VwGH 98/20/0505

VwGH98/20/050520.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des PS in Linz, geboren am 1. Jänner 1972, vertreten durch Dr. Roland Gabl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Karl-Wiser-Straße 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Juli 1998, Zl. 203.944/0-XI/35/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone. Er reiste am 2. Juni 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Juni 1998 wurde sein Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig erklärt.

Das Bundesasylamt erachtete folgende Angaben des Beschwerdeführers für glaubhaft:

"Sie hätten für Koroma gekämpft und seien gegen Kabbah. Sie hätten im Mai 1977 zu kämpfen begonnen und gegen Ende letzten Jahres damit aufgehört.

(...)

Gefragt, ob man Sie gesucht hat, erklärten Sie, Sie hätten einmal mit anderen Koroma-Anhängern versucht, das Haus Kabbahs zu stürmen, was Ihnen jedoch nicht gelungen sei. Dies sei im Jänner oder Februar 1998 gewesen. Sie hätten nicht gewusst, ob Kabbah zu diesem Zeitpunkt zu Hause gewesen sei.

Sie hätten Kabbah töten wollen, damit Koroma wieder an die Macht kommt; Sie würden aber von Soldaten an der Stürmung des Hauses gehindert worden sein. Während der Kampfhandlungen seien von den Kämpfern Videoaufzeichnungen gemacht worden; Sie hätten einen Mann mit Kamera gesehen.

Freunde hätten Ihnen erzählt, dass einige Personen aufgrund der Videoaufzeichnung festgenommen worden seien. Sie hätten davon in der Zeitung gelesen.

Gefragt, wo sich das Haus Kabbahs befindet, erklärten Sie, dies würde in der Stadt gelegen sein. Weiters gefragt, welche Stadt Sie meinen würden, gaben Sie an, Kabbah hätte ein Haus in Port Loko; dieses hätten Sie angegriffen.

Nach dieser Attacke seien Sie wieder in den Busch gegangen, wo sie immer gelebt hätten und seien dort bis zu Ihrer Ausreise verblieben.

(...)

Wie viele an der Stürmung des Hauses Kabbahs beteiligt gewesen

seien, würde ihnen nicht bekannt sein.

Im Zuge jener Stürmung, seien Soldaten, die das Haus Kabbahs beschützt hätten, getötet worden und Sie hätten deren Gewehre an sich genommen.

Aus den hier dargelegten Gründen hätten Sie ihren Heimatstaat verlassen.

Bis dahin hätten Sie im Busch in der Nähe von Port Loko gelebt und seien folglich zu Fuß nach Queen Elizabeth Port gegangen. Sie hätten den Busch ca. Anfang Mai verlassen; Sie seien ca. gegen 6.00 Uhr morgens weggegangen und seien am Nachmittag in Queen Elizabeth Port angekommen."

Keinen Glauben schenkte die erstinstanzliche Behörde den Angaben des Beschwerdeführers, er würde im Falle seiner Rückkehr nach Sierra Leone aus den bereits dargelegten Gründen eingesperrt und getötet werden. Die Furcht des Beschwerdeführers sei nicht nachvollziehbar, weil sie sich lediglich auf Vermutungen, nicht aber auf konkrete Anzeichen einer Verfolgung stütze.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. Die belangte Behörde ermittelte eine Chronik politischer Ereignisse in Sierra Leone ab Mai 1997 und hielt diese dem Beschwerdeführer mit der Aufforderung vor, nähere Angaben über die Umstände der Erstürmung des Hauses Kabbahs zu machen. Dieser Aufforderung ist der Beschwerdeführer mit einer Stellungnahme vom 22. Juli 1998 in folgender Weise nachgekommen:

"a. Das Haus, das wir angriffen, wurde von ca. 25 - 30 (ich kann es nicht so genau sagen) Sicherheitsleuten Kabbahs bewacht, d. h. sie waren Angehörige des Sicherheitssystems Kabbahs.

b. Bezüglich der Anzahl der Leute, die auf unserer Seite gekämpft haben, als wir das Haus stürmten, ist zu sagen, dass wir 20 Leute waren.

c. Kabbahs Sicherheitsleute waren mit automatischen Maschinengewehren ausgerüstet, wir verfügten nur über "einfache" Gewehre.

d. Erstens wurde ein Videoband von unserer Attacke aufgenommen, das uns identifiziert und unseren Feinden somit leichter macht, sich an uns zu rächen. Zweitens erzählte mir ein Freund, dass man nach den Teilnehmenden am Sturm auf das Haus Kabbahs suchte. Man fand auch schon einige, es war also nur eine Frage der Zeit bis man auch mich gefunden hätte und mich ebenfalls umgebracht hätte."

Die belangte Behörde unterzog die Angaben des Beschwerdeführers unter Heranziehung der oben genannten Ermittlungsergebnisse einer Beweiswürdigung und gelangte zum Schluss, dass der Beschwerdeführer völlig unglaubwürdig sei und der von ihm geschilderte Sachverhalt nicht objektiviert werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

In der fristgerecht erstatteten Gegenschrift beantragt die belangte Behörde, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Verfahren der belangten Behörde ist mangelhaft geblieben, weil eine mündliche Verhandlung unterblieben ist.

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 Asylgesetz 1997 das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmungen des § 67d AVG Anwendung, sofern im Asylgesetz 1997 oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im Asylgesetz 1997 findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung.

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint.

Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat allerdings (nur) dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. insoweit dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Im vorliegenden Fall lagen diese Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß der Verfahrensvorschrift des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVE schon deshalb nicht vor, weil die belangte Behörde selbst ein Ermittlungsverfahren durchführte und gestützt auf dessen Ergebnisse zu einer anderen Beweiswürdigung gelangte, nämlich - im Gegensatz zur Auffassung des Bundesasylamtes - zur völligen Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567).

Weil die belangte Behörde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne der obigen Ausführungen unterlassen hat und bei Einhaltung der erwähnten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Sollte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergeben, dass den Angaben des Beschwerdeführers zumindest teilweise Glauben zu schenken ist, so wird es für die Beurteilung seines Asylantrages darauf ankommen, ob die ihm in seinem Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Folgen seines Verhaltens unter dem Gesichtspunkt der Ahndung politisch motivierter Gewaltakte ihrerseits als politische Verfolgung einzustufen sind (vgl. zu den dafür maßgeblichen Kriterien etwa Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, 107 ff).

Zu den zitierten Entscheidungen wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Mai 1999

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