OGH 7Ob163/09k

OGH7Ob163/09k27.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin C***** E*****, geboren am 31. Juli 1990, *****, vertreten durch Dr. Katja Matt, Rechtsanwältin in Bregenz, gegen den Antragsgegner Mag. K***** S*****, vertreten durch Dr. Michael Augustin und andere Rechtsanwälte in Leoben, wegen Unterhalt über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 7. April 2009, GZ 3 R 99/09w-90, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn vom 10. Februar 2009, GZ 9 P 1218/95b-U-84, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 375,12 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin enthalten 61,92 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig, weil weder höchstgerichtliche Judikatur zum Sonderbedarf eines Studenten fehlt noch eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Rekursgerichts vorliegt. Die Zurückweisung kann sich in diesem Fall auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

1. Die vom Antragsgegner gerügte Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt jedoch nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

2.1. Unter dem „Regelbedarf" ist jener Bedarf zu verstehen, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Befriedigung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (RIS-Justiz RS0047395). Sonderbedarf ist jener Bedarf, der sich aus der Berücksichtigung der beim Regelbedarf bewusst außer Acht gelassenen Umstände des Einzelfalls ergibt (RIS-Justiz RS0117791). Der Sonderbedarf betrifft inhaltlich hauptsächlich die Erhaltung der (gefährdeten) Gesundheit, die Heilung einer Krankheit und die Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere Ausbildung, Talentförderung und Erziehung) des Kindes; eine generelle Aufzählung all dessen, was als Sonderbedarf anzuerkennen ist, ist kaum möglich (RIS-Justiz RS0107180). Er ist durch die Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität gekennzeichnet und fällt bei der Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder regelmäßig nicht an (RIS-Justiz RS0107180 [T3]). Betrifft der Sonderbedarf die Gesundheit, ist er als deckungspflichtig anzuerkennen (RIS-Justiz RS0047560).

Auch Ausbildungskosten hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach als Sonderbedarf anerkannt, wenn ein gerechtfertigter Grund gerade für diesen Ausbildungsweg spricht. Als derartige Gründe kommen unter anderem eine besondere Begabung des Kindes, die durch den gewählten Schultyp gefördert werden kann, oder besonderes berufliches Interesse und damit verbundener intensiver Wunsch des Kindes nach einem bestimmten Ausbildungsweg in Frage; ebenso wenn eine gleichwertige Berufsausbildung am Ort der Betreuung nicht möglich ist und eine tägliche Zureise vom Wohnort zum Ort der Ausbildung nicht in Betracht kommt oder dem Kind nicht zumutbar ist (RIS-Justiz RS0109906, RS0109908, RS0047562). Für die Anerkennung der Kosten eines Studiums an einer ausländischen Privatuniversität als Sonderbedarf wurde sowohl eine ganz besonders ausgeprägte Begabung und Neigung des Unterhaltsberechtigten für das gewählte Studium verlangt und darüber hinaus, dass eine vergleichbare Ausbildung an einer Universität, an der nicht ähnlich hohe Kosten auflaufen, nicht möglich ist (3 Ob 270/98x). Jedenfalls sind immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RIS-Justiz RS0007204 [T5], RS0047560 [T12], 8 Ob 53/09s mwN uva).

2.2. Wendet man diese Grundsätze der zahlreich vorhandenen Rechtsprechung auf den vorliegenden Einzelfall an, kann in der Rechtsansicht des Rekursgerichts, bei den geltend gemachten allergiebedingten Mehrkosten handle es sich ebenso um Sonderbedarf der Antragstellerin wie bei den studienbedingten Mehraufwendungen (jedenfalls) für auswärtige Wohnversorgung und Aufenthaltsgebühr, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkannt werden. Jener Sonderbedarf ist nämlich sowohl in der besonderen Begabung der Antragstellerin begründet als auch im Umstand, dass ein derartiges Universitätsstudium in der Nähe des Heimatorts nicht möglich ist, wodurch die geforderten Kriterien der Individualität und Außergewöhnlichkeit erfüllt sind. Es behauptet nicht einmal der Vater, dass diese Umstände auf die Mehrzahl der österreichischen unterhaltsberechtigten Studenten zutreffen.

3.1. Von der Frage der Qualifizierung eines Aufwands als Sonderbedarf zu trennen ist die Frage, ob eine Deckungspflicht des geldunterhaltspflichtigen Elternteils besteht. Das hängt davon ab, ob diesem die Deckung angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist (RIS-Justiz RS0107179, RS0109907). Erbringt der Unterhaltsschuldner ohnedies Unterhaltsleistungen, die den Regelbedarf beträchtlich übersteigen, ist im Rahmen der Unterhaltsbemessung Sonderbedarf nur dann zu ersetzen, wenn die Aufwendungen höher sind als die Differenz zwischen dem Regelbedarf und der laufenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung (RIS-Justiz RS0047525 [T2 und T9]), also ein Deckungsmangel gegeben ist. Eine Überschreitung der Prozentsatzkomponente wird überhaupt nur bei existenznotwendigem Sonderbedarf oder bei sonst förderungswürdigen Kindern zuerkannt (RIS-Justiz RS0109907 [T3 und T6], RS0047525 [T6]). Bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Tragung des Sonderbedarfs durch den Unterhaltsverpflichteten im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit ist zu fragen, ob dieser Aufwand auch in einer intakten Familie unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenssituation getätigt worden wäre (RIS-Justiz RS0109907 [T8] = RS0107182 [T1]).

Nach der Rechtsprechung darf der Unterhaltspflichtige nicht soweit belastet werden, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre; ihm hat ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist (RIS-Justiz RS0008667). Als Richtsatz für die Belastungsgrenze orientiert sich die Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum des § 291b EO, ohne dass dieses jedoch eine in jedem Fall gültige starre Untergrenze bildete, sondern bei Bedarf in den Grenzen des § 292b EO noch unterschritten werden darf (RIS-Justiz RS0013458 [T2]; RS0047455). Eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze ist nicht möglich, es ist vielmehr im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen. Diese Grundsätze eröffnen den Gerichten somit einen Ermessensspielraum (RIS-Justiz RS0008667 [T2]; RS0013458 [T3]). Auch die Frage, ob die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners überschritten wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0007204 [T3]).

3.2. Nach den maßgeblichen Feststellungen erbringt der Vater seit 1. September 2007 einen Unterhaltsbeitrag von 500 EUR bei einer Bemessungsgrundlage für 2007 von 1.884 EUR, deren spätere Änderung nicht behauptet wurde. Der vom Vater geleistete Unterhalt übersteigt nicht nur jenen nach der Prozentsatzmethode (22 % von 1.884 EUR = 414 EUR) sondern auch den Regelbedarf. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, da die Antragstellerin bereits mit 17 Jahren ein Hochschulstudium begonnen habe, sei ihr schon mit diesem Zeitpunkt der höchste Regelbedarf zuzugestehen, blieb vom Vater unbeanstandet, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Der Regelbedarf der Antragstellerin ist demnach für 2007/2008 mit 474 EUR, für 2008/2009 mit 491 EUR und für 2009/2010 mit 492 EUR anzunehmen. Die Unterhaltsleistungen des Vaters übersteigen den Regelbedarf daher nur minimal und in einem Ausmaß, der nicht einmal den krankheitsbedingten Mehraufwand der Antragstellerin von (im Zweifel 80 EUR : 2 =) 40 EUR monatlich deckt, sodass ein beträchtlicher Deckungsmangel besteht.

