BVwG W122 2198528-1

BVwGW122 2198528-122.5.2019

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W122.2198528.1.00

 

Spruch:

W122 2198528-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch das Land Oberösterreich, dieses vertreten durch Diakoniewerk Oberösterreich, Stifterstraße 120, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 14.05.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.05.2019 zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52 und 55 FPG 2005, als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen der am 07.01.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er mit seiner Familie vor dem Krieg nach Pakistan geflohen sei. Da seine Eltern in Pakistan aufgrund der instabilen Sicherheitslage ebenfalls verletzt worden seien, sei er alleine von dort geflohen.

 

3. Mit Beschluss des XXXX vom 04.05.2016 wurde das Land Oberösterreich in Teilbereichen mit der Obsorge des minderjährigen BF betraut und erteilte am 21.07.2016 der XXXX die Vollmacht, den BF in asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren zu vertreten.

 

4. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") am 17.04.2018 legte der BF ein Konvolut an Unterlagen, neben der Kopie einer Tazkira, Schulzeugnisse sowie Schreiben eines Fußballklubs und der Freiwilligen Feuerwehr, vor. Der BF gab an, dass er in beiden Organisationen Mitglied sei. Des Weiteren legte er noch zahlreiche Fotos, die ihn bei der Ausübung von Freizeitaktivitäten zeigen, vor. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er aus, dass seine Familie ihn aus Pakistan weggeschickt hätte, weil dort auch Krieg herrsche und sein Vater bei einem Bombenangriff verletzt worden sei. In Afghanistan sei er in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX , in der Stadt XXXX aufgewachsen, aber nie in die Schule gegangen. In seinem Heimatland habe er keine Verwandten mehr. In Afghanistan hätten die Taliban seine Mutter aufgefordert, dass sie ihre Söhne außer Haus schicken solle. Da sie dies nicht getan habe, sei eine Bombe vor dem Haus explodiert. Danach habe die Familie Afghanistan verlassen und sei nach Pakistan gezogen. Die Divergenz zu den Angaben in der Erstbefragung begründete der BF dahingehend, dass die Dolmetscherin aus dem Iran gekommen sei.

 

5. Mit Stellungnahme vom 23.04.2018 berief sich die gesetzliche Vertretung des BF auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan und die Risikoprofile der UNHCR-Richtlinie, insbesondere in Zusammenschau mit der Minderjährigkeit des BF.

 

6. In einem auf eine Untersuchung vom 26.04.2018 basierenden Altersfeststellungsgutachten wurde der spätest mögliche Zeitpunkt für die Erreichung des 18. Geburtstages mit 25.04.2021 festgelegt.

 

7. Mit Bescheid vom 14.05.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass das Vorbingen nicht glaubwürdig gewesen sei. Zur vorgebrachten Bedrohung habe der BF keine genauen Angaben machen können. Zeuge einer tatsächlichen Bedrohung durch die Taliban sei er nicht gewesen. Gegen eine Glaubwürdigkeit des BF würde auch sprechen, dass er sich eines kriminellen Schleppers bedient habe, um in sein Zielland Österreich zu gelangen, ebenso habe der BF widersprüchliche Angaben zum Verlassen des Heimatlandes getätigt.

 

8. Mit Verfahrensanordnung vom 15.05.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der ARGE-Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 15.05.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

 

9. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 13.06.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass in Bezug auf das Vorbringen des BF zu berücksichtigen gewesen wäre, dass der BF nur mehr wenige Erinnerungen an Afghanistan habe und er nach wie vor minderjährig sei. Im Übrigen dürfe auch der Widerspruch aus der Erstbefragung nicht herangezogen werden, zumal man sich in dieser nur sehr kurz zum Fluchtgrund äußern könne. Ebenso habe die Behörde keine ausreichenden Ermittlungen zu einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara gemacht. Ebenso seien die Ermittlungen zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unzureichend gewesen.

 

10. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 13.06.2018 vom BFA vorgelegt.

 

11. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 02.05.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine gesetzliche sowie rechtfreundliche Vertretung, persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

Zu Beginn wurde der BF über sein Geburtsdatum gefragt, wobei er sich nicht erklären könne, warum ihm seine Mutter damals ein anderes Datum gesagt habe, als dieses, das in der Kopie seiner Tazkira vermerkt sei. Er stamme aus dem Distrikt XXXX in der der Provinz Ghazni und sei Hazara sowie schiitischer Moslem. Ob er diesbezüglich Probleme habe, beantwortete er dahingehend, dass er gehört habe, dass Schiiten in Afghanistan umgebracht werden würden. Seine Eltern würden in Pakistan leben. Über deren wirtschaftliche Situation könne er keine genauen Angaben machen. Sie würden aber Handy besitzen, da er mit ihnen diesbezüglich in Kontakt treten könne. Wo sich seine anderen Verwandten aufhalten würden, wisse er nicht. Er habe in Afghanistan keine Schule besucht, jedoch sei er in Pakistan vier Jahre in die Schule gegangen. In Österreich mache er den Pflichtschulabschluss und habe daher auch gute Deutschkenntnisse. Er würde Fußball spielen und zur Feuerwehr gehen, jedoch könne er seit März 2019 diese Aktivitäten aufgrund einer Knieverletzung nicht mehr wahrnehmen. Er sei in Österreich nicht verurteilt und lebe von dem Geld, das ihm das Heim wöchentlich zukommen lasse.

 

Wann er mit seiner Familie Afghanistan verlassen habe, wisse er nicht mehr. Zu seinem Fluchtgrund gefragt, führte der BF aus, dass die Taliban zu seiner Mutter gekommen seien und nach kleinen Kindern gefragt hätten. Danach sei etwas explodiert und habe seine Mutter am Fuß verletzt. Dies sei der Auslöser für die Flucht der Familie nach Pakistan gewesen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan hätte er mangels sozialer Anknüpfungspunkte keine Zukunft. In Österreich habe er aber eine. Er habe hier 2,5 Jahre bei einer Pflegefamilie gelebt. Diese habe er aber verlassen, weil ihm die Freizeit wichtiger gewesen sei, als das Mitarbeiten auf dem Bauernhof. Er habe sich aber bemüht sich zu integrieren und so möchte er nach dem Ausheilen seiner Sehnenverletzung wieder Fußball spielen und zur Feuerwehr. Seine rechtsfreundliche Vertretung gab zu Protokoll, dass der eine Wiederansiedlung in Afghanistan aufgrund seiner Minderjährigkeit, der fehlenden sozialen Kontakte und der Ermangelung einer Berufsausbildung sehr schwierig sei. Im Übrigen käme der BF nun in ein wehrfähiges Alter, sodass man auch die Zwangsrekrutierung berücksichtigen müsse. Des Weiteren trage er einen Ohrring und habe ein Tattoo, sodass er als verwestlicht angesehen werden müsse.

 

Danach erfolgte die mündliche Verkündung des vollabweisenden Erkenntnisses.

 

12. Mit Schriftsatz vom 09.05.2019 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung des BF fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

 

13. Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

 

* Zahlreiche Schulnachrichten, Schulbesuchsbestätigungen sowie ein Jahreszeugnis

 

* Referenzschreiben eines Fußballvereins und der Freiwilligen Feuerwehr

 

* Unterstützungsschreiben der Gemeinde XXXX

 

* Ausweisbuch der Freiwilligen Feuerwehr

 

* Zahlreiche Fotos, die den BF bei der Ausübung von Freizeitaktivitäten zeigen

 

* Kopie einer Tazkria

 

* Stellungnahme einer Neuen Mittelschule

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

 

1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:

 

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am Jahr XXXX alias XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islams zugehörig. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

 

Der BF wurde nach seinen Angaben in der Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , Stadt XXXX geboren. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat im Kindesalter mit seiner Familie Afghanistan verlassen und ist mit dieser nach Pakistan gezogen, wo seine Familie heute noch aufhältig ist. Die wirtschaftliche Situation der Familie in Pakistan ist durchschnittlich.

 

Der BF ist in Österreich unbescholten. Nach seinen eigenen Angaben ist er in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

 

Der BF ist von Pakistan über den Iran und die Türkei nach Europa gereist, wo Österreich sein Zielland war.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Der BF stellte am 26.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass in Afghanistan Krieg herrsche und er mit seiner Familie nach Pakistan geflohen sei. Dort seien seine Eltern aufgrund der schlechten Sicherheitslage verletzt worden, sodass er Pakistan alleine verlassen habe. Im Laufe des Verfahrens führte der BF aus, dass seine Familie Afghanistan verlassen habe, weil die Taliban bei seiner Mutter nach kleinen Kindern gefragt hätten und es danach bei ihrem Wohnhaus zu einer Explosion gekommen sei.

 

Festgestellt wird, dass der BF nicht einer landesweiten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF an Orten wie Mazar-e Sharif oder Herat von diesen aufgesucht wird.

 

Es kann festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

 

Der BF stammt aus einer volatilen Provinz. Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

 

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung, auch wenn der BF bis zu seiner Ausreise weder in Mazar-e Sharif noch in Herat gelebt hat. Der BF kann sowohl Mazar-e Sharif als auch Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

 

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; er ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

 

Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem verfügt der BF über eine profunde Schulbildung und Sprachkenntnisse von zumindest einer in Afghanistan gesprochenen Sprache.

 

Der BF hat die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

 

In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat beim Aufbau einer Existenzgrundlage von Familienangehörigen bzw. sonstigen Personen nicht unterstützt wird.

 

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

 

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut hat in seinem Herkunftsland jahrelang gelebt und ist danach in Pakistan in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen.

 

1.4. Zum Leben in Österreich:

 

Der BF hält sich seit Dezember 2015 in Österreich auf.

 

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich.

 

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z. B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF Mitglied in einem Fußballverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr.

 

Der BF besucht die Neue Mittelschule und bereitet sich auf den Pflichtschulabschluss vor. Er ist daher in der Lage, im Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Er betreibt in seiner Freizeit Sport, insbesondere Fußball und Boxen.

 

Der BF war bisher in Österreich nicht erwerbstätig und ist strafrechtlich unbescholten. Der BF lebt von der Grundversorgung und ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

1.5.1 KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl

 

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend.

 

Überflutungen und Dürre

 

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

 

Friedensgespräche

 

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

 

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

 

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

 

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

 

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere

 

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunkt des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

 

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

 

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

 

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

 

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

 

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

 

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

 

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

 

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

 

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

 

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern

 

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

 

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

 

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan

 

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

 

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptstädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

 

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

 

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

 

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan

 

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

 

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

 

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

 

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

 

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

 

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

 

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

 

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

 

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

 

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).

 

KI vom 22.08.2018

 

Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018

 

Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen kam. Es wurden insgesamt 149 Personen freigelassen, während sich die restlichen 21 weiterhin in der Gewalt der Taliban befinden (IFQ 20.8.2018). Grund für die Entführung war die Suche nach Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte bzw. Beamten (IFQ 20.8.2018; vgl. BBC 20.8.2018). Die Entführung erfolgte nach dem von Präsident Ashraf Ghani angekündigten Waffenstillstand, der vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 gehen sollte und jedoch von den Taliban zurückgewiesen wurde (Reuters 20.8.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018).

 

IS-Angriff auf die Mawoud Akademie in Kabul 15.8.2018

 

Ein Selbstmordattentäter sprengte sich am Nachmittag des 15.8.2018 in einem privaten Bildungszentrum im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi, dessen Bewohner mehrheitlich Schiiten sind, in die Luft (NZZ 16.8.2018; vgl. BBC 15.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Detonation hatte 34 Tote und 56 Verletzte zur Folge (Reuters 16.8.2018a; vgl. NZZ 16.8.2018, Repubblica 15.8.2018). Die Mehrheit der Opfer waren Studentinnen und Studenten, die sich an der Mawoud Akademie für die Universitätsaufnahmeprüfungen vorbereiteten (Reuters 16.8.2018b; vgl. RFE/RL 17.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Vorfall (RFE/RL 17.8.2018; vgl. Reuters 16.8.2018b).

 

Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab

 

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet (Repubblica 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden (AB 15.8.2018; vgl. Xinhua 15.8.2018). Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (DS 13.8.2018; vgl. ANSA 13.8.2018).

 

Am 15.8.2018 verübten die Taliban einen Angriff auf einen Militärposten in der nördlichen Provinz Baghlan, wobei ca. 40 Sicherheitskräfte getötet wurden (AJ 15.8.2018; vgl. Repubblica 15.8.2018, BZ 15.8.2018).

 

Auch im Distrikt Ghormach der Provinz Faryab wurde gekämpft: Die Taliban griffen zwischen 12.8.2018 und 13.8.2018 einen Stützpunkt des afghanischen Militärs, bekannt als Camp Chinaya, an und töteten ca. 17 Mitglieder der Sicherheitskräfte (ANSA 14.8.2018; vgl. CBS 14.8.2018, Tolonews 12.8.2018). Quellen zufolge kapitulierten die Sicherheitskräfte nach dreitägigen Kämpfen und ergaben sich den Aufständischen (CBS 14.8.2018; vgl. ANSA 14.8.2018).

