OGH 9ObA151/02z

OGH9ObA151/02z4.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Szongott und Univ. Doz. Mag. Dr. Michaela Windischgrätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert F*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmaninger, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei Dr. Konrad Meingast, Rechtsanwalt, Marktplatz 14, 4810 Gmunden, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der I***** GmbH, ***** (20 S 274/01x LG Wels), wegen Feststellung (Streitwert EUR 39.370,54), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 2002, GZ 11 Ra 401/01x-30, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. September 2001, GZ 16 Cga 151/00g-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den Beschluss

gefasst:

Die Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen;

2.) zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.762,93 (darin enthalten EUR 293,82 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass sowohl das auf dem Rückschein über die Zustellung der Berufungsentscheidung vom 21. 3. 2002 an den Beklagten angegebene Datum "04. 03. 02" als auch das im Vorlagebericht des Erstgerichtes angeführte Datum "04. 04. 02" unrichtig sind; in beiden Fällen wäre die am 3. 5. 2002 zur Post gegebene Revision des Beklagten verspätet. Tatsächlich wurde die Berufungsentscheidung - wie vom OGH durch Aufforderung an den Beklagten, die Ausfertigung der Berufungsentscheidung mit der Eingangsstampiglie vorzulegen, erhoben wurde - am 5. 4. 2002 zugestellt. Die Revision des Beklagten ist daher rechtzeitig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

ad 1.) Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS-Justiz RS0007484). Dies ist nicht der Fall.

ad 2.) Die in der Revision erhobenen Rügen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) wurden geprüft; sie sind jedoch nicht berechtigt. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berechtigung der Entlassung des Klägers zutreffend verneint, sodass auf die Richtigkeit der Begründung der Berufungsentscheidung verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers Folgendes entgegenzuhalten:

Als ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, ist ua anzusehen, wenn sich der Angestellte einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt (§ 27 Z 1 dritter Tatbestand AngG). Eine solche Vertrauenunwürdigkeit erblickt die (spätere) Gemeinschuldnerin in den beiden unrichtigen Eintragungen des Klägers in die Stempelkarte vom 27. und 28. 6. 2000 (AS 15 f), woraufhin der Kläger entlassen wurde.

Ob Vertrauensunwürdigkeit gegeben ist, hängt davon ab, ob für den Arbeitgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet seien. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauen des Arbeitgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden konnte (Arb 10.001 ua). Ob die Befürchtung, dass die Belange des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer gefährdet seien, gerechtfertigt ist, entscheidet allerdings nicht das subjektive Empfinden des Arbeitgebers, sondern ein objektiver Maßstab, der nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung des Umstandes des Einzelfalles anzuwenden ist (JBl 2002, 469 mwN; RIS-Justiz RS0029833 ua).

Richtig ist nun, dass im Unternehmen der Gemeinschuldnerin die Weisung bestand, dass Mitarbeiter beim Betreten und Verlassen der Arbeitsstätte stempeln und den Grund der Abwesenheit während der Dienstzeit in die Stempelkarte eintragen müssen. Richtig ist auch, dass der Kläger diese Weisung an den beiden vorgenannten Tagen nicht befolgte, indem er bei auswärtigen Dienstverrichtungen nicht wie vorgesehen aus- und anschließend wieder einstempelte und die Gründe dafür eintrug. Anders aber als in jenen Fällen, in denen Arbeitnehmer vertrauensunwürdig wurden, weil sie durch falsche Eintragungen, Aufzeichnungen oder sonstige Behauptungen den Anschein erwecken wollten, mehr als tatsächlich geleistet zu haben, um sich damit eine Leistung zu erschleichen (vgl 9 ObA 125/90; RIS-Justiz RS0029349, RS0029453, RS0029647, RS0029773 ua), ist dies nach den Feststellungen hier nicht der Fall.

Die Verstöße des Klägers gegen Anweisungen seiner Arbeitgeberin beim Stempeln der Zeitkarte sollen keineswegs bagatellisiert werden; sie erreichen jedoch - nach einem objektiven Maßstab - nicht jene Schwere, dass damit das Vertrauen der Arbeitgeberin so schwer erschüttert wurde, dass dieser die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal mehr für die Dauer der Kündigungsfrist zugemutet werden konnte. In der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass hier noch keine zur Entlassung berechtigende Vertrauensunwürdigkeit des Klägers vorlag, kann daher keine Fehlbeurteilung erkannt werden. Richtig ist zwar auch der Hinweis des Revisionswerbers, dass beim Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nicht nur der letzte, unmittelbar zur Entlassung führende Vorfall, sondern das Gesamtverhalten des Arbeitnehmers innerhalb eines längeren Zeitraumes zu berücksichtigen ist (9 ObA 61/98f; 8 ObA 159/98k; 9 ObA 129/99g; RIS-Justiz RS0029790, RS0081395). Dabei ist es aber nicht zulässig, mehrere unterschiedliche, nicht tatbestandsmäßige Entlassungsgründe zu kumulieren und einem Entlassungstatbestand zu unterstellen, wobei die fehlende Tatbestandsmäßigkeit durch die Quantität der Entlassungsgründe ersetzt werden soll (Kuderna, Entlassungsrecht² 63 f; Arb 10.270 ua).

In der Vergangenheit liegende Vorkommnisse wie Surfen des Klägers im Internet während der Dienstzeit, das er nach Ermahnung sogleich einstellte, ein verschmutztes Dienstfahrzeug sowie Unfälle des Klägers mit dem Dienstfahrzeug oder eine vom Kläger offenbar falsch verstandene Anweisung bezüglich der Erprobung eines SAT-Navigationssystems sind keine Gründe, die geeignet wären, die Ereignisse vom 27. und 28. 6. 2000 in einem gravierenderen Licht erscheinen zu lassen. Dies gilt auch für den bereits länger zurückliegenden Vorfall im Zusammenhang mit dem Inkasso eines Fuhrlohns, dessen näheren Umstände unklar blieben, der jedoch nicht einmal zu einer Ermahnung des Klägers oder sonstigen Reaktion der Gemeinschuldnerin geführt hatte.

Eine Subsumtion des weisungswidrigen Verhaltens des Klägers hinsichtlich der Behandlung der Stempelkarte unter einen anderen Entlassungsgrund, nämlich jenen der beharrlichen Dienstverweigerung (§ 27 Z 4 zweiter Tatbestand AngG), der auch durch die beharrliche Weigerung, sich den durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Arbeitgebers zu fügen, begründet werden kann (Kuderna aaO 113 f; RIS-Justiz RS0029896 ua), scheitert im vorliegenden Fall am Nichtvorliegen der Beharrlichkeit. Das Vorliegen einer gerechtfertigten, vom Arbeitnehmer zu beachtenden Weisung des Arbeitgebers soll hier nicht in Frage gestellt werden. Die genannte Bestimmung erfordert aber nicht nur eine Vernachlässigung der Pflichten durch den Arbeitnehmer; sie muss auch "beharrlich" sein. Darunter ist nach ständiger Rechtsprechung die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Dienstverweigerung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verweigerung der Dienste bzw der Befolgung der Anordnung gerichteten Willens des Arbeitnehmers zu verstehen (RIS-Justiz RS0029746, RS0104124). Daher muss sich die Weigerung entweder wiederholt ereignet haben oder von derart schwerwiegender Art sein, dass auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers mit Grund geschlossen werden kann (9 ObA 29/02h; RIS-Justiz RS0105987 ua).

Im ersten Fall bedarf es einer vorangegangenen Ermahnung oder einer wiederholten Aufforderung zur Dienstleistung bzw Befolgung der Anordnung (9 ObA 116/02b; RIS-Justiz RS0029746 ua). Um eine Ermahnung im zweiten Fall entbehrlich zu machen, müsste die Weigerung derart eindeutig und endgültig sein, dass angesichts eines derartigen, offensichtlich unverrückbaren Willensentschlusses des Angestellten eine Ermahnung als bloße Formalität sinnlos erscheine müsste (RIS-Justiz RS0029746). Beides war hier nicht der Fall. Von einer beharrlichen Pflichtenvernachlässigung des Klägers kann daher nach dem festgestellten Sachverhalt nicht ausgegangen werden. Die Entlassung des Klägers war daher nicht berechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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