Wenn das Rekursgericht unter diesen Umständen unter Hinweis auf die besondere Förderungswürdigkeit der Antragstellerin (im Hinblick auf ihre überdurchschnittliche Begabung) davon ausgeht, dem Vater sei die Tragung des Sonderbedarfs bis zu einem Gesamtausmaß von 700 EUR zumutbar, handelt es sich dabei keineswegs um eine unvertretbare Verkennung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, weshalb kein Rechtsfragencharakter im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG gegeben ist. Schließlich hat die Prozentsatzmethode nur den Charakter einer Orientierungshilfe (RIS-Justiz RS0047419 [T11], RS0057284). Gerade die besondere Begabung der Antragstellerin legt es nahe, ihr jenes Studium zu ermöglichen, das sie anstrebt; der damit im Zusammenhang stehende Mehraufwand würde wohl auch in einer intakten Familie in Kauf genommen werden, zumal dem nicht weiter sorgepflichtigen Vater dennoch ein weit vom sogenannten Unterhaltsexistenzminimum nach § 291b EO (nach der jeweiligen Existenzminimumverordnung Tabelle 2bm: 2007: 867,68 EUR, 2008: 880,28 EUR, 2009: 896,03 EUR, 2010: 902,85 EUR) entfernter Betrag verbleibt (1.184 EUR) und die Dauer der Zusatzbelastung absehbar ist.

Da zumindest der allergiebedingte und der Sonderbedarf für die auswärtige Wohnversorgung (unabhängig von den Vorlesungszeiten) von zusammen etwa 261 EUR jedes Monat anfallen, ist es zulässig, einen erhöhten monatlichen Unterhaltsbetrag festzusetzen. Der Unterhaltsbeitrag ist nämlich nicht in Leistungen zur Befriedigung des „sonstigen" Unterhaltsbedarfs und des (zweckgebundenen) Sonderbedarfs aufzusplitten (2 Ob 224/08t = RIS-Justiz RS0118275 [T6]; 1 Ob 150/08b; 5 Ob 116/09h).

4.1. Nach ständiger Rechtsprechung haben auch bereits erwachsene, aber noch nicht selbsterhaltungsfähige Kinder Anspruch auf Betreuung, und zwar auch dann, wenn das Kind unter der Woche zwecks Ausbildung auswärts lebt (RIS-Justiz RS0048380 [T3]). Aus der Anerkennung der Betreuung als vollwertigen Unterhaltsbeitrag durch den Gesetzgeber und aus dem Wortlaut des § 140 Abs 2 ABGB folgt, dass der Unterhaltspflichtige (andere Elternteil) im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit grundsätzlich auch für einen Sonderbedarf des Kindes aufkommen muss. Ein Ausgleich der Sonderbedarfskosten zwischen den Eltern ist aber dann gerechtfertigt, wenn es sich um einen zum Betreuungsbereich gehörenden Sonderbedarf handelt (RIS-Justiz RS0047553 [T1]).

4.2. Da nach den Feststellungen kein Anlass für die Beurteilung besteht, die Mutter erbringe nur mehr gänzlich zu vernachlässigende Betreuungsleistungen, ist grundsätzlich von der Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht iSd § 140 Abs 2 ABGB auszugehen. Auf den von der Judikatur vorgesehenen und hier wegen des Studiums in Basel vorliegenden Ausnahmefall für Sonderbedarf wurde ohnehin Bedacht genommen. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nicht der gesamte allergie- und studienbedingte Mehraufwand durch den Gesamtunterhaltsbeitrag des Vaters von 700 EUR abgedeckt ist, weshalb auch die Mutter einen über ihre Betreuungsleistungen hinausgehenden Deckungsbeitrag zu leisten hat. Das ist schon mit Rücksicht auf den allergiebedingten Sonderbedarf und den Sonderbedarf für die auswärtige Wohnversorgung von insgesamt etwa 261 EUR, der die Differenz zwischen Regelbedarf und 700 EUR (zwischen 226 EUR und 208 EUR) nicht unerheblich übersteigt, der Fall, wobei zum Beispiel die Aufenthaltsgebühr noch gar nicht berücksichtigt ist. Eine konkrete Darlegung, in welchem erhöhten Ausmaß die Mutter zum Sonderbedarf ihrer Tochter beizutragen habe, bleibt der Revisionsrekurs aber ohnedies schuldig.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG. Die Antragsgegnerin hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

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