 

IS-Angriff auf schiitische Moschee in Gardez-Stadt in Paktia 3.8.2018

 

Am Freitag, dem 3.8.2018, kamen bei einem Selbstmordanschlag innerhalb der schiitischen Moschee Khawaja Hassan in Gardez-Stadt in der Provinz Paktia, 39 Personen ums Leben und weitere 80 wurden verletzt (SI 4.8.2018; vgl. Reuters 3.8.2018, FAZ 3.8.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag (SI 4.8.2018).

 

IS-Angriff vor dem Flughafen in Kabul 22.7.2018

 

Am Sonntag, dem 22.7.2018, fand ein Selbstmordanschlag vor dem Haupteingangstor des Kabuler Flughafens statt. Der Attentäter sprengte sich in die Luft, kurz nachdem der afghanische Vizepräsident Rashid Dostum von einem einjährigen Aufenthalt in der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt und mit seinem Konvoi vom Flughafen abgefahren war (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018). Es kamen ca. 23 Personen ums Leben und 107 wurden verletzt (ZO 15.8.2018; vgl. France24). Der Islamische Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (AJ 23.7.2018; vgl. Reuters 23.7.2018).

 

1.5.2 Allgemeine Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

 

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

 

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

 

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

 

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

 

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

 

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

 

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

 

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

 

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

 

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

 

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

 

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

 

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

 

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

 

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

 

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

 

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

 

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

 

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

 

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

 

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

 

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

 

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

 

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

 

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

 

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

 

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

 

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

 

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

 

Zivilist/innen

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

 

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

 

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zur Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

 

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

 

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

 

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

 

Al-Qaida

 

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

 

Drogenanbau

 

In den Jahren 2016 - 2017 haben sich die Flächen zum Mohnanbau für Opium um 63% vergrößert und kommen nun auf 328.000 Hektar; insgesamt verstärkte sich die Opiumproduktion um 87% und damit auf 9.000 metrische Tonnen - die größte Menge in der afghanischen Geschichte. Die stärkste Expansion der Mohanbauflächen war in der Provinz Helmand zu verzeichnen, die als Zentrum der Opiumproduktion erachtet wird: eine Fläche von 144.000 Hektar ist dort dem Mohnanbau gewidmet. Der Mohnanbau hat sich landesweit verstärkt, auch in nördlichen Provinzen, wie z.B. Balkh und Jawzjan (UNODC 11.2017).

 

Unterstützt von ihren internationalen Partnern führt die afghanische Regierung weiterhin Operationen zur Drogenbekämpfung durch. Im gesamten Jahr 2017 wurden von afghanischen Exekutivbehörden 445 solcher Einsätze durchgeführt. Beschlagnahmt wurden dabei: 391kg Heroin, 31kg Morphium, 8.141kg Opium, 2 kg Methamphitamine, 38.547 kg Haschisch, 1.256 kg fester Vorläuferchemikalien, 1.437 flüssige Vorläuferchemikalien und 1.590 Tabletten synthetischer Drogen (MDMA - 3,4-methylenedioxymethamphetamine); diese Beschlagnahmungen führten zu 531 Verhaftungen. Die beschlagnahmte Menge an Opiaten ist die höchste registrierte Menge seit dem Jahr 2012. Auch hat sich der Preis für Opium erheblich reduziert (-41%), was mit einer großen Ernte in Verbindung gebracht wird; reduziert hat sich auch der Heroinpreis (-7%) (UNGASC 27.2.2018).

 

Im letztem Quartal 2017 wurden 750 Hektar Mohnanbauflächen in den Provinzen Nangarhar, Kandahar, Badakhshan, Balkh, Kunar, Kapisa, Laghman, Ghor, Herat, Badghis, Nimroz, Takhar, und Kabul vernichtet. Der UN zufolge wurden in den letzten drei Jahren in den nördlichen Regionen keine Mohnanbauflächen vernichtet, außer in den Provinzen Sar-e Pul und Balkh im Jahr 2017 - wo insgesamt 25 Hektar zerstört wurden. Ebenso wurden im Jahr 2017 im Süden des Landes keine Mohnanbauflächen zerstört; die Ausnahme bildet Kandahar - dort wurden 48 Hektar zerstört (SIGAR 30.1.2018).

 

1.5.3 Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF (Ghazni)

 

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

 

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

 

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

 

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

 

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Ghazni

 

Militärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018,

 

Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

 

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

 

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

 

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

 

1.5.4 Sicherheitslage in der Provinz Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

1.5.5 Sicherheitslage in der Provinz Balkh bzw. in der Stadt Mazar-e Sharif

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

1.5.6 Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

 

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

 

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

 

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

 

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

 

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

 

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

 

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

 

1.5.7 Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

 

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Blutrache und Blutfehde

 

Ehre und Vergeltung bei Ehrverletzungen (badal) spielen zentrale Rolle im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali). Eine Blutfehde besteht zwischen zwei Familien, wobei Mitglieder der einen Familie solche der anderen zur Vergeltung einer Tat töten. Die Blutrache sei hauptsächlich eine paschtunische Tradition und im paschtunischen Ehrenkodex (Paschtunwali) verankert, werde aber auch von anderen ethnischen Gruppen praktiziert. Auslöser einer Blutfehde könne ein Mord oder eine ungelöste Streitigkeit sein.

 

Das dabei geltende Prinzip des badal entspreche dem qesas/quisas-Prinzip der Scharia. Die Verantwortung für die Bestrafung von immoralischem Verhalten wie Diebstahl, Vergewaltigung oder Mord liege nicht bei der Gemeinschaft, sondern beim Opfer, und Rache sei eine akzeptable Reaktion. Die Grenzen der Legitimität der Rache würden durch lokale Traditionen, die öffentliche Meinung und den Paschtunwali bestimmt. Wird keine Rache ausgeübt, könne dies als moralische Schwäche ausgelegt werden, die auf ganze Familienverbände bezogen werden könne. Sowohl das Anzeigen eines Mordes bei den staatlichen Behörden als auch Verhandlungen über finanzielle Entschädigung mit der Täterfamilie können als Schwäche und als Zeichen ausgelegt werden, dass die Familie nicht stark genug ist, ihre Ehre zu verteidigen. Der Familienverband des Opfers habe eine kollektive Verantwortung, Vergeltung zu üben und die Ehre wiederherzustellen. Laut Angaben eines Vertreters der Peace Training & Research Organization (PTRO) in Kabul gegenüber der SFH vom 1. Juni 2017 ist die Ausübung von Vergeltung auch ein Signal an andere, dass die betroffene Familie stark ist und sich verteidigen kann. Dies gelte unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.

 

Blutrache wird überall in Afghanistan sowie von und zwischen allen Volksgruppen praktiziert. Blutrache kann auch nach Jahren oder Jahrzehnten ausgeübt werden. Eine Blutrache zielt hauptsächlich auf diejenige Person ab, die einer Tat wie beispielsweise eines Mordes bezichtigt wird, unabhängig von ihrem Alter. Unter bestimmten Bedingungen kann aber auch die Tötung des Bruders des Täters oder eines anderen Verwandten der väterlichen Linie eine Alternative darstellen.

 

Staatliche Prozesse und traditionelle Bräuche wie Blutrache laufen unabhängig voneinander ab; ein Urteil eines staatlichen Gerichts beendet eine Blutrache nicht. Eine Blutrache könne durch die Tötung einer Person beendet werden, wobei eine solche Tötung andererseits auch einen neuen Racheakt der Gegenseite auslösen könne. Üblicherweise ende eine Blutrache, wenn beide Seiten einer förmlichen Beendigung durch einen Versöhnungsprozess zustimmten, bei dem Blutgeld gezahlt würde. Eine lokale Gemeinschaft betrachte eine Tötung aus Rache, die durch die Tradition legitimiert ist, nicht als ein Verbrechen.

 

Staatliche Institutionen bieten kaum Schutz vor Blutrache. Der Zugang zu staatlichem Schutz hängt von finanziellen Mitteln und vom Einfluss der betroffenen Familie ab. Schwache rechtsstaatliche Strukturen und eine sehr weit verbreitete Korruption bedingen vielfach eine Kultur der Straflosigkeit. Staatliche Behörden und Institutionen einschließlich Polizei und Justiz sind auf allen Ebenen von Korruption betroffen. Wenn die Familie für genügend bedeutend erachtet würde oder ausreichende Bestechungsgelder zahlen könne, könnten die Behörden sich unter Umständen für den Fall interessieren. Generell könne die Polizei von einer Blutrache betroffene Personen jedoch nicht wirksam schützen.

 

1.5.8. Kinder

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5 .2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

 

Bildungssystem in Afghanistan

 

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

 

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UN- Organisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9 .2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9 .2016; vgl. CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).

 

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

 

Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein (AA 5 .2018). Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuchs im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen (MoJ 15.5.2017; vgl. LSE 24.1.2018).

 

Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. AA 9 .2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. AA 5 .2018). Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (TAD 9.3.2017). Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (AA 5 .2018).

 

Kinderarbeit

 

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 20.4.2018).

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert (AA 5 .2018; vgl. UNTC 9.4.2018). Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten (AA 5 .2018). Berichten zufolge arbeiten mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder (IRC 15.2.2018; vgl. FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen (AA 5 .2018; vgl. IDMC 1.2018). Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen (AA 5 .2018). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5 .2018).

 

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem (USDOS 20.4.2018; vgl. IRC 15.2.2018, FEWS NET 29.3.2018, IDMC 1.2018). Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt (USDOS 20.4.2018).

 

Strafverfolgung von Kindern

 

Das Gesetz besagt, dass die Festnahme eines Kindes als letztes Mittel und so kurz wie möglich vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kindern in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquater Verpflegung, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Festgenommenen Kindern werden oftmals Grundrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe sowie das Recht, nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor; wegen limitierter Ressourcen sind spezielle Jugendgerichte nur in sechs Gebieten funktionsfähig:

Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. Im afghanischen Strafjustizsystem sind Kinder oftmals eher die Opfer als die Täter (USDOS 20.4.2018).

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9 .2016). Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5 .2018).

 

Rekrutierung von Kindern

 

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet (USDOS 20.4.2018).

 

Waisenhäuser

 

Die Lebensbedingungen für Kinder in Waisenhäusern sind schlecht. Berichten zufolge sind 80% der Kinder zwischen vier und 18 Jahren in den Waisenhäusern keine Waisenkinder, sondern stammen aus Familien, die nicht die Möglichkeit haben, für Nahrung, Unterkunft und Schulbildung

 

zu sorgen. Quellen zufolge werden Kinder in Waisenhäusern mental, physisch und sexuell misshandelt; auch sind sie manchmal Menschenhandel ausgesetzt. Der Zugang zu fließendem Wasser, Heizung, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung, Freizeiteinrichtungen und Bildung wird nicht regelmäßig gewährleistet (USDOS 20.4.2018).

 

1.5.8.1. Rekrutierung von Kindern

 

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet (USDOS 20.4.2018).

 

Auszug aus der Landinfo-Arbeitsübersetzung betreffend Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017:

 

Rekrutierung von Minderjährigen

 

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Junge und Mann fließend; ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit, die erweiterte Familie zu repräsentieren. Welchen Status jemand auf der Skala vom Kind zum Erwachsenen innehat und zu welchem Zeitpunkt erwachsenes Verhalten erwartet wird, entspricht im Regelfall weder den nationalen afghanischen Gesetzen noch dem Völkerrecht. Diese Tatsache, gepaart mit der demografischen Zusammensetzung, wirtschaftlichen, politischen und anderen kulturellen Gegebenheiten führt im Ergebnis dazu, dass bewaffnete Soldaten in verschiedenen Gruppen die im Völkerrecht festgelegten Altersgrenzen unterschreiten können. In der überwiegenden Mehrzahl aller Kontexte ziehen Afghanen bei der Beurteilung von Status, Stellung und Reife einer Person nur in geringem Ausmaß formelle und rechtliche Bestimmungen heran.

 

Wie bereits erwähnt, ist die erweiterte Familie die tonangebende gesellschaftliche Institution und bildet den Rahmen für die Familienmitglieder. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Gespräch mit einer NGO, Kabul 2016).

 

Die Haltung der Taliban

 

Artikel 69 der Layha (Gesetzeskodex der Taliban) besagt, dass "Jugendliche" (deren Bärte aufgrund ihres Alters nicht sichtbar sind) von den Mudschaheddin nicht in Wohn- und Militärzentren untergebracht werden dürfen (Clark 2011, S. 12).

 

Auch wenn die Taliban regelmäßig abstreiten, dass die Organisation Minderjährige ("Kinder und Jugendliche") im Zusammenhang mit sogenannten dschihadistischen Operationen einsetzt, sind diese Richtlinien offensichtlich willkürlich. Entscheidend ist die Beurteilung durch den einzelnen Kommandanten. In der Praxis ist es die lokale Norm, die den Ausschlag gibt, wann jemand als reif und unabhängig gilt, nicht das tatsächliche Alter.

 

Ausmaß der Rekrutierung von Minderjährigen

 

Minderjährige werden zweifellos rekrutiert, allerdings lässt sich das Ausmaß schwer abschätzen und es bestehen vermutlich größere Abweichungen von Ort zu Ort. Da die Taliban nun vermehrt auf militärische Erfahrung und Expertise setzen, kann davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der rekrutierten Minderjährigen rückläufig ist.

 

Nach einem Bericht des VN-Generalsekretärs ist belegt, dass im Jahr 2016 91 Kinder in Afghanistan rekrutiert wurden. Diese Zahl bezieht sich auf alle Konfliktparteien, inklusive der afghanischen Sicherheitskräfte. Die meisten, so der Generalsekretär, werden durch die bewaffnete Opposition rekrutiert (VN-Generalsekretär 2017, S. 6). Nach einem Bericht des VN-Generalsekretärs über Kinder und bewaffnete Konflikte in Afghanistan (VN-Sicherheitsrat 2015, S. 5) ist die Rekrutierung von 560 Minderjährigen im Zeitraum 2010 bis 2014 für bewaffnete Operationen oder für andere Dienste für eine der bewaffneten Gruppierungen des Landes dokumentiert. Dies betrifft Minderjährige, die in Unterstützungsfunktionen tätig waren, als auch solche, die für aktive Kampfhandlungen eingesetzt wurden - Angaben bezüglich deren Aufteilung bzw. Alter liegen nicht vor. Nach Angaben des VN-Generalsekretärs wurden viele eingesetzt, um improvisierte Sprengkörper zu transportieren und zu verlegen. In diesem Vierjahreszeitraum registrierte die UNO 20 Fälle von Selbstmordanschlägen durch Minderjährige.

 

Die Traditionen und Normen im Kontext organisierter Gewalt legitimieren nach dem Verständnis von Landinfo die Mobilisierung von Personen unter 18 Jahren. Nach Einschätzung von Landinfo liegt die Zahl der in dieser Alterskategorie mobilisierten Personen vermutlich wesentlich höher, als es die begrenzte Anzahl der berichteten Fälle nahelegt. Für Landinfo liegt es klar auf der Hand, dass Menschen unter Verstoß gegen internationale Gesetze von allen bewaffneten Gruppen in Afghanistan rekrutiert und mobilisiert werden, sowohl durch die bewaffnete Opposition als auch die verschiedenen privaten Gruppen, die mit den Behörden kooperieren, die sogenannten regierungsfreundlichen Milizen. Bei den Sicherheitskräften gibt es verstärkte Kontrollen, die verhindern sollen, dass unter 18-Jährige rekrutiert werden, doch kommt es allem Anschein noch immer zu einer Rekrutierung von Minderjährigen durch die Sicherheitskräfte der Regierung. Der Dolmetscher Faizullah Moradi arbeitete für die norwegischen Kräfte in Afghanistan. Er erklärte gegenüber der Zeitung VG, dass er noch vor Erreichen des 18. Lebensjahrs als Dolmetscher eingestellt wurde, da er falsche Angaben bezüglich seines Alter gemacht und gefälschte Personaldokumente vorgewiesen hatte (Ege & Widerø 2014). Daraus ist ersichtlich, wie schwierig es ist, strenge Altersbestimmungen im Kontext Afghanistans umzusetzen.

 

Im Februar 2016 berichtete Human Rights Watch (HRW), "die Streitkräfte der Taliban haben seit Mitte 2015 unter Verstoß gegen das internationale Verbot des Einsatzes von Kindersoldaten unzählige Kinder in ihren Reihen aufgenommen". Eine Sprecherin der Organisation behauptete, die Taliban hätten Dreizehnjährige (und jünger) in den Madrassen von Kunduz, Takhar und Badakhshan rekrutiert. Aus Chahardara, einem Distrikt in Kunduz, seien im Jahr 2015 mehr als 100 Kinder rekrutiert worden. HRW meldete auch, dass die Taliban Ausbildungszentren in Kunduz eingerichtet hätten. Als Quelle für HRW fungierten unter anderem Verwandte von 13 der rekrutierten Kinder und Bewohner des Distrikts Chahardara von Kunduz (HRW 2016).

 

In einem Sonderbericht aus 2015 erklärte UNAMA, man sei im Besitz von "schlüssigen, glaubwürdigen Informationen, denen zufolge die Taliban während des Angriffs auf Kunduz eine große Anzahl an Kindersoldaten eingesetzt hätten" (UNAMA 2015). Zabihullah Mujahid, ein Sprecher der Taliban, wies diese Anschuldigungen in einer offiziellen Erklärung mit dem Hinweis zurück, dass die Rekrutierung von Kindern bei den Taliban strengstens verboten sei (Jolly 2016).

 

Demhingegen merkt Landinfo an, dass die Operation in der Stadt Kunduz im September/Oktober 2015 einen großen Propagandaeffekt hatte und für die Taliban von symbolischer Bedeutung war. Aus militärstrategischer Sicht handelte es sich dabei um eine militärisch komplexe und höchst offensive Aktion. Bedenkt man, dass die Streitkräfte der Taliban spezialisierter und professioneller geworden sind, mutet der Einsatz von relativ unerfahrenen Kindern in diesem Kontext eher ungewöhnlich an. Gleichzeitig war die Lage in Kunduz sehr chaotisch und entfaltete rasch eine Eigendynamik. Die Offensive wurde von der obersten Führung der Taliban eingeleitet, kurz danach schlossen sich jedoch neue Akteure an, nämlich lokale bewaffnete Gruppen und Milizen. Diese Gruppen unterstanden nicht dem Kommando irgendeiner der Parteien und sie waren massiv an Einbrüchen in Banken, Geschäfte, NGOs und öffentliche Ämter beteiligt (siehe zum Beispiel Landinfo 2015). Es ist möglich, dass Kinder in diesem Kontext eingesetzt wurden.

 

Ein Mitarbeiter einer NGO (NGO A, Gespräch in Kabul, Mai 2017) aus einem Distrikt in Kunduz behauptete, die Taliban hätten bezüglich Rekrutierung anscheinend eine langfristige Strategie und Perspektive. In der Provinz Kunduz werden große Madrassen mit einer Vielzahl von Studierenden eingerichtet. In einigen Jahren werden die Jungen dieser Madrassen Teil des Rekrutierungsreservoirs der Taliban bilden. Es wurde von Fällen berichtet, in denen sich Kinder freiwillig den Taliban angeschlossen hätten; wenn sie jedoch ihre Meinung ändern und die Bewegung verlassen wollen, können sie von den Taliban daran gehindert werden (HRW 2016).

 

Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren

 

Ein geregeltes Urkundenwesen ist der afghanischen Gesellschaft de facto fremd, viele Menschen wissen nicht genau, wie alt sie sind. Nach dem Wissensstand von Landinfo über die Rekrutierung von Minderjährigen kann man davon ausgehen, dass die Mehrzahl zwischen 15 und 18 Jahre alt ist. Diejenigen, die den Taliban eingegliedert werden, werden vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird. Die Rekrutierung für die staatlichen Sicherheitskräfte ebenso wie für die bewaffnete Opposition (einschließlich der Taliban) ist nach Dafürhalten von Landinfo vor allem Ausdruck der strukturellen Gegebenheiten, die sich auf Entscheidungen auswirken, und kein faktischer Zwang seitens irgendeiner der beteiligten Parteien. Wie erwähnt, sind in vielen Gebieten bewaffnete Gruppen bzw. der Dienst für irgendeine der Konfliktparteien für junge Menschen die einzige Erwerbsmöglichkeit und Karrierechance.

 

Kinder unter 15 Jahren

 

Das humanitäre Völkerrecht bzw. das Kriegsrecht untersagt den Akteuren in einem bewaffneten Konflikt, Kinder unter 15 Jahren zu rekrutieren oder einzusetzen. Die Mobilisierung von Kindern unter 15 Jahren gilt nach dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) als ein Kriegsverbrechen.

 

Artikel 38, Absatz 2 und 3 der VN-Konvention über die Rechte des Kindes (siehe Barne-og familiedepartementet 2003) lautet wie folgt:

 

2. Die Vertragsstaaten treffen alle durchführbaren Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen.

 

3. Die Vertragsstaaten nehmen davon Abstand, Personen, die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu ihren Streitkräften einzuziehen. Werden Personen zu den Streitkräften eingezogen, die zwar das fünfzehnte nicht aber das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, so bemühen sich die Vertragsstaaten, vorrangig die jeweils ältesten einzuziehen.

 

Einigen Berichten zufolge sollen Kinder unter 15 Jahren Selbstmordanschläge verübt haben. Nach einem Bericht des VN-Generalsekretärs verübte ein 14-Jähriger im Februar 2014 einen Selbstmordanschlag in der Provinz Paktika (VN-Generalsekretär 2015, S. 6). In einem Gespräch mit Landinfo behauptete eine VN-Quelle (VN-Quelle A, April 2016), dass Kinder im Alter von nur 10-12 Jahren von den Taliban rekrutiert wurden. Nach Berichten des Nachrichtenmediums TOLO News soll es einem 12-jährigen Jungen, der 2015 einen Selbstmordanschlag in Faryab verüben hätte sollen, gelungen sein, vom Stützpunkt der Taliban zu entkommen. Der Vater des Jungen hatte seinen Sohn angeblich für AFN 700,000 (ca. USD 10,000) verkauft (TOLO News 2015). Im Jahr 2014 hätten drei Kinder im Alter von sechs, acht und zehn Jahren einen selbstgebauten Sprengkörper in einem Schubkarren transportieren sollen. Es kam zu einer Detonation, zwei der drei Kinder starben, eines wurde verletzt (VN-Generalsekretär 2015, S. 6). Der am häufigsten berichtete Einzelfall in den vergangenen Jahren datiert aus der Zeit der Aktionen der Taliban in der Stadt Kunduz im Jahr 2015. Dort sollen einige Minderjährige unter 15 Jahren dem Vernehmen nach von den Taliban mobilisiert worden sein (UNAMA 2015, S. 18).

 

Was über die Rekrutierung von Soldaten unter 15 Jahren dokumentiert ist, sowohl für die Taliban als auch für andere Gruppen, ist nahezu gänzlich anekdotisch. Wenig deutet darauf hin, dass die Taliban ihre Aktivitäten solcherart organisieren, dass eine große Anzahl von Personen unter 15 Jahren für die Teilnahme an militärischen Tätigkeiten und Kampfhandlungen rekrutiert wird.

 

Die geschilderten Erfahrungen und Eindrücke von Landinfo decken sich mit denen des UNHCR und mehreren der angeführten Quellen; nahezu alle unabhängigen militärischen Akteure mobilisieren Personen unter 18 Jahren. Auch wenn es kein repräsentatives Zahlenmaterial gibt, ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Mehrzahl der Mobilisierten zwischen 15 und 18 Jahre alt ist. Auch ist es richtig, dass viele von ihnen nach lokalen Standards als Erwachsene gelten. Unter Berücksichtigung der sogenannten verifizierten Fälle dürfte die Dunkelziffer vermutlich hoch sein.

 

1.5.9. Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

1.5.10 Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).

 

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

 

* Ali Abad Krankenhaus: Kart-e Sakhi, Jamal Mina, Kabul University

Road, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2510 355 (KUMS o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Antani Krankenhaus für Infektionskrankheiten: Salan Watt, District 2, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2201 372 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Ataturk Kinderkrankenhaus: Behild Aliabaad (in der Nähe von der Kabul University), District 3, Kabul, Tel.: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.a, MoPH 11.2012)

 

* Istiqlal/Esteqlal Krankenhaus: District 6, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500674 (LN o.D.; vgl. AB 20.1.2016, MoPH 11.2012)

 

* Ibne Sina Notfallkrankenhaus: Pull Artal, District 1, Kabul, Tel.:

+93 (0)202100359 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.b, MoPH 11.2012)

 

* Jamhoriat Krankenhaus: Ministry of Interior Road, Sidarat Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375 (LN o.D.; HPIC o.D.c, MoPH 11.2012)

 

* Malalai Maternity Hospital: Malalai Watt, Shahre Naw, Kabul, Tel.:

+93(0)20 2201 377 (LN o.D.; vgl. HPIC o.D.d, MoPH 11.2012)

 

* Noor Eye Krankenhaus: Cinema Pamir, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2100 446 (LN o.D.; vgl. IAM o.D., MoPH 11.2012)

 

* Rabia-i-Balki Maternity Hospital: Frosh Gah, District 2, Kabul, Tel.: +93(0)20 2100439 (LN o.D.; vgl. MoPH 11.2012)

 

* Wazir Akbar Khan Krankenhaus: Wazir Akbar Khan, Kabul, Tel.: +93 (0)78 820 0419 (MoPH 11.2012; vgl. Tolonews 1.6.2017)

 

* Herat Regionalkrankenhaus: Khaja Ali Movafaq Rd, Herat (MoPH 2013; vgl. Pajhwok 3.8.2017)

 

* Mirwais Nika Krankenhaus in Kandahar, Tel.: +93 (0)79 146 4237 (ICRC 28.1.2018; vgl. ICRC 3.2.2017)

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

 

* Amiri Krankenhaus: Red Crescent, 5th Phase, Qragha Road, Kabul,

Tel.: +93 (0)20 256 3555 (IOM 5.2.2018)

 

* Shfakhanh Maljoy Frdos/Ferdows: Chahr Qala-e-Chahardihi Road,

Kabul, Tel.: +93 (0)70 017 3124 (Cybo o.D.)

