglicherweise auch das Recht auf Gewährung einer Schlafstelle und der notwendigen Verpflegung zu (Punkt IV). Demnach könnte ‑ ähnlich einem Präsenzdiener (vgl RIS‑Justiz RS0047475, RS0047535) ‑ zumindest eine teilweise Versorgung der Antragstellerin durch Gewährung von Unterkunft und Verpflegung vorgelegen sein. Der Anspruch auf eine Förderung durch das BMASK wurde vertraglich von der Erfüllung bestimmter ‑ bisher nicht aktenkundiger ‑ Kriterien „laut unterzeichneter Ergänzungsvereinbarung“ abhängig gemacht (Punkt V). Vor Kenntnis dieser strittigen Tatumstände kann über das verbliebene Unterhaltsbegehren der Antragstellerin nicht entschieden werden.

6. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher im noch streitverfangenen Umfang aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die dargestellte Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und im Sinne der Ausführungen zu Punkt 5. ergänzende Feststellungen zu treffen haben. Erst auf deren Grundlage wird sodann über das Erhöhungsbegehren der Antragstellerin für den Zeitraum ab Oktober 2010 neuerlich zu entscheiden sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 AußStrG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte