BVwG W204 2193403-1

BVwGW204 2193403-129.1.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W204.2193403.1.00

 

Spruch:

W204 2193403-1/19E

 

W204 2193414-1/19E

 

W204 2193405-1/21E

 

W204 2193412-1/18E

 

W204 2193411-1/20E

 

W204 2193410-1/15E

 

W204 2193416-1/15E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX 1973, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100900308-160012629, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX 1979, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100900406-160012645, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX 2000, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100901806-160012653, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX 2001, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100902008-160012661, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

5.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der mj.

XXXX , geb. am XXXX 2002, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100900504-160012670, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

6.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der mj.

XXXX , geb. am XXXX 2009, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 16-1100900700-160012688, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

7.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des mj.

XXXX , geb. am XXXX 2016, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 17-1141277204-170107171, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Die im Spruch genannten Beschwerdeführer zu 1.) und zu 2.) (im Folgenden: BF1 und BF2) reisten mit ihren Kindern, den Beschwerdeführern zu 3.), 4.), 5.) und 6.) (im Folgenden: BF3, BF4, BF5 und BF6), alle Staatsangehörige Afghanistans, in das Bundesgebiet ein und stellten für sich und als gesetzliche Vertreter für ihre Kinder am 26.11.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

 

I.2. Im Rahmen der am 05.01.2016 vor der Landespolizeidirektion Wien erfolgten Erstbefragung gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Schwager den Taliban angehört hätten und seine älteste Tochter, die BF4, hätten zwangsverheiraten wollen. Zudem seien seine Schwager gegen den Schulbesuch seiner Kinder gewesen und hätten seine Familie mit dem Tod bedroht. Die BF2 gab an, dass ihre Halbbrüder sie ungerecht behandelt hätten. Diese hätten sie aufgefordert, sich von ihrem Mann zu scheiden und ihren Sohn, den BF3, an die Taliban zu übergeben. Die BF4 sollte gegen den Willen des BF1 und der BF2 mit einem Taliban verheiratet werden. Der BF3 und die BF4 gaben zu Protokoll, dass die Familie von den Onkeln mütterlicherseits belästigt worden wäre.

 

I.3. Am XXXX 2016 wurde der im Spruch genannte minderjährige Beschwerdeführer zu 7.) (im Folgenden: BF7) geboren und am 23.01.2017 stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

I.4. Am 01.02.2018, 02.02.2018 bzw. am 27.02.2018 wurden der BF1, die BF2, der BF3, die BF4 sowie die BF5 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, wiederholten der BF1, die BF2 und der BF3 im Wesentlichen das in der Erstbefragung geäußerte Fluchtvorbringen. Der BF1 und die BF2 hätten Probleme gehabt, weil der BF1 im Unterschied zur BF2 nicht der paschtunischen, sondern der tadschikischen Volksgruppe angehöre. Die BF seien von den Brüdern der BF2 mehrmals aufgesucht und mit dem Tod bedroht worden. Diese hätten die Scheidung der Ehe, die Zwangsverheiratung der ältesten Tochter und die Rekrutierung des ältesten Sohns gefordert. Darüber hinaus sei ein Schulbesuch der Kinder nicht mehr möglich gewesen. Die BF seien nach Kabul geflüchtet, wo sie von den Brüdern der BF2 aufgefunden und geschlagen worden seien. Unter Androhung des Todes seien sie zurück in das Heimatdorf gezogen. Von dort aus hätten sie die Flucht in den Iran und nach Europa ergriffen. Die BF4 und die BF5 brachten keine eigenen Fluchtgründe vor und verwiesen auf das Vorbringen ihrer Eltern.

 

I.5. Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 20.03.2018, den BF am 26.03.2018 zugestellt, wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkte III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkte IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkte V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VI.).

 

Begründend führte die Behörde aus, die BF hätten keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass ihnen der Status eines Asylberechtigen nicht zuerkannt werden könne. Zu Spruchpunkt II. führte die Behörde aus, dass den BF eine Rückkehr in die Heimatprovinz der Familie oder auch nach Kabul möglich und zumutbar sei. Nach Durchführung einer Interessensabwägung kam das BFA zum Schluss, dass die öffentlichen die privaten Interessen überwiegen und erließ eine Rückkehrentscheidung.

 

I.6. Mit Verfahrensanordnungen vom 22.03.2018 wurde den BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

 

I.7. Gegen diese Bescheide erhoben die BF am 20.04.2018 in vollem Umfang Beschwerde und beantragten, die Bescheide dahingehend abzuändern, dass den Anträgen auf internationalen Schutz Folge gegeben und den BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde; in eventu den BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und die ausgesprochenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan aufzuheben.

 

Begründend wurde auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt, die Behörde habe die asylrelevanten Fluchtgründe und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten verkannt und sei auf das Vorbringen nicht konkret eingegangen.

 

I.8. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2018 vorgelegt.

 

I.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.05.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die BF sowie die im Spruch genannte Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die BF1-5 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari und Paschto u.a. zu ihrer Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Als Beilagen wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen zu den Akten genommen.

 

I.10. Am 17.05.2019 wurden weitere Integrationsunterlagen vorgelegt.

 

I.11. Am 19.11.2019 wurden den BF die aktuellen Länderberichte mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Gleichzeitig wurden sie aufgefordert, Änderungen in den persönlichen Lebens- und Familienverhältnissen seit der mündlichen Verhandlung bekannt zu geben.

 

I.12. Am 04.12.2019 gaben die BF bekannt, dass ihre Lebensverhältnisse unverändert seien.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

 

 

 

 

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

 

II.1.1. Zu den BF und ihren Fluchtgründen:

 

Die BF sind Staatsangehörige Afghanistans, gehören mit Ausnahme der BF2, die Paschtunin ist, der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitischen Bekenntnisses. Die Muttersprache der BF ist mit Ausnahme der BF2, deren Muttersprache Paschto ist, Dari. Die Identität steht nicht fest.

 

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet. Der BF3 und die BF4 sind deren volljährige, die BF5, die BF6 und der BF7 deren minderjährige Kinder. Im Bundesgebiet befinden sich keine weiteren Familienmitglieder. Die Familie lebt im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt. Die Familie lebt von der staatlichen Grundversorgung.

 

Der BF1 stammt aus XXXX im Distrikt Shinwari in der Provinz Parwan. Er besuchte zwölf Jahre die Schule und studierte ein Jahr Journalismus an einer Universität in Kabul. Er arbeitete 13 Jahre als Gipser auf Baustellen. Daneben führte er ein erfolgreiches Lebensmittelgeschäft mit einem Geschäftspartner. Durch diese Tätigkeiten konnte der BF1 seine damals sechsköpfige Familie problemlos ernähren. Dem BF1 schulden aufgrund seiner Geschäftstätigkeit in Kabul frühere Geschäftspartner Geld.

 

Die BF2 stammt ebenfalls aus der Provinz Parwan aus dem Dorf XXXX und ist dort in einem Haushalt gemeinsam mit ihrem Vater, dessen Frauen, ihrer Großmutter väterlicherseits und ihren Geschwistern aufgewachsen. Nach der Eheschließung lebte sie gemeinsam mit ihrem Mann, dessen Vater und Bruder sowie dessen Frau und Kindern in XXXX . Die BF2 besuchte keine Schule. In Afghanistan übte sie keine Erwerbstätigkeiten aus. Die BF2 war Hausfrau und half gelegentlich auf den Feldern der Familie.

 

Der BF3, die BF4, die BF5 und die BF6 wurden in XXXX in der Provinz Parwan geboren. Der BF7 wurde in Österreich geboren.

 

Der BF3 besuchte in Afghanistan zwischen dem 7. und dem 15. Lebensjahr unregelmäßig die Schule. Er spricht Dari, Englisch und Deutsch.

 

Die BF4 besuchte in Afghanistan drei Jahre die Schule und bekam zu Hause Privatunterricht. Sie spricht Dari, Englisch und Deutsch.

 

Die BF5 besuchte in Afghanistan zweieinhalb Jahre die Schule. Sie spricht Dari, Englisch und Deutsch.

 

Die BF werden nicht von der Familie der BF2 bedroht. Deren Familie ist nicht bei den Taliban und die Brüder der BF2 wollten weder den BF3 zwangsrekrutieren noch die BF4 zwangsverheiraten.

 

Den BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung. Den minderjährigen, schulpflichtigen BF ist ein Schulbesuch in Afghanistan möglich. Den weiblichen BF droht in Afghanistan keine Zwangsverheiratung.

 

Die Eltern des BF1 und sein Onkel väterlicherseits sind verstorben. Eine Schwester des BF1 lebt in Kabul. Ein Bruder und eine Schwester des BF1 leben in XXXX . Dort verfügt die Familie über großen Grundstücksbesitz und über Häuser. Auch das Grundstück und das Haus des BF1 befinden sich nach wie vor im Familienbesitz. Derzeit kümmert sich der Bruder des BF1 um dieses Grundstück. In XXXX leben weiters Cousins und Cousinen des BF1, eine Tante des BF1 lebt in Pul-e Chomri.

 

Die Geschwister, der Vater sowie die Onkel und Tanten der BF2 leben in Afghanistan im Heimatdorf der BF2. Eine Schwester der BF2 lebt in Jalalabad, sie ist Hausfrau, ihr Mann ist Taxifahrer. Die Tante der BF2 sowie deren drei Töchter und zwei Söhne leben in Kabul.

 

Die Familie steht in regelmäßigen Kontakt mit ihren Familienangehörigen.

 

Ein Freund des BF1 lebt in Kabul und arbeitet dort als Taxifahrer. Bei diesem Freund lebte die Familie kurzzeitig vor ihrer Ausreise, da ihr Haus in Kabul noch nicht fertiggebaut war.

 

Die BF könnten sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan im Herkunftsort des BF1, in XXXX in der Provinz Parwan, ansiedeln. Dort stehen den BF durch ihr früheres Haus eine sofortige Unterkunft, durch ihre Familie und den Grundstücksbesitz grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und Lebensgrundlagen zur Verfügung. Der BF1 kann die Schulden seiner früheren Geschäftspartner eintreiben, wodurch die Familie bald nach der Rückkehr über finanzielle Mittel verfügen wird. Zudem können der BF1 und der BF3 auf den Grundstücken der Familie beziehungsweise auf ihren eigenen Grundstücken Landwirtschaft betreiben und sich dadurch ihre Existenz sichern. Dabei können auch die BF2 und die BF4 und die BF5 helfen. Dem BF1 ist es darüber hinaus durch seine Kontakte am Arbeitsmarkt möglich, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und seinen früheren Berufen nachzugehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF in XXXX einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wären oder die bloße Anwesenheit in XXXX sie wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in diesen Heimatort des BF1 nicht im Stande wären, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen. Sie laufen nicht Gefahr, in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Zusätzlich könnten sich die BF bei einer Rückkehr auch in Kabul ansiedeln. Dort steht ihnen durch den Freund des BF1, bei dem sie bereits kurze Zeit lebten, sowie bei den Familienangehörigen bei Rückkehr eine sofortige Unterkunft zur Verfügung. Dadurch sind auch ihre grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und ihre Lebensgrundlagen gesichert. Auch in Kabul kann der BF1 seine Schulden eintreiben und sich durch seine bisherige Berufserfahrung am Arbeitsmarkt wieder eingliedern. Auch dem BF3 ist eine Eingliederung am Kabuler Arbeitsmarkt mithilfe der Kontakte seines Vaters und seiner übrigen, in Kabul lebenden Familienangehörigen möglich. In diesem Fall können die BF auch ihr Haus und ihr Grundstück in XXXX verkaufen, wodurch sie über ausreichend finanzielle Mittel verfügen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF in Kabul einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wären oder die bloße Anwesenheit in Kabul sie wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stände wären, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen. Sie laufen nicht Gefahr, in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Die BF sind gesund und arbeitsfähig, sie sind strafrechtlich unbescholten.

 

Der BF1 besucht Deutschkurse. Er verrichtet im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit Arbeiten für die Gemeinde XXXX . Ein aus Afghanistan stammender Freund im Bundesgebiet hat dem BF1 Geld für die anwaltliche Vertretung im gegenständlichen Verfahren geborgt, das er derzeit in monatlichen Raten zurückbezahlt.

 

Die BF2 besuchte einen Alphabetisierungskurs und weitere Deutschkurse. Sie hat österreichische Freunde und verrichtet diverse unentgeltliche Tätigkeiten in der Stadtgemeinde XXXX . Sie trägt auch in Österreich ein Kopftuch. Die BF2 traf bereits in Afghanistan im Innenverhältnis die Entscheidungen der Familie und tut dies auch in Österreich. Die BF2 verbringt ihren Alltag neben dem Besuch von Deutschkursen im Kreise ihrer Familie, kümmert sich um den Haushalt und geht spazieren beziehungsweise Rad fahren. Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

 

Der BF3 verfügt über ein ÖSD Zertifikat A2. Er besucht die Bundeshandelsschule in XXXX und hat den Pflichtschulabschluss absolviert.

