OGH 6Ob15/10i

OGH6Ob15/10i19.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. A*****AG, *****, 2. A***** AG, *****, beide vertreten durch Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte KG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Parteien d*****GmbH, *****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 21. September 2009, GZ 30 R 37/09w-12, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. Juni 2009, GZ 17 Cg 35/09t-4, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte schuldig, der beklagten Partei die mit 1.230,95 EUR (davon 205,16 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisonsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Medieninhaberin einer Website (Online-Ausgabe einer Tageszeitung), auf der am 13. 5. 2009 unter der Überschrift „Seltsame Geschäfte am Wörthersee“ ein Artikel veröffentlicht wurde, in dem über staatsanwaltliche Ermittlungen gegen den „Chef“ der klagenden Beteiligungsgesellschaften und einen ihrer früheren Prokuristen, über Vorgänge in den Beteiligungsgesellschaften und darüber berichtet wurde, dass rund 12.000 Besitzer von Genussscheinen der börsennotierten Erstklägerin um gut 400 Mio EUR bangen. Der Bericht schließt mit folgenden Sätzen:

„Kundenordner sollen übrigens nicht viele aufgefunden worden sein bei der A*****-Hausdurchsuchung, und auch das Haus selbst könnte bald weg sein. Wie d***** von Immobilienexperten hört, soll der Standort K***** auf den Markt kommen. Hintergrund: Die Gläubigerbanken wollen Geld sehen.“

Die Klägerinnen wenden sich im Revisionsrekursverfahren noch gegen folgende Äußerung:

Kundenordner sollen übrigens nicht viele aufgefunden worden sein bei der A*****-Hausdurchsuchung.

Die Behauptung sei unwahr. Eine Hausdurchsuchung habe nicht stattgefunden. Sie hätten der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vielmehr freiwillig Einsicht in 500 Aktenordner betreffend 12.000 Kunden, auch in digitaler Form, gewährt. Die Behauptung sei im Gesamtzusammenhang des Artikels für sie kreditschädigend. Es liege auf der Hand, dass die inkriminierte Veröffentlichung den Kredit, den Erwerb und das Fortkommen der Klägerinnen in der Öffentlichkeit und bei ihren derzeitigen und auch potentiellen Geschäftspartnern schwer beeinträchtige. Es bestehe die Gefahr finanzieller Einbußen durch Ausfall bestehender und zukünftiger Geschäftspartner und Kunden.

Das im Artikel genannte „Haus“ stehe im Eigentum der Erstklägerin. Beide Klägerinnen betrieben am Standort K***** ihr Unternehmen. Eine Verwertung des Hauses bzw des Standorts sei nicht geplant. Die Klägerinnen seien von keiner Bank mit einer diesbezüglichen Forderung konfrontiert worden. Die inkriminierten Behauptungen seien unwahr und für die Klägerinnen kreditschädigend gemäß § 1330 Abs 2 ABGB. Ihre Vorstände seien von mehreren Personen auf diesen Bericht negativ angesprochen worden. Es bestehe die Gefahr finanzieller Einbußen.

Die Beklagte wendet ein, die Staatsanwaltschaft Klagenfurt habe aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung eine Hausdurchsuchung bei den Klägerinnen angeordnet, was diese auch gar nicht bestritten hätten. Selbst wenn die Klägerinnen die Hausdurchsuchung zugelassen und das Gesuchte freiwillig herausgegeben hätten, sei der inkriminierte Text in seinem Tatsachenkern wahr. Für den Durchschnittsleser mache es keinen Unterschied, ob eine Hausdurchsuchung oder eine freiwillige Einsichtnahme stattgefunden habe. Ob bei der Hausdurchsuchung viele oder wenige Kundenordner gefunden worden seien, sei unerheblich.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Mit den inkriminierten Behauptungen sei der Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB nicht erfüllt. Ein anderer Rechtsgrund lasse sich für den Antrag der Klägerinnen nicht heranziehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerinnen teilweise Folge und erließ die einstweilige Verfügung hinsichtlich der Behauptungen: „Auch das Haus selbst könnte bald weg sein. Wie d***** von Immobilienexperten hört, soll der Standort K***** auf den Markt kommen. Hintergrund: Die Gläubigerbanken wollen Geld sehen.“ Das Mehrbegehren, der Beklagten zu verbieten, die wörtliche und/oder sinngemäße Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten: „Kundenordner sollen übrigens nicht viele aufgefunden worden sein bei der A*****-Hausdurchsuchung.“, wies es ab. Das Rekursgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, die zuletzt genannte Äußerung sei eine Tatsachenbehauptung. Die Aussage, bei den Klägerinnen sei eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, sei in ihrem Tatsachenkern wahr, weil der mit der Strafprozessordnung nicht im Detail vertraute Durchschnittsleser nicht zwischen einer Hausdurchsuchung und einer aufgrund dieser drohenden Zwangsmaßnahme gestatteten freiwilligen Einsichtnahme unterscheide. Es sei nicht erkennbar, inwieweit die beiläufige Äußerung, es seien nur wenige Kundenordner gefunden worden, geeignet sein soll, die wirtschaftliche Wertschätzung der Klägerinnen beim Publikum zu beeinträchtigen. Auch legten die Klägerinnen weder im Sicherungsantrag noch im Rekurs dar, welche negativen Aussagen über ihren Geschäftsbetrieb oder ihre Geschäftsgebarung diese Behauptung implizieren solle. Dass bei einer Hausdurchsuchung nur wenige Kundenordner gefunden worden seien, könne unterschiedlichste Gründe haben, unter anderem auch, dass sie andernorts aufbewahrt worden seien. Dies sage nichts über das Vorhandensein weiterer Ordner aus und enthalte auch keinen Vorwurf eines Fehlverhaltens. Im Umfang dieser Behauptung bestehe daher das Sicherungsbegehren nicht zu Recht.

Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs zu, weil die Klägerinnen in ihrer Zulassungsbeschwerde zutreffend aufzeigten, dass die noch strittige Äußerung im Gesamtzusammenhang des Artikels beim Durchschnittsleser den Eindruck mangelnder Seriosität und/oder Organisiertheit der Klägerinnen zu erwecken geeignet sei. Beide Behauptungen, für deren Richtigkeit nach den Ergebnissen des Sicherungsverfahrens kein Anhaltspunkt bestehe, wären für sich allein geeignet, den Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB zu erfüllen. Da nicht auszuschließen sei, dass der Oberste Gerichtshof vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur „Unklarheitenregel“ der Argumentation der Klägerinnen folge, sei der Revisionsrekurs zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage nicht vorliegt.

Die Rechtsmittelwerberinnen machen geltend, sie seien Beteiligungsgesellschaften, die Erstklägerin sei an der Wiener Börse notiert und sie hätten „etwa über“ 12.000 Kunden. Durch die beanstandete Äußerung entstehe beim Leser zwangsläufig der typische und landläufige negative Eindruck: „Die haben ja nicht einmal ausreichende Kundenordner, was ist von diesem Unternehmen schon zu halten.“ Gerade Beteiligungsunternehmen müssten hinsichtlich der eigenen Unternehmensunterlagen strukturiert und geordnet sein und dementsprechend über ausreichende Kundenordner im Hinblick auf 12.000 Kunden verfügen. Hätten die Klägerinnen nicht viele Kundenordner, würden sie dem Leser als schlampig, unzuverlässig, schlecht organisiert erscheinen. Im Gesamtzusammenhang des tendenziös zu Lasten der Klägerinnen gefärbten Artikels sei die Äußerung als Behauptung mangelnder Organisiertheit/Seriosität der Klägerinnen zu beurteilen. Es sei allgemein bekannt, dass sie in einer Krise seien und dies auf die Malversationen eines ehemaligen Prokuristen zurückführten. Wenn nunmehr der Leser zudem dem Bericht entnehme, dass angeblich nicht viele Kundenordner bei der Hausdurchsuchung, die tatsächlich stattgefunden habe, aufgefunden worden seien, so verliere er jegliches Vertrauen in die Seriosität und/oder das Wiedererstarken der Klägerinnen. Die Äußerung habe aus Sicht des Lesers die nahe liegende Bedeutung, dass „eben nicht viele Kundenordner vorhanden sind“. Die Auffassung des Rekursgerichts, die Äußerung könne auch bedeuten, dass die Unterlagen andernorts aufbewahrt worden seien, entferne sich vom Bedeutungsgehalt des Artikels und von der Unklarheitenregel.

Mit ihren Ausführungen zeigen die Rechtsmittelwerberinnen keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:

1. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage (6 Ob 77/02w). Tatsachen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB sind Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind (stRsp, zB 6 Ob 235/02f; 6 Ob 20/95 SZ 68/97; 4 Ob 171/93 uva). Die Richtigkeit der verbreiteten Äußerung muss grundsätzlich einem Beweis zugänglich sein, sodass das Verbreiten nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (4 Ob 171/93).

2. Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung und damit auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder bloß eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsleser oder -hörer. Der subjektive Wille des Äußernden ist nicht maßgeblich. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (RIS-Justiz RS0031883; vgl RS0031815). Da die Ermittlung des Bedeutungsinhalts von den näheren Umständen des jeweiligen Falls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt, kommt ihr wegen dieser Einzelfallbezogenheit grundsätzlich keine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0111733 [T5]).

3. Das Rekursgericht hat die nachträgliche Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses mit der Rechtsprechung zur Unklarheitenregel begründet. Danach muss der Äußernde bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen (s 4 Ob 171/93 mwN). Ist aber der Sinngehalt der beanstandeten Tatsachenmitteilung nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers oder -hörers in einer bestimmten Richtung klar, so kann die Unklarheitenregelung nicht mehr in Betracht kommen (RIS-Justiz RS0085169).

4. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Anwendung der Unklarheitenregel am Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 10 MRK) zu messen (4 Ob 71/06d; 4 Ob 98/07a zum Lauterkeitsrecht; RIS-Justiz RS0121107). Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Äußernden noch stärker belastenden Deutung unbeachtet bleiben. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schließt es aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen (RIS-Justiz RS0121107 [T4]).

5. In die beanstandete Äußerung kann entgegen der Meinung der Klägerinnen nicht hineingelesen werden, dass Kundenordner nicht - gemessen an der Geschäftstätigkeit der Klägerinnen und der Anzahl ihrer Kunden - in „ausreichender“ Anzahl vorhanden waren oder die Klägerinnen Kundenordner nicht in ausreichender Anzahl hätten, die einem unvoreingenommenen Durchschnittspublikum die unabweisliche Schlussfolgerung nahelegt, die Klägerinnen seien schlecht organisiert oder nicht seriös. An die beanstandete Äußerung schließt nämlich der Halbsatz an: „und auch das Haus selbst könnte bald weg sein.“ Dieser legt den Schluss, dass die bei der Hausdurchsuchung aufgefundenen Kundenordner tatsächlich nicht alle vorhanden waren, und nicht die Auslegung der Rechtsmittelwerberinnen nahe, die auch im Gesamtzusammenhang, in dem die beanstandete Äußerung steht, als entfernt erscheinen muss.

Der Ausdruck „viele“ Kundenordner ist unscharf und lässt Interpretationsspielraum. Nach dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittspublikums ist demnach der Aussagegehalt erkennbar durch eine subjektive Bewertung des Äußernden geprägt. Die Klägerinnen behaupteten, der Staatsanwaltschaft sei bei der freiwilligen Einsichtnahme die Möglichkeit zur Einsicht in etwa 500 Aktenordner betreffend rund 12.000 Kunden - auch in digitaler Form - gegeben worden. Gemessen an der Kundenzahl beruht die Bewertung der Anzahl der aufgefundenen Ordner als nicht „viele“ auf einer Tatsache.

6. Die Zurückweisung des Revisionsrekurses konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 78, 402 EO iVm § 510 Abs 3 ZPO).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 EO iVm §§ 41 Abs 1, 46 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO).

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