Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in seinen Punkten 2. (Feststellung) und 3.(Kosten) wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.205,48 EUR (darin 152,24 EUR USt und 292 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger unterzog sich am 31. 8. 2006 im Krankenhaus B*****, dessen Rechtsträgerin die Beklagte ist, einer lege artis durchgeführten Operation im Bauchraum. Als typische Folge einer solchen Operation bildete sich beim Kläger eine Bride (Verwachsungsstrang). Die vor der Operation erfolgte Aufklärung über die häufigsten möglichen Komplikationen blieb insoweit unvollständig, als der Kläger nicht über postoperative Folgen wie „Verwachsungen und Briden“ aufgeklärt wurde. Solche Verwachsungen können Spät- und Dauerfolgen nach sich ziehen. Ob der Kläger im Fall einer Aufklärung über die Möglichkeit derartiger postoperativer Folgen der Operation zugestimmt hätte oder nicht, konnte nicht festgestellt werden.
Neben einem im Rechtsmittelverfahren nicht bekämpften Schmerzengeldzuspruch begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte „für alle zukünftigen Schäden resultierend aus dem Vorfall vom 31. 8. 2006 betreffend die Operation im Krankenhaus B*****“ hafte. Die Beklagte habe die gebotene Aufklärung unterlassen; der Kläger habe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung.
Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei anlässlich der Operation über die damit verbundenen Risiken und möglichen Komplikationen aufgeklärt worden. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sei, hätte der Kläger dem Eingriff trotz möglicher Verwachsungen unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und insbesondere der medizinisch indizierten Operation zugestimmt.
Das Erstgericht gab auch dem Feststellungsbegehren statt. Spät- oder Dauerfolgen im Zusammenhang mit den beim Kläger aufgetretenen Verwachsungen könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Aufklärung des Klägers sei insofern unvollständig geblieben. Es sei nicht auszuschließen, dass er sich bei sach- und fachgerechter Aufklärung über derartige Komplikationen nicht hätte operieren lassen, zumal medizinisch vertretbare Alternativen bestanden hätten. Habe der Arzt die erforderliche Aufklärung unterlassen und verwirkliche sich in der Folge ein Risiko, auf das der Arzt hätte hinweisen müssen, kämen Schadenersatzansprüche in Betracht.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Feststellungsbegehren abwies; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 4.000 EUR, nicht hingegen 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es mangle an einer eindeutigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung „zur Frage der Substantiierungspflicht in Fällen, in denen vernünftige Gründe an der Zustimmung des Patienten zu zweifeln weder erkennbar sind noch diesbezüglich ein Vorbringen erstattet wurde“. Der Kläger habe plausibel zu machen, weshalb er bei Kenntnis der aufklärungsbedürftigen Umstände die Behandlung gleichwohl abgelehnt hätte; eine pauschale Behauptung genüge nicht. Wenn auch keine übertriebenen Anforderungen an diese Substantiierungslast gestellt werden dürften, sei ein Mindestmaß an Plausibilitätsdarlegung zu fordern. Hier habe der Kläger nicht einmal den Versuch gemacht, seiner Substantiierungspflicht nachzukommen und darzulegen, weshalb er in die Operation trotz Kenntnis über eine Vielzahl weit schwerwiegenderer Risiken im Fall einer zusätzlichen Information über das Risiko von Verwachsungen nicht eingewilligt hätte. Es sei somit von dessen Zustimmung zur Operation auch für den Fall auszugehen, dass er über die Möglichkeit des Auftretens von Verwachsungen aufgeklärt worden wäre. Da die Operation deshalb auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Ärzte durchgeführt worden wäre, sei das Feststellungsbegehren, das sich ausschließlich auf die nachteiligen Folgen aus möglichen Verwachsungen stütze, abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist - entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung - nicht jedenfalls unzulässig: Der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO ist mangels Verletzung zwingender Bewertungsvorschriften oder offenkundiger Überbewertung unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof (OGH) bindend (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 155 mN aus der Rsp). Das Rechtsmittel ist zulässig, weil das Berufungsgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; es ist auch berechtigt.
Der Kläger macht geltend, dass in Fällen einer schadenskausalen Aufklärungspflichtverletzung der in Anspruch genommene Arzt bzw Rechtsträger zu seiner Entlastung beweisen müsse, dass der Patient auch bei Vornahme der gebotenen Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte, die Schäden ebenso eingetreten wären und sich die Risikoerhöhung demnach nicht ausgewirkt habe.