 

* Khair Khwa Medical Complex: Qala Najar Ha, Kabul, Tel.: +93 (0)72 988 0850 (KMC o.D.)

 

* DK - German Medical Diagnostic Center: Ansari Square, 3d Street, Shahr-e Nau, Kabul, Tel.: +93 (0)70 606 0141 (MK o.D.)

 

* French Medical Institute for Mothers and Children: Hinter der Kabul University, Aliabad, Kabul, Tel.: +93 (0)20 2500 200 (FMIC o. D.)

 

* Luqmah Hakim: Bagh-e Azadi Ave, Herat, Tel.: +93 (0)79 232 5907 (IOM 5.2.2017; vgl. LHH o.D.)

 

* Alemi Krankenhaus: Mazar-e Sharif (BFA Staatendokumentation 4.2018)

 

Beispiele für Nichtregierungsinstitutionen vor Ort

 

Ärzte ohne Grenzen (MSF)

 

Médecins sans Frontières (MSF) ist in verschiedenen medizinischen Einrichtungen in Afghanistan tätig: im Ahmad Shah Baba Krankenhaus und im Dasht-e Barchi Krankenhaus in Kabul, in der Entbindungsklinik in Khost, im Boost Krankenhaus in Lashkar Gah (Helmand) sowie im Mirwais Krankenhaus und anderen Einrichtungen in Kandahar (MSF o. D.).

 

Das Komitee des internationalen Roten Kreuz (ICRC)

 

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 wurden Berichten zufolge insgesamt 48 Zwischenfälle in 13 Provinzen registriert. Nach mehreren Angriffen mit Todesfolge auf Mitarbeiter des ICRC, hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes 2017 einen erheblichen Teil seines Personals im Land abgezogen (AA 5 .2018). Trotzdem blieb im Laufe des Jahres 2017 das ICRC landesweit aktiv. Tätigkeiten des Komitees zur Förderung der Gesundheitsfürsorge waren z.B. der Transport von Kriegsverwundeten in nahe liegende Krankenhäuser für weitere medizinische Versorgung, die Bereitstellung von Medikamenten und medizinischer Ausstattung zur Unterstützung einiger staatlicher Krankenhäuser, die Bereitstellung von medizinischer Unterstützung für das Mirwais Krankenhauses in Kandahar, die Unterstützung von Gesundheitsdienstleistungen in zwei Gefängnissen (Kandahar und Herat) usw. (ICRC 28.1.2018).

 

International Psychosocial Organization (IPSO) in Kabul

 

IPSO bietet landesweit psychosoziale Betreuung durch Online-Beratung und Projektfeldarbeit mit insgesamt 280 psychosozialen Therapeuten, wovon die Hälfte Frauen sind. Die Online-Beratung steht von 8-19 Uhr kostenfrei zur Verfügung; angeboten werden ebenso persönliche Sitzungen in Beratungszentren der Krankenhäuser. Einige der Dienste dieser Organisation sind auch an Universitäten und technischen Institutionen verfügbar. Unter anderem ist IPSO in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Herat, Bamyan, Badakhshan, Balkh, Jawzjan und Laghman tätig (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Medica Afghanistan in Kabul

 

Medica Afghanistan bietet kostenfreie psychosoziale Einzel- und Gruppentherapien an. Die Leistungen sind nur für Frauen zugänglich und werden in Kabul in unterschiedlichen Frauenhäusern und -gefängnissen sowie Jugendzentren angeboten. Auch werden die Leistungen der Organisation in drei Hauptkrankenhäusern, im "Women's Garden, im Ministeirum für Frauenangelegenheiten (MoWA) und an weiteren Standorten in Kabul angeboten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

PARSA Afghanistan

 

Parsa ist seit 1996 als registrierte NGO in Afghanistan tätig. Die Organisation spezialisiert sich u.a. auf psychologische Leistungen und Ausbildung von afghanischem Fachpersonal, das in sozialen Schutzprogrammen tätig ist und mit vulnerablen Personen arbeitet. Zu diesen Fachkräften zählen Mitarbeiter in Zentren für Binnenvertriebene, Frauenhäusern und Waisenhäusern sowie Fachkräfte, die in lokalen Schulen am Projekt "Healthy Afghan Girl" mitarbeiten und andere Unterstützungsgruppen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Weitere Projekte

 

Das Telemedizinprojekt des Mobilfunkanbieters Roshan, verbindet Ärzte in ländlichen Gegenden mit Spezialisten im französischen Kindermedizininstitut in Kabul und dem Aga Khan Universitätskrankenhaus in Pakistan. Durch eine Hochgeschwindigkeits-Videoverbindung werden mittellose Patienten auf dem Land von Fachärzten diagnostiziert. Unter anderem bietet die von Roshan zur Verfügung gestellte Technologie afghanischen Ärzten die Möglichkeit, ihre medizinischen Kenntnisse zu erweitern und auf den neuesten Stand zu bringen (GI 17.12.2016; vgl. NCBI 23.3.2017).

 

1.5.11 Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)

 

Mit dem Begriff "unbegleitete Minderjährige" werden Personen bezeichnet, die unter 18 Jahre alt sind bzw. das nationale Volljährigkeitsalter nicht erreicht haben und getrennt von ihren Eltern bzw. ohne die Obhut eines Vormundes leben (MPI 11.2017).

 

Ca. 58% der nach Afghanistan zurückkehrenden Jugendlichen sind minderjährig. Besonders gefährdet sind aus dem Iran kommende unbegleitete Minderjährige, deren Anzahl im Jahr 2017 auf ca. 2.000 geschätzt wurde (HO 4.2018). Schätzungen zufolge waren ungefähr 15% der aus dem Iran zurückgeführten Afghanen zum Zeitpunkt ihre Rückkehr zwischen 15 und 17 Jahre alt, dennoch gab es auch einige Zehnjährige darunter (MPI 11.2017). Die Rückkehr ist oft nicht freiwillig und zahlreiche Heimkehrer sind unbegleitete Buben, die willkürlichen Festnahmen und Misshandlungen ausgesetzt sind (BAAG 3.2018). Unbegleitete Minderjährige, die im Iran oder anderswo aufgewachsen sind, sind bei Rückführungen besonders gefährdet, da sie nie in Afghanistan gelebt haben (MPI 3.2018). Schätzung von IOM zufolge ist die Anzahl der nach Afghanistan zurückkehrenden unbegleiteten Minderjährigen von 2.110 im Jahr 2015 auf 4.419 im Jahr 2017 gestiegen (IOM 28.2.2017).

 

Einer Aussage des Direktors der Afghanistan Migrants Advice and Support Organisation aus dem Jahr 2015 zufolge gibt es in Afghanistan keine auf UMF spezialisierten Reintegrationsprogramme. Wegen der hohen Zahl an Rückkehrern und Rückkehrerinnen beschränken sich die Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen auf die Bereitstellung von Grundversorgungsdiensten wie Unterkunft, Essen und Transport (HO 4.2018). Unbegleitete Minderjährige werden durch Vormundschaftsvereinbarungen von IOM versorgt (MPI 11.2017).

 

Quellen zufolge entscheidet meist der weitere Familienkreis, ein minderjähriges Familienmitglied nach Europa zu schicken. Ohne familiäre Unterstützung wäre es dem Minderjährigen meistens gar nicht möglich, die Reise nach Europa anzutreten; dies ist eine wichtige Netzwerkentscheidung, die

 

u. a. die Finanzen der Familie belastet. Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Minderjährige unabhängig von seiner Familie beschließt, das Land zu verlassen und nach Europa zu reisen. Meist sind dies junge Leute aus gebildeten, wohlhabenden Familien. Dies wird oft durch den

 

Kontakt zu Freunden und Bekannten im Ausland, die über soziale Medien ein idealisiertes Bild der Lebensbedingungen in Europa vermitteln, gefördert (EASO 2.2018). Eine größere Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen ist auf der Suche nach Arbeit in den Iran, nach Pakistan, Europa und in urbane Zentren innerhalb Afghanistans migriert; viele von ihnen nutzten dafür Schlepperdienste (MPI 3.2018).

 

1.5.12 Risikogruppen

 

In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018" schreibt

UNHCR:

 

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

 

a) Regierungsbeamte und Staatsbedienstete

 

b) Zivile Polizeikräfte (einschließlich Angehörigen der ANP und ALP) sowie ehemalige Angehörige der ANDSF

 

c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften/regierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen

 

d) Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen

 

e) Mitarbeiter humanitärer Hilfs- und Entwicklungsorganisationen

 

f) Menschenrechtsaktivisten

 

g) Stammesälteste und religiöse Führer

 

h) Frauen im öffentlichen Leben

 

i) Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

 

j) Andere Zivilisten, die die Regierung oder die internationale Gemeinschaft tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

 

k) Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen.

 

2. Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen

 

3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung

 

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

 

b) Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte

 

4. Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden

 

5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen

 

a) Religiöse Minderheiten

 

b) Konversion vom Islam

 

c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen

 

6. Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen

 

7. Frauen mit bestimmten Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben

 

a) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

 

b) Schädliche traditionelle Bräuche

 

8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen

 

9. Personen mit Behinderung, insbesondere geistiger Behinderung, und Personen, die an einer psychischen Erkrankung leiden

 

10. Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben

 

a) Zwangskinderarbeit und gefährliche Kinderarbeit

 

b) Gewalt gegen Kinder, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt

 

c) Systematische Verweigerung des Zugangs zu Bildung

 

d) Entführungen, Bestrafungen und Vergeltungsakte durch die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

 

11. Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind

 

12. Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten

 

13. Angehörige ethnischer (Minderheiten‑)Gruppen

 

a) Kuchis

 

b) Hazara

 

c) Mitglieder der ethnischen Gruppe der Jat, einschließlich der Gemeinschaften Jogi, Chori Frosh, Gorbat und Mosuli

 

d) Streitigkeiten um Land mit ethnischer oder stammesbezogener Dimension

 

14. In Blutfehden verwickelte Personen

 

15. Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen sowie deren Familienangehörige

 

1.5.13. Ausweichmöglichkeiten

 

Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragstellerinnen und Antragsteller müssen folgende Aspekte erwogen werden:

 

Eine vorgeschlagene Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ist nur dann zumutbar, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Gebiet seine grundlegenden Menschenrechte ausüben kann und Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen vorfindet. In dieser Hinsicht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

 

(i) Zugang zu einer Unterkunft im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet

 

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet wie Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung

 

(iii) Lebensgrundlagen einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen, oder im Fall von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen (zum Beispiel ältere Antragsteller), erwiesene und nachhaltige Unterstützung zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards.

 

Zu den Punkten (i) - (iii) im konkreten Kontext von Afghanistan wurde die Bedeutung der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzen, bestehend aus der erweiterten Familie des Antragstellers oder aus Mitgliedern seiner ethnischen Gemeinschaft, bereits ausführlich dokumentiert. In dieser Hinsicht kann allein aus der Anwesenheit von Personen mit demselben ethnischen Hintergrund wie der des Antragstellers im geplanten Neuansiedlungsort nicht geschlossen werden, dass solche Gemeinschaften den Antragsteller maßgeblich unterstützen würden; eine solche Unterstützung würde in der Regel vielmehr konkrete frühere gesellschaftliche Beziehungen zwischen dem Antragsteller und einzelnen Mitgliedern der betreffenden ethnischen Gemeinschaft voraussetzen. Selbst wenn derartige bereits zuvor bestehende, soziale Beziehungen gegeben sind, sollte aber geprüft werden, ob die Mitglieder dieses Netzes auch bereit und trotz der prekären humanitären Lage in Afghanistan, der niedrigen Entwicklungsindikatoren und der generellen wirtschaftlichen Zwänge, unter denen weite Teile der Bevölkerung leiden, auch wirklich in der Lage sind den Antragssteller tatsächlich zu unterstützen. Inwiefern Antragsteller auf Unterstützung durch Familiennetzwerke im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zurückgreifen können, muss auch im Lichte der berichteten Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nach Afghanistan zurückkehren, geprüft werden.