 

Die BF4 besucht das Bundesrealgymnasium XXXX . Sie trägt auch in Österreich ein Kopftuch. Ihre Freizeit verbringt die BF4 mit ihrer Familie, den Hausarbeiten und ihren Schulfreunden. Sie ist in keinem Verein und betätigt sich nicht ehrenamtlich. Die BF4 verlässt das Haus abends nicht. Die BF4 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

 

Die BF5 besucht die Polytechnische Schule in XXXX . Sie trägt auch in Österreich ein Kopftuch. Ihre Freizeit verbringt die BF5 mit ihrer Familie, den Hausarbeiten und ihren Schulfreunden. Sie ist in keinem Verein und betätigt sich nicht ehrenamtlich. Die BF5 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

 

Die BF6 besucht die Volksschule in XXXX , der BF7 den Kindergarten.

 

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

 

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

 

Sicherheitslage:

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (LIB 13.11.2019, S. 18).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

 

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

 

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

 

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

 

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

 

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

 

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

 

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw.

2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

 

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

 

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

 

Kabul:

 

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

 

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

 

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits‑)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

 

Alle Distrikte Kabuls sind unter der Kontrolle der Regierung oder unbestimmt (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 101).

 

Parwan:

 

Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz grenzt an Baghlan im Norden, Panjshir und Kapisa im Osten, Kabul und Wardak im Süden und Südosten und Bamyan im Westen. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Bagram, der Provinzhauptstadt Charikar, Syahgird (oder Ghurband), Jabulussaraj, Koh-e-Safi, Salang, Sayyid Khel, Shaykh Ali, Shinwari und Surkhi Parsa. Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Parwan für den Zeitraum 2019-20 auf 724.561 Personen; diese besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara (LIB 13.11.2019, S. 192).

 

Der 2,7 km lange Salang-Tunnel zwischen den Provinzen Parwan und Baghlan verbindet Kabul mit Nordafghanistan. Die Zulaufstrecken sind in schlechtem Zustand und die Straßenerhaltungsarbeiten mangelhaft. Es gibt ein Projekt, den Salang-Pass mittels neuem, 12 km langem Tunnel zu durchqueren. Die Autobahn durch den Salang-Tunnel führt von Kabul durch die Distrikte Charikar, Jabulussaraj und Salang zur Provinz Kunduz; außerdem verbindet eine weitere Straße die Provinzen Parwan und Bamyan durch die Distrikte Charikar, Shinwari, Syahgird, Shaykh Ali und den Shibar-Pass. In der Provinz Parwan befindet sich die Bagram Air Base, die größte NATO-Militärbasis in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 192).

 

Im Mai 2019 zählte eine Quelle die Provinz Parwan zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen. Im Juni 2019 berichtete dieselbe Quelle jedoch, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hätte. So waren im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv, von wo aus sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram planten. In Bezug auf die Anwesenheit von regulären staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Parwan in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der Task Force East angehört, die von US-amerikanischen und polnischen Truppen geleitet wird (LIB 13.11.2019, S. 193).

 

Im Distrikt Shinwari wurden im Jahr 2018 von GIM ein, von ACLED zwei Vorfälle gezählt, wobei ACLED drei Tote verzeichnete, im Jahr 2019 (bis 30.09.) wurde von GIM ein, von ACLED zehn Vorfälle mit 23 Toten gezählt (LIB 13.11.2019, S. 193).

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 41 zivile Opfer (20 Tote und 21 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenangriffe, gefolgt von Selbstmord-/komplexen Angriffen und Bodenangriffen. In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt. Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet. Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften. Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an. Immer wieder kommt es auf den Straßen der Provinz Parwan zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z. B. Entführungen oder Verhaftungen durch die Taliban, aber auch durch nicht identifizierte Militante (LIB 13.11.2019, S. 194).

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 84 Binnenvertriebene aus der Provinz Parwan, die in der Provinz selbst blieben, oder in die angrenzende Provinz Kapisa gingen. Für den Zeitraum 1.1.-30.6.2019 wurden keine Personen erfasst, die aufgrund des Konflikts aus Parwan vertrieben wurden. Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 1.113 Binnenvertriebene, welche vor allem aus den Provinzen Kapisa, Kunar, Laghman und Baghlan, sowie zu einem kleinen Teil aus der Provinz selbst kamen und sich in Parwan niederließen. Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 203 Binnenvertriebene aus den Provinzen Faryab, Kapisa, Kunar und Laghman, die nach Parwan kamen (LIB 13.11.2019, S. 194).

 

Sicherheitsbehörden:

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

 

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

 

Bewegungsfreiheit:

 

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

 

Meldewesen:

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

 

Allgemeine Menschenrechtslage:

 

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

 

Medizinische Versorgung:

 

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

 

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

 

Wirtschaft:

 

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

 

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

 

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

 

Dürre und Überschwemmungen

 

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Rückkehrer:

 

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

 

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

 

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

 

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

 

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

 

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

 

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

 

Ethnische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

 

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 13.11.2019, S. 289f).

 

Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

 

Religionen:

 

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

 

Frauen:

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (LIB 13.11.2019, S. 297).

 

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (LIB 13.11.2019, S. 297).

 

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 297).

 

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben, der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen. Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (LIB 13.11.2019, S. 298).

 

Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen. Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig. So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das "Gender Equality Project" der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (LIB 13.11.2019, S. 298).

 

Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten, die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass "im Namen der Frauenrechte" Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden. Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben. Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (LIB 13.11.2019, S. 298f).

 

Einem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen 2.286 Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt, was an zunehmendem Bewusstsein und dem Willen der Frauen, sich bei Gewaltfällen an relevante Stellen zu wenden, liegt. Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (LIB 13.11.2019, S. 299).

 

Bildung für Mädchen

 

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten. Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen. Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 erhöht und somit verdreifacht. Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (LIB 13.11.2019, S. 299).

 

Schätzungen zufolge, sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus, in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85%. 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen. Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (LIB 13.11.2019, S. 299).

 

Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen:

Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen. Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (LIB 13.11.2019, S. 299f).

 

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien, kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen. Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab. Mittlerweile ist nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006-2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, sondern vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban (LIB 13.11.2019, S. 300.

 

Landesweit waren im Jahr 2016 182.344 Studenten an 36 staatlichen (öffentlichen) Universitäten eingeschrieben, davon waren 41.041, also nur 22,5%, weiblich. Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich an öffentlichen Universitäten in Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen seit 2015 erhöht: Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten, aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen. Beispielsweise gibt es mittlerweile die erste (und einzige) Frau Afghanistans, die einen Doktor in Spielfilmregie und Drehbuch hat - diesen hat sie an einer Akademie in Bratislava abgeschlossen. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen. Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies". Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (LIB 13.11.2019, S. 300ff).

 

Berufstätigkeit von Frauen

 

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach. In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (LIB 13.11.2019, S. 302).

 

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht. Für das Jahr2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben. Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an. So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen. Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden. Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden. Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen; traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird. Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (LIB 13.11.2019, S. 302f).

 

Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (LIB 13.11.2019, S. 303).

 

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

 

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt. Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert (LIB 13.11.2019, S. 303).

 

Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an; insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz-, Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall. Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (LIB 13.11.2019, S. 303).

 

Traditionelle gesellschaftliche Prktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (LIB 13.11.2019, S. 303f).

 

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen. Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (LIB 13.11.2019, S. 304).

 

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

 

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert. Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen. Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (LIB 13.11.2019, S. 304f).

 

Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (LIB 13.11.2019, S. 305).

 

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch

 

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt. Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie. Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (LIB 13.11.2019, S. 305).

 

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert. Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (LIB 13.11.2019, S. 305).

 

Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt. Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (LIB 13.11.2019, S. 305f).

 

Frauenhäuser

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen. Fast alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Institutionen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 306).

 

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (LIB 13.11.2019, S. 306).

 

Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 306).

 

Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden. Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (LIB 13.11.2019, S. 306f).

 

In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert (LIB 13.11.2019, S. 307).

 

Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können. In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal werden Frauen stellvertretend für verurteilte männliche Verwandte inhaftiert, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (LIB 13.11.2019, S. 307).

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt und kommen auch weiterhin vor. UNAMA berichtet von 280 Ehrenmorden im Zeitraum Jänner 2016-Dezember 2017, wobei nur 18% von diesen zu einer Verurteilung und Haftstrafe führten. Trotz des Verbotes im EVAW-Gesetz üben Behörden oft Druck auf Opfer aus, auch schwere Verbrechen durch Mediation zu lösen. Dies führt zu Straflosigkeit für die Täter. Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (LIB 13.11.2019, S. 307).

 

Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre. Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden. In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht. Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert. Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens ein Kind unter 18 Jahren verheiratet (LIB 13.11.2019, S. 307f).

 

Mahr, eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet, insbesondere im ländlichen Raum und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen. Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist. Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (LIB 13.11.2019, S. 308).

 

Die Praktiken des Badal und Ba'ad/Swara, bei denen Bräute zwischen Familien getauscht werden, sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt. Badal ist gesetzlich nicht verboten und weit verbreitet. Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (LIB 13.11.2019, S. 308).

 

Die Praxis des Ba'ad bzw. Swara ist in Afghanistan gesetzlich verboten, jedoch in ländlichen Regionen - vorwiegend in paschtunischen Gebieten - weit verbreitet. Dabei übergibt eine Familie zur Streitbeilegung ein weibliches Familienmitglied als Braut oder Dienerin an eine andere Familie. Das Alter der Frau spielt keine Rolle, es kann sich dabei auch um ein Kleinkind handeln. Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (LIB 13.11.2019, S. 308f).

 

Familienplanung und Verhütung

 

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (LIB 13.11.2019, S. 309).

 

Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (LIB 13.11.2019, S. 309).

 

Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, USAID's Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielt darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel ist das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Auch wurden SMS-Nachrichten über Familienplanung an einen Mobilfunkbetreiber übermittelt, um Missverständnisse über reproduktive Dienstleistungen aufzulösen. Dabei wurden auch Informationen weitergegeben, wie zum Beispiel die Anwendung von Chlorhexidin (CHX) unmittelbar nach der Geburt. Bis Dezember 2018 wurden 70.030 Anrufe gezählt, um das gesamte Angebot der Familienplanung von HEMAYAT anzuhören, wobei 60.586 Anrufer die Aufnahmen komplett zu Ende hörten. Unter anderem wurde CHX von Jänner-März 2019 bei 48.800 Neugeborenen angewendet; auch wurden

59.198 Neugeborene innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt gestillt (LIB 13.11.2019, S. 309).

 

Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter. Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 661 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (zum Vergleich Österreich: 4). Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (LIB 13.11.2019, S. 309f).

 

Reisefreiheit von Frauen

 

Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (LIB 13.11.2019, S. 310).

 

Gemäß Aussagen der Direktorin von Afghan Women's Network können sich Frauen ohne Burqa und ohne männliche Begleitung im gesamten Land frei bewegen. Nach Aussage einer NGO-Vertreterin kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen. In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (LIB 13.11.2019, S. 310).

 

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (LIB 13.11.2019, S. 310).

 

Kinder:

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Laut UNAMA-Berichten sank die Gesamtzahl der konfliktbedingt getöteten oder verletzten Kinder im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 13% (327 Todesfälle, 880 Verletzte). Die Beteuerungen regierungsfeindlicher Gruppen, Gewalt gegen Zivilisten und insbesondere Kinder abzulehnen, werden immer wieder durch ihre Aktionen konterkariert (LIB 13.11.2019, S. 314).

 

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 63% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (LIB 13.11.2019, S. 315).

 

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (LIB 13.11.2019, S. 315).

 

Schulbildung in Afghanistan

 

Die afghanische Schulbildung beginnt für Kinder im Alter von sechs Jahren mit sechs Jahren Grundschule, gefolgt von der Unterstufe der Sekundarschule (bzw. Mittelschule) für zwölf- bis 14-Jährige und der Oberstufe für 14- bis 17-Jährige. Nach Abschluss der Oberstufe können Schüler und Schülerinnen an die Universität wechseln. Ein Bachelorstudium dauert in der Regel vier Jahre, das Masterstudium, welches nach Absolvierung eines Bachelorstudiums begonnen werden kann, zwei Jahre. Die Anzahl der angebotenen Masterstudien ist immer noch klein. Grundschule, Unterstufe und Oberstufe werden jeweils mit einem Examen abgeschlossen, welches den Übertritt in die nächsthöhere Schulform erlaubt. Aufgrund von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel Klassenwiederholungen, zeitweisem Schulabbruch oder dem Überspringen einer Schulstufe, variiert das tatsächliche Alter der Schulkinder in den jeweiligen Schulstufen mitunter erheblich (LIB 13.11.2091, S. 315).

 

Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen. Der Schulbesuch ist an öffentlichen Schulen "im Prinzip" kostenlos und die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z. B. die Afghan-Turk Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben (LIB 13.11.2019, S. 315f).

 

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung. Ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Bildung wird vom Staat bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Bildungsministerium hat keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken (LIB 13.11.2019, S. 316).

 

Gemäß Schätzungen der CSO besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule. Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen nur 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kuchi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger. Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien lag bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% waren. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchten 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule. Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern und Rückkehrerinnen aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (LIB 13.11.2019, S. 316).

 

Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen, ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch, bzw. Nichteintritt. Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischen Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (LIB 13.11.2019, S. 316f).

 

Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems, auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen - beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen - bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet. Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt, oder internationale Organisationen wie UNICEF führen Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durch. In einigen Fällen, z. B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in "kalte" und "warme" Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (LIB 13.11.2019, S. 317).

 

Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt. Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt. Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden. Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (LIB 13.11.2019, S. 317).

 

Sicherheitsaspekte

 

Die Führungselite der Taliban hat erklärt, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien, was aber in der Praxis nicht immer eingehalten wird. In den vergangenen Jahren haben die Taliban mehrere Stellungnahmen veröffentlicht, in welchen sie sich unterstützend zu Schulbildung äußerten. Lehrer aus Gebieten unter Talibaneinfluss berichteten, dass sich die Lage bei der Bildungsvermittlung gegenüber 2011 vergleichsweise verbessert hat. So würden die Taliban beispielsweise mitunter die Anwesenheit der Lehrer kontrollieren. Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternde Sicherheitslage wurden aber bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 beinahe verdreifacht. Die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist unter anderem darin begründet, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden. Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen. Auch ist vorrangig nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006-2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, als vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban. Die Taliban "kapern" im Bereich der Bildung wohlfahrtsstaatliche Leistungen des Staates: Sie setzten in den von ihnen kontrollierten Gebieten ihren Lehrplan, ihre Schulbücher und Lehrer ein, während die Regierung weiterhin die Gehälter und andere Dienste bezahlt. Dennoch bleibt die Haltung der Taliban "inkonsistent": Qualität und Zugang zur Schulbildung sind in den von den Taliban kontrollierten Gebieten immer noch mangelhaft und Einschränkungen des Schulzugangs für Mädchen sind weit verbreitet. Die Taliban bedrohten oder schlossen im Jahr 2018 Hunderte von Schulen, oftmals bei dem Versuch, Gelder vom Bildungsministerium zu erpressen. Nach Vorfällen in der Provinz Farah legten Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste nahe, dass die Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten der Taliban dies ab (LIB 13.11.2019, S. 317f).

 

Angriffe auf Lehrende und Schulen vonseiten der Taliban finden somit nicht mehr systematisch statt, existieren allerdings immer noch. Auch der ISKP führte bis zum Ende des Jahres 2018 34 Angriffe auf Bildungseinrichtungen mit 64 zivilen Opfern (25 Toten und 39 Verletzten), darunter neun Kindern, durch (LIB 13.11.2019, S. 318).

 

Kinderarbeit

 

Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14.Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (LIB 13.11.2019, S. 318).

 

Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15-17 Jahren arbeiten, wenn "die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt". Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten. Armut ist ein wesentlicher Grund, warum Kinder arbeiten. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (LIB 13.11.2019, S. 319).

 

CSO schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der fünf- bis 17-Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF - anders als ILO - auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Der Unterschied zwischen den Geschlechtern nimmt mit dem Alter der Kinder zu, was gemäß CSO den vorherrschenden Traditionen der Abschottung von Frauen und frühen Heirat von Mädchen entspricht. Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (LIB 13.11.2019, S. 319).

 

Arbeitsgesetze sind meist unbekannt und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 319).

 

Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (LIB 13.11.2019, S. 319).

 

Waisenhäuser

 

Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der vier- bis 18-Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenschmuggel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (LIB 13.11.2019, S. 320).

 

In Ermangelung ausreichender Unterkünfte halten die Behörden misshandelte Buben fest und verlegen sie in Jugendrehabilitationszentren, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können und anderswo keine Unterkünfte verfügbar sind (LIB 13.11.2019, S. 320).

 

Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern

 

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet. Ein im Jahr 2017 erlassenes Gesetz zur Bekämpfung von Belästigungen stellt physische, verbale, psychologische und sexuelle Belästigung von Frauen und Kindern unter Strafe. Das novellierte Strafrecht sieht unter anderem bei Kindesmisshandlung, bzw. körperlicher Züchtigung Geldbußen und Gefängnisstrafen vor (LIB 13.11.2019, S. 320).

 

Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA in dieser Hinischt 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden - unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft; in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi. Obwohl Bacha Bazi kriminalisiert wurde, sind Verfolgungen von Fällen selten und die Praxis bleibt verbreitet (LIB 13.11.2019, S. 320).

 

Berichten zufolge schlug die Polizei Kinder und missbrauchte sie sexuell. Kinder, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiteren Belästigungen durch Exekutivbeamte - insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi. Es wird von von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (LIB 13.11.2019, S. 320).

 

Bacha Bazi

 

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. "Tanzjungen" auch "Knabenspiel"), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden. In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden. Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt. Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht. Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (LIB 13.11.2019, S. 321).

 

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Buben, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (LIB 13.11.2019, S. 321).

 

Rekrutierung Minderjähriger

 

Das Problem der Rekrutierung von Kindern durch regierungsfeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort. Die UNO verifizierte im Jahr 2018 die Rekrutierung und den Einsatz von 45 Buben sowie einem Mädchen - einige von ihnen wurden bereits im Alter von 8 Jahren rekrutiert; sie sollten kämpfen, improvisierte Sprengkörper bauen, Selbstmordanschläge ausführen usw., wurden aber auch Opfer sexueller Ausbeutung. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 22 Buben getötet. 67% dieser Verstöße, gegen insgesamt 31 Kinder, wurden bewaffneten Gruppierungen zugeschrieben, wie z.B. der Teherik-e Taliban Pakistan, den Taliban, dem ISKP und einer weiteren nicht identifizierten bewaffnete Gruppe. 15 Kinder wurden von der ALP, der ANP und regierungsnahen Milizen rekrutiert und eingesetzt (LIB 13.11.2019, S. 321f).

 

In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst zu umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern - zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mittels Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Das Dekret ist am 2. Februar 2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Laut UNAMA wurden im ersten Halbjahr 2019 mindestens drei Jungen zwischen zwölf und 17 Jahren von afghanischen Sicherheitskräften und 23 Jungen von den Taliban rekrutiert. Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch die afghanischen Sicherheitskräfte ist deutlich zurückgegangen. Die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zum besseren Schutz der vom bewaffneten Konflikt betroffenen Kinder beinhaltet unter anderem auch Schutzeinheiten für Kinder in den afghanischen nationalen Polizeirekrutierungszentren, die inzwischen in allen 34 Provinzen existieren (LIB 13.11.2019, S. 322).

 

II.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und den Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts.

 

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit traf bereits das BFA aufgrund der Angaben der BF. Diese werden in der Beschwerde nicht bestritten und konnten daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden, zumal die BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung selbst bestätigten (S. 4, 6 VP). Die Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

 

Die Feststellungen zum Familienstand der BF und dem gemeinsamen Wohnsitz beruhen auf den das ganze Verfahren über gleichbleibenden Angaben der BF, die zudem auch durch den Akteninhalt bestätigt werden.

 

Auch die Feststelllungen zur Herkunft der BF, sowie ihrer Schul- und Berufsbildung waren aufgrund der gleichbleibenden, glaubhaften Aussage der BF zu treffen.

 

II.2.3. Dem Fluchtvorbringen der BF, sie würden durch die Familie der BF2, die den Taliban angehöre, bedroht, kann nicht gefolgt werden. Die Angaben der BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck der BF ist es ihnen daher aus den folgend näher dargestellten Gründen nicht gelungen, ihre Angaben zum Fluchtgrund auch nur annähernd glaubhaft zu machen.

 

Wenig plausibel und nicht lebensnahe scheint bereits, dass ein radikalislamischer Taliban eine verheiratete Frau mit mehreren Kindern dazu auffordern sollte, sich scheiden zu lassen, entspricht das doch gerade nicht den Vorstellungen der radikalislamischen Taliban. Ebenso wenig nachvollziehbar ist der Umstand, dass der Bruder der BF2 sie dazu auffordern sollte, ihre Tochter mit einem Talibankommandanten zu verheiraten, obwohl die Tochter nach übereinstimmenden Angaben aller BF, auch der BF4 selbst (BF4: AS 7), Tadschikin ist, was gerade der Grund dafür sein soll, dass sich die BF2 vom BF1 scheiden lassen solle, da Paschtunen und Tadschiken nicht heiraten dürften beziehungsweise sollten. Dass die unterschiedlichen Volksgruppen keine Rolle in der Familie der BF spielen, zeigt bereits der Umstand, dass der volljährige BF3 den Begriff der Volksgruppe gar nicht kennt (S. 36 VP), wovon jedoch auszugehen wäre, wenn dieser Umstand zur angeblichen Todesdrohung durch den Bruder der BF2 und zur vorgebrachten massiven Gefährdung der Familie geführt hätte. Bereits diese Unplausibilitäten sprechen gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der BF zur angeblichen Bedrohung.

 

Die Aussage der BF ist darüber hinaus jedoch auch widersprüchlich, sodass es den BF nicht gelungen ist, diese glaubhaft zu schildern. Das zeigt sich etwa daran, dass die BF2 angab, dass die Verwandten ihres Vaters allesamt Taliban-Mitglieder seien (S. 16 VP), während der BF1 behauptete, dass nur die Brüder der BF2 den Taliban angehörten (S. 25 VP). Ebenfalls widersprüchlichen Angaben tätigten die BF zum Zeitraum der Bedrohungen. So gab die BF2 etwa vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass die Bedrohungen zwei Jahre vor der Flucht begonnen hätten (S. 15 VP), wogegen der BF1 vor dem BFA angab, dass die Bedrohungen ein Jahr vor der Flucht begonnen hätten (BF1: AS 143). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF1 sodann an, dass die Bedrohungen etwa eineinhalb Jahre vor der Flucht angefangen hätten (S. 28 VP). Neben diesem Widerspruch konnten die BF diese angeblichen Bedrohungen auch nicht konkret schildern, sondern stellten diese lediglich in den Raum, ohne einen konkreten Vorfall benennen zu können. Darüber hinaus waren weder der BF1 noch die BF2 in der Lage anzugeben, wie oft der Bruder sie bedroht haben soll, vielmehr gaben sie dazu immer nur an, sie seien etwa vier- bis fünfmal (S. 16, 28 VP) bedroht worden, wobei immer zwei bis drei andere Personen anwesend gewesen seien (S. 16, 27 VP). Gerade bei einer derart überschaubaren Anzahl an Bedrohungssituationen wäre aber davon auszugehen, dass die BF - so sie diese tatsächlich erlebt haben - konkretere Angaben machen könnten.

 

Die BF2 gab auch an, dass ihr Mann bei diesen Bedrohungen beziehungsweise Gesprächen immer dabei gewesen sei (S. 16 VP). Es ist daher davon auszugehen, dass der BF1 wusste, dass er sich von seiner Frau scheiden lassen solle, zumal das in den Gesprächen mehrmals vorgekommen sein soll (S. 15 VP). In völligem Widerspruch dazu gab der BF1 dagegen an, dass er dies nicht gewusst habe und ihm erst nach dem Angriff in Kabul von seiner Frau gesagt worden sei (S. 27 VP). Das verwundert insbesondere mit Blick auf die Aussage sowohl des BF1 wie auch der BF2, wonach beide immer bei allen Gesprächen anwesend gewesen seien (S. 16, 29 VP).

 

Der BF1 gab vor dem Bundesverwaltungsgericht weiter an, dass er seinen Schwager das letzte Mal beim angeblichen Übergriff in Kabul gesehen habe beziehungsweise er im Heimatort des BF1 nur gesagt habe, dass er den Kommandanten hole (S. 28 VP). Dagegen gab der BF1 vor dem BFA noch an, dass der Schwager nach diesem Übergriff in Kabul auch in seinem Heimatdorf noch einmal bei der Familie gewesen sei, wobei der BF1 durch einen Glassplitter eines Fensters verletzt worden sei (BF1: AS 144). Erst auf Vorhalt dieser Aussage steigerte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht seine bis dahin getätigte Aussage und behauptete nunmehr, dass er seinen Schwager das letzte Mal in XXXX gesehen habe, wobei ein Streit eskaliert und er durch einen Glassplitter verletzt worden sei (S. 29 VP). Auch dieses gesteigerte Aussageverhalten des BF1 zeigt, dass er nicht von tatsächlich selbst Erlebtem berichtet, sondern die Antworten den Fragen beziehungsweise Vorhalten anpasst. Andernfalls müsste es ihm möglich sein, annähernd gleichbleibende Aussagen dazu tätigen. Darüber hinaus gaben sowohl seine Frau als auch seine Tochter an, dass der BF1 in Kabul, und damit nicht im Heimatdorf, verletzt worden sei (S. 15, 43 VP).

 

Die BF2 gab im Widerspruch zur gesteigerten Aussage des BF1 jedoch an, dass sie ihren Bruder das letzte Mal in Kabul gesehen habe (S. 16 VP). Auch der BF3 und die BF4 gaben an, dass das letzte Zusammentreffen in Kabul gewesen sei (S. 38, 43 VP). In diesem Zusammenhang gab die BF2 auch an, dass der BF1 in Kabul beim Arzt gewesen sei (S. 18 VP), während der BF1 angab, er sei in Kabul nie so schwer verletzt worden, dass er einen Arzt aufsuchen habe müssen (S. 29 VP). Zu dem angeblichen Vorfall in Kabul gab die BF4 zudem an, dass auch der jüngere Bruder der BF2 anwesend gewesen sein soll (S. 43 VP), während der BF1 dazu angab, dass dieser einmal in XXXX jedoch nie in Kabul anwesend gewesen sei (S. 28 VP).

 

Die BF2 gab vor dem BFA an, dass ihr Bruder bei den Drohungen gesagt habe, er werde sie töten, so wie sein Vater ihre Mutter getötet habe (BF2: AS 101). Dagegen gab sie vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass ihr Bruder bei den Drohungen gesagt habe, er werde sie töten, wie er selbst ihre Eltern getötet habe (S. 19 VP).

 

Ebenfalls völlig widersprüchlich schilderten der BF1 und die BF2 den angeblichen Weg vom Heimatort der BF2 zum Heimatort des BF1, der nach der Heirat auch der Wohnort der BF2 war. Die BF2 gab dazu an, dass dieser Weg früher etwa vier bis fünf Stunden zu Fuß gedauert habe, da noch keine Straßen existiert hätten. Zur Zeit der Bedrohungen habe der Weg dagegen nur mehr eine Stunde gedauert, da mittlerweile Straßen gebaut worden seien und der Schwager diesen Weg auch nutzte (S. 13, 16 VP). Der BF1 gab dagegen an, dass der Fußweg mindestens einen Tag betrage und der Straßenweg vom Schwager nicht benutzt werden könne, da Regierungsposten auf der Straße seien, weswegen er keine genaue Zeit angeben könne. Zudem könne man in die Örtlichkeit des BF1 nicht mit dem Auto gelangen (S. 28 VP).

 

Weitere Widersprüche ergeben sich bei der Aussage, zu welcher Uhrzeit die BF geflüchtet seien. So gab die BF2 an, dass sie mitten in der Nacht aus XXXX geflüchtet seien (S. 18 VP), während der BF1 sowohl vor dem BFA (BF1: AS 145) als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 27 VP) ebenso wie der BF3 (S. 39 VP) angab, dass sie abends geflüchtet seien. Ebenfalls gegen eine glaubhafte Schilderung spricht, dass die BF2 vor dem Bundesverwaltungsgericht entgegen ihren eigenen und den Angaben ihres Mannes, wonach die Grundstücke im Heimatland von Familienangehörigen bewirtschaftet werden, nunmehr angab, sie hätten alle Grundstücke verkauft und das Geld für die Flucht verwendet (S. 13f VP).

 

Völlig unerwähnt blieb von der BF2 vor dem Bundesverwaltungsgericht zudem, dass nach der Flucht der BF angeblich das Haus demoliert worden sei. Auch der BF1 gab das im Gegensatz zu seiner Aussage vor dem BFA (BF1: AS 141) nicht von selbst an, sondern erst auf konkrete Nachfrage durch die erkennende Richterin (S. 30 VP).

 

Aus all den aufgezeigten Gründen ist davon auszugehen, dass es sich beim Vorbringen der BF um ein bloßes Konstrukt zur Asylerlangung handelt, das jedoch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht.

 

Vor dem BFA gab der BF1 noch an, dass sein einziger (BF1: AS 9) Bruder sich derzeit um die Grundstücke kümmere und er sich nicht mehr bei ihm melde, um keine Probleme zu bekommen (BF1: AS 141). Dagegen gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder habe und auch nicht wisse, ob dieser von seinem Schwager überhaupt wieder freigelassen worden sei, da er sich nicht mehr gemeldet habe (S. 24 VP). Im Widerspruch dazu gab die BF2 an, dass der BF1 noch auf der Flucht mit seinem Bruder Kontakt gehabt habe (S. 12 VP). Daran zeigt sich, dass sich die BF nicht nur eines Konstruktes zur Asylerlangung bedienten, sondern auch gewillt sind, falsche Angaben zum Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Afghanistan zu machen. Es ist daher entgegen allen Angaben der BF davon auszugehen, dass weiterhin Kontakt nach Afghanistan besteht, zumal sie als Grund für den fehlenden Kontakt stets lediglich die angebliche Drohung durch den Bruder der BF2 geltend machten. Es war daher festzustellen, dass die BF Kontakt sowohl zu ihren Familienangehörigen als auch zu ihren Freunden in Afghanistan und auch zu ihren Freunden in Kabul haben. Dass Kontakt zur Familie besteht, zeigt auch die Aussage der BF4, die angeben konnte, dass die Tochter einer Tante ungefähr neunzehn Jahre alt sei und noch zu Hause lebe (S. 42 VP), was ihr nicht möglich wäre, wenn kein Kontakt zu dieser bestünde. Dies ist auch aus der Aussage der BF2 zu schließen, weil diese angeben konnte, dass ihre Schwester noch immer ledig sei (S. 9 VP). Eine derartige Aussage kann die BF2 nur machen, wenn sie mit ihren Verwandten in Afghanistan in Kontakt steht, andernfalls hätte sie angeben müssen, dass sie zum Zeitpunkt der Ausreise noch unverheiratet gewesen sei, während sie über den derzeitigen Personenstand ihrer Schwester keine Auskunft geben könne, weil sie eben keinen Kontakt zu ihr habe.

 

II.2.4. Die Feststellungen zur Lebenssituation der BF in Österreich beruhen auf ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem BFA sowie den vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht.

 

Die Feststellung, dass die BF2, BF4 und BF5 keine "westliche" Lebensweise angenommen haben, basiert darauf, dass sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung weder überzeugend darlegen konnten, dass sie einen "westlichen" Lebensstil führen, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung haben und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte.

 

So erschienen alle BF zur Verhandlung mit Kopftuch (S. 8, 41, 48 VP). Auch wenn alleine das Tragen des Kopftuchs nicht ausreicht, eine "westliche" Lebenseinstellung zu verneinen, stellt dieses Verhalten doch ein Indiz dafür dar, dass die BF die ihr in Österreich offenstehenden Freiheiten nicht annehmen. Das zeigt auch der festgestellte Tagesablauf der drei BF. Dieser weist nicht auf ein Verhalten hin, das in Afghanistan verpönt wäre oder die Gefahr einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer beziehungsweise religiöser Gesinnung bergen würde. Die BF2, BF4 und BF5 nutzen in Österreich zwar die ihnen offenstehenden Möglichkeiten zur Bildung und besuchen entsprechende Kurse beziehungsweise Schulen, ansonsten verbringen sie ihre Freizeit aber im Wesentlichen im Kreis ihrer Familie.

 

Dass die BF keine "westliche" Lebenseinstellung haben, zeigt sich auch am Verhalten der BF4 und der BF5, die als achtzehnbeziehungsweise siebzehnjährige Mädchen das Haus am Abend nicht mehr verlassen, sondern spätestens um sechs beziehungsweise sieben Uhr zu Hause sind (S. 21, 45, 48 VP). Auch ansonsten verbringen sie ihre Freizeit meistens zu Hause mit den Hausübungen und unternehmen nur gelegentlich Spaziergänge mit ihren Schulfreunden (S. 20, 41, 44f, 48 VP). Auch betätigen sich weder die BF4 noch die BF5 außerhalb der Schule ehrenamtlich oder in Vereinen (S. 46, 48), sodass sich ihr soziales Leben im Wesentlichen auf die Schule und die Familie beschränkt, wogegen die außerschulischen Möglichkeiten von den BF nicht genutzt werden.

 

Ebenso verhält es sich auch bei der BF2. Auch diese schildert keinen Tagesablauf, der ihr in Afghanistan nicht auch möglich wäre. Dazu befragt gab sie vor dem Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen nur an, dass ihre Kinder die Schule besuchen würden und auch sie selbst den Deutschkurs besuche (S. 19 VP). Dass sie auch außerhalb des Besuchs von Deutschkursen irgendwelche sozialen Aktivitäten außerhalb der Familie unternimmt, gab sie nicht an. Auch sie nutzt die ihr in Österreich offenstehenden Möglichkeiten nicht, sondern sorgt gemeinsam mit ihrem Mann für die Familie. Es ist damit nicht ersichtlich, inwieweit sich damit ihr Tagesablauf von jenem in Afghanistan unterscheidet, zumal sie auch bereits in Afghanistan im Innenverhältnis für die Entscheidungen zuständig war, wie die BF4 angab (BF4: AS 108). Die BF2 gab vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar an, dass sie erst seit ihrer Ankunft in Österreich für die Entscheidungen zuständig sei, konnte jedoch nicht nachvollziehbar darlegen, was sich im Innenverhältnis geändert hätte. Vielmehr tätigt sie dazu lediglich allgemeine Aussagen zur Situation von Frauen in Österreich und in Afghanistan (S. 12 VP). Dass sie auch in Afghanistan ihre eigenen Entscheidungen traf und diese - zumindest gegenüber ihrem Mann - auch durchsetzte, zeigt auch, dass es ihr eigener Wunsch war, nach der Geburt der ersten drei Kinder mit dem vierten Kind zuzuwarten. Dabei sprach sie stets davon, dass sie diesen Wunsch gehabt habe, während sie ihren Mann dabei nicht erwähnte, was zeigt, dass sie bereits in Afghanistan wesentliche Entscheidungen innerhalb der Familie traf (S. 13 VP). Auch aus ihrer sonstigen Aussage ist kein Verhalten ersichtlich, das ihr nicht auch in Afghanistan möglich wäre.

 

Es ist daher nicht ersichtlich, dass die BF2, BF4 und BF5 aufgrund dieses Lebensstils einer Verfolgung in Afghanistan unterliegen sollten, da dies keine Lebensweise ist, die einen nachhaltigen Bruch mit in Afghanistan verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellt. Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der BF2, der BF4 oder der BF5 um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde. Dies umso mehr als gerade in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif auch für Frauen generell mehr Freiheiten und auch mehr Möglichkeiten in Hinblick auf Berufsmöglichkeiten bestehen.

 

II.2.5. Dass den minderjährigen, schulpflichtigen BF ein Schulbesuch in Afghanistan nicht verwehrt wäre, ergibt sich aus den Länderfeststellungen in Verbindung mit dem von der BF2 und dem BF1 gezeigten Verhalten im Bundesgebiet und deren Aussage, wonach ihnen die Bildung ihrer Kinder wichtig ist, wie sie in der Verhandlung mehrmals betonten. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass der Schulbesuch in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht ist und eine kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau gesetzlich vorgesehen ist. Hinderungsgründe für den Zugang zur Bildung sind mangelnde Sicherheit, konservative Einstellung und Armut. Bei den minderjährigen BF ist nicht davon auszugehen, dass auch sie deswegen nicht in die Schule gehen werden, zumal ihre Eltern ihnen auch im Bundesgebiet eine Schulbildung ermöglichen und die Bedeutung einer Schulbildung mehrmals betonten sowie ihren Kindern, auch den Mädchen, bereits in Afghanistan eine Schulbildung ermöglichten. Da die Familie auch in Kabul über Verwandte verfügt, ist folglich davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 ihren minderjährigen Kindern auch eine über die Möglichkeiten im Dorf hinausgehende höhere Schulbildung zukommen lassen können.

 

Ebenso gaben die BF mehrmals glaubhaft an, dass sie ihre Töchter nicht zwangsverheiraten würden. Es war deshalb festzustellen, dass diesen keine Zwangsheirat drohen wird.

 

II.2.6. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen beruhen im Wesentlichen auf den Angaben der BF. Wie bereits oben unter II.2.3. ausgeführt, konnte ihren Angaben zum fehlenden Kontakt zu diesen jedoch nicht gefolgt werden. Da es ihnen auch nicht gelungen ist, ihre Angaben zum Fluchtgrund glaubhaft zu machen, kann auch ihren Angaben, wonach die Verwandten der BF2 ihr Haus zerstört haben sollen, nicht gefolgt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Haus, in der die Familie in XXXX wohnte, nach wie vor in Familienbesitz steht und den BF daher bei einer Rückkehr sofort zur Verfügung stünde.

 

Die Familie des BF1 lebt auch weiterhin im Heimatort des BF1, weswegen davon auszugehen ist, dass diese ihn und die anderen BF dort bei einer Rückkehr unterstützen werden. Dort ist auch davon auszugehen, dass sie durch die familieneigenen Grundstücke bei einer Rückkehr gemeinsam mit der Hilfe durch die Familie sofort ihre dringendsten Lebensbedürfnisse decken können. Dazu lebte die Familie bereits lange Zeit in ihrem Heimatort, sodass neben den familiären Anknüpfungspunkten auch davon auszugehen ist, dass die BF dort über zahlreiche soziale Kontakte verfügen, die sie daher bei einer Rückkehr ebenfalls unterstützen können. Die BF sind durch ihren langen Aufenthalt insbesondere auch mit den örtlichen Gegebenheiten sowie den kulturellen und religiösen Gepflogenheiten in ihrem Heimatort bestens vertraut, sodass auch unter diesem Blickwinkel keine Gefahr für die BF bei einer Rückkehr besteht. Die erwachsenen BF können dabei den minderjährigen BF, die weniger Kenntnis vom Heimatland habe, zur Seite stehen und diese in die Gepflogenheiten der Ortschaft einführen.

 

Darüber hinaus schulden dem BF1 frühere Geschäftspartner noch Geld. Auch wenn es sich dabei nicht um viel Geld handelt (S. 24 VP), so ist es dem BF1 durchaus möglich, diese Schulden einzutreiben und auch dadurch anfangs - sei es auch nur teilweise - den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten. Hinzu kommt, dass der BF1 sich in Österreich von einem Freund aus Afghanistan Geld für einen Anwalt ausborgen konnte und er selbst auch Geld verdient(e) (S. 24 VP). Es ist daher davon auszugehen, dass ihn auch dieser Freund bei einer Rückkehr finanziell unterstützen könnte beziehungsweise wäre es dem BF durchaus zumutbar, sein im Bundesgebiet verdientes Geld für eine Wiederansiedlung der Familie in Afghanistan zu nutzen.

 

Auch in Kabul verfügen die BF über zahlreiche Familienangehörige. Zudem lebt dort ein Freund des BF1, der Taxifahrer ist und bei dem sie bereits einige Zeit gewohnt haben. Der BF1 gab auch an, dass die Familie nur deshalb bei diesem Freund wohnte, weil das Haus noch nicht fertig gebaut war (S. 30 VP). Aus dieser Aussage kann nur der Schluss gezogen werden, dass die BF vor Verlassen ihres Herkunftsstaates ein Haus in Kabul bauten. Aufgrund der mittlerweile verstrichenen Zeitspanne ist jedoch entweder davon auszugehen, dass der Bau soweit vollendet wurde, dass den BF bei einer Rückkehr auch dort eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht, oder aber sie das Grundstück veräußern könnten. Die BF haben damit in Kabul nicht nur Familienangehörige und einen Freund, bei dem sie bei einer Rückkehr unterkommen könnten, sondern auch ein Eigentum, das ihnen bei einer Rückkehr in der einen oder anderen Form zur Verfügung steht. Der BF1 hat auch während seines Studiums bereits in Kabul gelebt und es ist davon auszugehen, dass er auch aus dieser Zeit noch Bekannte hat, da seine Aussage, es sei schon lange her und er habe vergessen, ob er aus dem Studium Freunde habe (S. 30 VP), völlig lebensfremd ist. Der BF1 verfügt damit über zahlreiche familiäre und soziale Kontakte, die zudem alle berufstätig sind. Durch diese ist davon auszugehen, dass der BF1 und auch der BF3, falls gewünscht auch die BF2, BF4 oder BF5, innerhalb kürzester Zeit (wieder) einen Beruf finden werden. Dies umso mehr, als der BF1 durch seine langjährige Berufserfahrung auch auf die dadurch aufgebauten Kontakte wird zurückgreifen können. Durch die Familie und die Freunde - sowie durch Rückkehrleistungen - werden die BF bei einer Rückkehr bis zum Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes unterstützt werden, sodass von keiner Gefahr für die BF auszugehen ist. Dabei ist den BF auch durchaus zuzumuten, dass sie - zumindest anfangs - bei verschiedenen Verwandten und Freunden unterkommen, um die allenfalls schwierigere Anfangsphase zu meistern und nicht in ihrer Gesamtheit als Großfamilie einem Unterstützer besonders zur Last zu fallen.

 

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass bei einer Rückkehr in ihren Heimatort oder nach Kabul, wo sich die Familie bereits kurz aufgehalten hat und über Ortskenntnisse sowie ein soziales und familiäres Umfeld verfügt, nicht die Gefahr besteht, dass sie in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation geraten würden. Schließlich war es dem BF1 auch bisher möglich, seine sechsköpfige Familie zu ernähren. Nunmehr ist die Familie zwar durch den BF7 größer geworden, allerdings sind die drei ältesten Kindern allesamt in einem Alter, in dem auch von ihnen die Teilnahme am Arbeitsleben erwartet werden kann, sodass der BF1 nicht mehr alleine für die Familie sorgen müsste.

 

II.2.7. Die Feststellungen zur gesundheitlichen Situation der BF basieren auf deren Aussagen sowie den vorgelegten Befunden. Aufgrund ihrer Gesundheit war daher auch die Arbeitsfähigkeit der BF festzustellen.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit konnte aufgrund der im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszüge festgestellt werden, der Bezug der Grundversorgung aufgrund der aktuellen Auszüge aus dem GVS.

 

II.2.8. Die Feststellungen zur Lebenssituation des BF1, des BF3, der BF6 und des BF7 in Österreich beruhen auf ihren vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Aussagen sowie den vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht.

 

II.2.9. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die den BF vorgehaltenen und im Akt ersichtlichen Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums nicht wesentlich geändert haben.

 

Diese wurden von den BF auch nicht substantiiert bestritten, zumal die bereits in der Beschwerde vorgelegten Berichte teils wegen fehlender Glaubhaftmachung mangels Relevanz, teils mangels Aktualität nicht mehr heranzuziehen sind beziehungsweise im neuen Länderinformationsblatt bereits berücksichtigt wurden. Das aktuellste Länderinformationsblatt, auf dem die Feststellungen beruhen, wurde den BF zur Stellungnahme übermittelt. Die BF haben in ihrer Stellungnahme keine Ausführungen dazu getätigt, sodass sie damit die Richtigkeit dieser ihnen vorgehaltenen Informationen bestätigten. Es sind daher keine Zweifel an den verwendeten Informationen hervorgekommen.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

 

II.3.1. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

 

II.3.2. Zu Spruchpunkt A)

 

Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

 

II.3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheid-/Erkenntniserlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die BF keine persönliche und konkrete Verfolgungsgefährdung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft geltend gemacht haben.

 

Auch der von der BF2, der BF4 oder der BF5 geführte Lebensstil kann im vorliegenden Fall nicht zur Gewährung des Asylstatus führen: Die Eigenschaft des Frau-Seins führt in der Judikatur alleine an sich nicht zur Asylgewährung. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.

 

Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang im Erkenntnis vom 12.06.2015, E 573/2015-9, aus:

 

"Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte ‚westliche Lebensstil' in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

 

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass weder die BF2 noch die BF4 oder die BF5 seit ihrer Einreise eine "westliche" Lebensweise angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten beziehungsweise der Lebensweise dieser BF ist vielmehr gerade zu entnehmen, dass sie im Wesentlichen jenen entsprechen, die sie auch bereits in Afghanistan pflegten. Daraus folgt, dass die BF keinen "westlichen", selbstbestimmten Lebensstil anstreben beziehungsweise bereits pflegen. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

 

Da festgestellt werden konnte, dass die minderjährigen BF auch in Afghanistan die Schule besuchen können und ihnen keine Zwangsheirat droht, kann auch dieses grundsätzlich asylrelevante Vorbringen (VwGH 16.01.2019, Ra 2018/18/0239) im konkreten Fall nicht zur Asylgewährung führen. Auch ist nicht ersichtlich, weshalb den Söhnen des BF1 und der BF2 im Schutz ihrer größeren Familie eine Zwangsrekrutierung drohen sollte; eine solche Gefährdung wurde im Übrigen lediglich in Zusammenhang mit der nicht glaubhaften Fluchtgeschichte vorgebracht.

 

Andere Gründe wurden von den BF nicht geltend gemacht und konnten auch amtswegig nicht festgestellt werden.

 

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten durch das BFA ist daher nicht zu beanstanden.

 

Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

 

II.3.2.2. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (aus der ständigen Rsp etwa VwGH 14.08.2019, Ra 2019/20/0347, 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0404; 12.06.2018, Ra 2018/20/0284, jeweils mwN).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat grundsätzlich der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 8 AsylG glaubhaft zu machen. Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun. Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person liegt grundsätzlich bei dieser. Gleichzeitig sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, haben die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liegt an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um in diesem Sinn eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314 mwN).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos beziehungsweise für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

Die BF stammen aus der Provinz Parwan. Diese zählte im Mai 2019 zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, wo Aufständische nur in abgelegenen Distrikten oftmals versuchten, terroristische Aktivitäten auszuführen. Im Juni 2019 wurde berichtet, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. So waren etwa im August 2018 auch im Heimatdistrikt des BF1 Taliban-Aufständische aktiv. Allerdings richteten sich die dortigen Aktivitäten nicht gegen den Distrikt selbst, sondern es wurden von dort Angriffe auf die Provinzhauptstadt und die Luftwaffenbasis Bagram geplant. Es wurden zwar auch zivile Opfer in der Provinz und auch im Heimatdistrikt der BF verzeichnet, diese treten jedoch insgesamt nicht in einer Dichte und Intensität auf, dass die BF dort in ihrem täglichen Leben einem nicht bloß möglichen, sondern einem realen Risiko ausgesetzt wären, eine Verletzung ihrer insbesondere durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen, wenn nicht risikoerhöhende Faktoren hinzutreten. Der EGMR betont in seiner Rechtsprechung, "dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 MRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen (‚in the most extreme cases') diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen (‚special distinguishing features'), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217)." (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

Ein so extremer Fall ist in Parwan unter Berücksichtigung der derzeitigen Sicherheits- und Versorgungslage nicht gegeben. Dies ergibt sich auch aus der Risikoeinschätzung betreffend Parwan laut dem EASO-Country-Guidance aus Juni 2019 (S. 114: "Looking at the indicators, it can be concluded that indiscriminate violence is taking place in the province of Parwan at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD. However, individual elements always need to be taken into account as they could put the applicant in risk-enhancing situations.").

 

Somit läge es an den BF, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine insbesondere dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fordert das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Bei den BF handelt es sich insoweit risikoerhöhend um eine Familie mit fünf Kindern, wovon derzeit drei noch minderjährig sind, wobei die BF5 jedoch in wenigen Monaten volljährig wird. Familien mit minderjährigen Kindern stellen in Hinblick auf die minderjährigen Kinder eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe dar (vgl. Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU ). Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den BF bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0036).

 

Dies verlangt wiederum - auch bei Kindern, die mit ihren Eltern leben - nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF am angenommenen Rückkehrort vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474-0479, und VfGH 11.10.2017, E 1803-1805/2017).

 

Nach den Feststellungen gibt es keine Hinweise darauf, dass die Sicherheitslage in Parwan trotz der Anwesenheit der Taliban in einigen abgelegenen Gebieten derart problematisch ist, dass den BF alleine wegen ihrer Anwesenheit eine "reale Gefahr" oder "ernsthafte Bedrohung" im Sinne des § 8 AsylG droht. Auch das individuelle Profil der BF lässt nicht erwarten, dass sie einer "realen Gefahr" oder "ernsthaften Bedrohung" ausgesetzt sind:

 

Der BF1 und die BF2 haben ihr gesamtes Leben beziehungsweise seit der Hochzeit im Heimatort des BF1 verbracht. Auch die BF3 bis BF6 haben bereits seit ihrer Geburt dort gelebt. Diese sind daher jedenfalls mit den dortigen Strukturen vertraut und wissen, wie sie sich dort sicher bewegen können. Die BF haben auch nicht erwähnt, dass die minderjährigen Kinder - bis auf die als unglaubwürdig befundenen Bedrohungen durch die Brüder der BF2 - irgendwelchen besonderen Gefahren ausgesetzt gewesen wären, vielmehr berichteten sie von keinen gefährlichen Vorkommnissen. Hinsichtlich Sprengkörpern/Sprengfallen und Minen wird bemerkt, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor diesen spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen, sofern es solche dort gibt, nach ihren Möglichkeiten - so wie auch schon bisher bei den BF3 bis BF6 - durch entsprechende Maßnahmen schützen werden. Darüber hinaus leben dort zahlreiche Familienangehörige der BF, mit denen sie teils auch bisher in einem gemeinsamen Haushalt lebten und die mit den aktuellen Gegebenheiten ausreichend betraut sind. Auch von deren Kindern berichteten die BF von keiner besonderen Bedrohung.

 

Die Länderberichte zeigen auf, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Gewalt in Schulen ist dabei eher im ländlichen Gebiet als in Städten gebräuchlich. Aus den Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der BF1 und die BF2 ihren Töchtern in Parwan eine liebevoll umsorgende Familiensituation bieten und sie ihre Kinder fördern, unterstützen und sie ihnen - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - Freiraum bieten, dies insbesondere auch durch die weitere familiäre Situation in XXXX . Es zeigt sich demnach nicht, dass die minderjährigen BF Opfer von Gewalt (körperlichen Übergriffen, einschließlich sexueller Gewalt) innerhalb oder außerhalb der Familie werden würden. Vor dem Hintergrund des liebevollen Familienumgangs ist davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor Übergriffen dieser Art bewahren würden.

 

Der Umstand, dass es sich gegenständlich um eine Familie mit drei minderjährigen Kindern handelt, ist vor dem Hintergrund des § 8 AsylG auch im Hinblick auf ein mögliches Risiko der Versorgungslage vor Ort besonders zu berücksichtigen. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, eine entsprechende Unterkunft zu finden. Dabei reicht aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs ein allgemeiner Hinweis auf allfällig vorhandene familiäre Unterstützung nicht aus (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320).

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass nach den Feststellungen die wirtschaftliche Lage sowie die Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen jedenfalls als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit hoch ist, was insbesondere auch auf die große Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer zurückzuführen ist. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich sanitärer und medizinischer Versorgung sowie Lebensmitteln und Bildung sind nach den Länderberichten aber jedenfalls gegeben, wie sich nicht nur am bisherigen Leben der BF und dem derzeitigen Leben der Familienmitglieder in XXXX zeigt, sondern auch daran, dass Binnenvertriebene in der Provinz oftmals in derselben Provinz bleiben, was nur dann möglich ist, wenn dort eine zumindest grundlegende Versorgung sichergestellt ist. Auch gibt es die Möglichkeit, Arbeit zu finden beziehungsweise die alte Arbeit wiederaufzunehmen. Es besteht daher die Möglichkeit der Existenzsicherung, wie auch das absehbare Erreichen und dauerhafte Halten eines - hinsichtlich des Niveaus der in Aussicht genommenen Rückkehr - angemessenen Lebensstandards.

 

Die - grundsätzlich für eine Wiederansiedelung geeignete - Versorgungslage in Parwan reicht auch für die Familie der BF hin, sich wieder dort anzusiedeln, ohne dass eine in § 8 AsylG angesprochene reale Gefahr oder ernsthafte Bedrohung zu gewärtigen wäre. So sind die BF1 bis BF6 im afghanischen Kulturkreis aufgewachsen und lebten bereits lange Zeit in XXXX . Sie sind daher mit den kulturellen Gegebenheiten der Umgebung bekannt. Alle beherrschen zumindest eine Landessprache, sodass auch unter diesem Blickwinkel keine Gefahr für die BF besteht.

 

Den BF steht darüber hinaus die Möglichkeit offen, wieder in ihr auch bisher genutztes Eigentumshaus zurückzukehren und ihr derzeit vom Bruder des BF1 betreutes Grundstück landwirtschaftlich zu nutzen. Auch steht den BF der Arbeitsmarkt offen. Der BF1 ist ein arbeitsfähiger, gesunder Mann, der über eine für Afghanistan überdurchschnittliche Bildung und langjährige Berufserfahrung als Selbstständiger verfügt. Es wird ihm daher wie vor seiner Ausreise möglich sein, einen Beruf zu finden, mit dem er seine Familie wird ernähren können. Für die erste Zeit nach seiner Rückkehr steht dem BF zudem einerseits Unterstützung durch seine Familie zu, zudem schulden ihm ehemalige Geschäftspartner auch noch Geld, sodass die Familie auch dieses anfangs zur Wiederansiedlung nutzen kann, zumal sie keine Kosten für eine Unterkunft aufbringen müssen, weil zumindest ein Haus mit landwirtschaftlichem Grundstück in ihrem Eigentum steht. Darüber hinaus handelt es sich auch beim BF3 um einen arbeitsfähigen, gesunden, jungen Mann, der daher nunmehr seinen Vater insofern unterstützen kann, als auch er einen Beruf annehmen kann, um damit den Lebensunterhalt der Familie zu begleichen. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum die BF2, BF4 oder BF5 nicht auch zum Familieneinkommen beitragen können sollten.

 

Angesichts dessen, dass der BF1 allenfalls auch mithilfe des BF3 für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommen kann, wie es dem BF1 bereits vor der Ausreise nach Europa möglich war, ist nicht davon auszugehen, dass die minderjährigen BF von Kinderarbeit, Unterernährung oder einer Zwangsehe bedroht sein werden. Im Bedarfsfall könnten auch die Verwandten des BF1 eine finanzielle Unterstützung leisten.

 

Alle für die Wiederansiedelung notwendigen Elemente der allgemeinen Sicherheitslage, der Versorgungssicherheit und der Infrastruktur sind im ausreichenden Umfang vorhanden und können von den BF genutzt werden. Die Feststellungen belegen zwar, dass es auf den Straßen in der Provinz Parwan immer wieder zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie Entführungen oder Verhaftungen durch die Taliban kommt, allerdings befinden sich nicht nur in XXXX , sondern auch in Kabul Verwandte der Familie, die die BF über die etwaigen vorhandenen aktuellen Risiken aufklären können, weil sie selbst auch wiederholt hin und her fahren. Folglich ist davon auszugehen, dass die BF ihr Heimatdorf sicher erreichen werden, zumal auch aufgrund ihrer Volksgruppe oder Religionszugehörigkeit keine erhöhte Gefahr für eine Entführung der BF besteht. Die BF haben sohin - auch unter eingehender Berücksichtigung aller denkbar risikoerhöhender Merkmale (minderjährige Kinder) - nicht substantiiert aufgezeigt, dass bei ihnen bei einer Rückkehr die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden könnten oder sie sonst einer "realen Gefahr" oder "ernsthaften Bedrohung" im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wären. Die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes lagen für die BF somit nicht vor.

 

II.3.2.3. Den BF ist daher eine Rückkehr in ihren Heimatort möglich und zumutbar, zudem steht ihnen eine innerstaatliche Flucht- bzw. Niederlassungsalternative in Kabul zur Verfügung. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in einem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat, um ihn auf eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verweisen. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 20.08.2019, Ra 2019/18/0052). Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet jedoch nicht aus, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 18.07.2019, Ra 2019/19/0197).

 

Dass die BF bei einer Rückkehr einer realen Gefahr der Verletzung nach Art. 2 EMRK oder der relevanten Zusatzprotokolle ausgesetzt wären oder eine Rückkehr für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, wurde während des gesamten Verfahrens von ihnen nicht behauptet und ist auch aus den unbestrittenen Feststellungen nicht ersichtlich.

 

Behauptet wird eine Verletzung von Art. 3 EMRK, wobei dazu im Wesentlichen auf die Versorgungslage verwiesen wird. Der Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht haben wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nicht verkennen, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt ist. Davon zu unterscheiden ist aber das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer dort umschriebenen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (etwa VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608). Eine derartige Gefahr wurde von den BF während des gesamten Verfahrens jedoch nicht aufgezeigt. Es wird zwar eine wirtschaftlich schwere Situation der BF aufgezeigt, die seitens des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht verkannt wird, eine Situation, wobei die BF bei einer Rückkehr in eine die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohende Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen geraten würden, ist jedoch nicht ersichtlich (VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0382).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans auch zugemutet werden, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; siehe auch VfGH 12.12.2017, E 2068/2017), wobei dabei im Falle besonderer von UNHCR oder EASO aufgezeigten Vulnerabilitäten stets eine umfassende Einzelfallprüfung notwendig ist (VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0308). Auch einem Angehörigen der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara kann die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative grundsätzlich zugemutet werden (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0067).

 

Bei den BF handelt es sich jedoch um eine Familie mit minderjährigen Kindern. Da die BF daher, wie bereits oben ausgeführt, unter eine besonders vulnerable und schutzbedürftige Personengruppe fallen, ist diese Situation bei der Beurteilung, ob den BF bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, sowohl in Bezug auf die Sicherheits- als auch auf die Versorgungslage im Speziellen zu berücksichtigen. Auch unter Berücksichtigung dieser besonderen Vulnerabilität steht aus den im Folgenden an den kursiv wiedergegebenen Prüfkriterien des Leitfadens zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan des UNHCR vom November 2018 orientierten näher dargelegten Gründen einer Rückkehr weder Art. 3 EMRK entgegen noch wäre den BF die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar.

 

Gibt es einen bestimmten Ort, der für die BF als IFA in Frage kommt?

 

Die BF können nach Ansicht der erkennenden Richterin in die Stadt Kabul zurückkehren, so sie nicht in ihr Heimatdorf zurückkehren wollen.

 

Steht das IFA-Gebiet unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften?

 

Nach den Feststellungen befindet sich Kabul unter Kontrolle der Kräfte der Regierung, auch wenn vereinzelt terroristische Straftaten verübt werden.

 

Ist das IFA-Gebiet von aktiven Kampfhandlungen betroffen?

 

In den Städten finden keine Kampfhandlungen statt. Es sind Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, auch dort nicht auszuschließen und diese finden in unregelmäßigen Abständen statt. Die in Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich aber hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

 

Droht im IFA-Gebiet eine neue Verfolgung oder ein anderer schwerer Schaden?

 

Wie dargestellt, konnten die BF eine Verfolgung nicht glaubhaft machen und nach den Länderfeststellungen liegt auch keine Situation vor, aufgrund derer zu befürchten wäre, dass den BF ein anderer schwerer Schaden drohen würde. Insbesondere finden auch die festgestellten Anschläge nicht in einer derartigen Häufigkeit statt, dass von einer realen Gefahr eines drohenden schweren Schadens gesprochen werden müsste, wie sich auch aus dem EASO-Country-Guidance-Bericht aus Juni 2019 ergibt (S. 28, 101f).

 

Ist das IFA-Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg zu erreichen?

 

Kabul ist, wie den Feststellungen entnommen werden kann, über den internationalen Flughafen praktisch, sicher und auf legalem Weg für die BF zu erreichen.

 

Wie sind die persönlichen Umstände der BF?

 

Beim BF1 handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, wie es ihm auch bereits vor seiner Ausreise möglich war, als er seine sechsköpfige Familie durch seine Erwerbstätigkeit problemlos ernähren konnte. Auch beim BF3 handelt es sich um einen jungen, gesunden arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, zumal er seinem Vater bereits in der Landwirtschaft geholfen hat und auch über mehrjährige Schulbildung verfügt. Es ist dem BF1 und dem BF3 daher zumutbar, in Kabul eine berufliche Tätigkeit zu finden, um ein ausreichendes Einkommen für den Lebensunterhalt zu verdienen. Die BF haben lange in Afghanistan gelebt und der BF1 verfügt über mehrjährige Arbeitserfahrung. Auch die BF2 hat bereits in der familiären Landwirtschaft geholfen und kann daher auf diese Weise zum Familieneinkommen beitragen. Die BF verfügen auch nach wie vor über Verwandte und Bekannte im Herkunftsland und auch in Kabul. Aufgrund der vorhandenen Kontakte des BF1 am Arbeitsmarkt durch seine früheren Tätigkeiten ist zudem davon auszugehen, dass er und der BF3 Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz finden. Zudem können sie dort auch auf die Kontakte des Freundes des BF1 zurückgreifen, bei dem sie bereits kurze Zeit wohnen konnten. Die BF beherrschen eine Landessprache Afghanistans auf Muttersprachenniveau und sind aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts in Afghanistan mit den Gepflogenheiten und Gebräuchen in Afghanistan bekannt. Die BF gehören somit keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

Auch die BF2, die BF4 und die BF5 haben nicht aufgezeigt, dass bei ihnen besondere Umstände vorliegen würden, dass gerade bei ihnen ein - im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko bestünde, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein beziehungsweise eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Auch ihnen wäre bei einer Rückkehr zuzumuten, eine ihrem Bildungsstand entsprechende Tätigkeit auszuüben, um zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen, wie es die BF2 durch die Tätigkeit auf der familiären Landwirtschaft bereits tat.

 

Auch unter Beachtung der besonderen Vulnerabilität der BF als Familie, insbesondere aufgrund der Minderjährigkeit der jüngsten Kinder, besteht nicht die reale Gefahr einer Verletzung der in § 8 AsylG genannten Rechte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist diese besondere Vulnerabilität von Minderjährigen bei der Beurteilung, ob bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die revisionswerbenden Parteien in Kabul tatsächlich vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479). Dabei sind auch konkrete Feststellungen zu den Möglichkeiten, in Kabul eine entsprechende Unterkunft zu finden, zu treffen (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).

 

Die BF haben - bis auf den BF7 - bereits einige Zeit in Kabul verbracht. Sie sind daher mit den Strukturen in Kabul jedenfalls vertraut und wissen, welche Gegenden von ihnen und insbesondere von ihren Kindern zu meiden sind und wie diese sich weitestgehend "sicher" durch diese Stadt bewegen können. Zusätzlich verfügen sie über Verwandte und Bekannte in Kabul, die sie über die mittlerweile möglicherweise erfolgten sicherheitsrelevanten Änderungen informieren können. Hinsichtlich Sprengkörpern/Sprengfallen und Minen wird bemerkt, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor diesen spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen, sofern es solche in der Stadt Kabul gibt, nach ihren Möglichkeiten - etwa auch durch Informationseinholung bei ihren Verwandten und Bekannten - durch entsprechende Maßnahmen schützen werden.

 

Die BF5, die jedoch bereits in wenigen Monaten volljährig ist, sowie insbesondere die BF6 und der BF7 kehren überdies im Familienverband zurück, der über Ortskenntnisse in Kabul verfügt. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass die minderjährigen BF, die ihren Lebensmittelpunkt in der Familie haben, in ihrer Bewegungsfreiheit maßgeblich eingeschränkt sind. Ebenso gibt es nach den Feststellungen keine Hinweise darauf, dass die Sicherheitslage derart gefährlich wäre, dass den minderjährigen BF eine reale Gefahr der Verletzung der in § 8 AsylG genannten Rechte droht.

 

Die Länderfeststellungen belegen, dass sich die Situation von Kindern in den vergangenen Jahren in Afghanistan verbessert hat. Für die konkrete Rückkehrsituation der minderjährigen BF ist maßgeblich, dass ihre Eltern dafür sorgen, dass sie eine Schulbildung erlangen werden. Da die BF2 und der BF1 in den Einvernahmen stets geltend machten, dass ihnen eine Schulbildung ihrer Kinder wichtig ist und die minderjährigen BF auch in Österreich die Schule beziehungsweise den Kindergarten besuchen, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich auch in Afghanistan um eine Schulbildung für ihre Kinder bemühen, wie sie es auch bereits in Afghanistan taten. Es sind auch keine allgemeinen Umstände ersichtlich, dass ihnen ein Schulbesuch in einer afghanischen Großstadt verwehrt sein könnte. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass ihre Eltern ihnen bei einer Rückkehr einen Schulbesuch ermöglichen werden.

 

Die allgemeinen Länderfeststellungen legen zwar weiter dar, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Auch in diesem Zusammenhang ergeben sich für die minderjährigen BF jedoch keine Anhaltspunkte, dass sie in ihrer konkreten Lebenssituation von Derartigem betroffen sein könnten. Es gibt keinerlei Hinweise auf Gewalt in der Familie der BF, im Gegenteil stellt sich das Familienleben - nicht zuletzt aufgrund des Auftretens der BF in der Beschwerdeverhandlung - als sehr harmonisch dar. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich nach einer Rückkehr nach Afghanistan etwas daran ändert. Es gibt auch keinen hinreichenden Beleg dafür, dass die minderjährigen BF in der Schule oder durch die Polizei Gewalt ausgesetzt sein werden. Auch wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, Opfer derartiger Gewalt zu werden, ist dies nicht konkret indiziert. Gewalt in der Schule ist laut den Länderfeststellungen in ländlichen Gebieten gebräuchlich, dafür, dass die Situation in den Städten ähnlich gelagert wäre, gibt es aber keine Anhaltspunkte. Auch wenn es keine dauerhaften und durchsetzungsfähigen Mechanismen gibt, Gewaltpotential einzudämmen, existieren im konkreten Fall keine Anhaltspunkte, dass die minderjährigen BF Derartigem ausgesetzt wären. Da die minderjährigen BF über ein schützendes familiäres Netz verfügen, ist auch nicht indiziert, dass sie Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dahingehend, dass die minderjährigen BF von Kinderarbeit bedroht sein könnten, zumal davon auszugehen ist, dass der BF1 - allenfalls auch gemeinsam mit dem BF3 - für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommen kann, wie es ihm bereits vor der Ausreise nach Europa möglich war. Da die minderjährigen BF im Familienverband abgesichert sind, ist auch keine Gefahr der Unterernährung anzunehmen. Schließlich sind die minderjährigen BF gesund, sodass auch unter diesem Aspekt keine spezifische Gefährdung ersichtlich ist. Wie festgestellt, verfügt die Familie in Kabul auch über eine Wohnmöglichkeit entweder bei ihren Verwandten, bei ihren Freunden oder im eigenen Haus, weshalb auch der Wohnbedarf der Familie und ihre Lebensbedürfnisse hinreichend versorgt werden wird.

 

Wird der BF im IFA-Gebiet auf Dauer in Sicherheit leben können?

 

Trotz der Schwankungen der allgemeinen Sicherheitslage aufgrund des bewaffneten Konflikts ist davon auszugehen, dass die BF dort auf Dauer sicher werden leben können. Dies vor allem unter Berücksichtigung, dass sich auch in Kabul die Anschläge nicht primär gegen die Zivilbevölkerung richten, sondern hauptsächlich die internationale Gemeinschaft, Regierungsinstitutionen und öffentlichkeitswirksame Einrichtungen zum Ziel haben. Auch die Lage in den letzten Jahren in Kabul hat gezeigt, dass sich diese Situation nicht ändert. Insbesondere sind bei den BF keine individuellen Umstände hervorgekommen, die gegen diese Einschätzung sprechen, zumal sie zumindest kurzzeitig in Kabul lebten und dort über ein großes unterstützendes familiäres und soziales Netz verfügen.

 

Werden die grundlegenden Menschenrechte im IFA-Gebiet geachtet?

 

Aus den Feststellungen zur allgemeinen Situation in den Städten ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Menschenrechte in Kabul nicht geachtet würden.

 

Kann der BF im IFA-Gebiet wirtschaftlich überleben?

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass nach den Feststellungen die wirtschaftliche Lage sowie die Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in Kabul im Speziellen jedenfalls als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit hoch ist, was insbesondere auch auf die große Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer zurückzuführen ist. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich sanitärer und medizinischer Versorgung sowie Lebensmitteln und Bildung sind nach den Länderberichten aber - auch nach dem EASO-Leitfaden - jedenfalls gegeben. In Kabul stehen verschiedene Wohnmöglichkeiten zur Verfügung. Auch gibt es die Möglichkeit, Arbeit zu finden. Aufgrund der vorhandenen städtischen Infrastruktur besteht die Möglichkeit der Existenzsicherung, wie auch das absehbare Erreichen und dauerhafte Halten eines - hinsichtlich des Niveaus der in Aussicht genommenen Rückkehr - angemessenen Lebensstandards ("adequate standard of living", vgl. EASO-Länderleitfaden 2018, Seiten 104 f, oder UNHCR-RL, Seiten 109 f und 113).

 

Die - grundsätzlich für eine Wiederansiedelung geeignete - Versorgungslage in Kabul reicht auch für die Familie der BF hin, sich wieder dort anzusiedeln, ohne dass eine in § 8 AsylG angesprochene reale Gefahr oder ernsthafte Bedrohung zu gewärtigen wäre.

 

Alle BF sind in einem afghanischen Kulturkreis aufgewachsen und lebten - bis auf den BF7 - zumindest kurzzeitig in Kabul. Ihre Muttersprache ist eine afghanische Landessprache, sodass unter diesem Blickwinkel nichts gegen eine Reintegration der Familie spricht.

 

Den BF steht darüber hinaus die Möglichkeit offen, so sie dort nicht wohnen wollen, ihr Haus und ihr Grundstück in Parwan zu verkaufen, sodass anfangs ihre Versorgung neben der Unterstützung durch ihr breites familiäres und soziales Netzwerk auch dadurch jedenfalls gesichert ist. Darüber hinaus kann der BF1 seine Schulden eintreiben oder sich gegebenenfalls - wie im Bundesgebiet - Geld für die Ansiedlung ausborgen. In weiterer Folge ist davon auszugehen, dass der BF1, die BF2, der BF3, die BF4 oder auch die BF5 einen Arbeitsplatz finden, mit dem das Erreichen und Halten eines für Afghanistan angemessenen Lebensstandards für die Familie möglich ist.

 

Hat der BF Zugang zu einer Unterkunft?

 

Wie festgestellt haben die BF zumindest vorrübergehend die Möglichkeit wieder beim Freund des BF1 unterzukommen. Allenfalls können sie auch bei ihren Verwandten kurzzeitig wohnen. In weiterer Folge ist davon auszugehen, dass die Familie durch ihr eigenes Einkommen oder allenfalls auch durch den Verkaufserlös aus den Grundstücksverkäufen beziehungsweise durch das Geld der ehemaligen Geschäftspartner des BF1 über die wirtschaftlichen Mittel für eine Unterkunft verfügen. Zudem stehen ihnen auch - zumindest finanzielle - Rückkehrunterstützungen zu.

 

Ist grundlegende Versorgung und Infrastruktur verfügbar?

 

Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich sanitärer und medizinischer Versorgung sowie Lebensmitteln sind nach den Länderberichten jedenfalls gegeben, wie sowohl UNHCR als auch EASO festhalten.

 

Sind Lebensgrundlagen beziehungsweise erwiesene und nachhaltige Unterstützung vorhanden?

 

Der BF1 kann sich auf Basis seiner beruflichen Vorerfahrung und seiner überdurchschnittlichen Bildung - möglicherweise nach Anfangsschwierigkeiten - durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten eine Lebensgrundlage schaffen. Auch der BF3 kann zum Familieneinkommen beitragen, genauso wie die BF2, BF4 und BF5. Es kamen im Verfahren keine Umstände hervor, die darauf schließen lassen, dass die BF nicht in der Lage wären, für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen. Auch vor Ausreise hat der BF1 alleine ohne Probleme seine sechsköpfige Familie ernähren können. Nicht zuletzt hat der BF1 seine eigene finanzielle Situation als gut beschrieben (AS 11). Es ist kein Grund ersichtlich, warum er das nicht auch bei einer Rückkehr wieder können sollte. Zudem besteht ein breites Netz an Familienmitgliedern und Freunden, die die BF auch bisher schon unterstützten.

 

Besteht Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk?

 

Die BF stehen zu ihrer Familie im Kontakt. Teils leben ihre Familienangehörigen in Kabul. Ebenso leben Freunde und Bekannte des BF1 in Kabul. Dieser Freund hat die Familie bereits einmal unterstützt und es ist kein Grund ersichtlich, warum sie diese Hilfe nicht wieder in Anspruch nehmen können sollten. Auch seine Familie im Heimatdorf kann den BF1 bei einer Rückkehr nach Kabul zumindest finanziell unterstützen. Es ist angesichts der ausgeprägten Familienkultur in afghanischen Gesellschaften davon auszugehen, dass die Familienangehörigen die BF im Fall einer Neuansiedelung in Afghanistan anfangs - zumindest nach Kräften - finanziell, in Form von Geldtransfers, unterstützen würden. Eine räumliche Trennung steht dem nicht entgegen. Im Übrigen bewirtschaftet die Familie des BF1 auch dessen Grundstücke, weshalb ihm auch daraus sein Anteil jedenfalls zusteht. Davon abgesehen kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden.

 

Im Ergebnis steht den BF somit eine IFA in Kabul zur Verfügung, auf die sie entsprechend den Prüfkriterien des UNHCR vom November 2018 in zumutbarer Weise verwiesen werden können.

 

Abschließend ist mit Blick auf die aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 noch auszuführen, dass diese zwar eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul grundsätzlich ausschließen. Der VfGH schließt daraus, dass, sei es auch die Heimatstadt der BF "insbesondere für eine Familie mit vier minderjährigen Kindern grundsätzlich keine interne Schutzalternative in der Stadt Kabul verfügbar ist." Lediglich besondere außergewöhnliche Umstände beziehungsweise allenfalls auch Einschätzungen anderer internationaler Organisationen können einen gegenteiligen Schluss zulassen (VfGH 11.12.2019, E 2438-2443/2019; 28.11.2019, E 3478-3483/2019; 10.10.2019, E 28-33/2019; 03.10.2019, E 490-492/2018). Dagegen hat der VfGH eine Entscheidung bestätigt, in der einer aus Kabul stammenden Familie kein subsidiärer Schutz gewährt wurde, obwohl dort weder direkt in Kabul Verwandtschaft bestand noch sie eine sofortige Wohnmöglichkeit hatten, sondern lediglich ein - zwar wertvolles - Grundstück besaßen, worüber die dortigen BF jedoch nicht frei verfügen konnten und auf dem auch keine Wohnmöglichkeit bestand, wobei finanzielle Unterstützung der wohlsituierten Familie aus dem Iran möglich war (VfGH 28.11.2019, E 3419-3422/2019). Ebenfalls hat er eine Entscheidung bestätigt, in der die dortigen ebenfalls aus Kabul stammenden BF auf Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen wurden, obwohl sie dort ebenfalls über keine Familienangehörigen und keine Wohnmöglichkeiten, sondern nur über finanzielle Unterstützung durch ihre wohlhabenden Familienangehörigen verfügten (VfGH 24.09.2019, E 4740-4741/2018 sowie E 4742-4743/2018; siehe zu diesem Fall auch die Revisionszurückweisung durch den VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0382).

 

Wie bereits oben ausgeführt, stützt sich die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts hier auf die Einschätzung von EASO aus Juni 2019, die damit auch aktueller als die Einschätzung des UNHCR vom November 2018 ist. Demzufolge besteht in Kabul keine derartige Situation, die eine innerstaatliche Fluchtalternative generell ausschließen würde, allerdings sind dabei etwaige gefahrenerhöhende individuelle Umstände zu berücksichtigen (S. 28ff, 101f). Bei Familien mit Kindern führt der EASO dazu aus: "In order to ensure their subsistence and access to basic services, it is relevant to assess the social and economic background of the family and the possibility to receive assistance by a support network. The best interests of the child shall be a primary consideration. The question of access to basic education should be assessed in relation to the general situation in the respective city, as well as the individual circumstances of the family. In general, IPA would not be reasonable for children in a family, if the family lacks sufficient financial means or a support network in the respective part of Afghanistan." (S. 36).

 

Bei gemeinsamer Betrachtung der UNCHR-Richtlinien und des EASO-Country-Guidance, die beide mit Indizwirkung ausgestattet sind, müssen bei Fehlen eines familiären Netzwerks vor Ort, das heißt am angenommenen Neuansiedlungsort, jedenfalls (das heißt wechselseitig kompensierend) - und insbesondere auch ausreichende - finanzielle Mittel vorhanden sein, um bei Familien mit Kindern eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar erscheinen zu lassen (VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0382).

 

Hier liegen vorliegend die in kombinierter Betrachtung der UNHCR-Richtlinien und des Berichts von EASO geforderten Umstände vor, um auch die Rückkehr einer Familie für zumutbar zu erachten. Einerseits leben in Kabul nämlich nicht nur Freunde und Bekannte, die sie bei einer Rückkehr unterstützen werden, sondern die BF kommen, wie bereits oben ausführlich dargestellt, aus einer finanziell wohlsituierten Familie, zu der auch nach wie vor Kontakt besteht und die sie bei einer Rückkehr zumindest finanziell unterstützen würden. Ebenfalls steht den minderjährigen BF dort eine Schulbildung zur Verfügung. Den BF steht darüber hinaus die Möglichkeit offen, so sie dort nicht wohnen wollen, ihr Haus und ihr Grundstück in Parwan zu verkaufen, sodass sie die dadurch gewonnen finanziellen Mittel zur Wiederansiedlung in Kabul nutzen könnten, sodass die größere Familie nicht die gesamten Lebenserhaltungskosten der siebenköpfigen Familie tragen muss. Darüber hinaus kann der BF seine Schulden eintreiben, scheint er auch Besitz in Kabul selbst zu haben und könnte sich gegebenenfalls - wie im Bundesgebiet - Geld für die Ansiedlung ausborgen. Da die BF damit sowohl über ausreichend finanzielle Mittel als auch über ein unterstützendes Netzwerk verfügen, ist den BF die innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul nach Meinung des EASO möglich und zumutbar.

 

Bei einer Gesamtschau aller oben genannten Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die BF bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten, von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Die Rückverbringung der BF nach Afghanistan steht somit nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG, weshalb das BFA den BF nach den genannten Bestimmungen den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu Recht nicht zuerkannt hat.

 

Zu den Spruchpunkten III. bis VI. der angefochtenen Bescheide:

 

II.3.2.4. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die BF befinden sich seit November 2015 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies auch weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet worden ist.

 

II.3.2.5. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die BF sind als Staatsangehöriger von Afghanistan keine begünstigter Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Die BF werden gemeinsam als Familie ausgewiesen, sodass sie insofern nicht in ihrem Recht auf Familienleben verletzt sind.

 

Aus folgenden Gründen handelt es sich auch nicht um einen unzulässigen Eingriff in das Privatleben der BF:

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylwerber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Die Dauer des Aufenthalts der BF seit November 2015 wird folglich dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste ihnen bewusst gewesen sein, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen können. Überdies ist der Aufenthalt auch keineswegs als derart lang zu bezeichnen, dass dieser ausreichend ins Gewicht fallen könnte. Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich genommen noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessensabwägung zu (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 mwN). Zudem war ihr Aufenthalt ab der erstinstanzlichen Ablehnung ihres Antrags auf internationalen Schutz durch das zuständige BFA im März 2018 illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115 , dies unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde (EuGH 19.06.2018, Gnandi, C-181/16 , Rn 59). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205).

 

Ist das Alter eines minderjährigen BF mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbunden, kann davon ausgegangen werden, dass für den minderjährigen BF der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat - nach der Rechtsprechung des EGMR, welcher dies in seiner Entscheidung vom 26.01.1999, Sarumi, 43.279/98, bei Kindern im Alter von sieben und elf Jahren als gegeben sah - nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. dazu VfGH 20.09.2012, U423/12 u.a.).

 

Führt die Überprüfung des Kriteriums nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG zu dem Ergebnis, dass ein Minderjähriger zum Heimatland keine oder nur mehr äußerst geringe Bindungen aufweist, wird das - vorausgesetzt, er ist unbescholten und hat in Österreich einen ausreichenden Grad an Integration erreicht - in der Regel dafür sprechen, ihm den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und zwar jedenfalls dann, wenn nicht - in zumutbarer Weise - erwartet werden kann, dass er sich im Falle einer Rückführung an die Verhältnisse im Heimatland, etwa das Erlernen der dortigen Sprache, den Aufbau neuer Kontakte, die Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung, usw., wieder anpassen kann. In einem solchen Fall kommt auch bei einer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich den fehlenden Bindungen der Minderjährigen zum Heimatstaat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung großes Gewicht zu (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 BFA-VG bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder beziehungsweise Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205).

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nun nicht, dass die BF durchaus Schritte zur Integration gesetzt haben, indem sie Deutsch- und Integrationskurse besucht und teilweise ehrenamtliche Tätigkeiten in ihrer Wohngemeinde geleistet haben. Gleichfalls verkennt das Bundesverwaltungsgericht auch nicht, dass der BF7 kaum Bindungen zu seinem Heimatland Afghanistan hat.

 

Demgegenüber steht jedoch, dass weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige - abgesehen von den im gegenständlichem Familienverfahren geführten Personen - in Österreich aufhältig sind. Auch ist zu berücksichtigen, dass die BF1 bis BF6 vor ihrer Flucht nach Österreich bereits lange in Afghanistan und kurzzeitig in Kabul gelebt haben und davon ausgegangen werden kann, dass sie mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten, der Kultur und auch der Sprache jedenfalls gut vertraut sind und über ein entsprechendes soziales Netz verfügen. Im Heimatland befinden sich überdies auch zahlreiche Familienangehörige. Auch mussten sie sich während der integrativen Leistungen ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich ständig bewusst sein. Überdies sind die BF kein Mitglied in einem Verein und gingen keiner Erwerbstätigkeit nach, sie bewegen sich im Wesentlichen - bis auf den Kurs- bzw. Schulbesuch der jeweils betroffenen BF - im Rahmen ihrer Familie. Alle BF leben von der Grundversorgung und sind deshalb aktuell nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Auch der VwGH hat zuletzt mehrmals festgehalten, dass bei vergleichbar langen Aufenthalten eine außergewöhnliche Konstellation vorliegen muss, um die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu rechtfertigen. Eine solche liegt etwa auch dann nicht vor, wenn der BF besondere Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und eines Lehrverhältnisses gezeigt hat, er keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und auch Anstrengungen zur sozialen Integration in seiner Heimatgemeinde unternommen hat. Alleine dadurch besteht noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass bereits von außergewöhnlichen Umständen gesprochen werden kann, sodass ihm schon unter diesem Gesichtspunkt ein Aufenthaltstitel aus den Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen wäre, zumal diesem das öffentliche Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenübersteht (VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058 mH auf VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, wonach eine Lehre in einem Mangelberuf nicht bereits ihrerseits als besonderes öffentliches Interesse zu berücksichtigen ist). Eine derartige Ausnahmesituation kann bei den BF bei weitem nicht gesehen werden, die außerhalb der Kurse und schulischen Aktivitäten keine besonderen Integrationsleistungen im sozialen Umfeld zeigten. Eine derart fortgeschrittene Integration, die für einen weiteren Verbleib der BF im Bundesgebiet sprechen, kann daher - weder bei einzelner Betrachtung der BF noch in Gesamtbetrachtung der Familie - nicht festgestellt werden.

 

Die minderjährigen BF sind zudem in einem anpassungsfähigen Alter bzw. haben sie trotz ihres Alters den Mittelpunkt in ihrer Familie, auch wenn nicht verkannt wird, dass sie durch den Schul- oder Kindergartenbesuch soziale Kontakte in Österreich knüpfen konnten. Es ist ihnen durch die Unterstützung ihrer Eltern und Geschwister im bestehenden Familienverband zumutbar, sich an die Gegebenheiten im Heimatland anzupassen und auch dort neue Kontakte zu knüpfen. Auch sie beherrschen zudem eine Landessprache Afghanistans und sind aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts in den prägenden Kinderund/oder Jugendjahren in Afghanistan beziehungsweise der BF7 durch seine Eltern und Geschwister mit der dortigen Kultur vertraut. Angesichts des kurzen Aufenthalts in Österreich und der zumindest bei den BF3 bis BF6 bereits vor der Einreise überwiegend stattgefundenen Sozialisierung im sprachlichen und kulturellem Sinne ist ihnen die Anpassung an jene Lebensverhältnisse, die im Herkunftsstaat herrschen und in denen sie teils auch bereits vor ihrer Ausreise gelebt haben, bei einer Rückkehr im Verbund mit ihrer gesamten Kernfamilie im konkreten Fall zumutbar.

 

Ebenso zu berücksichtigen ist, dass die BF - mit Ausnahme des BF7 - vor ihrer Flucht nach Österreich bereits in Afghanistan und kurzzeitig in Kabul gelebt haben und davon ausgegangen werden kann, dass sie mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten, der Kultur und auch der Sprache jedenfalls gut vertraut sind.

 

Der Umstand, dass die BF in Österreich nicht straffällig geworden sind, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Insgesamt betrachtet ist daher in einer Abwägung davon auszugehen, dass die Interessen der illegal eingereisten, nur aufgrund des gestellten Antrages auf internationalen Schutz aufenthaltsberechtigten BF an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig (vgl. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0142; 18.03.2010, 2010/22/0023).

 

II.3.2.6. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Dazu kann - zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd § 50 Abs. 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt - auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Beurteilung des subsidiären Schutzes, insbesondere zur (der Annahme einer einschlägigen Grundrechtsverletzung entgegenstehenden) innerstaatlichen Fluchtalternative verwiesen werden, da ein inhaltliches "Auseinanderfallen" der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG und der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgeschlossen ist (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, Rn 40 mwN).

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist zu Recht keine längere als die gesetzlich vorgesehene Frist festgelegt worden. Die Beschwerde war daher insgesamt als unbegründet abzuweisen.

 

II.3.3. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. zur Bedingung der "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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