1.1. Grundlage für die Haftung eines Arztes oder Krankenhausträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient muss in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (3 Ob 131/03s = SZ 2003/112 mwN). Die Aufklärung soll den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen (RIS-Justiz RS0026413). Ist der Eingriff nicht dringlich, muss der Arzt den Patienten auch auf allenfalls bestehende Behandlungsalternativen hinweisen. Dabei sind Vorteile und Nachteile, verschiedene Risiken, verschieden starke Intensitäten der Eingriffe, differierende Folgen, Schmerzbelastungen und unterschiedliche Erfolgsaussichten gegeneinander abzuwägen (4 Ob 335/98p = JBl 1999, 531 = RdM 1999/11, 117 [zust Kletecka]; 10 Ob 8/01a = RdM 2001, 152; RIS-Justiz RS0026313 [T11]).
1.2. Nach stRsp haftet der Arzt oder die Krankenanstalt für die nachteiligen Folgen eines lege artis erfolgten Eingriffs, wenn der Patient bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung nicht eingewilligt hätte (4 Ob 137/07m; RIS-Justiz RS0026783). Dieser Schadenersatzanspruch folgt grundsätzlich den allgemeinen Regeln. Das pflichtwidrige Verhalten - hier: der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff - muss somit den geltend gemachten Schaden verursacht haben. Die Beweislast dafür trifft auch im Arzthaftungsrecht grundsätzlich den Kläger (RIS-Justiz RS0026209).
1.3. Nicht beweispflichtig ist der Kläger nur für den Umstand, dass er dem Eingriff bei ordentlicher Aufklärung nicht zugestimmt hätte; insofern trifft die (Behauptungs- und) Beweislast einer Einwilligung des Klägers selbst im Fall einer vollständigen Aufklärung den Beklagten (4 Ob 335/98p = JBl 1999, 465 = RdM 1999/11, 117 [zust Kletecka] mwN; 4 Ob 137/07m; RIS-Justiz RS0111528, RS0038485). Das ist systemkonform, handelt es sich dabei doch um den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (4 Ob 335/98p = JBl 1999, 465 = RdM 1999/11, 117 [zust Kletecka] mwN; 4 Ob 137/07m).
1.4. Die Beweislast eines non liquet liegt demnach beim Arzt, auf dessen Aufklärungspflichtverstoß die Ungewissheit über den wahrscheinlichen Verlauf, dh die real nicht mehr reproduzierbare Willensbildung des Patienten ja schließlich zurückzuführen ist (6 Ob 126/98t = RdM 2000/2, 28 = RIS-Justiz RS0108185 [T1]). Die von der Beklagten - unter Hinweis auf Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs und des OLG Linz - geforderte Verschiebung dieser Beweislast auf den Patienten für den Fall, dass dieser nicht substantiiert und plausibel dargelegt habe, er wäre bei vollständiger und zureichender Aufklärung in einen echten Entscheidungskonflikt darüber geraten, ob er in den vorgeschlagenen Eingriff einwilligen solle oder nicht, hat der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnt (3 Ob 123/99f = JBl 2000,169).
2.1. Es steht fest, dass der Kläger nur unvollständig über häufige postoperative Folgen aufgeklärt worden ist, da er nicht auf die Möglichkeit von „Verwachsungen und Briden“ hingewiesen wurde, obwohl es sich dabei um typische Folgen einer Operation im Bauchraum handelt. Die Behandlung war deshalb grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst - wie hier - medizinisch indiziert war und lege artis durchgeführt wurde (3 Ob 131/03s = SZ 2003/112 mwN; 4 Ob 137/07m). Der dem beklagten Rechtsträger nach der zuvor erläuterten Rechtsprechung obliegende Beweis, dass der Kläger der Operation auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zugestimmt hätte, ist angesichts der „non-liquet“-Feststellung des Erstgerichts zu diesem Beweisthema nicht gelungen. Das Feststellungsbegehren erweist sich damit als berechtigt.
2.2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Beklagten ist es im Anlassfall auch keineswegs „offenkundig“, dass der Kläger auch bei umfassender Aufklärung über „Verwachsungen und Briden“ als mögliche postoperative Folgen in die Operation eingewilligt hätte. Mag der Kläger auch bereit gewesen sein, die Risiken ihm gegenüber angesprochener Operationsfolgen auf sich zu nehmen, folgt daraus noch nicht notwendig und gleichsam automatisch auch sein Einverständnis zur Risikoübernahme hinsichtlich der im Aufklärungsgespräch unerwähnt gebliebenen Operationsfolgen. Mangels ihn treffender Beweislast war der Kläger nicht verpflichtet, Vorbringen dazu zu erstatten, dass er dem Eingriff bei vollständiger Aufklärung nicht zugestimmt hätte.
3. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO begründet. Die Bemessungsgrundlage im Rechtsmittelverfahren beträgt 2.500 EUR. Für die Revision gebührt ein Einheitssatz in Höhe von 60 % (§ 23 Abs 1 und Abs 3 RATG).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)