 

(UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.August 2018)

 

EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018

 

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

 

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

 

Zugang zum Arbeitsmarkt

 

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

 

Zugang zur Unterkunft

 

Für Fahrer und andere Reisende, Tagelöhner, Straßenverkäufer, Jugendliche, unverheiratete Männer und andere, die über keine permanente Wohnmöglichkeit in der Gegend verfügen, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität. Dabei handelt es sich um einfache, große Zimmer, wo Tee und einfaches, billiges Essen aufgetischt wird. Um wenig Geld kann man hier auch übernachten. Nach Quellen von Landinfo beträgt der Preis zwischen 30 und 100 Afghani (in etwa USD 0,4 bis 1,4) pro Nacht. Diese Lokale werden örtlich als chai khana bezeichnet - generell bekannt als samawar - oder übersetzt Teehaus. In Kabul und den anderen großen Städten gibt es viele solcher chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden, und es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gäste alleine kommen. Der afghanische Forscher Hafizullah Emadi bezeichnet die chai khana als wichtige Treffpunkte und Orte der Sozialisierung.

 

Hilfe aus entfernten Netzwerken

 

In einer Empfehlung des UNHCR an Asylländer im Juni 2005 heißt es, dass Hilfe und Unterstützung durch Netzwerke auf Gebiete beschränkt seien, wo diese Netzwerke physisch präsent sind. Nach Einschätzung von Landinfo verliert der Faktor geografische Nähe durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit für den Zugriff auf Netzwerke. Wie schon erwähnt, ist der Besitz von Mobiltelefonen "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

 

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, doch nicht alle Afghanen verfügen über ein Bankkonto. Dies gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung. In der Durchschnittsbevölkerung ist das Vertrauen in Banken und den Bankenapparat gering. Wer das Bankensystem nicht nutzen kann oder möchte, kann Geld über ein informelles Geldüberweisungssystem (hawala) überweisen. Es gibt ein gut etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Überweisungen, in das die Menschen Vertrauen haben. Ein gewisser Prozentsatz der transferierten Summe wird als Gebühr verrechnet. Geld kann in alle Landesteile überwiesen werden, auch in die und aus den Nachbarstaaten, etwa Iran und Pakistan.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

 

Die Protokolle im Rahmen der Erstbefragung, dem Verfahren vor dem BFA (in der Folge kurz "Niederschrift" bezeichnet) sowie der Verhandlung vor dem BVwG (in der Folge kurz "Verhandlungsprotokoll" bezeichnet) wurden vom BF hinsichtlich ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit bestätigt.

 

Die Feststellungen zum Auftreten des BF in der Beschwerdeverhandlung ergeben sich aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters.

 

2.5. Zum sozialen Hintergrund des BF:

 

Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren, da seine Identität - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel - nicht abschließend geklärt werden konnte.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 8 bzw. Erstbefragung Seite 1).

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen Angaben im gesamten Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 4 und Seite 21). Aufgrund der Angaben in der mündlichen Verhandlung, bestehen daher auch keine Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des BF. Darüber hinaus waren gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF im Zuge der mündlichen Verhandlung nicht erkennbar. Gesundheitsbehandlungen nach einem Sehnenriss sind auch in naher Zukunft nicht mehr erforderlich (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 21).

 

Die Feststellungen zur familiären Situation des BF beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 10f). Die Angaben des BF sind in diesem Zusammenhang auch glaubwürdig, dass seine Eltern nach wie vor in Pakistan aufhältig sind. Neben diesen Verwandten leben noch eine Tante und ein Onkel sowie seine Großeltern in Pakistan. (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 12).

 

Die Angaben des BF zu seinen persönlichen Lebensumständen, wie Schul- und Berufserfahrung sowie zu seiner Vermögenslage und Selbsterhaltungsfähigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglichen glaubhaften Angaben im Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 4f und Seite 13f).

 

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf den Angaben des BF, welche durch Einsicht in den aktuellen Strafregisterauszug verifiziert wurden. Die Feststellung, dass der BF in Afghanistan nicht vorbestraft ist, keine Probleme mit den Behörden hatte und dass er politisch nicht aktiv ist, sind seinen glaubhaften Aussagen dahingehend zu entnehmen (vgl. Niederschrift, AS 75 und Verhandlungsprotokoll Seite 18f).

 

Nach übereinstimmenden Angaben des BF ist dieser in Afghanistan, in der Provinz Ghazni, geboren worden, ging von im Alter von etwa sechs Jahren mit seinen Eltern nach Pakistan, wo er vier Jahre lang die Schule besuchte (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 13 und Seite 17f). Von dort ist er direkt nach Europa gereist und ist nicht mehr in Afghanistan gewesen.

 

2.6. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie dem vor dem BVwG geführten Verfahren und im Besonderen der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass der BF ausreichend Zeit und Gelegenheit hatte, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens vorzulegen. Er wurde auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe und ausdrücklich zur Vorlage von Beweismitteln aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Wie in der Folge dargestellt, ist das Vorbringen des BF objektiv nicht geeignet, einen asylrelevanten Grund zu begründen, da es unsubstantiiert und in wesentlichen Punkten unschlüssig sowie widersprüchlich ist:

 

2.6.1. Zum Fluchtvorbringen des BF im Rahmen der Erstbefragung:

 

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu VfGH 27.06.2012, U98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Das BFA und das BVwG können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen. Im vorliegenden Fall gab der BF in der Erstbefragung zunächst an, dass er seinen Herkunftsstaat mit seiner Familie verlassen habe, weil in Afghanistan Krieg herrsche und er in weiterer Folge auch Pakistan verlassen habe, weil dort ebenfalls Krieg geherrscht hätte. Seine Mutter sei von den Taliban angeschossen worden und sein Vater bei einer Explosion in XXXX verletzt worden. Zugestanden wird, dass die polizeiliche Erstbefragung grundsätzlich dazu dient, allgemeine Angaben eines Asylwerbers, insbesondere zu seiner Fluchtroute zu erheben. Dennoch findet bei dieser Gelegenheit auch eine Frage zu den Fluchtmotiven statt, welche von den Asylwerbern - langjährigen Erfahrungswerten entsprechend - nahezu durchgängig dazu genützt wird, die wichtigsten persönlichen Fluchtgründe zumindest ansatzweise darzulegen. Unter derartige Tatsachen sind mit Sicherheit auch die Gründe, die ihn veranlasst haben, Afghanistan zu verlassen, zu subsumieren. Wenn der BF derartige Fakten, welche eine besondere persönliche Betroffenheit auslösen, anlässlich seiner Erstbefragung nicht einmal ansatzweise erwähnt, so ist davon auszugehen, nachdem der BF diese Fluchtgründe erst später im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA bzw. in der Verhandlung vor dem BVwG geltend machte, dass diese nicht den erlebten Tatsachen entsprechen. Im gegenständlichen Fall ist das Vorbringen, dass die Familie Afghanistan verlassen habe, weil seine Mutter bei einem Bombenangriff der Taliban verletzt worden sei, in dieser Form nicht in der Erstbefragung nicht angeben worden. Es wird zwar zugestanden, dass der BF erwähnt hat, dass seine Mutter durch die Taliban verletzt wurde, jedoch hat der BF in der Erstbefragung dies überhaupt in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise aus Afghanistan vorgebracht. Da dies doch das zentrale Fluchtgrund für das Verlassen der Familie aus Afghanistan gewesen sei, der BF aber selbst keine Drohungen gegen seine Mutter wahrgenommen habe und auch sowohl in der Niederschrift als auch im Verhandlungsprotokoll diesbezüglich nur vage Angaben von sich geben können habe können, ist davon auszugehen, dass dieses Vorbringen generell als nicht glaubhaft gemacht eingestuft werden kann.

 

Selbst unter der Berücksichtigung seines minderjährigen Alters tätigte der BF vage, unplausible, unstimmige und widersprüchliche Angaben zu seinem Fluchtgrund. Des Weiteren ist aus diesem Vorbringen auch keine aktuelle Bedrohungssituation zu entnehmen, weshalb das Vorbringen des BF, dass dieser in seinem Heimatland einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterliegt als unglaubhaft erscheinen lässt. Zur Illustration wird im Folgenden auf einige Angaben des BF eingegangen.

 

2.6.2. Zur Bedrohung bzw. zur Verfolgung des BF durch eine regierungsfeindliche Gruppierung:

 

Wie bereits ausgeführt, zeigte der BF im Rahmen der Erstbefragung keine konkrete Bedrohung durch die Taliban auf. In der Einvernahme vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung führte der BF aus, dass seine Mutter von den Taliban bedroht worden sei, weil diese nach kleinen Kindern gefragt hätten. Da sich seine Mutter geweigert habe, auf diese Forderungen einzugehen, sei eine Bombe vor ihrem Haus in Afghanistan detoniert. (Niederschrift, AS 73f und Verhandlungsprotokoll, Seite 18).

 

Festzuhalten ist vorweg, dass der BF keine Belege für sein Vorbringen beibringen konnte. Besondere Bedeutung kommt daher seinem Vorbringen zu, das auf Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt einem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein.

 

Abgesehen von der Steigerung des Vorbringens, dass der BF in der Erstbefragung angab aufgrund des Krieges aus Afghanistan geflohen sei, er aber danach einen Bombenangriff der Taliban als fluchtauslösendes Ereignis angeführt habe, konnte der BF in weiterer Folge ein konkretes Bedrohungsszenario als Folge eines individuell gegen ihn gerichteten Rekrutierungsversuches mit der anschließenden Weigerung seiner Mutter nicht glaubhaft machen und vermochte seine Befürchtung, nämlich eine Bedrohung durch die Taliban, in keiner Weise konkretisieren.

 

Das erkennende Gericht geht somit angesichts des sehr oberflächlich gehaltenen und widersprüchlichen Vorbringens des BF in zentralen Punkten unter Einbeziehung des in der mündlichen Verhandlung vom BF gewonnenen persönlichen Eindrucks von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen und davon aus, dass die angeblichen (fluchtauslösenden) Ereignisse in der vom BF geschilderten Form in Wahrheit nicht stattgefunden haben und die behauptete Bedrohung für den BF tatsächlich nicht besteht. Auch wenn der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG darauf hinwies, dass der BF zum Zeitpunkt der fluchtkausalen Ereignisse noch sehr klein gewesen sei und keine Schule besucht habe und es daher nachvollziehbar sei, dass er keine genaue Zeitangaben tätigen könnte, ist dem entgegenzuhalten, dass vom BF aber jedenfalls erwartet werden kann - auch unter Berücksichtigung seines Alters -, dass er die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe zumindest stringent und nicht widersprüchlich schildert und er jedenfalls auch in der Lage sein muss, zumindest einige Details hinsichtlich der von ihm behaupteten Verfolgung vorzubringen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass vom BF weder im Rahmen der Einvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht jemals gefordert wurde, genaue Zeitangaben zu tätigen. Es war jedoch nicht der Fall, dass der BF die von ihm behaupteten Probleme in seinem Heimatland nachvollziehbar und unter Angabe von Details und ohne Widersprüche geschildert hat.

 

Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig anzusehen, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).

 

Folglich schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde, die das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich einer etwaigen Bedrohung durch die Taliban bereits als unplausibel und oberflächlich und damit nicht glaubhaft wertete, an. Insgesamt fehlt es dem gegenständlichen Vorbringen bezüglich der Drohungen an jedweder Stringenz und Plausibilität. Es ist davon auszugehen, dass sich der BF nur einer konstruierten Geschichte bedient. Aufgrund seines Vorbringens ist es dem BF nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

2.6.3. Zur Bedrohung bzw. zur Verfolgung des BF wegen der allgemeinen Sicherheitslage:

 

Auch das nicht weiter substantiierte Vorbringen des BF, dass er wegen der fehlenden Sicherheit nicht zurückkehren könne (Verhandlungsprotokoll, Seite 18), ist mangels Konkretisierung im Hinblick auf das Bestehen eines exponierten Risikos der Bedrohung oder Verfolgung nicht geeignet, um eine Gefährdungslage, die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss und den insoweit notwendigen Grad an Intensität erreicht um von rechtlicher Relevanz zu sein, zu begründen.

 

2.6.4. Zur Bedrohung bzw. zur Verfolgung des BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Glaubensrichtung:

 

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der BF im gesamten Verfahren keine Verfolgung seiner Person aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. seiner Religionszugehörigkeit aufzeigen konnte. Hinsichtlich einer Gruppenverfolgung der Hazara bzw. Schiiten wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

2.6.5. Zur Verwestlichung des BF:

 

Der BF konnte mit seinem Vorbringen, unabhängig von seiner Tätowierung und des Tragen eines Ohrringes, nach Ansicht des erkennenden Gerichts vor dem Hintergrund der o.a. Länderfeststellungen nicht hinreichend konkret darlegen, sich der westlichen Lebensweise in einer derart intensiven Weise zugewandt zu haben, dass ihm im Herkunftsstaat bereits aus diesem Grund psychische bzw. physische Gewalthandlungen drohen würden. Auf Grund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des erkennenden Gerichts daher nicht davon auszugehen, dass der BF eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hat.

 

Zur behaupteten Gruppenverfolgung der Afghanen mit einem westlichen Lebensstil wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

Dem BF ist es auch sonst nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität (die ihre Ursache in einem der GFK genannten Gründen hätte) glaubhaft zu machen.

 

2.6.6. Zur Gefahr einer Zwangsrekrutierung:

 

Festzuhalten ist zudem, dass der BF während des gesamten verwaltungsbehördlichen Verfahrens von sich aus keine Belege für sein Vorbringen beibrachte. Besondere Bedeutung kommt daher dem Vorbringen des Asylwerbers zu, das auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht altersadäquat einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein. Im vorliegenden Fall gab der BF im gesamten Verfahren nie an, dass er eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban fürchte. Lediglich seine rechtsfreundliche Vertretung führte diesen Punkt gegen Ende der mündlichen Verhandlung noch an, sodass dies als ein letzter Versuch gewertet werden muss, um dem Vorbringen des BF doch noch asylrechtliche Relevanz zukommen lassen zu wollen. Da dieses Vorbringen überaus vage und unkonkret blieb und es in Afghanistan den Länderinformationen nach keine systematischen Zwangsrekrutierungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gibt, ist diesbezüglich auch keine individuelle Gefährdung des BF abzuleiten.

 

Auch der Umstand, dass es sich beim BF um einen Minderjährigen handelt, ist für sich genommen kein tauglicher Grund für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, auf Basis der Quellenlage kann auch keine systematische Zwangsrekrutierung angenommen werden. Zudem hat der BF keine individuelle maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung aufgrund seiner Minderjährigkeit vorgebracht.

 

2.6.7. Zusammenfassung zum Fluchtvorbringen des BF:

 

Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des BF im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Verfolgung des BF aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Es konnte weder eine konkrete gegen die Person des BF gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des BF im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen bei einer Rückkehr für wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

Auch wenn der BF in seiner Person eine oder mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien erfüllen würde, führt dies nicht per se zu einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung. Vielmehr erfordern die gegenständlichen UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der BF zu keinem Zeitpunkt eine konkrete auf seine Person bezogene landesweite Verfolgung im Verfahren glaubhaft machen konnte.

 

2.7. Zur persönlichen Glaubwürdigkeit des BF:

 

Das unsubstantiierte, widersprüchliche, gesteigerte und unplausible Vorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert - wie im vorliegenden Fall - auch die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des BF. Unter Berücksichtigung des unsubstantiierten, widersprüchlichen, gesteigerten und unplausiblen Vorbringens hinterließ der BF in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich völlig unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe z. B. VwGH 24.06.1999, Zl. 98/20/0435 bzw. VwGH 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

 

Ferner ist bei Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Vortrags zu seinen Fluchtgründen die Wahrheit gesagt hat; auch ist die Beachtung der in § 15 AsylG 2005 normierten Mitwirkungspflichten gemäß § 18 Abs. 3 AsylG 2005 und die sonstige Mitwirkung des BF im Verfahren zu beachten. In diesem Zusammenhang war der BF nicht in der Lage, gleichbleibende Angaben zu den gegenüber seinem Vater ausgesprochenen Drohungen zu machen. Ebenso auffällig war lediglich partielles Wissen etwaige Verfolgungshandlungen gegenüber seiner Person die lediglich auf einem subjektiven Empfinden beruhen, zumal keine Angaben über persönlich erhaltene Drohungen gemacht worden sind und auch sonst nur allgemeine Befürchtungen über weitere Verfolgungshandlungen getätigt wurden. Dies ist nicht nachvollziehbar, zumal diese Drohungen ausreisekausal gewesen wären. Damit versucht der BF aller Wahrscheinlichkeit nach, den wahren Grund der Ausreise, der wohl ein wirtschaftlicher war, zu verschleiern.

 

Aus diesen Gründen war der BF als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.

 

2.8. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF in seinem Herkunftsstaat ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für Afghanistan - aus den o.a. Länderberichten und dem übrigen in das Verfahren eingeführten Berichtsmaterial in Zusammenschau mit den vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

 

Aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz, die als eine volatile Provinz eingestuft wird, ist eine Rückkehr dorthin nicht möglich. Auch wenn der BF in seiner Herkunftsprovinz einer privaten Verfolgung und/oder einem bewaffneten Konflikt ausgesetzt wäre, so ist es ihm dennoch möglich beispielsweise in Herat unterzukommen und sich dort Erwerbstätigkeit, Unterkunft und Nahrung zu beschaffen.

 

Vorab gilt es hier noch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, VfGH 11.6.2018, E 1815/2018, Bezug zu nehmen, die davon ausgeht, dass bei einer alleinstehenden Person ab dem 17.Lebensjahr eine Rückkehr nach Afghanistan mit einer Neuansiedlung im Zuge einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar ist. Der VfGH hat auch unmissverständlich festgestellt, dass es sich bei einem unbegleiteten Minderjährigen immer um einen Angehörigen einer vulnerablen Personengruppe handelt und daher bei der Entscheidungsfindung auch ein besonderes Maß an Sorgfalt einzufließen hat (vgl. die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Aufnahmerichtlinie]). Daher war es erforderlich sich mit der konkreten Rückkehrsituation des BF, wie sich diese tatsächlich nach seiner Rückkehr darstellt, auseinander zu setzen. (s. dazu auch jüngst VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474)

 

Hierbei ist insbesondere auf den persönlichen Eindruck, den der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gemacht hat, eine erhöhte Gewichtung beizumessen. In dieser konnte sich der entscheidende Richter davon überzeugen, dass der BF ein selbstständiges Leben führt und auch gewillt ist, seinen eigenen Unterhalt zu verdienen. So hat sich der BF durch freiwillige Dienste im Heim etwas Geld hinzuverdient (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 17). Ebenso ist herauszustreichen, dass der BF durch seine Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr unter Beweis stellen muss, dass er in unvorhersehbaren Situationen einem unberechenbaren Druck ausgesetzt ist, was ihm bei der Meisterung von Situationen im Alltag und im Arbeitsleben behilflich ist. Daneben ist ebenso festzuhalten, dass sich der BF durch den jahrelangen Schulbesuch in Pakistan und in Österreich auch ein qualifiziertes Maß an Wissen angeeignet hat, dass ihm bei seiner Rückkehr nach Afghanistan, wo den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten dürfen, behilflich sein wird. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF auch ohne spezifische Berufsausbildung aufgrund seines mittlerweile für Afghanistan überdurchschnittlichen Wissens auf dem Arbeitsmarkt in seinem Heimatland behaupten wird.

 

Durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe ist es BF anfangs möglich, sich an einem relativ sicheren Ort Afghanistans, wie etwas in Herat oder Mazar-e Sharif, eine Unterkunft zu beziehen. Da der BF auch noch Kontakt zu seinen Pakistan lebenden Verwandten hat, ist auch davon auszugehen, dass diese ihn anfänglich bei einer Neuansiedlung in Afghanistan unterstützen würden, zumal den Angaben des BF zu entnehmen ist, dass diese nicht arm seien und sie auch den Wohlstand haben, einmal pro Woche über ihr Mobiltelefon mit dem BF über kostenpflichtige Videotelefonie in Kontakt treten zu können (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 11f).

 

Aufgrund der alleinigen Reise über diverse fremde Länder von Pakistan nach Europa als unmündig Minderjähriger, als auch durch die erfolgreiche Gestaltung seines Alltagslebens in Österreich, wo er ebenfalls auf keinerlei verwandtschaftlichen Bände zurückgreifen konnte, hat der BF bereits gezeigt, dass er ein hohes Maß an Durchsetzungsvermögen und Anpassungsfähigkeit besitzt, weshalb es ihm trotz seines Alters von unter 18 Jahren zumutbar ist, dass er sich in einer relativ sicheren Region Afghanistans, wie es die Städte Herat und Mazar-e Sharif sind, ansiedeln zu können und er dort auch in der Lage sein wird, für seinen Unterhalt selbst sorgen zu können.

 

Aufgrund der bestehenden Sicherheitslage in der Stadt Herat und in der Stadt Mazar-e Sharif ist eine Rückkehr des BF auch dorthin möglich. Sowohl die Stadt Herat als auch die Stadt Mazar-e Sharif sind über den Luftweg aufgrund ihren vorhandenen Flughafen gut bzw. sicher erreichbar.

 

Der BF verfügt zwar über keine Ortskenntnisse in Herat oder Mazar-e Sharif, allerdings sieht das erkennende Gericht die Möglichkeit einer Ansiedlung in einer dieser beiden Städte. Hinsichtlich einer Rückkehr nach Afghanistan in eine dieser beiden Städte gefragt, führte der BF aus, dass er in der Stadt nicht leben könne, weil er dort niemanden kennen würde.

 

Im Übrigen wurden darüberhinausgehende außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen würden vom BF nicht genannt bzw. sind im Verfahren nicht hervorgekommen (Verhandlungsprotokoll, Seite 19f).

 

Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen und jungen Mann, bei dem die erfolgreiche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Ausführungen zu seinem Gesundheitszustand, zu seiner Berufserfahrung, seiner Selbsterhaltungsfähigkeit und seiner Vermögenslage verwiesen. Aufgrund dieser Umstände ist davon auszugehen, dass der BF in der Lage ist, in seinem Herkunftsstaat seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen.

 

Eine konkrete Unterstützung durch Familienangehörige bei einer Rückkehr ist im Verfahren nicht zweifelsfrei hervorgekommen (Verhandlungsprotokoll, Seite 10f). Jedoch hat der BF die Möglichkeit, eine Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und wurde bereits im Zuge seiner Ausreise aus Afghanistan von seinem Onkel mütterlicherseits unterstützt.

 

Das mangelnde soziale Netzwerk abseits seiner Heimatprovinz in Afghanistan bewirkt nicht, dass es ihm unmöglich wird, mittels Arbeit, Rückkehrhilfe und finanzieller Unterstützung seiner Familie Nahrung und Wohnraum zu beschaffen. Die vom BF angeführte prekäre Situation zur Versorgungslage nimmt nicht auf die hervorgehobene Sicherheitslage und Erwerbsmöglichkeit in Mazar-e Sharif und Herat Bezug.

 

Da der BF einen Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat, ist er, aufgrund der Zusammenlebens mit seinen Angehörigen in Pakistan mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sowie mit der Sprache vertraut (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 10f.).

 

Es ist daher anzunehmen, dass er im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Einkommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage geraten wird. Dafür spricht zuletzt auch die Tatsache, dass der BF als noch als unmündig Minderjähriger in der Lage war, völlig auf sich alleine gestellt über ihm unbekannte Länder die Flucht bis nach Österreich zu meistern, wobei er sicherlich ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis stellen musste.

 

Insgesamt konnte der BF eine Gefährdungssituation nicht aufzeigen, der er im Falle einer Rückkehr in exponierter Weise ausgesetzt wäre. Unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Berichtslage sowie der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, Berufserfahrung, Vermögen, usw.) ergibt sich, dass eine Rückkehr des BF nach Afghanistan möglich ist.

 

Die höchstgerichtliche Judikatur bestätigte in einer aktuellen Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall die Beschwerdeablehnung in vollem Umfang. In diesem Erkenntnis des BVwG aus September 2018 ging man bei einem afghanischen Staatsangehörigen, der sogar im Iran geboren wurde, dort die Schule besucht und auf Baustellen Berufserfahrung gesammelt hat, von einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat aus. Ebenso sei eine (anfängliche) Unterstützung von im Ausland lebenden Familienangehörigen möglich (vgl. VfGH 25.02.2019, E 4586/18/23 und BVwG 26.09.2018, Zl. W264 2150706-1/27E).

 

2.9. Zum Leben in Österreich:

 

Dahingehende Feststellungen beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie der Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem.

 

Die Aufenthaltsdauer ergibt sich aus dem Zeitpunkt der Einreise (Erstbefragung, Seite 2).

 

Dass der BF in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte hat, folgt aus seinen Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 11 und Seite 19).

 

Die Feststellungen zu den sozialen Beziehungen (Freunde, etc.) sowie zum Verhalten des BF in Österreich ergeben sich aus den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 15f).

 

Hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse ist der BF teilweise in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens bloß auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 8 und Seite 14).

 

Die Feststellungen zu seiner wirtschaftlichen Integration (Kursbesuche, Unterstützungsschreiben, Schulzeugnisse, etc.) ergeben sich aus den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung sowie aus den vorgelegten Dokumenten (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 14).

 

Zusammenfassend hat der BF in Österreich Integrationserfolge von vergleichsweise geringem Ausmaß aufzuweisen. Seine Deutschkenntnisse sind aufgrund seines Schulbesuches als passabel einzustufen. Er ist zwar durch die Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr gemeinnützig tätig geworden, jedoch hat er durch seinen Schulbesuch und die noch nicht abgeschlossene Pflichtschule noch nicht arbeiten können. Lediglich Schulzeugnisse und Unterstützungsschreiben konnte er vorlegen, jedoch ist anzumerken, dass im Hinblick auf die relativ kurze Zeitspanne, seitdem sich der BF in Österreich aufhält (Dezember 2015), selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale - wie etwa einfache Deutschkenntnisse, bzw. auch mit Berücksichtigung der vorgelegten Kursbesuchsbestätigungen, bzw. Teilnahmebestätigungen eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" noch nicht angenommen werden kann (vgl. VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten; vgl. auch VwGH 20.12.2007, Zl. 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte").

 

Die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet haben somit nur geringes Gewicht und treten gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

2.10. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Dies hat das erkennende Gericht durch ständige Beobachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) verifiziert. Dass sich allgemein und für den gegenständlichen Fall eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann im vorliegenden Fall verneint werden. Die Lage stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar. Von einer (weiteren) Aktualisierung der Länderfeststellungen konnte daher abgesehen werden.

 

Die von der Vertretung des BF in der Verhandlung erstattete mündliche Stellungnahme sowie die vorgelegten Länderberichte vermochten nicht, den zur Einschau angeboten Länderberichten des BVwG, die ebenso auf die UNHCR-Richtlinie Bezug nehmen, substantiiert entgegenzutreten.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

3.6. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

 

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist im Übrigen, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht. Sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113).

 

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in der konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350, mwN). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine dem Staat zurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird. Auch kommt einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. VwGH vom 18.11.2015, Ra 2014/18/0162, mwN). Eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030). Ob in diesem Zusammenhang eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, kommt darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 08.09.2009, 2008/23/0027, mwN). Eine mangelnde staatliche Schutzgewährung setzt nicht voraus, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036). Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative - nicht notwendigerweise auf Konventionsgründen beruhende - Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl. VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt voraus, dass nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Betroffenen in dem in Frage kommenden Gebiet getroffen werden (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

 

Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt.

 

Wie bereits ausführlich dargelegt, ist es dem BF nicht gelungen eine Bedrohung oder eine Verfolgung glaubhaft zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch die persönliche Unglaubwürdigkeit des BF zu beachten.

 

3.6.1. Zur Bedrohung bzw. zur Verfolgung durch eine regierungsfeindliche Gruppierung:

 

Wie ausführlich im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, konnte der BF eine Bedrohung dahingehend nicht glaubhaft machen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

3.6.2. Zur Bedrohung bzw. zur Verfolgung des BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Glaubensrichtung:

 

Eine konkrete individuelle Verfolgung seiner Person auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Glaubensrichtung wurde vom BF nicht glaubhaft gemacht.

 

In Ermangelung von dem BF individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht finden.

 

Aus den vorliegenden Länderberichten ist zu entnehmen, dass die Situation für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara in der Zwischenzeit deutlich verbessert hat, wenngleich die gesellschaftlichen Spannungen fortbestehen und in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder aufleben. So sind Hazara noch immer von Diskriminierungen in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen. Festzuhalten ist im Lichte der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan auch, dass vereinzelte Angriffe, Entführungen oder Tötungen von Zivilpersonen sowie Terroranschläge in Afghanistan grundsätzlich jederzeit und überall möglich sind. Die Gründe für diese Gewalthandlungen sind dabei ebenso vielfältig wie die beteiligten Konfliktgruppen und die jeweiligen Opfer der Taten.

 

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara bzw. Schiiten allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106, eine Gruppenverfolgung der Hazara mit der Begründung nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Lage der Hazara keine Feststellungen getroffen habe, was jedoch in der vorliegenden Entscheidung nicht der Fall ist. Der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an, zum Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Es ist anzunehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof, sollte er der Auffassung sein, dass eine Gruppenverfolgung - auch lokal - in Afghanistan aktuell festzustellen wäre, in der zahlreich zu Afghanistan ergangenen Judikatur dies auch festgestellt hätte.

 

Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und der BF diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich aus diesem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung des BF nicht ableiten.

 

3.6.3. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr aufgrund eines westlichen Lebensstils:

 

Soweit der BF eine Verfolgung als Rückkehrer auf Grund einer "westlichen" Verhaltensweise behauptet, so wurde eine individuelle und konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung aus diesen Gründen nicht glaubhaft gemacht. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden:

 

Aus den oben angeführten Länderberichten kann zwar abgeleitet werden, dass Afghanen, die aus Pakistan, aus dem Iran oder aus Europa nach Afghanistan zurückkehren, Konflikten, wirtschaftlichen und sonstigen Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt sind. Diese Schwierigkeiten erreichen jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus dem Iran oder Europa ausgehen zu können.

 

Außerdem ist zur Gefahr der Verfolgung wegen einer westlichen Weltanschauung des BF, aus den vorhandenen Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen nicht ableitbar, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Zudem war dem BF ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit zu attestieren, nicht jedoch eine innere Überzeugung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt festgehalten, dass afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch aktuell als gefährdet anzusehen sind. Diese Kategorie kann Frauen einschließen, die "westliches Verhalten" oder "westliche Lebensführung" angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde könnte und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden ist, dass es für sie eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (vgl. VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994 bis 10002; 28.05.2014, Ra 2014/20/0017).

 

Wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, bestehen demgegenüber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der männliche Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich für knapp dreieinhalb Jahre in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der von ihm angegebenen "Verwestlichung" seines Lebensstils psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre.

 

Dass es dem BF als fast erwachsenem Mann in Afghanistan nicht möglich wäre, ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen, wurde damit vom BF jedoch nicht dargetan. Der BF wurde in Afghanistan geboren, lebte bis zu seiner Ausreise nach Pakistan im Herkunftsstaat, war auch in Pakistan in einem afghanischen Familienverband eingebettet und spricht eine in Afghanistan weit verbreitete Sprache. Dass der BF etwa vom Glauben abgefallen oder konvertiert wäre, wurde nicht behauptet. Vielmehr bezeichnete sich der BF selbst als schiitischen Moslem. Auch das (in der Beweiswürdigung beschriebene) äußere Erscheinungsbild des BF in der Verhandlung war nicht geeignet, eine "westliche Lebensweise" darzulegen. Diesbezüglich ist zudem festzuhalten, dass z.B. das Tragen moderner Kleidung seitens afghanischer Frauen für sich alleine betrachtet noch kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen Lebensstil" darstellt. Dies mag einen Aspekt "westlicher Lebensweise" ausmachen, doch stellen jene Aspekte, welche die tatsächlich gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar, als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Dies gilt umso mehr angesichts der vergleichsweise lockeren Kleidungsvorschriften für afghanische Männer.

 

Es ist nicht anzunehmen, dass bei einer Rückkehr des BF nach Afghanistan vermutet werden könnte, er hätte aufgrund seines Aufenthalts im Ausland, insbesondere in Europa, gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte verstoßen. Anhand dieser Ausführungen kann nicht erkannt werden, dass ihm aufgrund einer "Verwestlichung" eine konkrete Verfolgungsgefahr in Afghanistan drohen würde.

 

Im Übrigen besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer behaupteten "westlichen Orientierung" afghanischer Männer und einer solchen afghanischer Frauen, da Männer in Afghanistan grundsätzlich ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) führen können, weshalb die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu westlich orientierten Frauen nicht ohne Weiteres auf Männer übertragbar ist.

 

Aus den Länderberichten ist nicht ableitbar, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Dass der in Afghanistan geborene und aufgewachsene BF, der danach bis zu seiner Ausreise nach Europa im afghanischen Familienverband in Pakistan lebte, den Traditionen und Sitten in einem muslimisch geprägten Land aufgrund seines erst ca. dreieinhalbjährigen Aufenthalts in Österreich entfremdet wäre oder im Falle seiner Rückkehr als "verwestlicht" erkannt werden würde, konnte somit nicht plausibel dargetan werden.

 

Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ansatzweise erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. Der gegenständliche Sachverhalt ist daher nicht mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen behandelten Fällen vergleichbar (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; 15.12.2015, Ra 2014/18/0118 und 0119; 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall Eingriffe von asylrelevanter Intensität wegen des behaupteten "westlichen Lebensstils" des männlichen Beschwerdeführers bei einer hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären. Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.

 

Zum Vorbringen der Gefahr einer Zwangsrekrutierung:

 

Aus den Länderberichten geht zwar hervor, dass Zwangsrekrutierungen seitens der Taliban und anderer möglich sind. Daraus ist jedoch nicht ersichtlich, dass jeder junge Erwachsene automatisch einer Verfolgung auf Grund von drohender Zwangsrekrutierung in Afghanistan (konkret auch der Provinz Ghazni und der Städte Herat und Mazar-e Sharif) ausgesetzt wäre. Weiters ist darauf zu verweisen, dass die Berichtslage deutlich auf die Notwendigkeit der Beurteilung der besonderen Umstände des Einzelfalls abstellt (vgl. insb. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. 08.2018, S. 59 ff.). Dass der BF etwa bereits durch eine versuchte Zwangsrekrutierung in das Blickfeld der Taliban, des IS oder anderer geraten wäre, vermochte der BF - wie bereits dargelegt - aber nicht glaubhaft zu machen.

 

Auch der Umstand, dass es sich beim BF noch um einen Minderjährigen handelt, ist für sich genommen kein tauglicher Grund für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten. Zwar sind Kinder in Afghanistan - wie den Länderberichten zu entnehmen ist - immer wieder Opfer von Gewalt und sind wie festgestellt mitunter auch Rekrutierungen durch bewaffnete Gruppierungen ausgesetzt, eine allgemeine systematische Verfolgung durch die Taliban beziehungsweise eine allgemeine systematische Zwangsrekrutierung von Minderjährigen durch terroristische Gruppen kann auf Basis der Quellenlage jedoch nicht angenommen werden. Zudem hat der BF eine individuelle maßgeblich wahrscheinliche Gefährdung im vorliegenden Fall nicht glaubhaft vorgebracht.

 

3.6.4. Zum auf Pakistan bezogenen Fluchtvorbringen des BF:

 

Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen des Beschwerdeführers auf die schwierigen Lebensumstände in Pakistan aufhältiger Afghanen bezieht, so ist ihm entgegen zu halten, dass § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Auf Grund der afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers kann somit sein Vorbringen im Hinblick auf Pakistan außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

 

3.6.5. Abschließende rechtliche Ausführungen:

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien zwar besondere Beachtung zu schenken, ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0118-5, m.w.N.). In diesem Zusammenhang konnte der BF im Rahmen der Befragung vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung keine konkrete Bedrohung oder Verfolgung aufzeigen (siehe oben Beweiswürdigung). Eine denkbare Verfolgung ist nicht ausreichend. Vielmehr ist zu beachten, dass eine Verfolgungsgefahr erst dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

 

Im Verfahren haben sich auch sonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen:

 

Die allgemeine Lage in Afghanistan ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (vgl. etwa AsylGH 07.06.2011, C1 411.358-1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss des VfGH vom 19.09.2011, U1500/11-6 u.v.a.).

 

Auch aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lässt sich für den BF eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. VwGH 28.06.2005, 2002/01/0414). Wirtschaftliche Benachteiligungen einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich asylrelevant sein (vgl. VwGH 06.11.2009, 2006/19/1125). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, 95/20/0482). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

 

Es ist dem BF nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat trotz Kombination mehrerer Risikogruppen glaubhaft darzutun. Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.7. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

3.7.1. Gesetzliche Grundlagen

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn sein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat aber eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

3.7.2. Prüfumfang und Judikatur

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016, mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Nr. 25904/07, NA/Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, RNr. 217). In diesem Zusammenhang fasst Thurin, in: Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung (2012), 203 die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases") wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ). Er umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und 30.01.2014, C-285/12 , Diakite).

 

Zusammenfassend: Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, mwN).

 

Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser (EGMR 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u. a./Schweden, RNr. 91 und 96, VfGH 12.12.2017, E 2068/2017-7). In diesem Zusammenhang sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen. Bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von anderen Personen im Herkunftsstaat unterscheidet (vgl. RNr. 94), ist im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden (a.a.O., RNr. 97).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind.

 

Der BF konnte keine ihn individuell treffenden Bedrohungen glaubhaft machen. Es muss aufgrund der dargestellten Ergebnisse des Verfahrens davon ausgegangen werden, dass er im Falle seiner Rückkehr keiner "realen Gefahr" iSd Art 2 oder Art 3 EMRK ausgesetzt wäre, die subsidiären Schutz notwendig machen würde.

 

Es sind auch unabhängig davon keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ihm im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm. § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (z.B. Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens.

 

Nach Ansicht des EGMR ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR 09.04.2013, Nr. 70073/10 und 44539/11 H. und B./Vereinigtes Königreich, sowie zuletzt die Urteile vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande:

S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). Die allgemeine Situation in Afghanistan steht daher als solche einer Rückführung des BF im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Mazar-e Sharif, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

 

3.7.3. Fallbezogen ergibt sich:

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029). Die Herkunftsregion des BF ist die Provinz Ghazni. Da eine Rückkehr in seine Heimatprovinz aufgrund der vorherrschenden volatilen Sicherheitslage nicht in Betracht gezogen werden kann, stehen dem BF gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 andere Regionen des Landes - nämlich die Städte Herat und Mazar-e Sharif - aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände für eine Rückkehr offen (vgl. VfGH 11.10.2012, U677/12). Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen zu prüfen. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen.

 

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet wesentliche Bedeutung zukommt. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in dem ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001-5). Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, wobei die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu verifizieren ist (vgl. dazu VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Herat und in Mazar-e Scharif nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Herat und Mazar-e Sharif sowie größere Transitrouten hat. Auch ist Herat und Mazar über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut bzw. sicher erreichbar. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage für den BF noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, mwN).

 

3.7.3.1. Zur Rückkehrmöglichkeit in die Stadt Herat:

 

In der Stadt Herat besteht für den BF weder wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK noch sind in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gegeben.

 

Unter Berücksichtigung der soeben ausführlich dargelegten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers wäre es diesem möglich und zumutbar, sich in Herat anzusiedeln.

 

Die Stadt Herat ist die Hauptstadt der vergleichsweise gut entwickelten gleichnamigen Provinz im Westen des Landes. Herat wird als relativ friedliche Provinz gewertet. Aufständische sind in einigen Distrikten der Provinz, nicht jedoch in der Stadt Herat aktiv. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle ist vergleichsweise gering. Die Lage in der Stadt Herat kann insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden. Auch ist Herat eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut und sicher erreichbare Stadt.

 

In Herat ist der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie zu Erwerbsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der oben angeführten Länderfeststellungen grundsätzlich gegeben, wenn auch in dieser Stadt die Gesamtsituation insbesondere wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der notorischen aktuellen Türe in der Provinz Herat derzeit angespannt ist. Der aktuellen Berichtslage ist jedoch auch in Bezug auf die Stadt Herat nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der dortigen Bevölkerung (mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser) generell nicht mehr gewährleistet oder dass die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen wäre. Ebenso wenig sind dem Bundesverwaltungsgericht Berichte über eine bestehende (oder unmittelbar drohender) Hungersnot bzw. über eine (herannahende) humanitäre Katastrophe in Herat bekannt.

 

3.7.3.2. Zur Rückkehrmöglichkeit in die Stadt Mazar-e Sharif:

 

In Mazar-e Sharif besteht für den Beschwerdeführer weder wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK noch sind in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gegeben.

 

Wie zu zeigen sein wird, ist dem BF eine Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif sowohl unter dem Aspekt der Sicherheits- und Versorgungslage als auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände zumutbar.

 

Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif kann nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste.

 

Die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen - so etwa auch in Europa (z.B. Vereinigtes Königreich, Frankreich etc.) oder in der Türkei - vermag für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde.

 

Insbesondere stellt die lokale Sicherheitslage in Mazar-e Sharif zum Entscheidungszeitpunkt kein Hindernis einer Rückkehr (nach den oben genannten Maßstäben) dar. Wie festgestellt, ist die Provinz Balkh nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans; sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Balkh, wo sich die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes befindet, gehört gesamthaft betrachtet auch im Lichte der in den Länderberichten verzeichneten Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle dennoch zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans.

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

 

Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Wie aus den o.a. Erkenntnisquellen ersichtlich ist, stellt sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum in den Städten insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und finanzielle Unterstützung schwierig dar.

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie zu Erwerbsmöglichkeiten ist in Mazar-e Sharif mit Blick auf die o.a. Länderfeststellungen grundsätzlich gegeben, wenn auch die Gesamtsituation insbesondere wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der notorischen aktuellen Dürre (u.a.) in der Provinz Balkh derzeit angespannt ist. Der aktuellen Berichtslage ist jedoch nicht zu entnehmen, dass etwa die Grundversorgung der Bevölkerung in der Stadt Mazar-e Sharif (mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser) generell nicht mehr gewährleistet oder dass die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen wäre. Ebenso wenig sind dem Bundesverwaltungsgericht Berichte über eine bestehende (oder unmittelbar drohende) Hungersnot bzw. über eine (herannahende) humanitäre Katastrophe in Mazar-e Sharif bekannt.

 

Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es im Übrigen nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände vermochte der BF im Verfahren jedoch nicht darzulegen:

 

Der BF hat im Lichte seiner Arbeitsfähigkeit und Berufserfahrung durchaus passable Chancen, sich am Arbeitsmarkt in Herat oder Mazar-e Sharif zu integrieren und dort eine Unterkunft zu finden.

 

Der BF kann durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Herat oder Mazar-e Sharif das Auslangen finden. Deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen.

 

Im Ergebnis ist aufgrund der Arbeitsfähigkeit und Berufserfahrung von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF auszugehen. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung der Sicherheitslage und existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft etc.) in Mazar-e Sharif oder Herat einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es somit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass der BF in der Lage ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat ist dem BF somit möglich und auch zumutbar.

 

Dafür, dass der BF in Ansehung der Sicherheitslage und existenzieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft etc.) in Mazar-e Sharif oder Herat einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es somit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass der BF in der Lage ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat ist dem BF somit möglich und auch zumutbar.

 

Durch eine Rückführung des BF in den Herkunftsstaat besteht die Möglichkeit, dass der BF in Herat mit einer schwierigen Lebenssituation insbesondere bezüglich der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht konfrontiert wäre. Jedoch wird er dadurch nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Aufgrund der vorgenommenen Prüfung im Einzelfall (VfGH 13.09.2012, U370/2012) unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des BF sowie unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH und VfGH und Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.8. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der BF befindet sich erst seit Februar 2014 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt. Um über diese Aufenthaltstitel abschließend entscheiden zu können, hat daher eine Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung vorauszugehen (VwGH vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 22.02.2017, Ra 2017/19/0043).

 

Die Aufenthaltsdauer stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0070, mwN). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH vom 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). Eine Aufenthaltsdauer von drei Jahren ist noch nicht so lange, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Der BF lebt seit Februar 2016 in Österreich. Im Hinblick auf die Zeitspanne seines Aufenthaltes, kann selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale - wie etwa Unbescholtenheit, ein Bekanntenkreis im Bundesgebiet usw. - eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" noch nicht angenommen werden.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. dazu im Erkenntnis des VwGH vom 26.04.2010, Zl. 2006/01/0354 zitierte Rechtsprechung des EGMR; 19.03.2013, 2012/21/0178). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen, wie z.B. zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, zwischen Geschwistern, zwischen Onkel/Tanten und Neffen/Nichten, usw., fallen jedoch nur dann unter den Schutz des Art 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. zuletzt VwGH vom 02.08.2016; Ra 2016/20/0152). In diesem Zusammenhang sind keine intensiven Beziehungen zu allfälligen in Österreich aufhältigen Familienangehörigen oder dem BF sonst besonders nahestehende Personen hervorgekommen, zumal die Kernfamilie des BF nicht in Österreich lebt.

 

Unter Privatleben sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR U 23.06.2008 (GK), Maslov vs. Österreich, 1638/03, Rz 63). Eine den Schutz auslösende Verbindung kann insbesondere für solche Asylwerber in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland quasi Österreichern gleichzusetzen ist. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass Österreich faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit dem Herkunftsland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbindet (vgl. EGMR 26.03.1993, Beldjoudi vs. France, Nr. 12083/86). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52). In der Folge werden integrationsrelevante Aspekte des Privatlebens des BF näher untersucht:

 

Hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse ist der BF teilweise in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren.

 

Da der BF keine Arbeitserlaubnis hat, war er bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er geht in die Neue Mittelschule und bereitet sich auf den Pflichtschulabschluss vor. Er übt bei der Freiwilligen Feuerwehr eine gemeinnützige Tätigkeit aus und verdient sich durch das Durchführen einfacher Reinigungstätigkeiten noch ein wenig Taschengeld. In diesem Zusammenhang bringt der VwGH in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie eine etwaige Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt, keine wesentliche Bedeutung zukommen (VwGH 22.02.2011/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/016; 29.06.2010, 2010/18/0195, mwN). Dabei kommt es nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob dem Betroffenen ein "Vorwurf" im Hinblick auf eine unterlassene Integration am Arbeitsmarkt zu machen ist, sondern darauf, ob sie ihm gelungen ist oder nicht (VwGH 19.04.2012, 2010/21/0242). Im Ergebnis ist dem BF - auch durch die Schulausbildung bedingt - die wirtschaftliche Integration in Österreich nicht gelungen.

 

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war bisher auch sonst politisch nicht aktiv. Abgesehen von seiner Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr ist der BF noch Mitglied in einem Fußballverein. In seiner Freizeit betreibt der BF noch Boxen, geht spazieren und trifft sich mit seinen Freunden.

 

Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben belegt. Daraus ist zu entnehmen, dass der BF als hilfsbereit, freundlich und fleißig wahrgenommen wird.

 

Insgesamt ist die Integration des BF in Österreich nach Ansicht des BVwG nur schwach ausgeprägt. Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt berücksichtigungswürdige besondere Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind nicht erkennbar. Auch sind in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die integrativen Bemühungen des BF aber insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

Der BF verfügt über Bindungen zum Herkunftsstaat. Der BF wurde in Afghanistan geboren und wuchs in weiterer Folge in Pakistan in einem afghanischen Familienumfeld auf, wo er umfassend sozialisiert wurde. Durch seinen Aufenthalt in Afghanistan und das Aufwachsen in einem afghanischen Familienumfeld ist der BF auch mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Ferner hat er weiterhin noch Kontakt zu Verwandten sowie beherrscht der BF mit Dari als Muttersprache eine Sprache des Herkunftsstaates. Die Kenntnis einer Sprache des Herkunftsstaats ist - im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse - ein bedeutsamer Umstand (vgl. EGMR 26.03.1993, Beldjoudi vs. France, Nr. 12083/86). Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen einem Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188).

 

Der BF erhält in Österreich keine medizinische Behandlung, welche er in seinem Herkunftsland nicht bekommen würde (siehe dazu VwGH vom 28.04.2015, Ra 2014/180146 bis 0152; VwGH 29.02.2012, 20110/21/0310 bis 0314 und 210/21/0366; VfGH 21.09.2015, E 332/2015). Der Vollständigkeit halber wird hierzu noch angeführt, dass er aufgrund eines Sehnenrisses im Fuß noch in ärztlicher Betreuung steht. Diese Behandlungen aber aufgrund der vorangeschrittenen Heilung in naher Zukunft beendet wird, sodass der BF als gesund zu betrachten ist.

 

Die Tatsache, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine relevante Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist hinsichtlich der vorliegenden integrationsbegründenden Umstände zu beachten, dass sie gemindert werden, wenn sie zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste und somit nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich bleiben zu können (zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070, mwN). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber geduldet war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein, zumal aus der Beweiswürdigung in Bezug auf die behaupteten Fluchtgründe hervorgeht, dass der BF aufgrund der getätigten unwahren Angaben nicht mit einer Zuerkennung eines Schutzstatus rechnen konnte.

 

Die Dauer des vorliegenden Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die vom Asylgerichtshof angesprochenen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Ausweisung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (VfGH 12.06.2013, U485/2012; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, 47.017/09).

 

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund treten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN). Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

Im Ergebnis kann daher eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Ein diesbezüglich bestätigender formaler Abspruch hat jedoch zu unterbleiben (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/21/0174). Insgesamt liegen die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 vor: Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Wie bereits oben ausgeführt sieht auch der EGMR in seiner jüngsten Rechtsprechung die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist durch das BFA zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen war dem BF nicht zu erteilen. Im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung aus den in § 57 AsylG 2005 angeführten Gründen hätten schließen lassen. Ferner sind auch keine Umstände bekannt, welchen zufolge gegenständlich von einem Anwendungsfall des § 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 gesprochen werden könnte.

 

Daher war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 10, 55 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Die Schilderungen des Beschwerdeführers waren derart vage, dass die Zweifel der belangten Behörde an der konkreten Bedrohungssituation für den BF völlig zurecht aufgebracht wurden. Zur fraglichen Situation in Herat und in Mazar-e Sharif ist es hinreichend festgestellt, dass dem arbeitsfähigen Beschwerdeführer wohnen und Ernährung sowie Gesundheitsversorgung zugänglich ist. Zum verneinten Schutz des Privat- und Familienlebens war insbesondere die kurze Dauer des Aufenthaltes von weniger als 3,5 Jahren ausschlaggebend.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte