BVwG W218 1415476-2

BVwGW218 1415476-220.4.2015

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W218.1415476.2.00

 

Spruch:

W218 1318545-2/35E

W218 1318546-2/25E

W218 1407165-2/16E

W218 1415476-2/17E

W218 1428685-1/14E

W218 1438441-1/14E

W218 2100949-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER über die Beschwerden von XXXX, die Minderjährigen vertreten durch XXXX, alle vertreten durch RA Dr. Zawodsky, Gumpendorfer Straße 71, 1060 Wien, alle Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom

XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF werden die Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, dieser vertreten durch RA Dr. Zawodsky, Gumpendorfer Straße 71, 1060 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.01.2015, Zl: 1048534600 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen.

III. Gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, §§ 52, 55 FPG wird der Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides behoben.

B) Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reisten am 14.02.2008 schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gem. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005. Sie gaben an über Polen eingereist zu sein, wo sie einen Asylantrag stellen haben müssen.

Im Zuge der Erstbefragung am 14.02.2008 gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er zwei Mal mitgenommen worden sei. Im Jahr 2006 sei er vier Tage festgenommen und um 6.000,-- Dollar freigekauft worden. 2008 sei er wieder zwei Tage festgenommen worden. Man habe ihn dann aus dem Fahrzeug geworfen. Vorher habe man ihm einen Sack über den Kopf gezogen, damit er nichts sehe. Nach diesem Vorfall habe er sich zur Flucht entschlossen. Sollte er noch einmal erwischt werden, werde er das sicher nicht überleben. Man habe ihm viele Rippen gebrochen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Erstbefragung am 14.02.2008 an, dass ihr Mann im Herkunftsstaat Probleme gehabt habe. Er sei zwei Mal festgenommen worden. Das erste Mal sei noch vor der Eheschließung gewesen, das zweite Mal am 10.01.2008. Beim ersten Mal sei er freigekauft worden, beim zweiten Mal "weggeworfen".

Einer Gutachtlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 28.02.2008 nach, leide die Zweitbeschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen psychischen Störung.

2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom 11.03.2008, Zlen. 08 01.612-EAST Ost und 08 01.611-EAST Ost, wurden die Anträge des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16/1/e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Sie wurden gem.

§ 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gem. § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

3. Gegen diese Bescheide brachten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin fristgerecht Berufung ein.

4. Mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom jeweils 09.04.2008, Zlen. 318.545-1/6E-XVI/48/08 und 318.546-1/6E-XVI/48/08, wurden die Berufungen mit der Maßgabe abgewiesen, dass Satz 2 des Spruchpunktes I. zu lauten habe: "Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz ist gemäß Artikel 16 Abs 1 litera c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig".

5. Am XXXX wurde die Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren und stellte am XXXX durch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Eigene Fluchtgründe wurden für die Drittbeschwerdeführerin nicht geltend gemacht.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2008, Zl. 09 04.541-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz gemäß Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Sie wurde gem.

§ 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gem. § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 19.02.2010, Zl. S6 407.165-1/2009/3E, gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

6. Im Verfahren des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin wurde die Behandlung der gegen die Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.04.2008 erhobenen Beschwerden mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.01.2010, Zl. 2008/19/0690, 0691-8, abgelehnt.

Am 24.03.2010 wurden die Erst- bis Drittbeschwerdeführer nach Polen überstellt.

7. Am 21.06.2010 reisten die Erst- bis Drittbeschwerdeführer erneut illegal nach Österreich ein und stellte der Erstbeschwerdeführer gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin stellten unter den Zlen. 10 05.398-EAST Ost und 10 05.399-EAST Ost, den zweiten Asylantrag.

Bei der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.06.2010 gab der Erstbeschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt Folgendes an: Er sei bei seinem ersten Asylantrag lediglich gefragt worden, warum er Polen verlassen habe. Er sei nicht gefragt worden, aus welchem Grund er Russland verlassen habe. Er möchte hiermit seine Gründe bekannt geben, warum er im Jahr 2008 seine Heimat verlassen habe. 2006 hätten ihn Kadyrovzy festgenommen und geschlagen und die Rippen gebrochen. Seine Mutter habe ihn freigekauft, er sei jedoch ständig gefragt worden, wo sich die Waffen befänden, da sie glaubten, dass er ein tschetschenischer Kämpfer sei. Zuletzt sei das am XXXX gewesen. Seit diesem Zeitpunkt habe er sich in Russland versteckt gehalten und 2008 seine Heimat verlassen. Er sei am XXXX zurück in seine Heimat gereist und habe sich bis XXXX aufgehalten. In dieser Zeit habe er sich jedoch versteckt gehalten. Danach sei er wieder nach Österreich gereist.

Der Erstbeschwerdeführer legte seinen russischen Inlandreisepass sowie die Heiratsurkunde vor.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Erstbefragung am 21.06.2010 an, dass ihr Mann 2006 von den Kadyrovzi festgenommen und geschlagen worden sei. Seine Familie habe ihn damals freigekauft. Seither habe er sich versteckt gehalten. 2008 seien sie deshalb ausgereist. Die Zweitbeschwerdeführerin sei von den Kadyrovzi ebenfalls geschlagen und befragt worden, wo sich ihr Mann aufhalte. Als sie 2010 nach Russland zurückgekehrt seien, habe sich ihr Mann wieder bei Verwandten versteckt. Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich bei ihrer Oma versteckt. Sie hätte Angst gehabt, dass sie wieder von den Kadyrovzi gefunden werden könnten und seien deshalb erneut nach Österreich gereist. Neue Gründe hätten sich in Russland nicht ergeben. Die alten Fluchtgründe seien noch aufrecht. Für die Drittbeschwerdeführerin gelten die gleichen Fluchtgründe.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte ihren russischen Inlandsreisepass vor.

8. Mit Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005 bzw. § 15a AsylG 2005 iVm § 63 Abs. 2 AVG wurde den Erst- bis Drittbeschwerdeführern am 25.06.2010 zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da seit 22.06.2010 Dublin Konsultationen mit Polen geführt werden.

Am 29.06.2010 langte die Zustimmung der polnischen Behörden zur Übernahme der Erst- bis Drittbeschwerdeführer ein.

9. Am XXXX wurde die Viertbeschwerdeführerin in Österreich geboren und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Eigene Fluchtgründe wurden für die Viertbeschwerdeführerin nicht geltend gemacht.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, Zl. 10 07.102-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz gemäß Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Sie wurde gem.

§ 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gem. § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.10.2010, Zl. S6 415.476-1/2010/2E, gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

10. Am 03.08.2010 wurde durch Asyl in Not ein psychotherapeutischer Kurzbericht vom 20.07.2010 übermittelt, wonach der Erstbeschwerdeführer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide.

Mit Schreiben vom 17.09.2010 wurden Befunde hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin vorgelegt, wonach sie an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung und einer reaktiven Bindungsstörung im Kindesalter leide.

11. Am 24.12.2010 ging eine Anzeige wegen Verletzung der Meldepflicht hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers beim Bundesasylamt ein. Demnach gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass der Erstbeschwerdeführer am XXXX wieder zurück nach Tschetschenien gereist sei.

Mit Aktenvermerk vom 19.01.2011 wurde das Verfahren des Erstbeschwerdeführers eingestellt, da sein Aufenthaltsort nicht bekannt oder leicht feststellbar sei.

Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer reisten am XXXX freiwillig in den Herkunftsstaat und wurde deren Antrag auf internationalen Schutz mit Aktenvermerk vom 19.01.2011 gemäß § 25 Abs. 1 AsylG 2005 als gegenstandslos erklärt.

12. Am 17.08.2011 reisten die Erst- bis Viertbeschwerdeführer erneut illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte die Zweitbeschwerdeführerin für sich und die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Dazu wurde die Zweitbeschwerdeführerin am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab an, dass sie am XXXX in den Herkunftsstaat zurückgekehrt seien. Sie hätte sich bei der Großmutter in XXXX aufgehalten. Zu Hause hätten sie nicht bleiben können. Ihr Mann habe sich aus Angst immer wo anders aufgehalten. Wenn sie nach Hause gekommen wären, wären sie sofort in Haft genommen worden. Die Asylgründe aus ihrem ersten Verfahren seien nach wie vor aufrecht. Neue Asylgründe gäbe es nicht. Für die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin würden die gleichen Asylgründe wie für die Zweitbeschwerdeführerin gelten.

13. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 29.08.2011 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost einvernommen, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab: Er sei im XXXX selbständig von Österreich nach Russland gereist. Er sei illegal gereist. Er habe sich in XXXX aufgehalten. Am XXXX sei er kurz in Tschetschenien gewesen. Er habe bei Verwandten gelebt. Befragt, ob er den Aufenthalt in der Russischen Föderation beweisen könne, sagte der Erstbeschwerdeführer, er habe ein Beweismittel gehabt. Er habe eine Ladung gehabt, dass er in Tschetschenien von der Polizei gesucht werde. Er habe diese Ladung aber am neuerlichen Weg nach Österreich in einem Zug zerrissen und am Klo heruntergespült, weil er mit seiner Familie unterwegs gewesen sei und Angst gehabt habe, dass man das Schreiben bei ihm finde und ihn nach Russland zurückschicke.

Er sei XXXX freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrt, weil es in Polen für ihn lebensgefährlich gewesen sei. In Polen sei er festgenommen und mehrmals verhört worden. Seit 2006 werde er in der Russischen Föderation gesucht und habe deshalb nicht legal nach Russland reisen können. Befragt, warum er sein Heimatland neuerlich verlassen habe, sagte der Erstbeschwerdeführer, wenn es möglich gewesen wäre, hätte er Russland schon früher wieder verlassen. Seit 2006 gäbe es für ihn überhaupt keinen Platz mehr in Russland. Es sei gefährlich für ihn. Am XXXX habe er seine Gattin zu ihren Großeltern in das Dorf XXXX gebracht. Er sei mit seiner Mutter nach XXXX zurückgefahren, wo sie Verwandte seiner Mutter besucht hätten. Danach seien sie nach XXXX gefahren, wo seine Eltern und er gewohnt haben. Sie hätten dort drei Wohnungen. Eine für seine Eltern, eine habe ihm gehört. Plötzlich sei die Wohnungstür aufgebrochen worden. Es seien Männer mit Waffen gewesen, die ihm gesagt hätten, dass er sich ankleiden solle und mit ihnen mitkommen solle. Seinen Eltern hätten sie gesagt, dass er überprüft und dann zurückgebracht werde. Sie hätten ihn in sein Auto einsteigen lassen. Er sei zu einem Haus gebracht worden. Er sei nicht überprüft worden. Ohne weitere Erklärung sei er dann zu einem Feld gebracht worden. Dort hätten die Männer von ihm gefordert zu sagen, wo die Waffen seien. Er sei mit einer Waffe geschlagen worden. Danach sei er nach XXXX in ein XXXX gebracht worden. Diese Männer seien Angehörige des tschetschenischen Sonderkommandos von Kadyrov gewesen. Der Erstbeschwerdeführer sei vier Tage lang dort gewesen und dann habe ihn sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, gegen die Zahlung von XXXX freigekauft. Er sei dann in die Stadt XXXX gebracht und dort freigelassen worden. Er sei in dem Lager so geprügelt worden, dass er heute noch Spuren davon habe (Er zeigt eine Narbe am rechten Oberarm). Nach diesem Vorfall sei er noch zwei Wochen in Tschetschenien geblieben. Dann sei er nach XXXX gegangen. Am XXXX sei er aus Tschetschenien nach XXXX gereist. Dort habe er bei seinem Onkel gelebt. Er habe dort zunächst einmal zwei Monate bleiben und dann nach Tschetschenien zurückkehren wollen. Er sei dann aber ein Jahr lang geblieben. Er habe zunächst geglaubt, dass die Geschichte in zwei, drei Monaten vergessen wäre. Doch es sei dann endlos gewesen. Sein Vater sei gekündigt worden. Seine Onkel väterlicherseits, die XXXX gewesen seien, seien ebenfalls wegen dem Erstbeschwerdeführer gefeuert worden. Ihnen sei erklärt worden, dass sie ihm geholfen hätten und ihn unterstützt hätten.

Nach seiner Rückkehr aus Österreich seien keine neuen Fluchtgründe entstanden, denn er habe sich versteckt. Er habe nicht irgendwo erkannt werden wollen.

Befragt, ob es noch weitere Fluchtgründe gäbe, sagte der Erstbeschwerdeführer, er sei zwar in XXXX gewesen, aber die Männer seien zu seinem Vater gekommen und er sei nach ihm gefragt worden. Das wäre alles seit dem Jahr XXXX und es gehe bis heute so. Im Jahr XXXX sei es etwas stiller gewesen. Beweismittel habe er keine, er werde sich aber die Ladungen nachschicken lassen.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenfalls am 29.08.2011 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, einvernommen, wobei sie im Wesentlichen Folgendes angab: Nach ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat habe sie bei ihrer Großmutter gewohnt und mit niemandem Kontakt gehabt. Aus Angst habe sie nicht gewollt, dass bekannt werde, dass sie in Tschetschenien sei. Ihre Mutter habe sie mit Lebensmittel versorgt. Ihren Mann habe sie nur einmal, am XXXX, gesehen.

Sie hätte ihre Heimat nicht verlassen, aber für ihren Mann habe es keinen Platz dort gegeben. Die Erstbeschwerdeführerin habe auch eigene Fluchtgründe. Sie habe Angst vor den Männern, denn es sei bekannt, dass diese Leute keine Gnade kennen. Sie sei müde, immer in Angst leben zu müssen. Sie wisse über die Fluchtgründe ihres Mannes Bescheid. Er sei schon einmal entführt und erst gegen Lösegeldzahlung freigelassen worden. Ihr Mann sei XXXX und habe genug Geld verdient. Beweismittel habe sie keine. Ihr Mann habe aber ein abgestempeltes Formular. Die Behörden bestätigen, dass es für ihren Mann ein Risiko wäre, in Tschetschenien zu leben.

14. Mit Schreiben vom 15.09.2011 übermittelte der Erstbeschwerdeführer eine in russischer Sprache verfasste XXXX.

15. Einem vom Bundesasylamt in Auftrag gegebenen Neurologisch-Psychiatrischen Gutachten vom 16.09.2011 ist zu entnehmen, dass der Erstbeschwerdeführer an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion leide. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen.

Einem vom Bundesasylamt in Auftrag gegebenen Neurologisch-Psychiatrischen Gutachten vom 16.09.2011 ist zu entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion leide. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen.

16. Der Erstbeschwerdeführer wurde am 18.10.2011 vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab zu seiner gesundheitlichen Situation befragt an, dass er derzeit nicht in ärztlicher Behandlung stehe und keine Medikamente nehme.

Der Erstbeschwerdeführer habe im Herkunftsstaat XXXX und danach ein Jahr lang als XXXX gearbeitet. Ab 2004 habe er eine Weiterbildung absolviert. Seine Familie sei wohlhabend gewesen, er habe nicht arbeiten müssen. Im Herkunftsstaat leben seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester. Der Vater arbeite als XXXX, die Mutter sei im Verkauf tätig gewesen. Der Bruder gehe noch zur Schule und die Schwester sei Hausfrau. Sein Onkel betreibe eine XXXX. Es leben auch noch zahlreiche weitere Verwandte im Herkunftsstaat.

Im Jahr 2008 haben die Erst- und Zweitbeschwerdeführer beschlossen auszureisen. Sie haben sich Pässe besorgt und standesamtlich geheiratet. Am XXXX seien sie ausgereist. Er glaube, dass die Pässe XXXX ausgestellt worden seien. Bei der Passausstellung habe es keine Probleme gegeben.

Zu den Aufenthaltsorten der letzten drei Jahre vor seiner Ausreise befragt, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er von XXXX gelebt habe. Nach seiner Mitnahme am XXXX und viertägiger Anhaltung sei er nach XXXX gefahren, wo er bis Anfang XXXX in der XXXX medizinisch versorgt worden sei. Dann sei er nach XXXX bzw. einer Stadt in der Nähe von XXXX gereist und habe sich dort bis XXXX aufgehalten. Dann sei er zurück nach Tschetschenien, wo er sich bei Freunden bis zu seiner Ausreise am XXXX aufgehalten habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich während dieser Zeit bei ihrer Mutter in XXXX bzw. Großmutter in XXXX aufgehalten.

Nach seiner Heimkehr im XXXX habe er bei einem Freund XXXX. Die Zweitbeschwerdeführerin habe sich bei ihrer Großmutter aufgehalten. Er habe sie nur einmal am XXXX gesehen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er am XXXX mit seiner Mutter in die Wohnung gekommen sei. Er habe sich ins Bett gelegt und habe Schritte von mehreren Personen im Hausgang gehört. Dann sei die Eingangstür aufgebrochen worden und diese Leute, mehrere Personen, seien herein gekommen. Einer habe eine Pistole auf ihn gerichtet. Ihm sei gesagt worden, er soll sich anziehen. Er sei unter Schock gestanden und seine Hände hätten gezittert. Dann sei er in sein Auto gesetzt worden. Als die Mutter aus dem Hauseingang heraus gekommen sei, habe einer der Männer namens XXXX seine Pistole auf ihn gerichtet und gesagt, dass er das ganze Magazin auf sie abfeuere, wenn sie nicht wieder hineingehe. Dann sei sein Vater herausgekommen und habe gefragt, wohin er gebracht werde. Ein anderer Mann mit Vornamen XXXX, sie seien die Anführer gewesen, habe zu seinen Eltern gesagt, sie sollen sich keine Sorgen machen, sie würden ihn rausfahren, mit Hilfe des Computers überprüfen ob er gesucht werde, dann werde er entlassen. Er sei am Steuer gesessen, neben ihm sei eine Person, hinten eine zweite gesessen. Sie seien auf die Straße gefahren, dann sei er gefragt worden, was er gemacht habe. Hinter ihm seien weitere PKWs gefahren, mit denen sie zu ihm gekommen seien. Sie seien zu einem Feld nahe XXXX gefahren. Dort habe er in ein anderes Auto umsteigen müssen. XXXX habe die hintere linke Tür aufgemacht, die Pistole auf ihn gerichtet und gesagt, dass er alles erzählen solle, was er gemacht habe. Er habe angeblich Informationen über ihn. Dann habe er ihm mit dem Pistolengriff auf die Schulter geschlagen. Dann haben sie ihn in den Kofferraum des Autos geschmissen und haben ihn nach XXXX gebracht. Das sei eine Militärstation und heiße XXXX. Als die Männer am Kontrollposten gefragt hätten, wen sie gebracht haben, hätten sie gesagt, sie hätten einen Teufel gebracht. Als er aus dem Kofferraum geholt worden sei, seien dort andere Männer gestanden. Sie haben lange Bärte getragen und gesagt, dass er alles erzählen solle. Er habe gesagt, dass er von nichts wisse. Es seien 15-20 Personen gewesen, sie seien von allen Seiten auf ihn zugekommen und haben ihn mit Holzknüppeln, Gummiknüppeln und Kabeln geschlagen. Sie haben ihn über Waffen und Widerstandskämpfer gefragt. Sie haben ihn bis in der Früh zusammengeschlagen. Sie seien weggegangen, dann seien sie wieder gekommen, vielleicht haben sie mit jemandem telefoniert, der ihnen Informationen gegeben habe. Dann sei er in eine Zelle gebracht worden, wo 3 weitere junge Männer gewesen seien, einer von ihnen sei in derselben Nacht mitgenommen worden. Sie haben gesagt, dass alle Verwandten dieses Mannes umgebracht worden seien, davon wissen alle Tschetschenen. Die anderen 2 haben Militäruniform getragen und seien nicht geschlagen worden. Er habe später gehört, dass der dritte, der mitgenommen worden sei, getötet worden sei. Die anderen zwei haben ihm empfohlen auszupacken, er solle seine Gesundheit nicht schädigen, er soll alles erzählen. In dieser Nacht sei er mehrmals zusammengeschlagen worden. Sie seien gekommen, haben ihn geschlagen, seien wieder gegangen, das habe sich mehrmals wiederholt. Tagsüber sei dort niemand geschlagen worden, niemand habe erfahren sollen, dass sie dort seien. In der Zelle sei eine Metalltür mit einem Sehschlitz gewesen. Er habe gesehen, dass dort 3 Frauen als Köchinnen gearbeitet haben. Erst nachdem sie weg gewesen seien, haben die Kadyrowzy dort die Leute zusammengeschlagen. Sie haben ihn über verschiedene Sachen gefragt, unter anderem auch über den XXXX, er habe aber tatsächlich mit Vornamen XXXX geheißen. XXXX und andere Widerstandskämpfer, ca. 15 Personen, hätten bei ihnen zu Hause übernachtet. Das sei im Jahr XXXX gewesen. Er sei über Waffen gefragt worden, sie haben gesagt sie wissen, dass er gekämpft habe. Sie haben ihn auch beschimpft. In der dritten Nacht seien Maskierte zu seiner Zelle gekommen und haben gesagt, dass er sich keine Sorgen machen solle, die Sache würde für ihn gut ausgehen. Er habe Narben an seinem Körper von den Schlägen. Er sei auch am Bein verletzt worden. Bis XXXX habe er Blut im Urin gehabt. Mehrere Rippen seien ihm gebrochen worden. Zum Schluss sei er bereit gewesen, alles zu unterschreiben, alles Mögliche auf sich zu nehmen. Hauptsache, sie würden ihn rauslassen. Er sei so weit gewesen, dass er davon geträumt habe, dass sie ihn töten und dem ganzen ein Ende setzen. Sie haben ihm gesagt, dass sie einfache Leute nicht herbringen, sie hätten Informationen gegen ihn und wenn sie eine Person finden, die bestätige, dass er eine Waffe in der Hand gehabt habe, dann müssen sie ihn umbringen. Am 4. Tag haben sie einen Bekannten des Erstbeschwerdeführers dorthin gebracht. Dieser Bekannte habe das erzählt, was die Behörden hören wollten, dass er angeblich Waffen gehabt habe. Dann sei ihm gesagt worden, dass sie jetzt zu ihm nach Hause fahren um seine Schwester und Mutter abzuholen. In der vierten Nacht sei er in das Büro dieser Einrichtung gebracht worden und von den Kommandeuren mit Knüppeln zusammengeschlagen worden. Einer von ihnen sei hinter ihm gestanden, er habe am Boden gekniet. Diese Person habe ihm auf die Ohren geschlagen, aus seinen Haaren zwei "Hörner" gedreht und gesagt, dass er ein Teufel sei. XXXX, der ihm gegenüber gesessen sei, habe das alles auf seinem Handy aufgenommen. XXXX, der seitlich gesessen sei, habe eine Pistole gehabt. Er habe gesagt, er bringe den Erstbeschwerdeführer nach XXXX. Dort sei es noch viel schlimmer als bei ihnen. Dann habe er ihm seine Pistole gegeben, sie wieder zurückgenommen und gesagt, dass er jetzt seine Fingerabdrücke auf der Waffe habe, der Erstbeschwerdeführer solle auf einem Blatt Papier eine Erklärung schreiben. Er sei dann zu einem Kontrollposten gebracht worden und habe dann geschrieben, dass bei seiner Festnahme eine Pistole PM sichergestellt worden sei. Er hätte noch weiter schreiben sollen, dass er gekämpft habe und Attentate verübt habe. Ein älterer Mann habe ihn gefragt, wie er zu XXXX stehe. Er habe geantwortet, dass das sein Verwandter sei. Dann habe der Mann gesagt, dass er nichts mehr schreiben müsse, wenn er es nicht will. Dann sei er in den Hof hinausgeführt und in ein Fahrzeug gesetzt worden, das Kennzeichen sei XXXXgewesen. Er sei mit XXXX im Fahrzeug gesessen und mit seinem Auto sei XXXX gefahren. Sie seien Richtung XXXX gefahren. XXXX habe sich entschuldigt und gesagt, es sei seine Arbeit. Der Erstbeschwerdeführer habe geantwortet, es sei alles in Ordnung. Auf der Straße zwischen XXXX und XXXX seien sie stehen geblieben und er sei in sein Auto umgestiegen. XXXX sei am Steuer gesessen. Im Zentrum von XXXX hätten sie gestoppt. Ein schwarzes Auto sei gekommen, Polizisten seien aus dem Auto ausgestiegen und hätten mit XXXX gesprochen. Die Polizisten hätten XXXX gefragt, ob das Auto mit der XXXX mit ihm unterwegs gewesen sei, er habe bejaht und dann habe er jemanden angerufen und das Handy dem Polizisten gegeben. Dann seien die Polizisten sofort weggefahren. Dann habe er gesehen, wie sein Onkel XXXX über die Straße gegangen sei und da sei ihm klar geworden, dass er entlassen werde. Dann sei er mit seinem Onkel mit seinem Auto nach XXXX gefahren. Auf der Strecke nach XXXX haben andere Verwandte mit dem Auto auf ihn gewartet, kurz vor XXXX hätte er eine Reifenpanne gehabt, er habe das Auto stehen gelassen und sei mit den anderen Verwandten weiter gefahren bis XXXX. Der Onkel habe ihm später erzählt, dass XXXX vor den Augen des Onkels das Erklärungsschreiben, das er geschrieben habe, zerrissen habe. Sein Onkel habe XXXX bezahlt.

Befragt, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen möchte, sagte der Erstbeschwerdeführer, in dieser Zeit haben diese Leute seine Alufelgen abmontiert und auf ihr Auto montiert. XXXX habe seinen Onkel später angerufen und gesagt, wenn sie sich bei jemandem darüber beschweren, würde das für sie schlecht enden.

Zuletzt am XXXX haben die Nachbarn erzählt, dass jemand von den Behörden vor ihrer Tür gewesen sei und nach dem Aufenthaltsort des Erstbeschwerdeführers gefragt habe. Auch sein Vater sei mitgenommen und nach dem Aufenthaltsort des Erstbeschwerdeführers befragt worden. Wann genau habe der Vater am Telefon aus Angst nicht sagen können. Vor kurzem sei XXXX mitgenommen worden, und zwar auch von diesem XXXX. Er habe gehört, dass sein Vater ca. 1.000.000 Rubel für seine Freilassung bezahlt habe, XXXX sei jetzt in einem Krankenhaus in XXXX. Bei seiner Festnahme sei er aus dem 3. Stock gesprungen und habe sich am Rücken verletzt. XXXX möchte sich jetzt als ein Guter darstellen, als der XXXX hinunter gefallen sei habe er ihn ins Krankenhaus gebracht.

Der Erstbeschwerdeführer sei von einer Einheit namens XXXX mitgenommen worden, das sei eine XXXX unterstellt sei. Sie haben schwarze Militäruniformen getragen und XXXX.

Befragt nach dem letzten Vorfall, der ihn persönlich betroffen habe, sagte der Erstbeschwerdeführer, vom XXXX an sei er 4 Tage festgehalten worden, am 4. Tag in der Nacht sei er frei gekommen.

Die Ladung für den XXXX sei ihm von einem Polizisten zugestellt worden. Sein Vater oder seine Mutter hätten die Ladung entgegengenommen. Jetzt sei ihm die Vorladung per DHL nach Österreich geschickt worden. Befragt, was diese Ladung beweisen solle, sagte der Erstbeschwerdeführer, ihm sei gesagt worden, dass er Beweismittel hier vorlegen solle, er habe zu Hause angerufen und ihm sei diese Ladung hergeschickt worden. Als er in Polen in Schubhaft gesessen sei habe er die anderen Schriftstücke, die er gehabt habe, zerrissen. Nachgefragt gab er an, er habe Angst gehabt, dass er von Polen abgeschoben werde, es sei dort öfters vorgekommen, dass Leute nach Kaliningrad überstellt worden seien. Er habe Angst, dass die russischen Behörden dieses Schriftstück in die Hände bekommen. Vielleicht wäre er getötet worden oder spurlos verschwunden. Ihm seien viele Fälle bekannt, dass die Menschen vom FSB mitgenommen und getötet werden. Dann werde berichtet, dass diese Person bei einem Fluchtversuch getötet worden sei. Dem Erstbeschwerdeführer wurde vorgehalten, wenn tatsächlich nach ihm gesucht würde, bräuchte man diese Schriftstücke gar nicht finden, sondern sein Name wäre genug, wenn er auf einer Fahndungsliste stehe. Er antwortete, 2007 seien einige Polizisten getötet worden, dann seien die Beamten zu seinem Vater gekommen und haben gesagt, dass der Erstbeschwerdeführer der Täter sein könnte. Nach einer Woche haben sie den Täter gefasst. Er habe im Computer selbst nachgeschaut betreffend die Fahndungslisten und habe nichts gefunden, dass er auf der Liste der Gesuchten stehe. Die Seite heiße "Tschetschen Press", entweder .ru oder .com

Es handle sich bei dieser Ladung um eine Zeugenladung, nicht als Beschuldigter. Man werde mit dem Vorwand als Zeuge dorthin geladen, dann werde einem alles Mögliche angehängt.

Befragt, was der Erstbeschwerdeführer tatsächlich von 2004 bis zu seiner Ausreise gemacht habe, sagte er, er habe sich weitergebildet, nichts Weiteres gemacht. Er sei nach XXXX gefahren, jedes Jahr im April gäbe es dort XXXX. Er habe dort viele Bücher gekauft. Während seines Studiums habe er sogar besseres Lehrmaterial als seine Lehrer gehabt. Offizielle Kurse besucht oder Prüfungen abgelegt habe er nicht. Er habe zwei Jahre nur Bücher gelesen.

Befragt, warum er im XXXX heimgekehrt sei, sagte der Erstbeschwerdeführer, es sei ihm nichts anderes übrig geblieben. Es habe die Gefahr bestanden, dass man ihn in die Heimat abschiebe, er kenne einen Mann, der von Österreich nach Polen abgeschoben worden sei und dann gleich nach Russland, dieser Mann sei jetzt in Weißrussland. Es könne diesem Mann etwas passieren, wenn er nach Tschetschenien fahre, darum sei er jetzt in Weißrussland.

Dem Erstbeschwerdeführer wurde das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 16.09.2011 vorgehalten, wonach er an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion leide. Er sei in der Lage, widerspruchsfreie und schlüssige Angaben zu tätigen. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen, im Falle einer Überstellung in das Heimatland sei nicht davon auszugehen, dass er in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtere. Zur Überstellung seien keine spezifischen medizinischen Maßnahmen notwendig. Der Erstbeschwerdeführer antwortete, man könne versuchen ihn heimzuschicken, dann werde man sehen, ob sein Leben in Gefahr sei oder nicht. Er werde nicht lebend nach Russland geschickt werden.

Befragt, was ihn konkret im Herkunftsstaat erwarten würde, wenn er zurückkehren müsste, sagte er, er sei 100 % überzeugt, dass er dort getötet werde. Nachgefragt gebe er an, entweder von den russischen oder tschetschenischen Spezialbehörden, das mache keinen Unterschied. Wenn er dort normal hätte leben können, warum hätte er hierher kommen sollen mit den Kindern. Wenn er sich in Russland nicht frei bewegen könne, habe er dort keine Arbeit, keine Zukunft. Auch die Kinder haben dort nicht in den Kindergarten oder ins Krankenhaus gekonnt, sie wachsen wie Wilde auf.

In Österreich habe er keine Verwandte.

Mit dem Vater habe er seit 2006 nicht gesprochen, er habe ihn einmal angerufen, aber er habe aufgelegt und anscheinend die SIM Karte weggeworfen. Der Erstbeschwerdeführer denke, dass die Telefone abgehört werden. Er sei danach von den Behörden mitgenommen worden. Befragt, woher der Erstbeschwerdeführer wisse, dass der Vater mitgenommen worden sei, sagte er, die Mutter habe ihm das erzählt. 2008 habe er seine Mutter gesehen, sie habe ihm erzählt, dass der Vater mitgenommen worden sei. Auch die Onkeln seien von der Spezialeinheit mitgenommen worden, sie werden verdächtigt, ihm Schutz anzubieten,XXXX. Sie meinen, dass er ein Widerstandskämpfer sei und sich unter XXXX bewegen könne. Seine Mutter habe er zuletzt im Jänner 2008 gesehen.

Sein Onkel XXXX habe gesagt, dass sie nicht nur einmal mitgenommen und befragt worden seien. Er habe ihm auch gesagt, dass Onkel XXXX auch mitgenommen worden sei. Nachgefragt gebe er an, davon habe er ihm Anfang 2008 berichtet. Wenn er mit seiner Mutter telefoniere, erzähle sie ihm nur oberflächlich, was zu Hause los sei. Sie sage nur, dass jemand zu Hause gewesen sei und niemand mitgenommen worden sei.

In Österreich lerne der Erstbeschwerdeführer Deutsch. In Vereinen sei er nicht tätig. Er lebe von der Grundversorgung.

Der Erstbeschwerdeführer legte eine Therapiebestätigung vom 20.07.2010 vor.

17. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde ebenfalls am 18.10.2011 vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache, niederschriftlich einvernommen und gab zu ihrer gesundheitlichen Situation befragt an, dass sie gesund sei.

Sie vertrete die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin. Diese haben keine eigenen Fluchtgründe und seien gesund.

Die Zweitbeschwerdeführerin sei im Herkunftsstaat Hausfrau gewesen. Sie seien von den Schwiegereltern versorgt worden. Vor der Heirat Ende 2005 habe ihr Mann als XXXX gearbeitet. Nach der Hochzeit habe er nicht mehr gearbeitet. Seine Familie sei wohlhabend. Am 05.11.2005 habe sie ihren Ehemann nach moslemischem Ritus geheiratet. Am XXXX haben sie am XXXX XXXX geheiratet. Ihr Mann habe danach noch Pässe besorgt, dann seien sie ausgereist.

Die Zweitbeschwerdeführerin habe nach ihrer Hochzeit bei der Familie ihres Mannes gelebt. Nach seiner Mitnahme im XXXX habe sie sich bis zur Ausreise abwechselnd bei ihren Schwiegereltern, ihrer Mutter und ihrer Großmutter aufgehalten.

Im Herkunftsstaat leben die Mutter, ein Bruder, die Großmutter, Onkel, Tanten und weitere Verwandte der Zweitbeschwerdeführerin. Ihr Vater lebe in Frankreich.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Zweitbeschwerdeführerin an, 2006, als ihr Mann mitgenommen worden sei, sei er halb lebend freigekauft worden. Dann habe ihr Mann ein Jahr lang in XXXX gelebt. Danach sei er in Tschetschenien bei den Verwandten gewesen, sie habe aber nicht gewusst wo. Es habe kein Leben in Tschetschenien oder Russland gegeben. Deswegen habe sie all ihre Verwandten zurücklassen und ausreisen müssen.

Befragt, was genau im XXXX passiert sei, sagte die Zweitbeschwerdeführerin, das sei am XXXX gewesen. Bei ihrer Großmutter haben sich die Verwandten versammelt. Sie habe ihren Mann gebeten, sie zur Großmutter nach XXXX zu bringen. Dann, auf dem Rückweg, seien sie nach XXXX zum Bruder der Schwiegermutter und dann nach XXXX zurück. Was dort in der Wohnung passiert sei, wisse sie nur von Erzählungen. Ihr Mann sei in der Wohnung von XXXX abgeholt worden. Diese Leute haben der Schwiegermutter gesagt, dass sie im Nachbarhaus einen Computer haben, sie würden ihren Mann dorthin bringen, überprüfen und ihn dann entlassen. Die Schwiegermutter habe daran geglaubt, ihr Mann sei aber nicht zurückgekehrt. Am nächsten Tag sei sie von den Verwandten ihres Mannes abgeholt worden, sie haben ihr gesagt, dass ihr Mann mitgenommen worden sei. Am nächsten Tag, als sie in die Wohnung zurückgekehrt sei, seien die Kadyrowzy wieder gekommen und haben die Wohnung durchsucht. Sie haben schwarze Uniformen und Waffen getragen. Einige seien maskiert gewesen. Dann seien sie weggegangen. Am dritten Tag seien sie wieder gekommen und hätten alles durchwühlt. An diesem Tag seien auch andere Verwandte dort gewesen. Der Bruder der Schwiegermutter habe sie angesprochen und gefragt, ob man die Sache regeln könne. Wenn sie etwas verlangten, dann sollten sie anrufen. Er habe später erzählt, dass er am nächsten Tag angerufen worden sei, es sei ein Treffpunkt vereinbart worden und er solle XXXX mitnehmen. Die Einzelheiten der Übergabe seien ihr nicht bekannt, als ihr Mann zurückgebracht worden sei, habe er kaum auf den Beinen stehen können. Noch am selben Tag habe der Onkel ihres Mannes ihn zu sich nach XXXX gebracht. Ihr Mann sei dann in ärztlicher Behandlung gestanden. Am XXXX, nach XXXX, gefahren. Ein Jahr sei er dort gewesen. Er sei zurückgekehrt und sei bei Verwandten in XXXX gewesen. Sie habe aber keinen Kontakt mit ihm gehabt. Er habe dort einige Monate verbracht, in dieser Zeit hätten sie sich 1-2 Mal gesehen. Am XXXX als sie standesamtlich geheiratet hätte, habe sie ihn zum letzten Mal gewesen. Er habe gesagt, er werde die Pässe für sie besorgen und sie seien dann ausgereist.

Befragt, ob sie selbst jemals bedroht worden sei, sagte die Zweitbeschwerdeführerin, als diese Männer am 2. und 3. Tag in die Wohnung gekommen seien, hätten sie ihr und der Schwiegermutter gedroht, dass sie sie mitnehmen, sie hätten gesagt, dass sie den Mund halten müssen, geschlagen worden seien sie aber nicht.

Der Zweitbeschwerdeführerin wurde das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 16.09.2011 vorgehalten, wonach sie an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion leidet. Sie sei in der Lage, widerspruchsfreie und schlüssige Angaben zu tätigen. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen, im Falle einer Überstellung in das Heimatland sei nicht davon auszugehen, dass sie in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtere. Zur Überstellung seien keine spezifischen medizinischen Maßnahmen notwendig. Die Zweitbeschwerdeführerin entgegnete, sie wisse nicht, ob man sie in den Herzinfarkt treiben wolle. Sie wisse nicht, was mit ihr passiere, wenn es zu einer Abschiebung komme. Sie möchte normal leben und arbeiten. Sie sei im zweiten Monat schwanger. Beim Arzt sei sie noch nicht gewesen.

Befragt, warum sie XXXX in die Heimat zurückgekehrt sei, sagte sie, es sei ihnen mit der Abschiebung nach Polen gedroht worden. Polen, Tschetschenien und Russland sei das gleiche.

In Österreich besuche sie einen Deutschkurs und kümmere sich um den Haushalt und die Kinder. Sie leben von der Grundversorgung.

18. Am 21.02.2012 langte eine Bestätigung über den Besuch des Kurses "Deutschkurs - Anfänger Schritte 1" betreffend den Erstbeschwerdeführer und eine Bestätigung über den Besuch des Kurses "Mutter-Kind-Deutschkurs" betreffend die Zweitbeschwerdeführerin beim Bundesasylamt ein.

19. Einem vom Bundesasylamt in Auftrag gegebenen Psychiatrischen Gutachten betreffend die Drittbeschwerdeführerin vom 30.06.2012 ist zu entnehmen, dass bei der Drittbeschwerdeführerin eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen vorliege.

20. Am XXXX wurde der Fünftbeschwerdeführer in Österreich geboren und stellte am XXXX durch die Erst- und Zweitbeschwerdeführer als gesetzliche Vertreter gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

21. Am XXXX wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin erneut vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz, niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab dabei an, dass er keine neuen Beweismittel vorlegen möchte. Am 23.07.2012 seien es schon 6 Jahre gewesen, als die Fahndung in der Russischen Föderation gegen ihn eingeleitet worden sei. Er habe mit seiner Mutter telefoniert, sie arbeite in einem Geschäft in Tschetschenien. Im selben Haus wo seine Eltern wohnen, im 5. Stock, wohnen Mieter, sie seien einmal von der Polizei nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt worden, weil die Polizei ihn gesucht habe. Die Mieter haben gesagt, dass seine Eltern im 2. Stock wohnen. Seine Mutter sei in der Arbeit gewesen. Zweimal im Jahr kämen die Polizisten zu seinen Eltern, um sich nach ihm zu erkundigen, die Polizisten müssen eine Niederschrift über seinen Aufenthalt machen. Die Nachbarn werden auch von den Polizisten nach ihm gefragt, die Nachbarn und andere Leute, die ihn gut gekannt haben, geben über ihn nur positive Angaben. Die Polizisten beruhigen sich für einige Zeit, dann bekämen sie wieder irgendeine Anzeige gegen ihn und kämen wieder um nach ihm zu suchen.

In Österreich könnten sie ein ruhiges Leben führen. Sie haben die Kinder im Kindergarten angemeldet, seine Frau und er haben einen Deutschkurs abgeschlossen, jetzt möchten sie einen weiteren Kurs besuchen.

Er habe nur mit seiner Mutter und seiner Schwester Kontakt über das Internet. Mit seinem Vater habe er telefonisch 2006 zuletzt Kontakt gehabt. Als er seine Stimme erkannt habe, habe er sofort aufgelegt und die SIM-Karte weggeworfen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass sie heute einen Asylantrag für den Fünftbeschwerdeführer gestellt habe. Dieser sei gesund und habe keine eigenen Fluchtgründe.

Der Zweitbeschwerdeführerin wurde das neurologisch-psychiatrische Gutachten betreffend die Drittbeschwerdeführerin vom 30.06.2012 vorgehalten, wonach bei der Drittbeschwerdeführerin eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen vorliegt. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit sei nicht auszugehen. Im Falle einer Überstellung in das Heimatland sei nicht davon auszugehen, dass sie in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtere. Zur Überstellung seien keine spezifischen medizinischen Maßnahmen notwendig. Die Zweitbeschwerdeführerin gab keine Stellungnahme dazu ab.

Sie gab an, dass sie ihre beiden Töchter im Kindergarten angemeldet habe, aber sie haben noch keinen fixen Platz, sie müssen auf einen Platz warten. Sie haben einen Deutschkurs abgeschlossen, sie und ihr Mann, sie haben auch eine Bestätigung dafür bekommen.

22. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.08.2012, Fz. 10 05.397-BAL, wies die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.) ab. Unter einem wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Erstbeschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die belangte Behörde stellte die Identität und Nationalität des Erstbeschwerdeführers fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Erstbeschwerdeführers.

Beweiswürdigend wurde Folgendes ausgeführt:

"Als Grund für Ihre Ausreise aus der Russischen Föderation gaben Sie an, Sie wären am XXXX von mehreren Personen von zu Hause weg entführt worden. Sie wären geschlagen und befragt worden, Ihnen wäre vorgeworfen worden, dass Sie gekämpft hätten. Sie wären 4 Tage festgehalten worden, dann wären Sie freigelassen worden. Ihre Nachbarn hätten Ihnen erzählt, dass noch immer nach Ihnen gesucht würde.

Sie beziehen sich betreffend Ihre Ausreise aus der Heimat ausschließlich auf den Vorfall, der sich im XXXX ereignet haben soll. Es ist dazu jedoch anzumerken, dass Sie selbst angaben, Sie wären am XXXX nach Zahlung von XXXX freigelassen worden. Das Papier, das man Sie gezwungen habe zu unterschreiben, wäre zerrissen worden. Sie schilderten keine weiteren Vorfälle nach Ihrer Freilassung und gaben weiters dezidiert an, der letzte Vorfall habe sich ereignet, als Sie diese 4 Tage festgehalten worden wären. Sie hielten sich dann bis XXXX weiter in der Russischen Föderation auf, zuerst in XXXX, dann von XXXX, dann bis zu Ihrer Ausreise im XXXX in XXXX. Während dieser Zeit hatten Sie auch Kontakt mit den russischen Behörden. So gaben Sie selbst an, Sie hätten am XXXX am XXXX geheiratet und hätten sich imXXXX, kurz vor Ihrer Ausreise nach Polen, am XXXX ausstellen lassen. Sie hätten diesen Reisepass auch selbst bei der Behörde abgeholt und wären mit diesem Dokument ausgereist.

Die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0430).

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 FIüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Für eine Asylgewährung können aber nur solche Gründe maßgebend sein, die Ursache für die Flucht gewesen sind. Schon längere Zeit zurückliegende Verfolgungshandlungen begründen keinen Asylanspruch, wenn der Asylwerber bis zu seiner tatsächlichen Flucht nicht ständig in wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen gelebt hat (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 10.10.1996, Zahl. 95/20/0150).

Aus Ihrer Schilderung der Zeit vor Ihrer Ausreise kann jedoch keinesfalls auf eine Verfolgung in Ihrer Heimat zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation und auch nicht auf eine aktuelle Verfolgung geschlossen werden.

Weiters bleibt anzumerken, dass Sie im XXXX vor Abschluss Ihres Verfahrens aus Österreich ausreisten und in die Russische Föderation zurückkehrten. Sie verbrachten mehrere Monate in der Heimat, bevor Sie zusammen mit Ihrer Gattin und Ihren Kindern erneut nach Österreich einreisten.

Zu der von Ihnen vorgelegten Ladung ist festzustellen, dass es sich dabei um eine Ladung als Zeuge, nicht als Beschuldigter handelt. Es ist auch bekannt, dass gefälschte Dokumente oder unwahre Zeitungsmeldungen, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen, regelmäßig bei Asylsuchenden aus der Russischen Föderation im allgemeinen und der Kaukasusregion im Besonderen festgestellt werden. Von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt oder gefälscht; Personenstandsurkunden und andere Dokumente (z.B. Haftbefehle) können gekauft werden. (ÖB Moskau, Juli 2006)

Bei Ihren vagen Angaben zu einer aktuellen Bedrohung handelt es sich ausschließlich um Vermutungen. So führten Sie an, Ihr Vater wäre mitgenommen und über Ihren Aufenthaltsort befragt worden. Auf Nachfrage, wann dies stattgefunden habe, gaben Sie jedoch an, Ihr Vater habe Angst, am Telefon direkt darüber zu sprechen, er habe nur Andeutungen gemacht, er habe gesagt, sie hätten "Besuch" gehabt.

Gegen eine Verfolgung von Seiten der Behörden spricht auch, dass Sie mit Ihrem russischen Reisepass bzw. Inlandspass legal aus der Russischen Föderation ausreisten, eine Vorgehensweise, die jemand, der tatsächlich um sein Leben und seine persönliche Freiheit bangt, ohne ersichtlichen Grund nicht wählen würde. Bei tatsächlichem Vorliegen einer behördlichen Verfolgungsgefahr hätten Sie sich wohl kaum der Gefahr einer Dokumenten- oder Grenzkontrolle ausgesetzt.

Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass sich Ihre Angaben zu den behaupteten Ausreisegründen als gänzlich unglaubwürdig erwiesen und daher den weiteren Feststellungen und Erwägungen nicht zu Grunde gelegt werden können.

Dass Sie nie politisch aktiv waren, dass Sie weder aufgrund Ihrer Religion noch aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme hatten, ergibt sich daraus, dass Sie dies verneint haben, als Sie konkret danach befragt wurden.

Andere Umstände brachten Sie nicht vor und ergaben sich auch nicht."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.08.2012, Fz. 11 09.023-BAL, wies die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.) ab. Unter einem wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die Zweitbeschwerdeführerin gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Die belangte Behörde stellte die Identität und Nationalität der Zweitbeschwerdeführerin fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Zweitbeschwerdeführerin.

Beweiswürdigend wurde Folgendes festgehalten:

"Als Grund für Ihre Ausreise aus der Russischen Föderation gaben Sie an, Ihr Mann wäre im Jahr 2006 mitgenommen und anschließend freigekauft worden. Sie hätten die Heimat aufgrund der Probleme Ihres Mannes verlassen. Sie selbst wären von den Männern, die nach Ihrem Gatten gesucht hätten, bedroht worden, Übergriffe auf Sie habe es nicht gegeben.

Vorab ist anzuführen, dass, soweit Ihre individuelle Situation mit der behaupteten Verfolgung Ihres Gatten in Verbindung gebracht wird, festgestellt wird, dass hieraus keine individuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden kann, weil sich das Vorbringen Ihres Gatten als nicht glaubwürdig herausgestellt hat. Dazu wird auf die Beweiswürdigung im Bescheid Ihres Gatten XXXX verwiesen.

Sie ebenso wie Ihr Gatte beziehen sich betreffend Ihre Ausreise aus der Heimat ausschließlich auf den Vorfall, der sich im XXXX ereignet haben soll. Am zweiten und dritten Tag nach der Mitnahme Ihres Gatten wären maskierte Männer in Ihre Wohnung gekommen und hätten die Wohnung durchsucht. Sie schilderten jedoch keine weiteren Vorfälle nach der Freilassung Ihres Gatten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Sie bis zu Ihrer Ausreise (XXXX im selben Haus gewohnt haben, von dem aus Ihr Gatte angeblich mitgenommen wurde, ohne irgendwelcher Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Während dieser Zeit hatten sowohl Sie als auch Ihr Gatte Kontakt mit den russischen Behörden. So gaben Sie selbst an, Sie hätten am XXXX geheiratet und hätten sich im XXXX, kurz vor Ihrer Ausreise nach Polen, am XXXX einen Reisepass ausstellen lassen. Aus Ihrer Schilderung der Zeit vor Ihrer Ausreise kann somit keinesfalls auf eine Verfolgung in Ihrer Heimat zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation und auch nicht auf eine aktuelle Verfolgung geschlossen werden.

Weiters bleibt anzumerken, dass Sie im XXXX unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig in die Russische Föderation zurückkehrten. Sie verbrachten mehrere Monate in der Heimat, bevor Sie zusammen mit Ihrem Gatten und Ihren Kindern erneut nach Österreich einreisten.

Gegen eine Verfolgung von Seiten der Behörden spricht auch, dass Sie mit Ihrem russischen Reisepass bzw. Inlandspass legal aus der Russischen Föderation ausreisten, eine Vorgehensweise, die jemand, der tatsächlich um sein Leben und seine persönliche Freiheit bangt, ohne ersichtlichen Grund nicht wählen würde. Bei tatsächlichem Vorliegen einer behördlichen Verfolgungsgefahr hätten Sie sich wohl kaum der Gefahr einer Dokumenten- oder Grenzkontrolle ausgesetzt.

Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass sich Ihre Angaben zu den behaupteten Ausreisegründen als gänzlich unglaubwürdig erwiesen und daher den weiteren Feststellungen und Erwägungen nicht zu Grunde gelegt werden können.

Dass Sie nie politisch aktiv waren, dass Sie weder aufgrund Ihrer Religion noch aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme hatten, ergibt sich daraus, dass Sie dies verneint haben, als Sie konkret danach befragt wurden.

Andere Umstände brachten Sie nicht vor und ergaben sich auch nicht."

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 01.08.2012, Fz. 11 09.026-BAL, 11 09.027-BAL und 12 09.449-BAL, wies die belangte Behörde die gegenständlichen Anträge der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.) ab. Unter einem wurden die Anträge der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Beweiswürdigend wurde in den Bescheiden der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer festgehalten, dass ihre gesetzliche Vertretung keine eigenen Fluchtgründe für sie angegeben habe und die Anträge mit der Familienzusammengehörigkeit begründet habe. Soweit ihre individuelle Situation mit der behaupteten Verfolgung der Eltern in Verbindung gebracht werde, werde festgestellt, dass hieraus keine individuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne, weil sich das Vorbringen der Eltern als nicht glaubwürdig herausgestellt habe. Andere Umstände seien nicht vorgebracht worden und haben sich auch nicht ergeben.

23. Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 01.08.2012 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 63 Abs. 2 AVG iVm § 66 Abs. 1 AsylG 2005 ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

24. Mit Schriftsatz vom 16.08.2012 wurde eine für die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer gleichlautende Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhoben. Darin wird moniert, die Beschwerdeführer haben konsequent und detailliert von einem Vorfall im XXXX berichtet, bei welchem der Erstbeschwerdeführer vier Tage festgehalten und dann gegen Bezahlung freigelassen worden sei. In weiterer Folge habe er versteckt gelebt, um einer Verhaftung zu entgehen. Dass dieser Vorfall tatsächlich stattgefunden habe ergebe sich sowohl aus seinen ausführlichen mündlichen Berichten als auch aus den Narben, die er heute noch am Körper trage. Es sei zutreffend, dass sich der letzte, den Erstbeschwerdeführer persönlich betreffende Vorfall im Jahr 2006 ereignet habe. Jedoch seien danach seine Familienangehörigen an seiner Stelle verfolgt worden und haben bis heute Probleme. Entsprechend der Judikatur des VwGH seien Drohungen und Verfolgungen gegen Familienangehörige unter Umständen auch für andere Familienangehörige asylrelevant, wenn ein enger Zusammenhang festzustellen sei (vgl. VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). Damit ergäbe sich für den Erstbeschwerdeführer auch noch heute eine relevante Verfolgungsgefahr.

Die weiteren vermeintlichen Behördenkontakte seien überhaupt keine persönlichen Kontakte mit den Behörden. Bei der standesamtlichen Registrierung der Ehe im Jahr 2008 sei lediglich die Zweibeschwerdeführerin mit den Pässen beim Amt gewesen. Die Ausstellung der Auslandspässe sei ebenfalls nicht regulär gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Ausstellung der Pässe gestoppt gewesen, da ein neues Passgesetz in Aussicht gewesen sei, bei dem auch biometrische Daten in den Pass aufgenommen werden sollten. Eine reguläre Ausstellung sei deshalb nicht möglich gewesen. Deshalb sei die Ausstellung über eine Frau namens XXXX erledigt worden, die am Markt gearbeitet habe. Sie habe über weitere Kontaktpersonen und gegen Zahlung beim Passamt in XXXX die Pässe organisiert und diese nach XXXX geschickt. Die Pässe seien nicht bei der Passbehörde in XXXX ausgestellt worden und es habe auch überhaupt keinen Kontakt mit Passbehörden gegeben. Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen, sei eine derartige Vorgehensweise im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer kein Problem.

Die Ausreise sei auch aus dem Grund nicht möglich gewesen, da die Beschwerdeführer keine Auslandsreisepässe gehabt haben und angenommen haben, so die Grenze in die EU nicht passieren zu können.

Während der kurzzeitigen Rückkehr in die Russische Föderation habe der Erstbeschwerdeführer auch offenkundig versucht, nicht aufzufallen: Er sei im Gegensatz zum Rest der Familie illegal ausgereist. Nach seiner Rückkehr habe er auch nicht angemeldet gelebt, sondern habe sich erneut bis zur neuerlichen Ausreise versteckt.

Jedenfalls seien die berichteten Handlungen des Staates vom Ausmaß als auch von der Art her als asylrelevant einzustufen.

Bezüglich der Ursachen der Verfolgung habe die belangte Behörde nur sehr oberflächlich ermittelt. Der Erstbeschwerdeführer habe angegeben, dass er nach Widerstandskämpfern gefragt worden sei, die bei ihm übernachtet haben. Insbesondere sei auch zu beachten, dass der Erstbeschwerdeführer sich durch seine lange Abwesenheit besonders verdächtig gemacht habe. Wie sich aus den Berichten, die in der weiteren Folge noch zitiert werden, ergäbe, seien eben diese Personen im Falle ihrer Rückkehr besonders gefährdet. Zu den näheren Hintergründen dessen sei jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich.

Die Beschwerdeführer werden jedenfalls aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt und ihnen sei er Status als Flüchtling zuzuerkennen.

Hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, die Gefahr, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit und des Lebens ausgesetzt seien, sei nicht nur real, sondern erheblich. Dies betreffe insbesondere die aktenkundige schlechte psychische Verfassung der Drittbeschwerdeführerin. Diese Traumatisierung sei bereits durch Abschiebungen nach Polen entstanden und die dortigen Erlebnisse in der polnischen Schubhaft. Das Gutachten des Sachverständigen sei grob mangelhaft. Er sei kein Facharzt im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, was angesichts des jungen Alters der Drittbeschwerdeführerin aber dringend erforderlich zur fachgerechten Begutachtung gewesen wäre. Es handle sich hierbei um eine eigene Fachrichtung (siehe § 10 Abs. 1 Z 18 Ärzteausbildungsverordnung 2006 idgF). Entsprechend seien auch spezielle Fachkenntnisse im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie erforderlich, die der herangezogene Facharzt als "gewöhnlicher" Facharzt für Psychiatrie und Neurologie nicht aufweise. Es werde daher der Antrag gestellt, die Drittbeschwerdeführerin durch einen geeigneten Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie untersuchen zu lassen. Jedenfalls sei aufgrund der im Akt aufliegenden Vorbefunde keineswegs ausgeschlossen, dass die Drittbeschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in einen Art. 3 EMRK widerstreitenden Zustand geraten würde.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage sowie die Sicherheits- und Menschenrechtslage sei in Tschetschenien sehr schlecht. Dazu werde auf aktuelle Berichte des Danish Immigration Service und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe verwiesen. Hinzu komme, dass besonders Rückkehrende in eine besonders prekäre Lage geraten. Eine Familie mit drei kleinen Kindern sei daher bei der heutigen Situation in Tschetschenien eine Rückkehr nicht zumutbar.

25. Mit für die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer gleichlautenden Schreiben vom 20.12.2012 wurde ein Schreiben der Menschenrechtsorganisation "MEMORIAL" übermittelt, das auf die Probleme des Erstbeschwerdeführers näher eingehe. Die Information habe MEMORIAL dabei von den Verwandten des Erstbeschwerdeführers erhalten. Zusammengefasst werden die Ereignisse im Jahr 2006 und die bis heute andauernden Probleme vor Ort. Dem Schreiben sei eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache beigefügt.

26. Mit Schreiben vom 18.02.2013 wurde eine Bestätigung zu Integrationsbemühungen des Erstbeschwerdeführers von der Bezirksstelle des Roten Kreuzes XXXX übermittelt.

Mit einem weiteren Schreiben vom 17.09.2013 übermittelte der Erstbeschwerdeführer Integrationsunterlagen. Der Erstbeschwerdeführer stehe für Umbau-und Renovierungsarbeiten zur Verfügung und sei sehr bemüht, andere Leute zu unterstützen. Während der Hochwasserkatastrophe habe er sich freiwillig als Helfer betätigt, dieses Engagement beweisen auch die Fotografien im Anhang. Aus zwei weiteren Unterlagen ergebe sich, dass der Erstbeschwerdeführer bereits zwei potentielle Arbeitgeber gefunden habe, die ihn im Fall einer Arbeitsgenehmigung beschäftigen würden. Im Falle einer positiven Erledigung seines Antrages wäre er selbsterhaltungsfähig.

27. Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer in Österreich geboren und stellte am XXXX durch seine Eltern als gesetzliche Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Eigene Fluchtgründe wurden für den Beschwerdeführer nicht geltend gemacht.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, Fz. 13 13.081-BAL, wies die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag des Sechstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.) ab. Unter einem wurde der Antrag des Sechstbeschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Sechstbeschwerdeführer gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Beweiswürdigend wurde festgehalten, dass seine gesetzliche Vertretung keine eigenen Fluchtgründe für ihn angegeben habe. Soweit seine individuelle Situation mit der behaupteten Verfolgung der Eltern in Verbindung gebracht werde, werde festgestellt, dass hieraus keine individuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne, weil sich das Vorbringen der Eltern als nicht glaubwürdig herausgestellt habe. Diesbezüglich werden auf die negativen Entscheidungen und die dortige Beweiswürdigung im Asylverfahren des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen. Andere Umstände seien nicht vorgebracht worden und haben sich auch nicht ergeben.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 15.10.2013 wurde dem Sechstbeschwerdeführer gemäß § 63 Abs. 2 AVG iVm § 66 Abs. 1 AsylG 2005 ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom 25.10.2013 wurde Beschwerde erhoben und vollinhaltlich auf die Beschwerde der Eltern des Sechstbeschwerdeführers vom 16.08.2012 verwiesen.

28. Mit Schreiben vom 10.02.2014 wurden weitere Integrationsunterlagen betreffend den Erstbeschwerdeführer übermittelt.

29. Mit Schreiben vom 21.05.2014 gaben die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer bekannt, dass sie einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt haben.

30. Mit Schreiben vom 07.08.2014 übermittelte der Rechtsanwalt ein Konvolut an (zum Teil bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegten) Unterstützungsschreiben und Integrationsunterlagen betreffend den Erstbeschwerdeführer.

31. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Beschwerdeführern aktuelle Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat übermittelt.

12. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab mit Schreiben vom 21.08.2014 bekannt, dass eine Teilnahme eines informierten Vertreters an der der Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.

13. Am XXXX wurde der Siebtbeschwerdeführer in Österreich geboren und stellte am XXXX durch seine Eltern als gesetzliche Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Eigene Fluchtgründe wurden für den Beschwerdeführer nicht geltend gemacht.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, Zl. 1048534600, Verfahren 140300395, wies die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag des Sechstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, ab (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde der Antrag des Sechstbeschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen diesen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Beweiswürdigend wurde festgehalten, dass seine gesetzliche Vertretung keine eigenen Fluchtgründe für ihn angegeben habe. Soweit seine individuelle Situation mit der behaupteten Verfolgung der Eltern in Verbindung gebracht werde, werde festgestellt, dass hieraus keine individuelle Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne, weil sich das Vorbringen der Eltern als nicht glaubwürdig herausgestellt habe. Diesbezüglich werden auf die negativen Entscheidungen und die dortige Beweiswürdigung im Asylverfahren des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen. Andere Umstände seien nicht vorgebracht worden und haben sich auch nicht ergeben.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 28.01.2015 wurde dem Siebtbeschwerdeführer gemäß § 63 Abs. 2 AVG iVm § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom 10.02.2015 wurde Beschwerde erhoben und vollinhaltlich auf die Beschwerde der Eltern des Siebtbeschwerdeführers verwiesen.

14. Am 15.12.2014 führte die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin und eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist zur Verhandlung entschuldigt nicht erschienen, die Abweisung der Beschwerde wurde beantragt. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch ergänzende Parteienvernehmung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin.

Der Erstbeschwerdeführer gab an, dass er 2001-2003 die Widerstandskämpfer unterstützt hätte und ca 15-20 Personen regelmäßig bei ihm in der Wohnung übernachtet hätten. Er selbst sei nur einmal mitgenommen worden, nämlich 2006, danach nicht mehr. Das sei ein Missverständnis der ersten Instanz gewesen. Er hätte gesagt, (Auszug aus dem Protokoll): "dass es auch Dokumentenüberprüfung zu Hause gegeben hätte. Manchmal wollte ich am Abend das Stiegenhaus verlassen und die Leute drangen zu dem Zeitpunkt ins Haus ein, die Leute waren betrunken und ich in dem Haus unterwegs. Man fragte mich, ob wir dort wohnen. Ich sagte "ja" und ich wurde in meine Wohnung gebracht. Wir gingen dann gemeinsam in die Wohnung, man hat meinen Pass genommen und meine nach mir Mutter befragt. Meine Mutter, sagte, ich bin ihr Sohn und man machte eine Anfrage über das Funkgerät und dann sagte man, dass alles in Ordnung ist und ging weg. Solche Fälle es dort viele gegeben. Es war damals üblich. Die Leute waren damals maskiert und haben die Wohnungen überprüft."

Zu dem Vorfall von 2006 befragt, gab er (teilweise zusammengefasst) an, dass er sich schlafen gelegt hätte und dann viele Leute die Treppe hinaufgehen gehört hätte. Es seien KADYROW-Leuten hereingekommen, sie hatten Pistolen und Sturmgewehre mit. Einer der Männer sei zu ihm mit einer Pistole gekommen. Es seien viele Leute gewesen mit Uniformen und Waffen. Er konnte auf Grund der Uniformen und auf Grund der Abzeichen erfahren, welcher Einheit diese Leute angehörten. Sie hätten ihn in sein Auto gesetzt und ihn aufgefordert, sein Auto zu starten. Seine Mutter sei hinausgekommen und habe gebeten, ihn nicht mitzunehmen. XXXX habe seiner Mutter gesagt, dass er alle Patronen, die er seiner Pistole hat, durch seinen Körper schießen werde und habe sie aufgefordert, schnell nach Hause zu gehen. Ein anderer Mann sei auch dabei gewesen, namens XXXX. XXXX war, so zu sagen der "Böse" und XXXX, der "Gute". Sie hätten sich gegenseitig beim Namen genannt und seien nicht maskiert gewesen. Sie sagten, dass er überprüft werde. Neben ihm sei ein Mann gesessen und hinten auch. Sie hätten das Auto umgeparkt, man habe ihm gesagt, dass er stehenbleiben solle. Er wisse nicht, wie lange das gedauert hätte, vielleicht 5 Minuten, er stand unter Stress und hätte Angst gehabt. Es seien auch andere Autos hinten gefahren. Sie seien mit seinem Auto weitergefahren. Er könne das auch auf einer Karte zeigen. Sie seien Richtung XXXX gefahren und in einem Feld stehengeblieben. Dort habe er sich nach hinten gesetzt und XXXX habe die Pistole gegen ihn gerichtet, man wollte ihm Angst einjagen. Er habe ihn aufgefordert, alles zu erzählen, was er wisse, wo seine Waffe sei, er hätte ihm gesagt, dass man über eine 100-%-ige Information verfüge, dass er eine Waffe hätte. Er sagte ihnen, dass er keine Waffe(n) hätte.

Sie hätten über viele Waffen gesprochen und ihm vorgeworfen, die Kämpfer zu unterstützen. XXXX habe auf ihn die Pistole gerichtet, er habe begonnen, mit dem Pistolengriff auf seine Schulter einzuschlagen. Man habe ihn in den Kofferraum geschmissen und sei weitergefahren. Er hätte ca. erahnen können, in welche Richtung gefahren werde, weil er Tschetschenien sehr gut kenne. Er sei im Kofferraum gewesen. Sie seien zu einem Stützpunkt gekommen. Dort habe es eine Kontrolle gegeben. Der Mann, der dort Wache gestanden sei, habe gefragt, wer dort hingebracht werde. Man habe gesagt, dass das ein "Satan" sei, so habe man die Aufständischen bezeichnet, er habe verstanden, dass er nicht einfach so freigelassen werde. Dort hätte es einen großen Hof gegeben. Man habe ihm gesagt, dass er alles sagen solle, was er wisse und ein Mann habe ihn nach Drogen gefragt. Danach habe man ihn wieder nach den Kämpfern und nach den Waffen gefragt. Man habe ihn dann verhöhnt und beschimpft. Dort seien ca. 10 - 15 Personen gewesen. Er habe immer wieder gesagt, dass er nichts Diesbezügliches wisse. Sie hätten dann begonnen auf ihn von allen Seiten einzuschlagen. Zuerst mit Baugegenständen aus Holz, die Leute seien von allen Seiten auf ihn zugelaufen. In der ersten Nacht sei er sehr misshandelt worden und zwar mit diesen Holzgegenständen. Er glaube, dass alle diese Gegenstände gebrochen wurden und deswegen nicht mehr auf ihn mit den Holzgegenständen eingeschlagen wurde. Auf diesem Stützpunkt gab es 2 kleine Zimmer und dazwischen gab es einen kleinen Korridor, das sei ein kleiner, enger Korridor gewesen und dort gab es einen Gasschlauch. Dort gab es einen sehr unangenehmen Geruch. Er sei in diesen Raum gebracht und dort liegengelassen worden. In einem Nachbarraum hätten sich auch noch 3 Personen befunden, einer von ihnen sei gleich von dort weggebracht worden. Die Leute seien in der Nacht gekommen und hätten auf ihn eingeschlagen, das seien die gleichen Leuten gewesen, die ihn geholt hätten.

Er könne auf den Fotos zeigen, wo das stattgefunden habe, hauptsächlich im Hof und in der Nacht.

Auf dem Stützpunkt hätte es drei Frauen gegeben, die gekocht hätten und die er durch ein kleines Fenster in seiner Tür sehen konnte. Der Beschwerdeführer schilderte, dass er in Folge mit Gummiknüppeln, Plastikrohren und Kabeln geschlagen worden sei. Insgesamt sei er 4 Tage dort gewesen. Er sei mit dem Umbringen bedroht worden und dann sei er zu dem Kommandanten gebracht worden. Sie hätten ihm gesagt, dass man seine Mutter und seine Schwester holen werde. Er sei bereit gewesen, alles zu unterschreiben, nur damit man ihn in Ruhe lasse. Sie hätten ihn aufgefordert, eine Pistole in die Hand zu nehmen und gefragt, ob das seine Pistole sei. Das sei mit dem Telefon aufgenommen worden und er hätte dann die Pistole in die Hand genommen. Daraufhin hätten sich auf der Pistole seine Fingerabdrücke befunden. Danach wurde ihm gesagt, dass man ihn dem FSB übergeben werde. Er sei dann gezwungen worden, eine Erklärung zu unterschreiben, dass er russische Soldaten umgebracht hätte. Sie hätten dann den Stützpunkt verlassen und sein Onkel habe ihn in der Stadt XXXX übernommen. Er sei dann selber mit dem Auto nachhause gefahren. Er hätte Blutergüsse und blaue Flecken gehabt, im Spital sei er nicht gewesen. Er sei dann zwei Wochen bei seinem Onkel gewesen und hätte Infusionen bekommen. Sein Onkel sei angerufen worden und bedroht worden, dass er nichts erzählen dürfe.

Seine Frau sei nicht da gewesen. Er sei dann am XXXX zu Verwandten in die Nähe von XXXX gereist. Er sei für ca. 3 Wochen weggefahren, dann seien andere Leute zu seinen Verwandten in XXXX in die Wohnung gekommen. Es hätte dann einen Zwischenfall in XXXX gegeben und die Frau seines Verwandten wollte, dass er wieder wegging. Daraufhin sei er nach Tschetschenien zurückgefahren. In XXXX wäre er nicht aus dem Haus gegangen, da er zur Fahndung ausgeschrieben gewesen sei.

Auf die Frage, ob auch noch andere Verwandte Probleme gehabt hätten, antwortete der Beschwerdeführer, dass er 3 Onkel hatte, die bei XXXX arbeiteten. Diese hätten kündigen müssen und sein Vater wurde in der Arbeit gekündigt.

Auf den Vorhalt, dass er sich XXXX ließ antwortete der Beschwerdeführer, dass dies jeder könne, er könne für jeden einen Pass organisieren Er hätte dies über eine Frau organisiert. Dann hätte er sich mit seiner Frau verabredet und sie seien gemeinsam ausgereist. Sie seien dann von Österreich nach Polen abgeschoben worden.

Auf die Frage, ob er am XXXX freiwillig nach Russland zurückgefahren und dort illegal eingereist sei, gab er an, dass er die ganze Zeit bei einem Bekannten in Wien gewesen sei. Er sei nicht nach Russland zurückgereist. Seine Frau sei am XXXX mittels Rückkehrhilfe nach

Tschetschenien zurückgefahren. Es sei gelogen gewesen, dass er nach

Tschetschenien zurückgefahren sei und es sei auch gelogen, dass er seine Frau dort einmal getroffen hätte. Er habe dann einen Mann in der Ukraine kennengelernt, der die Rückreise seiner Frau nach Österreich organisiert hätte.

Wörtlich fragte die Richterin: "D. h. Ihre Frau ist mit 2 kleinen Babys von Tschetschenien nach Österreich alleine zurückgereist, illegal mit einem Baby, dass nicht einmal 1 Jahr alt, ohne Sie, ganz alleine, als tschetschenische Frau?

BF: Ja."

Danach gefragt, ob seine Tochter noch immer ein Trauma hätte, fragte er nach, was damit gemeint sei und gab dann an, dass es ihr gut gehe und er den Antrag bezüglich eines weiteren Gutachtens für seine Tochter (Drittbeschwerdeführerin) zurückziehe.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu dem Vorfall mit ihrem Mann befragt, folgendes an (Auszug aus dem Protokoll; R=Richterin, BF=Zweibeschwerdeführerin; Schreibfehler korrigiert):

"R: Wissen Sie noch, wann das war?

BF: Das war am XXXX.

R: Sie waren bei Ihrer Großmutter und ihr Mann ist mitgenommen worden, wurden Sie angerufen?

BF: Nein, ich bin am nächsten Tag nach Hause gefahren. Man wollte mir jedoch nichts sagen, ich weiß nicht warum. Alle waren nervös und standen unter Stress. Sie wussten nicht, wo sich mein Mann befindet und niemand wollte mir was sagen. Nach 4 Tagen wurde mein Mann freigekauft. Er ist nur mit Glück mit dem Leben davongekommen. Ich habe ihn nur einmal danach gesehen und danach ist er nach XXXX gefahren. Ich habe dann bei meiner Großmutter, bis wir nach Österreich gekommen sind. Man hat sich um mich Sorgen gemacht weil in solchen Fällen oft die Ehefrau, Schwestern oder Mütter mitgenommen werden. Mein Mann hat mich dann gefragt, ob ich mit ihm ausreisen möchte, ich war bei meiner Großmutter im Dorf XXXX, der Nachbarort heißt XXXX. Dort haben wir uns getroffen und dort wurde ein Foto gemacht.

R: Wofür?

BF: Er wollte sich Pässe ausstellen lassen. Nach 2 oder 3 Wochen wurden die Pässe ausgestellt und auch die Heiratsurkunde.

R: Waren Sie am Standesamt für die Heiratsurkunde, wie lief das?

BF: Ich habe ihn erst im Bus gesehen, ich bin in XXXX in einen Bus nach XXXX eingestiegen und mein Mann stieg später dazu. In diesem Bus habe ich das erste Mal meinen Pass gesehen und ich habe ihn dort unterschrieben. Ich habe ihm dann auch Fragen gestellt, aber er wollte mir nicht antworten, er hat das alles selbst erledigt, die Heiratsurkunde und die Pässe. So sind wir nach Österreich gekommen.

R: Ist das üblich, dass meine Heiratsurkunde vom Standesamt bekommt, ohne dort zu sein?

BF: Man bekommt jede Bestätigung, ohne selbst anwesend zu sein, man muss nur dafür zahlen.

R: Als Ihr Mann wieder freigelassen, da wurde er freigekauft, wissen Sie für wieviel Geld?

BF: 8.000 Dollar oder Euro, ich weiß es nicht genau.

R: In was für einem Zustand war Ihr Mann, wie er freigelassen wurde?

BF: Ich habe ihn einmal in XXXX, dort bekam er Infusion und war im schlechten Zustand. Dann ist er nach XXXX gefahren.

R: Als er in XXXX war, haben Sie dann nie Kontakt gehabt?

BF: Nein.

R: Wie lange war er dann in XXXX?

BF: Sicher über 1 Jahr.

(...)"

Sie sei dann alleine nach Tschetschenien gereist. Ihren Mann hätte sie in Tschetschenien nicht getroffen. Zu ihrer neuerlichen Ausreise befragt, gab sie an:

"BF: Mein Mann hat mir gesagt, dass er für mich ein Ausreisemöglichkeit gefunden hat und ich nach Österreich kommen soll, ich habe bei meiner Großmutter gelebt. Danach kam der Onkel und hat mir gesagt, dass wir ausreisen, er hat mich nach XXXX begleitet. Von dort bin ich mit dem Zug in die XXXX gekommen, dort hat mich ein Mann erwartet. Er hat gesagt, dass ich noch warten soll, dass ich aus dem Land gebracht werde. Er hat mich in eine Wohnung gebracht, wo eine alte Frau gelebt, dort wartete ich 13 Tage. In der Nacht, um 11 Uhr, hat er gesagt, dass ein LKW bereitsteht, ich hatte große Angst, trotzdem habe ich das Risiko auf mich genommen und der KKW brachte mich hierher.

R: Sie sind alleine, mit 2 Babys im LKW zurück nach Österreich gekommen?

BF: Ja.

R: Und dann?

BF: Jedenfalls hat man mich dann bei einer Tankstelle aussteigen lassen und ich habe ein Taxi genommen und habe meinen Mann beim Prater getroffen.

R: D. h. es war gelogen, dass Sie ihn in Tschetschenien getroffen haben.

BF. Ja, wir hatten Angst."

Sie vertrete ihre Kinder, die keine eigenen Fluchtgründe hätten. Auch ihrer Tochter (Drittbeschwerdeführerin) gehe es wieder gut. Ihr selbst sei nie etwas passiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge auf Internationalen Schutz, der Einvernahmen der Beschwerdeführer durch das Bundesasylamt, der Beschwerden, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister, Strafregister, sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 15.12.2014 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Zur Person und den Fluchtgründen:

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet und reiste gemeinsam mit ihr illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Die Beschwerdeführer stellten am selben Tag im Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die minderjährigen Kinder (Dritt - bis Siebentbeschwerdeführer) sind allesamt in Österreich geboren.

Keiner der Beschwerdeführer leidet an einer akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation darstellen würde.

BF 1 und BF 2 sind sowohl traditionell als auch standesamtlich verheiratet und leben in Österreich mit ihren gemeinsamen Kindern (BF 3 bis BF 7). Gegen alle Beschwerden ergeht ein gleichlautendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes am selben Tag. Im Herkunftsstaat leben zahlreiche Verwandte der Beschwerdeführer. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ist ebenfalls vor kurzem nach Österreich gekommen und hat hier einen Asylantrag gestellt. Nähere diesbezügliche Angaben, beispielsweise, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, konnte die Zweitbeschwerdeführerin allerdings nicht machen. Dazu befragt, gab sie an, dass sie froh sei, dass ihre Mutter nun hier sei und sie unterstützen könne.

Die beschwerdeführenden Parteien sind in Österreich derzeit nicht selbsterhaltungsfähig und leben von der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer versteht und spricht die deutsche Sprache nicht, die Zweitbeschwerdeführerin versteht die deutsche Sprache etwas besser und kann sich auf ganz einfachem Niveau verständigen. Keiner ist Mitglied in einem Verein oder einer Organisation; sie hatten niemals ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer konnte einige Unterstützungsschreiben unter anderem der Caritas, des Roten Kreuzes vorlegen, die bezeugten, dass er hilfsbereit ist und mitgeholfen hat.

Nicht festgestellt werden kann unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführer, dass den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde.

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK angeführten Gründe nicht gegeben.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde.

Zur relevanten Situation in der Russischen Föderation/ Tschetschenien:

Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur IFA von Tschetschenen in Russland

(XXXX)

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß‑)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut "(Kadyrow'scher Privatstaat" Uwe Halbach). Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zum russischen Präsidenten im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen.

Bis Februar 2011 wurde Russland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bereits in 162 Fällen für schwerste Menschenrechtsverletzungen während des zweiten Tschetschenien-Kriegs verurteilt. Im Februar 2011 wurde Ramzan Kadyrow von Präsident Medwedew zu einer zweiten fünfjährigen Amtszeit als Republiksoberhaupt ernannt. Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten. Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahhabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien , Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow , Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 20, The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 8, Issue 42, 02.03.2011, Ria Novosti (5.12.2012):

United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html , Zugriff 24.10.2013, Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html , Zugriff 24.10.2013)

1. Allgemeine Situation

In Tschetschenien hat Oberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle ging nach einem relativen Höchststand 2009 wieder zurück. Dennoch kam es 2010 und 2011 zu einigen ernsthaften Vorfällen. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom XXXX, Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

Anders als im übrigen Nordkaukasus gingen die Angriffe bewaffneter Gruppen in Tschetschenien zurück.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 ,24.5.2012)

2011 gab es in Tschetschenien mindestens 201 Opfer des bewaffneten Konflikts, darunter 95 Tote und 106 Verwundete. 2010 waren es noch 250 Opfer gewesen (127 Tote, 123 Verletzte). Damit liegt Tschetschenien betreffend Opferzahlen hinter Dagestan an zweiter Stelle der nordkaukasischen Republiken. Gemäß Polizeiberichten wurden 2011 in Tschetschenien 62 Mitglieder des bewaffneten Untergrunds getötet (2010: 80), weitere 159 vermeintliche Kämpfer wurden festgenommen (2010: 166). 21 Sicherheitskräfte kamen bei Schießereien und Explosionen 2011 ums leben (2010: 44), 97 wurden verletzt (2010: 93). Des Weiteren wurden 2011 bei Terrorakten, Bombardierungen und Schießereien 12 Zivilisten getötet (2010: 3) und 9 verwundet (2010: 30).

2011 kam es in Tschetschenien zu mindestens 26 Explosionen und Terrorakten, 2010 waren es noch 37 gewesen. Unter den Explosionen und Terrorakten waren sieben Selbstmordanschläge.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012)

Laut NRO "Kawkaski-Usel" waren 2011 in Tschetschenien 174 Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beklagen, darunter 82 Tote.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom XXXX

2012 wurden zwischen Jänner und Mitte Oktober nach Angaben des Innenministeriums der Republik Tschetschenien 35 Kämpfer des bewaffneten Untergrunds in Tschetschenien getötet und weitere 80 verhaftet. Im selben Zeitraum seien 9 gemeinsame große Sonderoperationen gegen die Kämpfer durchgeführt worden.

(Caucasian Knot: The Ministry of Interior Affairs: 35 gunmen killed in Chechnya since the beginning of the year, 17.10.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/22579/ , Zugriff 3.12.2012)

Die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte geht weiter, jedoch fiel das Gewaltlevel im Nordkaukasus allgemein 2012 um 10% verglichen mit dem Vorjahr. Die Gewalt in Tschetschenien ging 2012 stark zurück. (U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Andere kaukasische Teilrepubliken haben Tschetschenien bei der Zahl der registrierten Gewaltvorfälle überholt. 2012 gab es im Nordkaukasus insgesamt 700 kampfbedingte Todesopfer, davon mehr als die Hälfte in Dagestan, der größten kaukasischen Teilrepublik Russlands. Dort wurden knapp 300 Verbrechen verzeichnet, die mit Terrorismus im Zusammenhang standen, im restlichen Nordkaukasus 180.

(Tagesspiegel. Uwe Halbach (26.4.2013): Tschetschenien im Fokus, http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/nach-den-anschlaegen-von-boston-tschetschenien-im-fokus/8130872.html ; Zugriff 24.10.2013)

Für die ersten neun Monate des Jahres 2013 berichtet Caucasian Knot 87 getötete Soldaten, 68 getöteten Zivilisten und 220 getöteten Rebellen im Nordkaukasus [Anm. nicht Tschetschenien allein]. Von staatlicher Seite wurde verlautbart, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 Straftaten, die mit Extremismus in Zusammenhang stehen im Nordkaukasus um 40% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen, jedoch terroristische Angriffe im selben Zeitraum um 10% sanken.

(Jamestown Foundation (4.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 217. North Caucasus Prosecutor's Office Reports Rise in Extremism-Related Crimes)

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt, stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Allgemein ist nach wie vor ein hohes Maß an Gewalt feststellbar, vor allem außerjudizielle Tötungen und Kollektivstrafen. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet, werden und die Sicherheitslage in Tschetschenien dadurch weitgehend stabilisiert werden konnte, andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

In Tschetschenien kam es im Sommer 2010 zu einer Spaltung innerhalb des bewaffneten Widerstands, als sich ein Teil der bewaffneten Kämpfer vom bis dahin einflussreichsten Anführer Doku Umarow und seiner Doktrin der Schaffung eines islamischen "Emirat Kaukasus" lossagte. Dieser Zwist führte, zusammen mit dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen "Terroristen" und deren Angehörige, zu einer Abnahme der direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Widerstandskämpfern und Sicherheitskräften, ohne dass die Gewalt insgesamt weniger wurde. Die rund 20.000 "Kadyrowzy" sind nach wie vor aktiv. Die Jamestown Foundation schätzt, dass beinahe 90 Prozent der tschetschenischen islamistischen Gruppierungen nun dem Kommando von Emir Hussein unterstehen, während ein Großteil der dagestanischen, inguschetischen und kabardino-balkarischen "Jamaats" nach wie vor Umarow treu sind. Dieser wurde schon mehrmals totgesagt, was sich bis heute als falsch erwiesen hat.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation:

Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 6, 8 und 9; Russia, Freedom in the World 2012)

In Tschetschenien existiert noch immer eine islamistische Untergrundbewegung. Deren Mitglieder werden als "Wäldler" bezeichnet, da sie in den ausgedehnten und dichten Wäldern des Landes ihre Verstecke haben. Ihre Anzahl ist unbekannt. Sie sind jedoch zu effektiven Anschlägen, die meist als Selbstmordattentate erfolgen, fähig. Ziel der Islamisten ist die Errichtung eines "Kaukasischen Emirats" im Nordkaukasus. Ihr Anführer ist Doku Umarov, der selbsternannte "Oberste Emir" des Nordkaukasus. Die Städte gelten gegenwärtig als sicher vor Anschlägen durch die islamistischen Rebellen. Am gefährlichsten sind die Waldgebiete, insbesondere die Gebiete in den hohen Bergen an der Grenze zu Georgien sowie die Grenzgebiete zu Dagestan.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete.

Einschätzungen zur zahlenmäßigen Stärke der Rebellen divergieren stark. In Tschetschenien ist es seit Jahresbeginn 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Im Ergebnis kann gesagt werden, dass Teile der Russischen Föderation, vor allem im Nordkaukasus, von hohem Gewaltniveau betroffen sind. Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, bedeutende Rebellenaktivität in seinem Herrschaftsbereich einzuschränken, ging einher mit zahlreichen Berichten über außergerichtliche Tötungen und Kollektivbestrafung. Zudem breitete sich die Rebellenbewegung in den umliegenden russischen Republiken, wie Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien aus. Hunderte Beamte, Aufständische und Zivilisten sterben jedes Jahr durch Bombenanschläge, Schießereien und Morde. Wenn auch die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte weiter geht, ging die Gewalt in Tschetschenien jedoch 2011 im Vergleich zu 2010 zurück.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.1. Sicherheitslage

Vertreter russischer und internationaler NROs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom XXXX

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

Bis Mai 2011 hatte der EGMR in rund 180 Fällen Verletzungen der Artikel 2 und 3 der EMRK bei Einsätzen der Sicherheitskräfte in Tschetschenien festgestellt. 60% der Beschwerden betrafen das Verschwinden von Personen. [...] Die andauernden Muster der Straffreiheit für solch ernsthafte Verletzungen zählen zu den hartnäckigsten Menschenrechtsproblemen im Nordkaukasus. Es gab sicherlich mehrere positive Schritte wie die Einrichtung von Untersuchungskomitees, die Unterstützung der Teilnahme von Opfern bei der strafrechtlichen Verfolgung und die Verkündung mehrerer Direktiven hierzu. Viele Untersuchungen ergeben jedoch keinerlei Ergebnisse; in Fällen, in denen Behörden selbst in Verbrechen involviert waren bestehen Zweifel, inwieweit diese mit den Untersuchungsbehörden die notwendige Kooperation ermöglichen können.

(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) will sicherstellen, dass die Polizei und Truppen des Innenministeriums, welche Sicherheitsoperationen durchführen, die Gesetze kennen. Daher führte das Komitee zwischen Juni 2010 und Jänner 2011 Informationsveranstaltungen für Sicherheitskräfte durch. Zudem führt das IKRK regelmäßigen Dialog mit föderalen und lokalen Exekutivbehörden über Festnahmen, Inhaftierungen und Gewaltanwendung.

(ReliefWeb: Russian Federation/Northern Caucasus: ICRC maintains aid effort, 1.3.2011,

http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/JARR-8EJHNK?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7 )

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

Nach wie vor finden im Nord-Kaukasus zahlreiche außergesetzliche Tötungen durch Behördenorgane und Angehörige bewaffneter Gruppierungen statt.

Obwohl es 2012 weniger Vorfälle gegeben hat als die Jahre zuvor, bleiben Landminen nach wie vor ein Problem (U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia).

Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 11.12.2013)

2.2. Die Rebellen

Die tschetschenische Rebellenbewegung entwickelte sich bereits vor Ausbruch des zweiten Krieges immer mehr von einer separatistischen hin zu einem islamistischen Netzwerk und radikalisierte sich im Verlauf der Kriegsjahre erheblich. Damit einher ging die Ausbreitung der Gewalt auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, wo die Sicherheitslage mittlerweile als prekärer als in Tschetschenien gilt, sowie in geringerem Ausmaß auch auf Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien. Durch die Ausrufung des "Kaukasus Emirats" durch Doku Umarow (Emir Abu Usman) Ende Oktober 2007 wurde offensichtlich, dass sich der tschetschenische Widerstand nunmehr als Teil einer pankaukasischen islamischen Bewegung betrachtet, deren Ziel nicht die Unabhängigkeit der Republik, sondern vielmehr die "Befreiung" der derzeit "von den Russen besetzten" "islamischen Lande" von "Ungläubigen" ist. Grundsätzlich kann die tschetschenische Rebellenbewegung daher heute nicht mehr losgelöst von den im gesamten Nordkaukasus agierenden Rebellengruppen betrachtet werden. Die einzelnen Gruppen des die Republiksgrenzen überschreitenden Netzwerks stehen zwar miteinander in Verbindung, handeln jedoch weitgehend autonom und dürften einzelne Angriffe auch nicht miteinander koordinieren.

Die tatsächliche Anzahl der Kämpfer ist unklar, Schätzungen reichen von 50 bis 60 (Aussagen Kadyrows) über rund 500 (FSB) bis zu 1.500 Mann (einzelne unabhängige Beobachter in Tschetschenien). Doku Umarow gab im März 2010 an, die Anzahl der Mudschaheddin im gesamten Nordkaukasus läge zwischen 10.000 und 30.000 Mann, bei entsprechenden Ressourcen könnte er fünf- bis zehnmal so viele anführen. Während die Angaben Kadyrows zu niedrig angesetzt sind (allein 2009 sollen offiziellen Angaben zufolge 190 Kämpfer in Tschetschenien ums Leben gekommen sein, in den ersten sieben Monaten 2010 51), sind jene Umarows sicherlich stark übertrieben.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-15)

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat den Tod des tschetschenischen Rebellenführers Doku Umarow bestätigt. Der "russische Bin Laden" sei bei einem Einsatz "neutralisiert" worden, sagte FSB-Chef Alexander Bortnikow am Dienstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Zudem seien mehr als 200 Extremisten festgenommen worden. Dabei wurden große Mengen Waffen und Sprengsätze sichergestellt. Bortnikow sagte zudem, der FSB habe gemeinsam mit Polizei und Ermittlern die Hintermänner der tödlichen Terroranschläge in Wolgograd vom Dezember 2013 geschnappt. Die Attentate, denen 30 Menschen zum Opfer fielen, seien aufgeklärt, sagte Bortnikow. Mitte März hatte eine Internetseite der Islamisten im Konfliktgebiet Nordkaukasus den "Märtyrertod" Umarows mitgeteilt. Er galt als Chef des selbst-proklamierten sogenannten Emirats des Kaukasus. Die gleichnamige Extremistengruppe kämpft für eine islamistische Herrschaft im gesamten Kaukasusgebiet. Der Rebellenführer bekannte sich zu zahlreichen Gewalttaten im ganzen Land, darunter die Anschläge auf den Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 mit insgesamt 77 Toten. In den vergangenen Jahren hatte es mehrmals Meldungen über den Tod Umarows gegeben, die nie bestätigt wurden. Der Terroristenführer selbst hatte gedroht, die ersten russischen Olympischen Winterspiele zu verhindern. Bei den Spielen in Sotschi war es im Februar allerdings ruhig geblieben. (Die Presse, Geheimdienst bestätigt Tod von Islamistenführer Umarov, 8.4.2014, http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1587995/ , Zugriff am 2.5.2014)

Ali Abu-Muhammad, geborener Aliaskhab Kebekov, bestätigte in einer Internetaussendung vom 18. März 2014 den Tod von Doku Umarow. Kebekov stellte fest, dass er zum neuen Führer des Kaukasus-Emirats gewährt wurde. Er war seit 2010 Sharia-Richter im Kaukasus-Emirat. Er kündigte die Fortführung des Jihad an und rief die XXXXe des Nordkaukasus auf, sich dem Kampf anzuschließen. Er kündigte aber keine neuen Terroranschläge an. Der neue Rebellenführer stammt aus Dagestan und ist ethnischer Avare. Er spricht arabisch und kaum russisch. Er studierte in Syrien und war im Alkoholschmuggel in den 1990er Jahren involviert, bevor er konvertierte. Kebekov ist der erste nicht tschetschenische Führer der Kaukasischen Rebellen. Das bestätigt den Trend der letzten Jahre, dass sich das Schwergewicht der Kämpfe im Kaukasus von Tschetschenien nach Dagestan verlagert. Dies ist einerseits der auf die Stabilisierung der Situation in Tschetschenien gerichteten Politik und anderseits der Massenmigration tschetschenischer Rebellen nach Syrien geschuldet. Ebenso ist das der Effekt der schnellen Entwicklung radikalen Islams in Dagestan. Es ist zu erwarten, dass Dagestan das Zentrum des Jihad im Nordkaukasus bleiben wird, während die militärische Untergrundbewegung in den übrigen Republiken eine kleinere Rolle spielen wird. Während die Unterstützung für Kebekov in Dagestan unbestritten ist, ist dies in den übrigen Republiken nicht klar. Das zeigt sich auch in der langen führerlosen Zeit nach dem Tod Doku Umarows, was ggf. Meinungsverschiedenheiten in der Frage des künftigen Führers geschuldet war. Es wurde lange vermutet, dass Aslambek Vadalov, der letzte einflussreiche Veteran des Tschetschenienkrieges, ein ethnischer Tschetschene, Nachfolger Umarows wird. Kebekovs Machtergreifung könnte daher zu einer Fragmentierung des Kaukausus-Emirats und einer stärkeren Homogenisierung der Untergrundbewegung in Dagestan führen. (Osrodek Studiow Wschodnich im. Marka Karpia, Militants oft he North Caucasus have a new leader, 26.3.2014)

Einige Experten glauben, dass sich das Projekt Kaukasus-Emirat nach dem Tod von Doku Umarow signifikant ändern oder einschlafen wird. Der neue Führer des Kaukasus-Emirats, Alaiskhab Kebekov, wird aller Voraussicht nach eine mildere Form des Jihad verfolgen: Berichten zufolge ist er gegen Selbstmordanschläge. Die Wahl des neuen Emirs reflektiert die Verlagerung des Aufstandes von Tschetschenien nach Dagestan und von Nationalismus zur überstaatlichen islamistischen Ideologie. (Jamestown Foundation, Russian Authorities Step up Efforts to Disrupt North Caucasus Insurgency's Financing; Euarsia Daily Monitor, Vol. 11 Iss. 55, 24.3.2014)

Die tschetschenischen Rebellen leisteten ihren Treueeid auf den neuen Führer des Kaukasus-Emirats, Emir Abu Muhammad, obwohl der Emir von Tschetschenien, Emir Khamzat, der Umarows erster Stellvertreter war, nicht unter denen war, die den Eid geschworen haben. Es ist nicht klar, ob er an der Seite von Umarow gestorben ist.Einige Beobachter äußerten Zweifel, ob das tschetschenische Jamaat noch existiert oder nicht. Das Jamaat scheint aber weiterzubestehen und verfügt nun über größere Freiheiten, weil bisher ein Gutteil seiner Aktivitäten auf den Schutz von Doku Umarow konzentriert war. Dessen Bruder, Ahmad Umarow, bestätigte in einer Audiobotschaft, dass Khamzat der Emir von Tschetschenien bleibt. Ein Bombenanschlag am 3. April 2014 auf ein Militärfahrzeug bezeugt, dass die Rebellen in Tschetschenien nicht "neutralisiert" wurden. (Jamestown Foundation, Rebels Continue to Operate in Chechnya Despite Doku Umarov's Death; Eurasia Daily Monitor, Vol. 11, 68, 10.4.2014)

2.2.1. Das Vorgehen der Rebellen

In den ersten Jahren des zweiten Krieges kämpften ganze Armeedivisionen und Brigaden russischer Truppen gegen die Rebellen. Nachdem es den föderalen Truppen gelungen war, große Kampfverbände zu besiegen, gingen die Auseinandersetzungen in einen Guerillakrieg über. In den ersten Monaten des zweiten Tschetschenienkrieges waren die russischen Truppen, die sich vor allem auf die als Hochburgen der Rebellen geltenden südlichen Regionen der Republik konzentrierten, beinahe täglich Bombenanschlägen und Angriffen durch Heckenschützen ausgesetzt. Die Stärke und Kräfte der Kämpfer nahmen ab 2002 und deutlich mit 2004 ab, die Häufigkeit militärischer Aktionen ging zurück. Nachdem viele hochrangige Kommandeure der ersten Generation liquidiert worden waren, - nämlich im März 2002 Ibn al-Chattab, im Jänner 2003 Ruslan Gelajew, im März 2005 Aslan Maschadow, im Juni 2006 Abdul-Chalim Sadulajew und im Juli 2006 Schamil Bassajew - verlor die Rebellenbewegung in Tschetschenien insgesamt an Schlagkraft. Die jüngsten Anschläge im russischen Kernland - jener auf den Zug Newski-Express im November 2009 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 - gingen Bekennerschreiben zufolge zwar ebenfalls auf das Konto nordkaukasischer Rebellen, allerdings vermutlich nicht tschetschenischer.

Heutzutage teilt sich die Rebellenbewegung in Tschetschenien in kleine, extrem mobile und unabhängige Gruppen von Kämpfern, die sich im gesamten Nordkaukasus praktisch mehr oder weniger frei bewegen können.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 16)

2.2.2. Neuerliche Gewalt durch Rebellengruppen

Als Gründe für den neuerlichen Gewaltausbruch werden nicht nur religiöser Extremismus und ethnischer Separatismus genannt. Auch die autoritäre Politik Kadyrows und die durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte begangenen Menschenrechtsverletzungen werden als Auslöser genannt. Wie bereits erwähnt werden Armut und die schlechte wirtschaftliche Lage sowie die weit verbreitete Korruption und Clanwirtschaft ebenso dafür verantwortlich gemacht, den Zulauf aus der tschetschenischen Bevölkerung zur Widerstandsbewegung nicht abreißen zu lassen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-18)

Am 19.10.2010 drangen Terroristen sogar bis zum schwer bewachten Parlament in Grosny vor. Aus bisher ungeklärten Gründen gelang es drei Terroristen die Sperre vor dem Parlamentsgebäude zu passieren. Einer der Angreifer sprengte sich davor in die Luft, zwei Untergrundkämpfer drangen in das Gebäude ein, lieferten sich im Erdgeschoss ein Feuergefecht mit den tschetschenischen Sicherheitskräften und sprengten sich dann selbst in die Luft. Außer den Terroristen wurden bei dem Überfall drei Personen getötet, darunter zwei Polizisten und ein tschetschenischer Zivilist. 17 Personen, darunter sechs Polizisten und elf Zivilisten, wurden verletzt. Mit dem Überfall zeigten die Separatisten, dass sie auch in Tschetschenien, wo es in den letzten Jahren weit weniger Anschläge gegeben hatte, als in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, noch handlungsfähig sind.

(Eurasisches Magazin: Der Terror in Tschetschenien ist zurück vom 06.12.2010)

Am 6. Juli 2010 forderte Putin im südrussischen Kislowodsk eine Amnestie für die Untergrundkämpfer im Nordkaukasus. Damit bewies er, dass man mit allen Mitteln Frieden erreichen will.

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 5)

Am 3.7.2013 hat Doku Umarov - der selbsternannte Emir des Kaukasus Emirats - die von ihm ausgerufene "Waffenruhe" zurückgenommen und damit gedroht, die Olympischen Winterspiele im Februar 2014 in Sotschi zu attackieren.

Bei zwei Selbstmordanschlägen auf einen Linienbus und im Bahnhof von Wolgograd (ehemals Stalingrad) waren am Sonntag (29.12.2013) und am Montag (30.12.2013) insgesamt mindestens 34 Menschen getötet und 72 Menschen verletzt worden. Moskau verdächtigt tschetschenische Islamisten, die damit gedroht haben, die Olympischen Winterspiele (7. bis 23. Februar) im knapp 700 Kilometer südwestlich gelegenen Sotschi attackieren zu wollen.

Nach den tödlichen Anschlägen in Wolgograd hat der russische Präsident Wladimir Putin verschärfte Anstrengungen für die Sicherheit der Olympischen Winterspiele in Sotschi angekündigt. Russland werde "entschieden und unnachgiebig den Kampf gegen Terroristen bis zu deren vollständiger Ausradierung fortsetzen", sagte Putin am Dienstag in seiner Neujahrsansprache laut Interfax.

(Quelle(n): Geopolitical Monitor (22.12.2013): Assessing the Terrorist Threat to the Sochi Olympics, http://www.geopoliticalmonitor.com/assessing-the-terrorist-threat-against-the-sochi-olympics-4897/ ;

Zugriff 2.1.2014, Der Standard (1.1.2014): Putin in Wolgograd:

"Widerliche Verbrechen",

http://derstandard.at/1388514289560/Putin-besucht-nach-Anschlaegen-Wolgograd ;

Zugriff 2.1.2014, ORF.at (31.12.2013): Sorge um Sicherheit in Sotschi, http://orf.at/stories/2212300/2212298/ ; Zugriff 2.1.2014)

Ein föderales Gesetz vom 2.11.2013 (Nr. 302-FZ) ermöglicht eine "Wertabschöpfung" bei Verwandten und Angehörigen hinsichtlich Vermögenszuwächse durch terroristische Tätigkeit.

2.3.1. Menschenrechte allgemein

Russland befindet sich seit dem Ende der Sowjetunion in einem umfassenden und schwierigen Transformationsprozess. Formal garantiert Russland in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten. Menschenrechtler kritisieren jedoch Mängel bei der praktischen Umsetzung der verbrieften Rechte. Repressive Traditionen und ein Mangel an Erfahrungen mit Rechtsstaatlichkeit verbinden sich mit einem teilweise immer noch fehlenden Bewusstsein für individuelle Rechte und Freiheiten. Hinzu kommen Mängel bei der Unabhängigkeit der Judikative und die verbreitete Korruption. Seit Mai 2012 werden ein wachsender staatlicher Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und einzelne Akteure beobachtet. Bei der Terrorismusbekämpfung, insbesondere im Nordkaukasus, sind auch autoritäre Einschränkungen der Grundrechte zu beobachten. Trotz einiger Reformbemühungen unter dem damaligen Präsidenten Medwedew, namentlich im Strafvollzugsbereich, bestehen bei der Menschenrechtslage im Land in einigen Bereichen erhebliche Defizite fort.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , 6.2.2013)

Die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen 2011 betrafen Verstöße gegen demokratische Prozesse, die Justizverwaltung und den Rechtsstaat, sowie die Meinungsäußerungsfreiheit. Weitere beobachtete Probleme umfassten physische Misshandlung von Wehrdienern durch Militärs; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; weit verbreitete Korruption auf allen Ebenen der Staatsführung und im Gesetzesvollzug; Gewalt gegen Frauen und Kinder; xenophobische Angriffe und Hassverbrechen; gesellschaftliche Diskriminierung, Schikane und Angriffe auf religiöse und ethnische Minderheiten und Immigranten; gesellschaftliche und behördliche Einschüchterung der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaftern; Diskriminierung von Homosexuellen; und Einschränkungen der Arbeiterrechte.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.3.2. Die Menschenrechtslage in Tschetschenien

Die Regierung von Ramsan Kadyrow in Tschetschenien verletzt weiterhin Grundfreiheiten, ist in Kollektivbestrafungen von Familien vermeintlicher Rebellen involviert und fördert insgesamt eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung. Der tschetschenische Ombudsmann Nurdi Nukhazhiyev zeigte sich der wichtigsten NRO in der Region, Memorial, gegenüber unkooperativ. Die Behörden weigerten sich gelegentlich mit NRO, die ihre Aktivitäten kritisierten, zusammenzuarbeiten. Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter waren Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

Wie berichtet wird, wird Folter sowohl von lokalen Behördenorganen als auch von föderalen Kräften angewendet.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

Es werden weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit den "anti-terroristischen" Operationen der Regierung berichtet. Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen berichten über Entführungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, "Verschwindenlassen" und widerrechtliche Tötungen. Der russische Ombudsmann hat mehrfach über Verstöße im Nordkaukasus berichtet, ebenso wie der Menschenrechtskommissar des Europarates. Solche Berichte scheinen vor Ort aber wenige Auswirkungen zu haben.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Übrigen bezweifelt der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ernsthaft, ob der tschetschenische Ombudsmann seine Rolle als unabhängige Institution zum Schutz der Menschenrechte in der Republik versteht.

(Council of Europe-Parliamentary Assembly (5.3.2012): The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1331036948_edoc12882.pdf ; Zugriff 9.12.2013)

Berichten zufolge verübten Beamte mit Polizeibefugnissen nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 [Beobachtungszeitraum 2011], 24.5.2012, ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

In Teilen des Nordkaukasus kommt es weiterhin zu Entführungen, illegalen Festnahmen und Folter von Verdächtigen.

Menschenrechtsverletzungen werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. Mehrere Opponenten und Kritiker des Oberhauptes Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, wurden in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland, durch Auftragsmörder getötet (darunter Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2.000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungskräften, Aufständischen, islamistischen Militanten und kriminellen Kräften zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, wie außergerichtlichen Tötungen, Folter, körperlichem Missbrauch und politisch motivierten Entführungen führte.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow bei der Unterdrückung größerer Rebellenaktivitäten in seinem Einflussbereich wird begleitet von zahlreichen Berichten über außergerichtliche Hinrichtungen und Kollektivbestrafungen.

(Freedom House: Freedom in the World 2012 - Russia, März 2012)

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Wiederholte Äußerungen von Präsident Medwedew und anderen Funktionsträgern deuten darauf hin, dass Recht und Gesetz hinreichend eingehalten und die Menschenrechte respektiert werden sollen. Die Urteile des EGMR werden von Russland nicht vollständig umgesetzt. 2011 wurden in Tschetschenien 20 Fälle registriert, in denen Personen entführt wurden, verschwanden oder gesetzwidrig verhaftet wurden (2010: 6). Memorial dokumentierte zwischen Jänner und September 2011 elf Fälle von Entführungen lokaler Einwohner durch Sicherheitskräfte. Opfer weigern sich aus Angst vor behördlicher Vergeltung zusehends über Verstöße zu sprechen. In einem Brief an eine russische NRO im März 2011 sagten die föderalen Behörden, dass die tschetschenische Polizei Untersuchungen von Entführungen sabotierten und manchmal die Täter deckten. In einem Schreiben an die NGO "Interregionales Komitee gegen Folter" bestätigte ein hochrangiger tschetschenischer Staatsanwalt, dass die Ermittlungen zu den Fällen von Verschwindenlassen in Tschetschenien ineffektiv seien. Vertreter russischer und internationaler NRO zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Schariah-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, Amnesty International: Jahresbericht 2012 24.5.2012; Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom XXXX)

2.3.3. Religionsfreiheit

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist. Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen um seine Herrschaft zu rechtfertigen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und wies das Tragen einer Hidschab in öffentlichen Gebäuden an.

(U.S. Commission on International Religious Freedom (30.4.2013):

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom,

http://www.uscirf.gov/images/2013 USCIRF Annual Report (2).pdf ; Zugriff 9.12.2013, Department of State (20.5.2013): 2012 International Religious Freedom Report - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/247446/371031_de.html ; Zugriff 9.12.2013)

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht.

Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten, und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition rechtzufertigenden Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht.

(BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland: Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus)

2.3.4. Menschenrechtsaktivisten und Gegner Kadyrows:

Seit 2009 wurde eine zunehmende Zahl von Menschenrechtsverteidigern aus dem Nordkaukasus drangsaliert, geschlagen, entführt und getötet. Auch der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrow beschuldigte am 3. Juli 2010 in einem Fernsehinterview Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, vom Ausland bezahlt zu sein, und bezeichnete sie als "Verräter, welche "die Idee des Mutterlands verkauft" hätten, zudem als "Feinde des Volkes, Feinde des Gesetzes, Feinde des Staates".

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 14-15)

Einer der zuletzt bekannt gewordenen Fälle betrifft den kritischen politischen Journalisten der Tageszeitung "Kommersant" Oleg Kaschin, der am 06.11.2010 vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 9)

Die Verfolgung von Familienmitgliedern und Unterstützern von Widerstandskämpfern ist in der Russischen Föderation eine der Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus. Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es dadurch Rebellen Lebensmittel, Kleidung oder Schlafstätten zur Verfügung zu stellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug.

In deutsch- und englischsprachigen Medien und Berichten von russischen und anderen Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen finden sich keine Hinweise, dass in den letzten Jahren oder derzeitig, Personen, die den Widerstand in den Jahren vor der letzten offiziellen Amnestie 2006 unterstützt oder selbst gekämpft und eine Amnestie in Anspruch genommen haben, oder die mit einer solchen Person verwandt sind, nunmehr allein deshalb verfolgt würden. Betroffen sind hauptsächlich Unterstützer und Familienmitglieder gegenwärtig aktiver Widerstandskämpfer. Um unbehelligt leben zu können müssen sich amnestierte Kämpfer und Unterstützer und deren Familien Ramsan Kadyrow gegenüber sicherlich weiterhin loyal zeigen. Ein Austritt aus den lokalen Sicherheitskräften, in denen viele der Amnestierten nunmehr arbeiten (müssen) wird nur bedingt möglich sein.

Obwohl eine strafrechtliche Verfolgung von Unterstützern des Widerstandskampfes möglich ist, greifen die tschetschenischen Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den Terrorismus weiterhin auf Mittel ohne rechtliche Grundlage zurück. Einerseits gibt es vereinzelte Berichte, dass Unterstützer ohne jegliches Verfahren für ihre vermeintliche Hilfeleistung "bestraft" werden. Andererseits finden sich zahlreiche Berichte über Formen der Kollektivbestrafung von Familienmitgliedern (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer. Betroffen ist vorwiegend der engere Familienkreis, also Eltern, Onkeln, Cousins und Ehefrauen. Die tschetschenischen Behörden gehen aufgrund der traditionell sehr engen Familienbande davon aus, dass Familien ihre im Wald lebenden Angehörigen unterstützen, vor allem aber davon, dass diese Familien im Stande sind, ihre Angehörigen zu einer Rückkehr aus dem Wald zu bewegen. Die Verfolgung beginnt mit dem Einsatz von Druckmitteln wie der Streichung von Sozialbeihilfen, und führt bis zur Niederbrennung der Wohnhäuser der betroffenen Familien. Offizielle Beschwerden oder Anzeigen hiergegen sind kaum möglich.

(BAA/Staatendokumentation: Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien, 20.4.2011)

2012 wurden ab Jahresbeginn bis September rund 40 Personen festgenommen, um auf die Rebellen Druck auszuüben. Die meisten der Verhafteten sind Frauen, die beschuldigt werden, den Rebellen Nahrung gekauft oder Unterkunft gegeben zu haben. Die offiziellen Statistiken können jedoch nicht für bare Münze genommen werden. Tschetschenische Exekutiv- und Sicherheitsbehörden unter der de-facto Kontrolle von Ramsan Kadyrow wenden gegenüber Verwandten und mutmaßlichen Unterstützern vermeintlicher Rebellen Kollektivstrafen an. Das Niederbrennen von Häusern vermeintlicher Rebellen, ein Mechanismus der Kollektivbestrafung, der seit 2008 angewandt wird, ging Berichten zufolge weiter. Im Juli 2011 berichtete Caucasian Knot über mehrere Häuser, die niedergebrannt wurden, die Familien junger Leute gehörten, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten. Im April 2012 wurde Rechtsaktivisten von Bewohnern des Dorfes Komsomolskoye/Bezirk Gudermes berichtet, dass Personen in Uniform die Häuser von den Eltern und Großeltern eines wenige Tage zuvor getöteten Rebellen niedergebrannt hatten. Kadyrow und andere tschetschenische Beamten haben bei mehreren Gelegenheiten ausgesagt, dass Angehörige von Aufständischen für ihre Rebellen-Verwandten zur Verantwortung gezogen werden müssen.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 176, 27.9.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, The Jamestown Foundation: North Caucasus Weekly -- Volume 13, Issue 10, 18.5.2012 / Caucasian Knot: Chechnya: houses of relatives of Bantaev, killed in special operation, burnt down, locals say, 5.5.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/20948/ , Zugriff 3.12.2012)

Familien sehen sich weiterhin Vergeltungsmaßnahmen für angebliche Vergehen von Familienmitgliedern gegenüber. Kadyrow führte seine Anti-Widerstandsstrategie der kollektiven Bestrafung gegen Familienmitglieder von verdächtigen Aufständischen weiter, einschließlich des Anzündens ihrer Häuser.

Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter fielen Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Es kann von niemandem mit Sicherheit gesagt werden, wie viele Rebellen heutzutage in Tschetschenien aktiv sind. Rekrutierung findet konstant statt. Rebellen und jene die aktive Rebellen unterstützen sind Hauptziel der tschetschenischen Behörden, während ehemalige tschetschenische Rebellen für die Behörden von weniger Interesse sein dürften. Aktive Rebellen werden für gewöhnlich während Sonderoperationen getötet, während Unterstützer festgenommen werden. Bei der Befragung von Personen, die der Zusammenarbeit mit Rebellen bezichtigt werden, soll es zu Folter kommen. In einer Reihe von Fällen wurden Personen für verschiedenartige Unterstützung der Rebellen zu Haftstrafen verurteilt.

(Landinfo: Tsjetsjenia: Tsjetsjenske myndigheters reaksjoner mot opprørere og personer som bistår opprørere, 26.10.2012, http://www.landinfo.no/asset/2200/1/2200_1.pdf , Zugriff 3.12.2012)

2.3.5. Sicherheitsbehörden

In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden oft zusammenfassend als Kadyrowzy bezeichnet, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte bestehen aus einem "relativ undurchsichtigen Geflecht von verschiedenen Einheiten", wie in einer Analyse der Staatendokumentation festgehalten wurde. Davon konnte man sich während des Forschungsaufenthalts überzeugen: Die zahlreichen in den Straßen der Hauptstadt Grosny zu sehenden Sicherheitskräfte tragen eine Vielzahl an verschiedenen Uniformen. Viele bewaffnete Männer in schwarzer oder Camouflage-Kleidung tragen keinerlei Abzeichen, die erkennen lassen würden, ob oder zu welcher polizeilichen oder militärischen Einheit sie gehören. Vereinzelt sieht man in den Straßen Grosnys auch Männer in Zivil, die eine Handfeuerwaffe im Gürtel tragen.

(Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation (12.2011): Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien)

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg).

Tschetschenische Kommandoeinheiten werden von russischen Eliteeinheiten wie z.B. ALFA (eine spezielle Eliteeinheit des FSB) für den Einsatz in bergigen Gebieten und Wäldern trainiert. Das Trainingslager für tschetschenische Spezialeinheiten befindet sich im Dorf Tsenteroi im Kurchaloi Distrikt. Aus dem Bericht der Jamestown Foundation geht hervor, dass der Major und seine Auszubildenden nicht-russische khakifarbene Uniform ohne jegliches Abzeichen einer bestimmten Behörde trugen.

(Jamestown Foundation (6.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 219. Training of Chechen special forces causes controversy in Moscow)

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte führt nach wie vor häufig zu Menschenrechtsverletzungen. Bewaffnete Gruppen überfielen erneut Angehörige der Sicherheitskräfte, örtliche Staatsbedienstete und Zivilpersonen. Angriffe bewaffneter Gruppen wurden aus dem gesamten Nordkaukasus gemeldet. Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

Die Behörden verstießen systematisch gegen ihre Verpflichtung, bei Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte umgehend unparteiische und wirksame Ermittlungen einzuleiten, die Verantwortlichen zu identifizieren und sie vor Gericht zu stellen. In einigen Fällen wurden zwar Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen, meistens konnte im Zuge der Ermittlungen jedoch entweder kein Täter identifiziert werden oder es fanden sich keine Beweise für die Beteiligung von Staatsbediensteten oder man kam zu dem Schluss, es habe sich um keinen Verstoß seitens der Polizeikräfte gehandelt. Nur in Ausnahmefällen wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Folter- und Misshandlungsvorwürfen ergriffen. Kein einziger Fall von Verschwindenlassen oder außergerichtlicher Hinrichtung wurde aufgeklärt und kein mutmaßlicher Täter aus den Reihen der Ordnungskräfte vor Gericht gestellt.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 9.12.2013).

2.3.6. Haftbedingungen

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Übergriffe von Wärtern auf Gefangene kamen weiterhin vor, ebenso wie Übergriffe von Gefangenen untereinander.

Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Den Ärzten mangelt es im Allgemeinen an geeigneter Qualifizierung, Medikamente sind begrenzt verfügbar und Geräte sind alt. Spezialisten sind in den Haftanstalten nicht verfügbar, oftmals war nur eine Krankenschwester eingestellt.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, )

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich in den letzten zehn Jahren langsam, aber kontinuierlich verbessert. Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. Gerade in Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Ein Vertreter einer NRO gab 2011 an, dass die Anwendung von Folter in Tschetschenien in den letzten Jahren anstieg. Gewöhnlich umfasst diese Folter starke Schläge und im Falle längerer Haftzeiten auch Elektroschocks, so dass bei einer Entlassung keine physischen Zeichen sichtbar sind. Memorial gab an, dass die Mehrheit der Personen, die in Haft sind oder von den tschetschenischen Behörden befragt werden, physischen Misshandlungen wie starken Schlägen, Verbrennungen, Ausreißen von Nägeln und Elektroschocks ausgesetzt ist.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Physische Misshandlung von verdächtigen Personen durch die Polizei würde systematisch und üblicherweise in den ersten Tagen nach einer Festnahme erfolgen. Im Kaukasus würde Folter Berichten zufolge von lokalen, aber auch von föderalen Strafverfolgungsbehörden angewandt. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass unter anderem Elektroschocks sehr häufig angewendet werden, da sie am ehesten keine Spuren hinterlassen würden. Im Nordkaukasus existierten weiterhin inoffizielle Gefängnisse.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013

3. Versorgungslage

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 deutlich verbessert - ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die Staatsausgaben in Tschetschenien sind pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des südlichen Föderalen Bezirks. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleibt Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Kadyrow möchte eine Art "Dubai des Kaukasus"(Uwe Halbach) aus Tschetschenien machen. Sowohl in die soziale, als auch in die technische Infrastruktur wurde investiert: In den Bau und die Renovierung von Wohnungen, medizinischen Einrichtungen, Schulen, Kaufhäusern, Straßen, Kanalisation, Stromversorgung u. ä. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU-Kommission findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, XXXX und Schali, statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Der Wiederaufbau geht unter hohem Einsatz staatlicher Mittel rasch voran, die Arbeitslosigkeit bleibt aber nach wie vor ein schweres Problem. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen Bedingungen statt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5; Amnesty International, Annual Report 2012)

Trotz der Bemühungen die notwendige Infrastruktur zu verbessern, haben die meisten gewöhnlichen Bürger keinen Nutzen aus den Wiederaufbaubemühungen in Tschetschenien gezogen. Für den Wiederaufbau wurden ausländische Arbeiter und Firmen herangezogen; Fabriken und andere Initiativen, die Arbeitsplätze in größerem Umfang schaffen könnten, wurden nicht wiederhergestellt. Deshalb sind viele gewöhnliche Bürger weiterhin von Sozialbeihilfen als Haupteinkommensquelle abhängig. Die Lebensqualität ist weiterhin schlecht, es besteht ein Mangel an leistbarem Wohnraum und medizinischen Einrichtungen, sowie eingeschränkter Zugang zu Wasser, Sanitäranlagen und anderen Betriebsmitteln und eine ungeeignete Transportinfrastruktur. Wo Bildung verfügbar ist, sind die Standards niedrig.

Dennoch gibt es Grund für Optimismus. Laut Aleksandr Khloponin [Bevollmächtigter Vertreter des Präsidenten im Föderationskreis Nordkaukasus] dauerte es mehr als zehn Jahre, um die Sicherheitslage in Tschetschenien zu verbessern, die Infrastruktur und Wohnraum wieder aufzubauen, vermisste Personen zu suchen, ethnische Gruppen zusammenzubringen und vieles anderes. Um diese Bemühungen weiterführen zu können, wurde 2010 eine "Strategie für die sozioökonomische Entwicklung des Föderationskreises Nordkaukasus bis 2025" beschlossen. Diese sieht für die kommenden Jahre größere Investitionen in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Baumaterialien, Tourismus, Industrieanlagen und Logistik vor. Jedoch wird es noch mehr Zeit brauchen, um die Situation für jedermann zu verbessern. Die Arbeitslosigkeit anzupacken ist sowohl für die föderale als auch die regionale Regierung die erste Priorität. In Tschetschenien ist die Arbeitslosigkeit von 45% 2010 auf 30% im August 2011 gesunken.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Zusammenhang mit der Versorgungslage muss einmal mehr auf die hohe Korruption in der tschetschenischen Gesellschaft hingewiesen werden.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.1. Wohnsituation

Laut Beurteilung des tschetschenischen Eigentumsministeriums sowie des Wohnungsministeriums ist das Privateigentum anderer für Tschetschenen unantastbar. Aus diesem Grunde werden Häuser von Tschetschenen, die ausgereist sind, nicht von anderen Personen oder vom Staat in Besitz genommen. Es wurde in den diesbezüglichen Stellungnahmen sogar soweit ausgeholt, dass Häuser so lange leer stehen würden, bis der Besitzer zurückkäme.

(Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 23-24)

Wohnraum bleibt ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (man geht davon aus, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen gleich wieder als Schmiergelder gezahlt werden müssen).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Die auf dem Land lebenden Tschetschenen leben nicht schlecht. Sie nutzen das fruchtbare Land zum Gartenanbau und halten sich ein bis zwei Nutztiere. Die Großfamilien wohnen in "Mehrgenerationenhäusern", d.h. auf einem Areal hinter hohen Mauern mit mehreren Häusern und Anbauten. Innerhalb der Großfamilie stehen alle füreinander ein. Der enge Zusammenhalt gewährleistet die Versorgung mit Nahrungsmittel.

Nächstgrößere Familienstrukturen sind die "Tejps" (Clans). Einer der bekanntesten ist der Benoi-Tejp, dem auch Ramsam Kadyrow angehört.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.2. Nahrungsversorgung

Hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten von Grundnahrungsmitteln ist auf die Mentalität des tschetschenischen Volkes zu verweisen, diese hat es laut Einschätzung des tschetschenischen Landwirtschaftsministeriums ermöglicht, dass die Menschen selbst während der beiden Kriege genug zu essen hatten. Laut Beurteilung des Landwirtschaftsministeriums gibt es aufgrund der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung der tschetschenischen Bevölkerung auch heutzutage keine Familie in Tschetschenien, die sich nicht die Lebensmittel kaufen kann, welche sie benötigt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

23)

Das Notfall- und Rehabilitationsprogramm im Nordkaukasus soll für die Ernährungssicherheit und Ernährung durch "Empowerment" gefährdeter Bevölkerungsgruppen sorgen. Diese Ziele sollen dadurch erreicht werden, indem man die landwirtschaftliche und die auf Viehzucht basierende Produktion wieder aufnimmt und gleichzeitig verstärkt neue Kenntnisse über Ernährung und Klein-Farmbetriebe anwendet.

Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) nahm am Inter-Agency-Transitional-Arbeitsplan für den Nordkaukasus 2007 teil, der die Durchführung von Aktivitäten zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und Stärkung ländlicher Existenzmöglichkeiten in der Region beabsichtigt. Insbesondere gehören zu den wichtigsten Zielen der FAO im Bereich der Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion die Wiedereingliederung von sozial benachteiligten Gruppen, die Bereitstellung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln für Einkommen schaffende Maßnahmen, der Wiederaufbau der wichtigen landwirtschaftlichen Infrastruktur, die Gewährung von Dienstleistungen sowie die Stärkung der institutionellen Kapazitäten in der Landwirtschaft.

(Homepage der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation), Zugriff am 11. Jänner 2011,

http://www.fao.org/countries/55528/en/rus/ )

3.3. Arbeitslosigkeit und soziale Lage

Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Der Durchschnittsgehalt lag in Tschetschenien laut Bundesstatistikdienst Ende 2011 bei RUB 13.919 RUB und somit über jenem der nordkaukasischen Nachbarrepubliken. Die durchschnittlichen monatlichen Lebenshaltungskosten in Grosny betragen laut statistischen Angaben der Russischen Föderation vom Dezember 2011 pro Person ca. 6.559 RUB (ca. 158 EUR).

Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, IOM: Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012, BAMF: IOM Individualanfrage ZC7, 18.01.2012)

Die offizielle Arbeitslosenrate ist in den letzten Jahren gesunken, ist aber nach wie vor ein großes Problem. Die inoffizielle Arbeitslosenrate wird weit höher geschätzt, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung dürfte aber im informellen Sektor Einkommen schöpfen, bzw. aus landwirtschaftlichem Eigenanbau konsumieren. Unterstützung aus der Familie hat in der Republik große Tradition. Wenngleich Korruption auch im Bereich der Sozialbeihilfen bestehen dürfte, so sind in der Tschetschenischen Republik grundsätzlich dieselben föderalen sozialen Unterstützungen wie in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Zudem gibt es Sozialbeihilfen auf Ebene der Republik, wie beispielsweise finanzielle Unterstützung zur Gründung eines Kleinunternehmens oder Finanzhilfen für Behinderte.

Putin rief dazu auf, die Wirtschaft der Nordkaukasus-Region anzukurbeln. Um den Rückstand gegenüber anderen Regionen aufzuholen, brauche der Nordkaukasus laut Aussagen Putins rund zehn Prozent Wirtschaftswachstum jährlich und sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit äußerst wichtig. Innerhalb von zehn Jahren sollen laut Putin mindestens 400.000 neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus entstehen. Beim Wiederaufbau gibt es bereits Erfolge zu verzeichnen. In den vergangenen zwei Jahren sind in Tschetschenien beispielsweise 53 Schulen und 35 medizinische Einrichtungen in Betrieb genommen worden, deren Bau der Staat finanziert hat.

Im Rahmen eines seit 2008 laufenden Programms werden Personen unterstützt, die sich selbst einen Arbeitsplatz schaffen:

Arbeitslose, die einen kleinen Betrieb eröffnen, werden mit einer einmaligen Zahlung von 58.000 Rubel gefördert. Stellt man Arbeiter ein, erhält man für jeden Angestellten wiederum 58.000 Rubel. Insgesamt wurde das Programm bislang von 5.481 Personen in Anspruch genommen, 3.498 davon kamen aus dem ländlichen Raum. Zudem gibt es ein Programm zur Weiterbildung oder Umschulung - das "Programm für zusätzliche Maßnahmen für die Entwicklung von Arbeitsstellen". Hier werden für Personen, die sich weiterbilden wollen, Stipendien in der Höhe von 850 Rubel pro Monat vergeben. Diese Maßnahmen sollen zusätzlich die Arbeitslosenrate senken, um die soziale und wirtschaftliche Stabilität der Bevölkerung zu fördern. Zur Unterstützung von Arbeitslosen wurde in Stawropol ein Ressourcen-Zentrum errichtet, wo verfügbare Arbeitsstellen bestimmt und die Daten der Arbeitslosen im Nordkaukasus gesammelt werden. Die Bewohner des Nordkaukasus können sich dort melden und um Arbeitsplätze in anderen Regionen der Russischen Föderation ansuchen.

Für Alte und Invalide gibt es auch Unterstützung in Form von Lebensmittelhilfe. In jeder Region der Republik gibt es mittlerweile lokale Zentren, die sich mit diesen Fragen vor Ort beschäftigen. Diese Stellen suchen auch selbst bedürftige Personen, die sich nicht von selbst bei ihnen melden. Hierbei handelt es sich vor allem um alte und invalide Menschen. Diese Zentren machen auch ein Monitoring, wer was in welchem Umfang benötigt. Gemäß der Notwenigkeit werden dann finanzielle Hilfe, ärztliche Versorgung und materielle Unterstützung zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es stationäre Einrichtungen für Personen, die in vollem Umfang versorgt und gepflegt werden müssen (z. B. Altenheime).

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 4, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5, 6, 37, 38)

3.4. Medizinische Versorgungssituation

Medizinische Grundversorgung ist in Tschetschenien flächendeckend gewährleistet. Spezialisierte Kliniken sind nur in der Hauptstadt Grosny verfügbar, was aber in Anbetracht der Größe der Republik (ungefähr der Steiermark) zu verstehen ist. Grundsätzlich ist medizinische Versorgung kostenlos, auf die allseits verbreitete Korruption muss aber auch hier hingewiesen werden. Für Behandlungen, die in Tschetschenien nicht verfügbar sind, besteht die Möglichkeit, zur Behandlung nach Stawropol (Distanz zu Grosny ca. 450 km), nach Moskau oder in andere russische Städte zu reisen.

(BAA Staatendokumentation: Bericht zum Forschungsaufenthalt Russland 2011, Dezember 2011)

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Es gibt derzeit nach Auskunft des Gesundheitsministers insgesamt rund 368 medizinische Einrichtungen, wie (Rajon- und Republiks‑)Krankenhäuser und Polykliniken. Die Polykliniken sind Ambulanzen, in denen (Vorsorge‑)Untersuchungen und ambulante Behandlungen durchgeführt werden. Der Auskunft des Gesundheitsministeriums zufolge gibt es in jeder Siedlung der Republik medizinische Einrichtungen. Es gibt drei Krankenhäuser für psychisch Kranke sowie weitere Krankenhäuser, die sich mit Personen, welche an der Schwelle zu psychischen Krankheiten stehen, beschäftigen. Es gibt unter anderem 22 Rajons- und 32 Republikseinrichtungen für medizinische Behandlung und Prophylaxe in der Republik sowie in Grosny allein weitere 26 medizinische Einrichtungen

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

48)

Diverse Erkrankungen wie Hepatitis C, Coronare Herzkrankheiten, Posttraumatische Belastungsstörungen und sogar DES-Stent-Implantationen etc. können laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in der Russischen Föderation (und in der Tschetschenischen Republik) behandelt und nachversorgt werden. In Tschetschenien ist die Versorgung mit medizinischen Spezialisten noch immer unzureichend und komplizierte Fälle werden für die Behandlung und Nachsorge von ihren örtlichen Kliniken in die nächsten Städte (Krasnodar, Rostov-on-Don, Machatschkala) überwiesen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 10.08.2010, Seite 2)

Es gibt außerdem eine Vereinbarung mit China zur Behandlung von Kindern mit Geburtsfehlern und wurden in diesem Rahmen bereits einige Behandlungen durchgeführt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

46)

Das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der RF legt fest, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der RF, unabhängig von der Meldeadresse, gewährleistet ist.

Allerdings gibt es Einschränkungen bei der freien Wahl der Klinik und des Arztes. Ein Wechsel der Klinik, bei der man sich als Patient angemeldet hat, ist nur einmal im Jahr möglich, ebenso ein Wechsel des Arztes. Außerdem kann ein Arzt einen Patienten wegen Überlastung ablehnen.

(IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation Juni 2011; Antwort der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

3.4.1. Psychologische Bertreuung in Tschetschenien

Der Nichtregierungsorganisation Vesta zufolge können psychische Erkrankungen beispielsweise in dem Republiksambulatorium für Neuropsychologie (Grosny), in dem Republikskrankenhaus "Samaschkin" (Zakan-Jurt im Bezirk Atschchoi-Martan) und im Darbachin-Republikskrankenhaus (Braguny im Bezirk Gudermes) behandelt werden. Auch Internationale und Nichtregierungsorganisationen sind im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 9)

UNICEF entwickelte in Tschetschenien ein neues Programm, um Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und ihren Familien zu behandeln. In einer ersten Phase wurden 14 psychosoziale Rehabilitierungszentren in sieben tschetschenischen Bezirken eröffnet. UNICEF arbeitete mit lokalen Behörden und NRO zusammen, um passende Räumlichkeiten zu finden, Psychologen und andere Mitarbeiter auszubilden, und Studien über die Auswirkungen des Konfliktes auf Kinder durchzuführen. 50 lokale Kinderfachkräfte wurden mit Hilfe von Psychotherapeuten aus Israel und St. Petersburg ausgebildet. Zur Koordinierung des Programms wurde ein psychosoziales Führungskomitee mit den tschetschenischen Behörden eingerichtet. Der Psychosoziale Aktionsplan 2008-2012 soll ein Schlüsselinstrument zur Linderung der Konfliktauswirkungen auf Kinder werden.

(UNICEF: Russian Federation - Projects in the North Caucasus - Psycho-social recovery, ohne Datum, http://eng.unicef.ru/program_unicef/north_caucasus/recovery/ , Zugriff 1.6.2011)

Mit Stand März 2008 wurden 19 solcher von UNICEF unterstützten psychosozialen Zentren in Tschetschenien betrieben, im Jänner 2009 waren es bereits 29. Für 2009 war die Errichtung 17 weiterer Zentren geplant. In den Zentren wurden neben Psychologen auch jugendliche Freiwillige sowie Praktikanten von den tschetschenischen Universitäten beschäftigt.

(UNICEF: Russian Federation - Newsline - Help for children psychologically affected by war in Chechnya, 04.03.2008, http://www.unicef.org/infobycountry/russia_43075.html , Zugriff 1.6.2011 / UNICEF New Zealand: UNICEF will open 17 new psychosocial recovery centres in Chechnya, 11.02.2009 http://www.unicef.org.nz/article/680/UNICEFwillopen

17newpsychosocialrecoverycentresinChechnya.html, Zugriff 1.6.2011)

Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist in Tschetschenien ambulant und stationär durch Psychiater behandelbar.

(SOS International (via MedCOI): BMA 4433, 31.10.2012)

3.5. Rückkehrer

3.5.1. Derzeitige Situation von Rückkehrern

Eine Rückkehr von Tschetschenen in die Russische Föderation ist möglich, die meisten tschetschenischen Rückkehrer aus dem Ausland kehren in die Tschetschenische Republik zurück. Da in der Russischen Föderation Bewegungsfreiheit gilt, können sich aber ethnische Tschetschenen auch in jedem anderen Teil Russlands niederlassen.

Laut einem Vertreter der Internetzeitschrift "Kaukasischer Knoten" können Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung ist für viele (auch im Fall von Kompensationszahlungen) unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit ist um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten werden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, werden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal werden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt.

(ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert.

Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei".

Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation).

Seit 01.07.2010 implementiert IOM das Projekt "Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden in die Russische Föderation / Republik Tschetschenien", das vom Österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Europäischen Rückkehrfonds kofinanziert wird. Im Rahmen des Projekts werden Russische Staatsangehörige aus der Republik Tschetschenien, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren möchten, nicht nur bei der Rückkehr, sondern auch bei ihrer Reintegration im Herkunftsland unterstützt.

Die Projektteilnehmer/innen erhalten nach ihrer Rückkehr Unterstützung von der lokalen Partnerorganisation (NGO Vesta), die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Beratung zur Verfügung stellt und sie bei der Auswahl ihrer individuellen Reintegrationsmaßnahmen (z.B. Weiterbildungskurse, Geschäftsgründung, Erwerb von Werkzeug oder Materialien, etc.) unterstützt. Die Reintegrationsmaßnahmen erfolgen in Form von Sachleistungen im Wert von bis zu max. EUR 2.000 (pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen); im Fall von Kleingeschäftsgründungen, die eine Registrierung erfordern, ist eine zusätzliche Unterstützung von bis zu EUR 1.000 in Form von Sachleistungen möglich. Zusätzlich werden die Rückkehrer/innen bei der Deckung der Lebenserhaltungskosten während der ersten sechs Monate nach der Rückkehr mit EUR 500,- pro Fall unterstützt.

Mit Unterstützung von IOM sind in den letzten Jahren zahlreiche Personen (2010 waren es 606, 2011 waren es 528 und 2012 waren es insgesamt 525) von Österreich in die Russische Föderation zurückgekehrt. 2012 sind 381 Personen nach Grosny mit Hilfe von IOM zurückgekehrt. Der endgültige Rückkehrort ist IOM allerdings nicht immer bekannt.

(Beantwortung einer Anfrage des AsylGH an IOM Wien vom 20.03.2013)

Dem BMI-Verbindungsbeamten der ÖB Moskau liegt eine - nicht offizielle - Information vor, wonach Rücküberstellte von Charterflügen und in Einzelfällen solche von Linienmaschinen von Beamten des Föderalen Migrationsdienstes einen Fragebogen erhalten. Das Ausfüllen des Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. U.a. wird darin die Frage gestellt, wo man in der RF wohnhaft ist, aber auch, warum man in das Land, aus welchem man ausgewiesen wurde, überhaupt eingereist ist, warum man nicht mehr im Besitz seiner eigentlichen Reisedokumente ist, bzw. auch, ob man im Land, aus dem man ausgewiesen wurde, "ordentlich" behandelt worden ist.

Nach Auskunft des Vertrauensanwalts kann, wenn ein Haftbefehlt aufrecht ist, eine Person in Untersuchungshaft genommen werden. U-Haft kann vor allem dann verhängt werden, wenn Fluchtgefahr besteht. U-Haft wird zunächst für zwei Monate verhängt und kann dann um jeweils zwei Monate verlängert werden. Während der Untersuchungshaft gibt es auch Haftprüfungstermine, wo u.a. auch geprüft wird, ob noch Fluchtgefahr besteht.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Rückkehr nach Russland, Tschetschenien vom 15.01.2013

3.5.2. Frauen als Rückkehrer

Frauen, die nach Tschetschenien zurückkehren, können mit sozialen Beihilfen im Rahmen der Gesetzgebung der Russischen Föderation rechnen. Sozialhilfe und staatliche Zuwendungen stellen neben offiziellen Arbeitslöhnen und Einkommen aus semi-formellen, privaten oder unregelmäßigen Beschäftigungsformen eine wichtige Einkommensquelle für tschetschenische Haushalte dar. Dies gilt insbesondere für die sozial schwächsten sozialen Gruppen, zu denen unter anderem Familien ohne Männer gehören. Neben der auf föderaler Ebene geregelten Sozialversicherung (Renten, Krankenversicherung, Mutterschutz, Arbeitslosigkeit) bestehen auch regional implementierte, beitragsfreie Sozialhilfeprogramme, beispielsweise Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe oder Beihilfen für Invalide. Im Rahmen dieser beitragsfreien regionalen Programme besteht auch eines für Familienmitglieder von Kriegsveteranen und verstorbenen Soldaten.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

3.5.3. Unbegleitete Minderjährige als Rückkehrer

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim unter-gebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie der damalige Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

3.5.4 Flüchtlinge/Binnenvertriebene innerhalb und außerhalb Tschetscheniens

Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge/ Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, wiewohl ihre Zahl rückläufig ist. Laut Dänischem Flüchtlingsrat (DRC) leben allein in Tschetschenien und Inguschetien derzeit noch bis zu 5.000 Flüchtlinge in akuter Not. Die Binnenvertriebenen leben in Übergangsunterkünften, aber auch in Privatwohnungen oder bei Verwandten. Auf Drängen der russischen Seite hat UNHCR seine Mission zur Unterstützung von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Nordkaukasus 2011 beendet, sieht jedoch weiterhin erheblichen Handlungsbedarf auch in Tschetschenien. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

4. Frauen und Kinder

4.1. Allgemeine Stellung der Frauen

Gemäß Art. 19 Abs. 3 der Verfassung haben "Mann und Frau die gleichen Rechte und Freiheiten und die gleichen Möglichkeiten zu deren Realisierung". Die Anzahl von Frauen in Führungspositionen entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt.

Ein großes Problem ist häusliche Gewalt.

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuw eilen offenbar auch gar nicht nach.

Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland kaum: Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit und Soziales gibt es landesweit nur 23 staatliche Frauenhäuser.

Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012)

Frauen haben Schwierigkeiten, an politische Macht zu gelangen. Frauen haben 13% der Sitze in der Duma inne und weniger als 5% im Föderationsrat. Nur drei von 26 Kabinettsmitgliedern sind Frauen. Häusliche Gewalt ist weiterhin ein ernsthaftes Problem, die Polizei ist bei der Intervention in innerfamiliäre Angelegenheiten oft nachlässig.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013)

Kriegsbedingt kam es in den letzten beiden Jahrzehnten zu Änderungen der Rolle der Frau in Tschetschenien. Viele Frauen fanden sich, nachdem sich ihre Männer in den Krieg begeben hatten, plötzlich in der Rolle der alleinigen Familienernährer(innen) wieder. Die Übernahme ehemals typisch männlicher Aufgaben stärkte die Rolle der Frauen in der tschetschenischen Gesellschaft, in diesem Zusammenhang wirkte auch das sowjetische Frauenbild, das von großer Gleichheit von Mann und Frau ausgeht, weiter. Dieses Phänomen wollen einige Teile der Gesellschaft, etwa Politiker und religiöse Autoritäten, nunmehr wieder rückgängig machen.

Im Zuge der letzten beiden Kriege kam es zum Verfall einiger Traditionen, andere gingen gänzlich verloren, oder werden nun in geänderter Form ausgeübt. Zu beobachten ist jedenfalls, dass es derzeit zu einem Wiederaufleben von Traditionen kommt, was unter anderem auf den Influx der ländlichen und eher traditionsbewussten Bevölkerung in der Hauptstadt Grosny zurückzuführen ist. Haupttriebkraft dieses Wiederauflebens ist jedoch die von Ramzan Kadyrow aktiv geförderte Rückbesinnung auf islamische und tschetschenische Traditionen, die zu einer moralischen Stärkung der Gesellschaft führen und einem Sittenverfall entgegenwirken soll. Inhaltlich nähert sich Kadyrow in seinem Frauenbild aber immer mehr den sog. Wahabiten als dem traditionellen tschetschenischen Islam("Macho-Islam"Uwe Halbach) Für Frauen äußert sich die Rückbesinnung auf tschetschenische/islamische Traditionen darin, dass die meisten von ihnen in der Öffentlichkeit nunmehr eine Kopfbedeckung tragen, obgleich hierzu keine (gesetzliche) Verpflichtung besteht. Zum Teil werden heute Kleidungsvorschriften propagiert, die es seit Jahrzehnten in Tschetschenien nicht mehr gegeben hat. Es wird auch von Paintball-Überfällen auf "westlich" gekleidete Frauen berichtet. Von einem gesellschaftlichen Druck sich an solche Kleiderordnungen zu halten kann ausgegangen werden. Des Weiteren wird Polygamie in den letzten Jahren verstärkt ausgeübt, diese wird in der Gesellschaft als "normal" betrachtet. Auch Ehrenmorde kommen verstärkt vor, wobei es sich hier eher um Einzelfälle handelt. Wie Beispiele zeigen ist vielfach unklar, wann es sich bei einem Mord an einer Frau tatsächlich um einen Ehrenmord handelt. Problematisch ist, dass aus Traditionsgründen oder durch Sicherheitskräfte begangene Verbrechen oft nicht angezeigt oder verfolgt werden.

Dies trifft auch auf die Tradition des (ehemals eher als Rollenspiel zu betrachtenden) Brautraubes zu, der heutzutage, durch Mitglieder der Kadyrowzy ausgeübt, gelegentlich zu tatsächlichen Entführungen und Zwangsheiraten führen kann. Aber auch Vergewaltigungen und Tötungen junger Frauen durch Kadyrowzy kommen vor. Häusliche und sexuelle Gewalt sind weiterhin Tabuthemen in der tschetschenischen Gesellschaft und werden gemeinhin gemäß den Traditionen gelöst, können jedoch bei den Behörden angezeigt werden. Ob Behören dabei Hilfe gewähren, ist jedoch mehr als fraglich. Bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes "gehören" seine Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Auch hier besteht in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden dürften.

Die in Tschetschenien derzeit bewusst betriebene Wiederbelebung der Traditionen führt jedenfalls zu gewissen Ambivalenzen. So stellt etwa die stattfindende Einmischung politischer, behördlicher oder religiöser Autoritäten in Bereiche wie Kleiderordnung eine Verlagerung von Angelegenheiten vom privaten in den öffentlichen Bereich dar, was einen Widerspruch zur tschetschenischen Gewohnheit bedeutet: Das Aufzwingen von Verhaltensnormen durch Außenstehende ist nach Auffassung vieler TschetschenInnen gegen ihre Kultur, da dies eine nicht übliche Einmischung in Familien- bzw. Klanangelegenheiten darstellt. Die lokalen tschetschenischen Traditionen und der "korrekte" islamische Lebensstil scheinen in der von Kadyrow geforderten Form einem freien und liberalen Lebensstil für Frauen entgegenzustehen. Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass jede Tschetschenin gezwungen ist, sich zu verschleiern, dass Tschetscheninnen im Scheidungsfall prinzipiell die Kinder entzogen werden oder dass säkulare Frauen gemeinhin aus Gründen der "Ehre" ermordet werden. Ebenso wenig kann jedoch davon ausgegangen werden, dass alle Frauen im heutigen Tschetschenien frei und selbstbestimmt leben können. Die Rechte und Freiheiten der Tschetscheninnen werden derzeit immer mehr eingeschränkt. Der auf Frauen ausgeübte Druck, sich "angemessen" zu verhalten, wird größer und stärker. Ob und inwieweit eine tschetschenische Frau Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch nimmt, hängt, ebenso wie etwa Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, Kleidung, oder Vorgehen bei "unehrenhaftem Verhalten", stark von ihrer individuellen Situation ab: von ihrer Erziehung, ihren sozialen Netzwerken, vor allem also von ihrer Familie bzw. jener ihres Ehemannes, von deren Modernität, Traditionalität und Religiosität. Swetlana Gannuschkina (MEMORIAL) betont, dass Frauen ohne Mann derzeit in Tschetschenien nicht leben könnten. Die Revitalisierung der Traditionen wird nur von Teilen der Bevölkerung gutgeheißen, viele Tschetschenen - nicht nur Frauen, sondern auch Männer - stehen ihr durchaus kritisch gegenüber. Andererseits ist es für Frauen, die im westlichen Ausland gelebt haben und die dortigen Sitten übernommen haben, sehr schwer sich wieder in Tschetschenien zu Recht zu finden.

Jedenfalls werden durch die Rückbesinnung auf "Tschetschenische Traditionen" die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vergrößert und die Vulnerabilität von Frauen und Mädchen gegenüber häuslicher und sexueller Gewalt erhöht.

(COI Workshop "Frauen in Tschetschenien" am 17.02.2012; Amnesty International, Annual Report 2012)

Es gab 2011 keine weiteren Berichte über Angriffe auf Mädchen und Frauen, die keine Kopftücher tragen wollten. Jedoch können jene, die dies verweigern, nicht im öffentlichen Dienst arbeiten oder Schulen und Universitäten besuchen (Human Rights Watch: World Report 2012, 22.01.2012)

In Tschetschenien hat der Druck auf Frauen erheblich zugenommen, sich gemäß den vom dortigen Regime als islamisch propagierten Sitten zu verhalten und zu kleiden. Russische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Diskriminierungen, die nicht zuletzt im Widerspruch zur russischen Verfassung und anderen geltenden Gesetzen stehen.

(Auswärtiges Amt (10.6.2013): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Seite 13)

Auf Frauen wird Druck ausgeübt, Kopftücher im öffentlichen Raum zu tragen. In den meisten öffentlichen Gebäuden müssen Frauen Kopftücher tragen.

Ramsan Kadyrow hat sich öffentlich für Ehrenmorde ausgesprochen. In einigen Teilen des Nordkaukasus sind Frauen mit Brautentführung, Polygamie und erzwungenem Beachten islamischer Kleidungsvorschriften konfrontiert.

(Human Rights Watch (31.1.2013): Human Rights Watch: World Report 2013 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/237036/359908_de.html ; Zugriff 24.10.2013, U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, jedoch setzte die Regierung dieses Verbot nicht durchgängig um. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützten und gelegentlich halfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, waren Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Gemäß dem Föderalen Statistikdienst wurden 2011 bis November den Behörden 4.462 Vergewaltigungsfälle gemeldet (2010: 4.907). Jedoch meldeten Frauen Vergewaltigungen durch Personen, die ihnen bekannt waren, eher nicht. Zudem berichteten NRO zufolge viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden.

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein großes Problem. Das Innenministerium hat Aufzeichnungen von mehr als 4 Millionen Tätern häuslicher Gewalt. Das Duma-Komitee zu Sozialer Verteidigung berichtete, dass es 2010 21.400 Morde gab, zwei Drittel davon waren Frauen, die in häuslichen Auseinandersetzungen starben, das sind um 50% mehr als noch 2002. Das Innenministerium berichtete, dass mindestens 34.000 Frauen jedes Jahr Opfer häuslicher Gewalt würden. Jedoch ist es aufgrund der Zurückhaltung der Opfer, über Fälle häuslicher Gewalt zu berichten, unmöglich verlässliche statistische Informationen zu erhalten. Offizielle Telefonverzeichnisse enthielten keine Informationen über Krisenzentren oder Frauenhäuser. Gemäß dem Moskauer "Anna National Center for the Prevention of Violence" gibt es lediglich rund 25 Frauenhäuser in ganz Russland, mit Betten für insgesamt etwa 200 Frauen.

Es gibt keine rechtliche Definition von häuslicher Gewalt. Föderale Gesetze verbieten tätliche Angriffe, Körperverletzung, Drohungen und Morde, aber die meisten Fälle häuslicher Gewalt fallen nicht unter die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Gemäß NRO ist die Polizei oft nicht willens, Beschwerden über häusliche Gewalt aufzunehmen und entmutigte Opfer oftmals, diese einzubringen. Laut dem "Zentrum zur Unterstützung von Frauen" waren selbst unter Exekutivbeamten viele Täter häuslicher Gewalt.

Physische und sexuelle Gewalt gegenüber Frauen verbreitet sich immer stärker in der Region.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung v. a. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden. Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan. Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering (derzeit ca. 25 mit insgesamt 200 Betten). In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung. Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Von der Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde angegeben, dass sich eine Frau zum Beispiel bei einer gewalttätigen Brautentführung, durchaus an die staatlichen Organe wenden könnte und auch Hilfe bekommen könnte, es sei aber bisher kein solcher Fall bekannt.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.2. Wirtschaftliche Lage der Frauen

Die wirtschaftliche Lage von Frauen ist in Tschetschenien sicherlich schwierig. In Tschetschenien herrschen zwar insgesamt eine hohe offizielle Arbeitslosenrate und eine schlechte wirtschaftliche Lage, es ist jedoch unter Frauen vergleichsmäßig eine nicht unbeträchtliche wirtschaftliche Aktivität zu beobachten. Eine gewisse wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen scheint schon in der Vorkriegszeit bestanden zu haben. Obgleich in Tschetschenien zahlreiche alleinstehende und alleinerziehende Frauen leben und diese in der Gesellschaft auch als "normal" betrachtet werden, hängen alleinstehende Frauen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien sicherlich stark von der Unterstützung ihrer (Groß‑)Familie ab. Soziale Unterstützungsleistungen bestehen, außer Acht gelassen werden darf aber nicht, dass Korruption in der gesamten Russischen Föderation, und noch viel mehr in der Republik Tschetschenien weit verbreitet ist. Dieses Otkat genannte Bestechungsgeld ist vermutlich auch für die Auszahlung staatlicher Unterstützungsleistungen zu entrichten. Die Entwicklungen der letzten Jahre weisen einerseits darauf hin, dass Tschetscheninnen - vor allem wirtschaftlich betrachtet - ihre Rolle in der Gesellschaft stärken konnten. Einige Quellen verweisen auf die Modernität und Selbstständigkeit der heutigen tschetschenischen Frau. Es muss jedoch wiederholt darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeiten einer Frau nach wie vor stark von ihrem sozialen Umfeld abhängen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene werden Tschetscheninnen insgesamt zunehmend in die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter zurückgedrängt. Die kadyrowsche (Re‑) Islamisierungspolitik bedeutet eine Diskriminierung von Frauen in der ohnehin männlich dominierten Kultur. Hinzugefügt werden muss, dass diese Politik Kadyrows nicht ausschließlich auf Frauen, sondern auf die gesamte tschetschenische Bevölkerung Auswirkungen hat. Die Entwicklung der Lage und Rolle der Frau in der heutigen tschetschenischen Gesellschaft stellt sich somit durchaus widersprüchlich dar. Weitere diesbezügliche Entwicklungen - etwa ob die Anzahl an berufstätigen Frauen in den nächsten Jahren zurückgeht - bleiben zu beobachten.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4 bis 6)

Das Sozialversorgungssystem der RF ist vielfältig und beinhaltet verschiede Formen von finanziellen Unterstützungsleistungen, Dienstleistungen und Vergünstigungen. Diese variieren zum Teil von Region zu Region. Es ist stark von den Umständen im Einzelfall abhängig, auf welche dieser Leistungen und Vergünstigungen eine bestimmte Person Anspruch hat.

Zum Beispiel gibt es anlässlich der Geburt eines Kindes bzw. zu dessen Pflege in der Russischen Föderation ein Geburtengeld und ein monatliches Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von 11/2 Jahren. Das Geburtengeld beträgt in Russland/in Tschetschenien 2013 ca. EUR 327,-, das Kinderbetreuungsgeld ca. 62,- EUR für das erste Kind und ca. EUR 122,- für jedes weitere Kind. Das Existenzminimum in der Republik Tschetschenien lag Ende 2012 bei etwa 170 EUR pro Kopf (127 EUR für Pensionisten, 164 EUR für Kinder, 185 EUR für arbeitsfähige Personen)xxi. Für bedürftige Bürger, das heißt für Familien deren pro Kopf Einkommen geringer als ca. EUR 38,- ist, gibt es eine soziale Unterstützung in Höhe von 2,50 EUR für die Dauer von 6 Monaten.

Nach Einschätzung von verschiedenen Mitarbeitern von internationalen NGOs im Nordkaukasus sind die Sozialleistungen nicht ausreichend, damit eine alleinstehenden Frau mit Kindern allein davon leben könnte, andererseits wurde bestätigt, dass sich in Tschetschenien wohl immer ein Verwandter finden würden, der bereit sei die Familie mit Wohnraum als auch finanziell zu unterstützten.

Von einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde mitgeteilt, dass das System von Alimentenzahlungen in Russland/Tschetschenien im Fall einer Scheidung noch nicht besonders ausgereift ist. Im Fall des Todes des Ehemanns würden der Ehefrau ebenso wie jedem Kind jedoch eine Rente "aufgrund des Verlusts des Versorgers" zustehen, die durchaus ein vernünftiges Einkommen darstelle.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.3. Soziale Lage der Kinder

Die soziale Lage der Kinder und Jugendlichen in Russland hat sich - auch aufgrund besserer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - seit den 90er Jahren kontinuierlich verbessert. Das VN-Kinderhilfswerk UNICEF weist darauf hin, dass es in ganz Russland derzeit zwischen 20.000 und 100.000 "Straßenkinder" gebe. In den letzten Jahren ist ein Rückgang der Zahl der Straßenkinder zu verzeichnen. Nach aktuellen, laut Einschätzung der Botschaft glaubhaften, Schätzungen von UNICEF gibt es in Russland mehr als 730.000 Kinder ohne elterliche Fürsorge, von denen 180.000 Kinder in staatlichen Einrichtungen wohnen. Die öffentliche materielle Fürsorge für diese Kinder ist unzureichend. Über Zwangsarbeit von Kindern in Russland ist dem Auswärtigen Amt nichts bekannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 18)

In Tschetschenien "gehören" bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes dessen Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Es besteht jedoch in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4-5)

Grundsätzlich gilt in Tschetschenien die allgemeine Schulpflicht. Bis auf wenige Ausnahmen besuchen alle Kinder die Schulen. Es fehlt jedoch an Schulmaterialien, häufig können keine warmen Mahlzeiten ausgegeben werden, die Klassen sind zu groß, weil immer noch viele Schulgebäude zerstört sind. Im Moment werden jedoch zahlreiche Schulen renoviert.

(Gesellschaft für bedrohte Völker: Die Menschenrechtslage in den Nordkaukasusrepubliken, Juni 2010, Seite 14)

Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der VN entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

5. Wehrdienst in Tschetschenien bzw. von Tschetschenen:

Die Bestimmungen über die Wehrpflicht, den Wehrdienst sowie den alternativen Zivildienst gelten für das gesamte Gebiet der Russischen Föderation und somit auch für Tschetschenien. Wenn ein wehrpflichtiger Mann in Tschetschenien wohnt, wird er dort einberufen und leistet dort seinen Wehrdienst ab, sofern er tatsächlich einberufen wird. Grundsätzlich dient eine gewisse Anzahl von in Tschetschenien wohnhaften wehrpflichtigen Tschetschenen in Bataillonen, die Ramzan Kadyrow unterstehen. Konflikte zwischen tschetschenischen Wehrdienstleistenden und Offizieren ebenso wie Unterdrückung und Vorurteile der Offiziere, von denen eine Großzahl im Ersten und/oder Zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft haben, gegenüber Wehrdienst leistende Tschetschenen sind häufig zu beobachten.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7349 vom 12.8.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7387 vom 01.10.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

Aus Tschetschenien werden ca. seit Beginn der neunziger Jahre keine Wehrpflichtigen mehr in die russische Armee aufgenommen. Einberufungen finden zwar statt (zuletzt Kadyrow-Erlass vom April 2010), beschränken sich aber auf Registrierung der tschetschenischen Wehrpflichtigen und Tauglichkeitsuntersuchungen. Aus dem Kontingent der Wehrpflichtigen werden jedoch offenbar regelmäßig Freiwillige ausgewählt und auf Vertragsbasis in Verbände der Armee in Tschetschenien aufgenommen. Grundsätzlich gilt, dass russische Wehrpflichtige in Tschetschenien nicht eingesetzt werden sollen, sondern nur Freiwillige.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Seit 2001 haben nur wenige tschetschenische Wehrpflichtige ihren Dienst in zwei rein tschetschenischen Bataillonen abgeleistet, die gegen die Untergrundgruppen eingesetzt wurden. Diese Bataillone sind inzwischen aufgelöst.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 128, 6.7.2012, Russland Aktuell: Wehrpflicht gilt nicht für Tschetschenen, 22.7.2011,

http://www.aktuell.ru/russland/panorama/kapitulation_wehrpflicht_gilt_nicht_fuer_tschetschenien_3342.html , Zugriff 3.12.2012)

5.1. Dauer und Art des Wehrdienstes

Die Bedingungen des Wehrdienstes sind hart. Die allgemeine Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 28 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert zwölf Monate und Angaben über Wehrdienst bzw. Wehrersatzdienst werden im Wehrregister vermerkt. Die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften kann als zumindest problematisch bezeichnet werden, da es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige kommt. Der durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit auf zwölf Monate (2007 noch zunächst 24, dann 18 Monate, seit der Einberufung vom 01.4.2008 zwölf Monate) erhoffte positive Effekt auf die Menschenrechtslage (d.h. Abbau von Frustration durch kürzere Dienstzeit und Abbau interner Machtstrukturen unter den Wehrpflichtigen) hat sich (noch) nicht deutlich bemerkbar gemacht.

(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, vom 07.03.2011, Seite 15, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

5.2. Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung:

Wenn ein wehrpflichtiger Mann in der Russischen Föderation gemeldet ist, ist er laut geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuberufen und hat er im für seine Meldeadresse zuständigen Militärkommissariat zu erscheinen. Bei jeder Einberufung versuchen sich mehrere tausend Jungmänner im Einberufungsalter ihrer Wehrpflicht zu entziehen, indem sie ihren Wohnort wechseln oder sich im Ausland aufhalten. Wehrpflichtige, die aus dem Ausland in die Russische Föderation zurückkehren, sind verpflichtet, sich innerhalb von zwei Wochen nach der Einreise beim zuständigen Wehramt (Kommandantur) zwecks Aktualisierung der Eintragungen im Wehrregister zu melden (Art. 10 des Föderalen Gesetzes über Militärpflicht und Militärdienst). Wehrpflichtige, die sich der Militärpflicht entzogen haben, können aufgrund des Art. 328 des Russischen Strafgesetzbuches strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wobei die (zusätzliche) Ableistung des Militärdienstes nach Überschreitung des Wehrpflichtalters von 27 Jahren nicht vorgesehen ist. In der Praxis ist die strafrechtliche Verfolgung der Wehrdienstentziehung nicht sehr wahrscheinlich, zumal die Gerichte in solchen Angelegenheiten nur mit großem Widerwillen ein Verfahren einleiten. Soweit es überhaupt zu einer Bestrafung kommt, so werden diese Handlungen in der Regel als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße belegt und zwar ohne Einleitung eines gerichtlichen Strafverfahrens. So wurden 2008 lediglich 91 Männer wegen Wehrdienstverweigerung mit einer - in den allgemeinen Vollzugsanstalten zu verbüßenden - Haftstrafe nach Durchführung eines gerichtlichen Strafverfahrens bestraft, während im selben Zeitraum rund 15.000 Personen mit einer Geldbuße - ohne Einleitung eines Strafverfahrens - in der Höhe bis zu 200.000 Rubel (ca. 4.700 Euro) wegen Wehrdienstverweigerung belegt worden sind. In diesem Zusammenhang wurde in den russischen Medien im September 2010 verbreitet, dass nach Feststellung der Moskauer Behörden in Moskau ca. 40.000 junge Männer, die den Wehrdienst verweigern, leben würden, nach der Frühlingsmusterung (01.10.2010 bis 31.04.2010) aber lediglich gegen zwei Personen ein Strafverfahren wegen Wehrdienstverweigerung eingeleitet worden sei.

(Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010).

5.3. Wehrersatzdienst

Zentrale Bestimmungen im föderalen Gesetz über den alternativen Zivildienst vom 28. Juni 2002 inklusive der Änderungen vom 22. August 2004, vom 31. Dezember 2005, vom 6. Juli 2006 und vom 9. März 2010 besagen, dass wehrfähige Männer ein Recht auf Ersatz des Militärdienstes durch alternativen Zivildienst haben, wenn der Militärdienst ihren Überzeugungen oder Glaubensvorstellungen widerspreche oder wenn der Wehrfähige einer kleinen Volksgruppe mit traditioneller Lebensweise zugehörig sei. In der Praxis hat der Wehrersatzdienst, der in der Russischen Föderation derzeit 21 Monate beträgt, bisher noch keine größere Bedeutung erlangt, zumal zurzeit in der gesamten Russischen Föderation lediglich 880 Zivildienstleistende registriert sind. Das Wehrkommissariat billigt etwa zwei Drittel der eingereichten Anträge, jedoch haben seit der Einführung des Gesetzes erst 4.328 Männer einen Antrag auf alternativen Zivildienst gestellt. Jeder zehnte wurde auf einer Baustelle eingesetzt. Über die Hälfte leistete den alternativen Zivildienst in einem sozialen Beruf ab. Bei erwarteten eineinhalb Jahren mühseliger Tätigkeit auf dem Bau, in Krankenhäusern, Altenheimen und Hospizen entscheiden sich viele junge Russen ohne langes Überlegen für den einjährigen Wehrdienst. Als Ursache für das weitgehend fehlende Interesse der Wehrpflichtigen an der Leistung des Ersatzdienstes wird vor allem die Länge des Ersatzdienstes genannt, die fast doppelt so lang ist wie die Dauer des Militärdienstes, sowie die schlechten Arbeitsbedingungen und der um ein mehrfaches niedrigere Sold im Vergleich zu der materiellen Vergütung der Militärdienstleistenden. Außerdem widerspricht die Leistung eines Wehrersatzdienstes der tschetschenischen Tradition.

(Accord Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

6. Innerstaatliche Relokationsmöglichkeit

Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.6.2013, Seite 24)

Die Kontrollposten der russischen Armee in Grosny gibt es nicht mehr.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NRO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Ethnische Tschetschenen und Angehörige anderer nordkaukasischer Nationalitäten können in der Russischen Föderation (Kernrussland) von Diskriminierung am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche sowie vor Gericht betroffen sein.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Grundsätzlich ist die Bewegungsfreiheit innerhalb Russlands gesetzlich gewährleistet, Bürger können ihren Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen. Jedoch sind Bürger der Russischen Föderation gesetzlich verpflichtet, sowohl ihren vorübergehenden gegenwärtigen Aufenthaltsort, als auch ihren dauerhaften Wohnsitz den zuständigen Stellen des Innenministeriums zu melden. Der Registrierungsprozess stellt sich in der ganzen Russischen Föderation gleich dar. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum, eine Arbeitsstelle oder der Bezug von Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere hinsichtlich temporärer Registrierungen. Um sich temporär zu registrieren, muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, das persönliche Erscheinen beim UFMS ist keine Voraussetzung mehr. Obwohl das Gesetz festschreibt, dass eine temporäre Registrierung ein Jahr Gültigkeit besitzt, stellen manche lokale Behörden vorübergehende Registrierungen lediglich für einen Zeitraum von drei Monaten aus.

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden, bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch die Vorlage einer Zug- oder Busfahrkarte. Die Behörden haben laut FMS sogar ein eigenes Verfahren, um die Identität von Personen, die nicht im Besitz von Identitätsdokumenten sind, festzustellen. Der Name der zu registrierenden Person wird in derartigen Fällen in Datenbanken gesucht und es erfolgen Einvernahmen der jeweiligen Person sowie von ihren in der Russischen Föderation aufhältigen Verwandten. Sobald die Identität der Person festgestellt wurde, werden die erforderlichen Unterlagen ausgestellt.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten.

Vor allem Kaukasier und Einwanderer aus Zentralasien sind in Russland mit ethnischen Diskriminierungen und einem grassierenden Rassismus konfrontiert. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen.

Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit von aus anderen Staaten zurückgeführten Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahegelegt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u.a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Tschetschenen verheimlichen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Der Föderale Migrationsdienst (FMS) bestätigte in diesem Zusammenhang, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen (Registrierungen für einen nicht länger als 90 Tage dauernden Zeitraum). Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bzw. an die jeweiligen territorialen Behörden (UFMS) schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, und muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 6, 14-15, 58)

Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 25.10.2013)

Laut Auskunft des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bestehen für Tschetschenen keine Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder hinsichtlich der Ausstellung von innerstaatlichen Reisepässen oder anderen offiziellen Dokumenten. Auch laut Einschätzung eines Anwalts der Memorial Migration & Rights Programme and Civic Assistance Committee (CAC) haben Tschetschenen bei einer Registrierung in St. Petersburg nicht mehr Probleme als andere russische Bürger. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Ihr Lebensstandard hängt stark davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Eine Vertreterin von House of Peace and Non-Violence, verwies darauf, dass viele Tschetschenen in St. Petersburg keinerlei dauerhafte oder vorübergehende Registrierung besitzen. Diese Personen besorgen sich immer wieder neue Zug- oder Bus-Tickets, um damit darzulegen, dass sie sich nicht länger als 90 Tage in St. Petersburg befinden.

Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes hält fest, dass Tschetschenen im Allgemeinen die gleichen Rechte besitzen wie alle anderen Gruppen in der Russischen Föderation, dies gilt hinsichtlich Beschäftigung, Wohnungsbeschaffung, Gesundheitsvorsorge sowie Pensionsansprüche. Die tschetschenische Bevölkerung außerhalb von Tschetschenien pflegt sehr enge Beziehungen zueinander, versucht nahe beisammen zu leben und sich gegenseitig zu unterstützen. Laut seiner Einschätzung sind Tschetschenen sowie einige andere Gruppen außerhalb des Nordkaukasus gelegentlich mit Anfeindungen lokaler Gemeinschaften konfrontiert.

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar, da sie den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt ermöglicht. Grundsätzlich hat man in der Russischen Föderation am Ort der Registrierung Zugang zur medizinischen Versorgung, medizinische Notfallhilfe wird jedoch in der russischen Verfassung garantiert und völlig unabhängig von Registrierung und Aufenthaltsort jedem Menschen, unabhängig von dessen Staatsbürgerschaft, gewährt. Die ethnische Zugehörigkeit würde auch nach Auskunft von IOM an Dänemark beim Zugang zur medizinischen Versorgung keine Rolle spielen.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Diesbezüglich ist auch auf die Änderungen im Gesundheitswesen der Russischen Föderation zu verweisen und hervorzuheben, dass das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation festschreibt, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation, unabhängig von der Meldeadresse, gewährt wird. (Schreiben der österreichischen Botschaft in Moskau an den Asylgerichtshof vom 13.04.2012, IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012)

Laut SOVA gibt es keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen.

Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

IOM Russland erklärte, dass die Russische Föderation eine föderale Struktur hat und falls eine verdächtige Person von einer Verwaltungseinheit ausgeforscht wird, könnte nach dieser Person in der gesamten Russischen Föderation behördlich gesucht werden. Ob eine bundesweite Suche nach einer Person durch die Behörden eingeleitet wird, hängt davon ab, aufgrund welchen Verdachts die jeweilige Person ausfindig gemacht werden soll. Falls der Fall irgendwie im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass die tschetschenischen Behörden eine bundesweite Suche nach dem Verdächtigten einleiten.

Khamzat Gerikhanov (Chechen Social and Cultural Association) erklärte, es sei üblich, dass tschetschenische Rebellen aus benachbarten Republiken im Nordkaukasus zurückgeschickt werden, um (strafrechtlicher) Verfolgung in Tschetschenien ausgesetzt zu sein. Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes erklärte demgegenüber, dass ihm keine Fälle bekannt wären, in denen russische Behörden auf Anfrage der tschetschenischen Behörden Tschetschenen verhaftet und zwecks Strafverfolgung zurück nach Tschetschenien überstellt hätten. Zumindest würden tschetschenische Behörden das russische föderale Justizwesen jedoch bei der Suche nach einer Person, die unter Verdacht steht, Mitglieder illegaler bewaffneter Gruppierungen zu unterstützen, in Anspruch nehmen. Die Entscheidung, ob eine Anfrage von tschetschenischen Behörden zu Recht besteht, trifft dabei die Bundesbehörde. Khamzat Gerikhanov gab weiters an, dass Unterstützer oder Verwandte von Anhängern der illegalen bewaffneten Gruppen, die in eine andere Region der Russischen Föderation gezogen sind, aufgefunden werden, falls nach diesen Personen offiziell auf Bundesebene gesucht wird. Wenn jemand illegale bewaffnete Gruppen zum ersten Mal oder schon vor vielen Jahren mit Nahrung, Unterkunft oder Transport unterstützt hat und sich in der Folge außerhalb von Tschetschenien niederlässt, würden die tschetschenischen Behörden keine bundesweite Suche nach diesen Personen einleiten oder große Anstrengungen unternehmen, um derartige Personen wieder zurück nach Tschetschenien zu überstellen.

Der föderale Ombudsmann hat nach eigenen Angaben noch keine Beschwerden über Belästigungen bzw. Bedrohungen von Tschetschenen durch andere Tschetschenen erhalten, die in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus wohnhaft sind. In dieser Hinsicht ist die Unterscheidung zwischen "high profile persons" und "low profile persons" wichtig. Personen, die von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden, könnten Bedrohungen durch andere Tschetschenen ausgesetzt sein. Sogenannte "high profile persons" sind der Gefahr von Racheakten durch Mitglieder von Kadyrows Geheimdienst in der Russischen Föderation als auch im Ausland ausgesetzt. Demgegenüber werden "low profile persons", die nicht offiziell gegen Kadyrow eingestellt sind, in der Regel nicht belangt.

Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden.

Bereits das Bekanntwerden kleinster kritischer Äußerungen betreffend die Regierung Kadyrows würde jedoch zu einer Rüge durch die tschetschenischen Behörden führen. Ekaterina Sokiryanskaya von Memorial in St. Petersburg gab in diesem Zusammenhang an, dass in den meisten Fällen tschetschenische Behörden nach einer Person nicht offiziell suchen, sondern in der Lage sind, (inoffiziell) Personen in der Russischen Föderation und in vielen europäischen Ländern ausfindig zu machen und gegebenenfalls auch zu töten.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Was die Sicherheit von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation betrifft, so kann eine Beurteilung der Gefährdung nur im Einzelfall erfolgen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Tschetschenen, die in Tschetschenien keine Probleme hatten und etwa nur zur Arbeitssuche in einen anderen Teil der Russischen Föderation kommen (diese haben möglicherweise mit Diskriminierung und Anfeindungen aufgrund der weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit in Russland zu kämpfen) und Tschetschenen, die in Tschetschenien tatsächlich verfolgt werden (diese sind gegebenenfalls auch in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht sicher).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann.

(Analyse der Staatendokumentation vom 20.4.2011 - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien)

Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Ansiedlung von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist. Den wesentlichsten Punkt stellt die Frage dar, ob diese Personen von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden und kann man diesbezüglich eine Unterscheidung in "high profile persons" und "low profile persons" treffen. Angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung, die jedoch in den letzten Jahren wesentlich vereinfacht wurde, spielen überdies ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle.

7. Situation gemischt ethnischer bzw. gemischt religiöser Ehen

Wenn auch die Trennung der Volksgruppen relativ strikt ist, kommen gemischte Ehen auch in Tschetschenien vor. Gemischt-ethnische Ehen werden in der Regel von den (tschetschenischen) Eltern nicht gutgeheißen, wobei es viel schlimmer ist, wenn ein tschetschenisches Mädchen einen Angehörigen einer anderen Volksgruppe heiratet, weil dadurch der "Stammbaum unterbrochen werde", was eine "schwere Sünde" darstellt. Bis zur russischen Besetzung sind Mischehen zwischen Volkszugehörigen verschiedener Völker des Kaukasus durchaus üblich gewesen und es gibt keine Berichte darüber, dass die Angehörigen gemischt-ethnischer bzw. gemischt-religiöser Ehen in Tschetschenien und in angrenzenden Kaukasusrepubliken von staatlicher Seite oder von Privaten gezielt verfolgt werden.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7409-1 vom 21. Oktober 2010)

8. Lage in den Nachbarrepubliken im Nordkaukasus:

Der Tschetschenienkonflikt hatte in den zurückliegenden Jahren auch auf die Nachbarrepubliken im Nordkaukasus übergegriffen und die gesamte Region destabilisiert. Die Häufigkeit bewaffneter Auseinandersetzungen nimmt insbesondere in Inguschetien und Dagestan weiterhin zu. Die gesamte Region ist wirtschaftlich und sozial eine der am stärksten benachteiligten in der Russischen Föderation. Sie leidet in ganz besonderem Maße unter Korruption, ethnischen Spannungen und der Machtausübung durch einzelne Clans.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Bei den Gewaltakteuren ist ein Ideologiewandel vom Ethno-Nationalismus zum islamischen Fundamentalismus zu beobachten.

Ist zwar grundsätzlich der gesamte Nordkaukasus davon betroffen, konzentriert sich die Gewalt hauptsächlich auf Dagestan. Im Jahr 2012 und bis August 2013 kamen bei Anschlägen und Gewaltakten in der gesamten Region knapp 1.000 Menschen ums Leben, etwa 800 wurden verletzt. Mehr als die Hälfte aller Opfer wurde in Dagestan registriert.

In der Region operieren militante salafistische XXXX-Bruderschaften (Jamaate), wobei die Gruppen lokal organisiert sind und weitgehend autonom handeln.

Zurückzuführen ist die wachsende Sympathie innerhalb der Bevölkerung des Nordkaukasus für gewaltsame Formen des Widerstandes auf die Rücksichtslosigkeit der russischen Sicherheitsorgane im "Kampf gegen den Terrorismus.

Die Gewalt im Nordkaukasus ist auch vor allem Ausdruck der anhaltenden sozio-ökonomischen und politischen Krise im Nordkaukasus. Die Region leidet seit langem unter Armut, Korruption und Vetternwirtschaft und liegen die Einkommen deutlich unter dem russlandweiten Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 bis 30 %, in Inguschetien sogar bei 50 %.

(http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54672/nordkaukasus vom 06.01.2014)

8.1. Blutrache in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan:

Im Kaukasus gab es lange keine Staaten im traditionellen Sinn des Wortes. Von den einheimischen Völkern gingen keine Staatsbildungen aus, die enge lokale und ethnische Grenzen überschritten haben. Die Macht staatlicher Stellen beschränkte sich gewöhnlich auf den Sitz des Herrschers. Die bergigen Regionen blieben davon weitgehend unberührt. Das nicht Vorhandensein eines Staates impliziert die Abwesenheit von staatlicher Macht und Gesetzen, das einzige Gesetz, das die gegenseitigen Beziehungen regelte, war für lange Zeit das Adat, das sogenannte Gewohnheitsrecht.

Die Tradition der Blutrache stellt einen Teil des Gewohnheitsrechts dar. Wenn der eigentliche Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, so wird sein engster Verwandter zum Ziel der Rache. Das Adat erlaubt nicht, dass die Rache durch irgendeine Regierungseinrichtung ausgeübt wird. Nur das Opfer oder seine Familie dürfen am Täter oder wenn dieser nicht direkt bestraft werden kann, an seiner Familie Rache nehmen. Frauen, Kinder und Alte sind von der Blutrache ausgenommen. Obwohl die Blutrache oft als brutal und grausam betrachtet wird, gilt sie in de facto in Anarchie lebenden Gesellschaften als notwendiger Mechanismus um das Chaos zu verhindern. Während der Sowjetherrschaft wurde versucht die Blutrache sowie das gesamte Adat auszumerzen. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts kommt es jedoch zu einem Wiederaufleben des Gewohnheitsrechts und zwar vor allem wegen der Korruption und der Machtlosigkeit der Regierung zusammen mit dem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Staatssicherheit und die Justiz. Auch der kriegsbedingte Zusammenbruch staatlicher Strukturen und die "Fremdherrschaft" des russischen Staates führten zu einem Anstieg der Blutrache.

Jedoch ist man heute, wie die Einrichtung der Versöhnungskommission zeigt, daran interessiert, diese alten Bräuche wieder zurückzudrängen, um die entstehende Gewaltspirale, die bei einem relativ kleinen Volk wie den Tschetschenen auf lange Sicht durchaus für das Überleben der Gruppe bedrohliche Ausmaße annehmen kann, zu unterbrechen.

(Analyse der Staatendokumentation, Blutrache in Tschetschenien vom 05.11.2009)

8.2. Inguschetien:

Inguschetien ist mit seinen etwa 3.600 km2 die kleinste der Nordkaukasusrepubliken. Die Mehrheit der rund 410.000 Bewohner sind Inguschen. Sie gehören überwiegend dem sunnitischen Islam an. Außerdem leben Russen und Tschetschenen in Inguschetien. Etwa 20% der Einwohner sind ethnische Tschetschenen. Die ehemalige Hauptstadt Nasran ist die wichtigste Stadt, seit 2003 ist jedoch Magas die offizielle Hauptstadt. Inguschetien ist seit 1992 eine autonome Republik innerhalb der Russischen Föderation. Amtssprachen sind Inguschetisch und Russisch. Zwischen Inguschetien und Nordossetien kam es zwischen 1992 und 1993 zu einem Konflikt um ein Grenzgebiet, welches seit 1944 Ossetien gehört, auf das die Inguschen jedoch seit ihrer Rückkehr aus Zentralasien Anspruch erheben.

m Dezember 2001 trat Präsident Ruslan Auschew von seinem Amt zurück. Als Nachfolger wurde im April 2002 der Geheimdienstgeneral Murat Zjazikow gewählt. Dies führte zu einer grundlegend anderen Haltung gegenüber dem Tschetschenienkrieg. Insbesondere kam es zu einem härteren Vorgehen gegenüber tschetschenischen Kämpfern. Dies führte letztlich zu einer gewissen Eskalation in Inguschetien.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Inguschetien , Zugriff 09.01.2012, Junus-Bek Jewkurow,

http://de.wikipedia.org/wiki/Junus-bek_Bamatgirejewitsch_Jewkurow , Zugriff 11.01.2011)

Mit der Bestimmung von Junus-Bek Jewkurow im Oktober 2008 zum Nachfolger des entlassenen Präsidenten Zjazikow kam es aber zu einer innergesellschaftlichen Entspannung. Präsident Jewkurow, der auch Generalmajor der Russischen Armee ist, hat Oppositionsvertreter in die Regierung integriert und die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Konfliktlösungsansätze betont. Präsident Medwedew hat ihn dabei demonstrativ unterstützt. Von internationalen Organisationen (u.a. den Vereinten Nationen) wird die Sicherheitslage in Inguschetien als schlechter als in Tschetschenien eingestuft. Der Konflikt dauert unvermindert seit 2004 an und hat sich seit Sommer 2007 nochmals deutlich verschärft. Es kommt immer wieder zu Angriffen gegen die Sicherheitskräfte und staatliche Funktionsträger mit Toten und Verletzten sowie zu einer Häufung von Terroranschlägen. Die Sicherheitssituation scheint sich jedoch im ersten Halbjahr 2012 signifikant gebessert zu haben. Lokale Behörden können die Lage in der Region (Korruption, Überfälle von Rebellen, Willkür föderaler Sicherheitskräfte) augenscheinlich nicht kontrollieren. Das unverhältnismäßige und unterschiedslose Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die in Inguschetien operierenden Rebellen, das häufig die Zivilbevölkerung trifft, war einer der Hauptgründe für das Entstehen der inguschetischen Opposition.

Präsident Jewkurow hat wiederholt betont, dass die Probleme der Republik nur im Dialog zwischen Gesellschaft und Staatsorganen gelöst werden könnten. Für die schlechte sozioökonomische Lage in der Republik seien die Schwäche und der Vertrauensverlust der Staatsorgane und die Korruption ursächlich. Gleichwohl ist es seit Amtsantritt Jewkurows nicht zu einem Rückgang der Rebellenaktivität gekommen, auch wenden die Sicherheitskräfte weiterhin mitunter brutale Methoden an, bis hin zu extralegalen Tötungen im Vorgehen gegen vermeintliche Rebellen. Der Haltung Jewkurows ist es möglicherweise geschuldet, dass die Anzahl der Entführungen in Inguschetien im Jahr 2009 stark zurückging - laut Memorial auf 13 gegenüber 31 im Vorjahr 2008. 2010 wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen jedoch erneut mindestens zwölf Entführungen registriert, wobei davon sieben Personen ohne erneutes Lebenszeichen verschwunden sein sollen. Für die zweite Hälfte 2010 ist die Zahl der Terroranschläge in Inguschetien etwas zurückgegangen. Jewkurow selbst stellte Ende 2010 jedoch fest, dass es bezüglich der Rebellenaktivitäten keine Entwarnung geben könnte. Am 10.06.2009 wurde die Vizechefin des inguschetischen Obersten Gerichtshofs, Asa Gasgirejewa, bei einem Anschlag erschossen - 18 Monate, nachdem ihr Amtsvorgänger erschossen worden war.

Der inguschetische Präsident Jewkurow nannte in einer Stellungnahme das "rechtswidrige Verhalten der Sicherheitskräfte" und "Korruption" als Hauptgründe für die schwierige Lage in Inguschetien. Am 13.06.09 wurde der ehemalige inguschetische Innenminister Baschir Auschew in Nasran ermordet. Am 22.06.09 wurde Präsident Jewkurow bei einem Anschlag auf seinen Konvoi schwer verletzt. Am 25.10.2009 wurde der führende Oppositionspolitiker Makscharip Auschew in Kabardino-Balkarien bei der Rückfahrt nach Inguschetien erschossen. Seit 2006 kam es in Inguschetien wiederholt auch zu gezielten Übergriffen gegen russischstämmige Bewohner (Tötung russischer Familien in ihrem häuslichen Umfeld; Übergriffe an der Arbeitsstelle), deren Zahl durch ein gezieltes Regierungsprogramm wieder erhöht werden sollte.

Ausgehend von hohem Niveau, verzeichnet Inguschetien seit 2009 einen Rückgang bei der Zahl von Gewaltakten mit extremistischem Hintergrund. Die Lage bleibt jedoch volatil und gilt weiterhin als sehr schwierig. Lt. NRO "Kawkaski Usel" waren 2012 163 Konfliktopfer zu beklagen (2011: 108), darunter 79 Tote (2011: 70). Der Anstieg der Opferzahlen 2011/2012 fiel jedoch gegenüber dem Rückgang 2010/2011 (2010: 326 Opfer, darunter 134 Tote) gering aus.

Die gewisse Beruhigung, die in Inguschetien eingetreten ist, wird auch auf das vergleichsweise dialogorientierte Wirken des Republikoberhaupts, Junus-Bek Jewkurow, zurückgeführt.

Sorge bereitet nach wie vor die prekäre Wirtschaftslage. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach Schätzungen der VN ähnlich wie in Tschetschenien bis zu 80%. Es wird befürchtet, dass Inguschetien erneut stärker in Gewalt abrutschen könnte, wenn sich auf mittlere Sicht keine Fortschritte bei der Wirtschaftsentwicklung einstellen. Diese bleiben aus, da neben der weiterhin schwierigen Sicherheitssituation auch in Inguschetien die rechtlichen Rah-menbedingungen nicht hinreichend gut sind und Korruption ein großes Problem darstellt.

Nach einem Bericht der Gesundheitsministerin Inguschetiens vom Februar 2009 befinden sich in Inguschetien immer noch 24.000 offiziell registrierte Flüchtlinge (überwiegend aus Tschetschenien und Nord-Ossetien). Dies belaste den Gesundheitssektor, der selbst für die einheimische Bevölkerung nicht ausreichend sei, zusätzlich. Im Vergleich zu der gesamten Russischen Föderation sei die Krankheitsrate sowie die Infektionsrate in Inguschetien doppelt so hoch. Im Bericht der Gesundheitsministerin wurden in diesem Zusammenhang insbesondere Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Krebs sowie verschiedene Traumata und Verletzungen, die auf Explosionen und Feuerwaffen zurückzuführen sind, genannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 26 und 27 XXXX; Amnesty International, Annual Report 2012)

9. Weitere Erkenntnisse über asyl- und abschiebungsrelevante Vorgänge

9.1. Echtheit von Dokumenten

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente, welche die betreffenden Staatsangehörigen mit sich führen (insbesondere Reisedokumente), sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt. Rund 20% der bei der Botschaft zur Echtheitsüberprüfung vorgelegten Dokumente sind Fälschungen. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle oder Gerichtsurteile. Asylsuchende aus der Russischen Föderation, insbesondere aus den russischen Kaukasusrepubliken, führen mitunter gefälschte Dokumente (z.B. unzutreffende Haftbefehle) oder unwahre Zeitungsmeldungen mit sich, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen. Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wieder aufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört wurden.

9.2. Ausreisekontrollen und Ausreisewege

Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden an den Außengrenzen entsprechen in der Regel internationalem Standard. Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen mit besonderer Aufmerksamkeit u. a. bei Ein- und Ausreisen überwachen und dunkelhäutige Personen aus dem Kaukasus häufig zu Dokumentenüberprüfungen herausgeholt werden.

Reisende müssen ihren Inlandspass vorweisen, wenn sie Fahrkarten oder Flugtickets kaufen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, S25, Seite 38-39; U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

Aus den Länderberichten ergibt sich eindeutig, dass sich die allgemeine Lage in Tschetschenien in gewissem Ausmaß stabilisiert hat, die Zahl von Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen ist insgesamt gesehen eindeutig zurückgegangen, die Phase der aktuellen Krisensituation ist vorbei. Auch das Bestehen einer Grundversorgung ergibt sich aus den Quellen eindeutig, betrachtet man etwa die Aktivitäten verschiedener internationaler Organisationen bzw. Hilfsorganisationen.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei andererseits nicht, dass das Regime von KADYROW eindeutig diktatorische Züge hat und dass weiterhin mannigfaltige Bedrohungsszenarien in Tschetschenien bestehen und (auch schwere) Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Diese Szenarien rechtfertigen in vielen Fällen die Gewährung von Asyl. Im Ergebnis ist die aktuelle Situation in Tschetschenien daher dergestalt, dass weder von vornherein Asylgewährung generell zu erfolgen hat, noch dass eine solche nunmehr regelmäßig auszuschließen sein wird. Die allgemeine Lage in Tschetschenien erlaubt nunmehr auch die Erlassung von negativen Entscheidungen zur Abschiebung in Fällen, in denen eine solche individuelle Verfolgung nicht besteht.

Im vorliegenden Verfahren konnten individuelle Fluchtgründe, wie unter der Beweiswürdigung aufgezeigt, nicht glaubhaft gemacht werden. Die allgemeine Situation in Tschetschenien ist so, dass dem Beschwerdeführer eine gefahrlose Rückkehr zumutbar sein wird. Wäre eine Situation einer systematischen Verfolgung weiter Bevölkerungsschichten derzeit gegeben, wäre jedenfalls anzunehmen, dass vor Ort tätige Organisationen, wie jene der Vereinten Nationen, diesbezügliche Informationen an die Öffentlichkeit gegeben hätten. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen ebenso wenig folgern.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen zu den Beschwerdeführern und zu den vom Erstbeschwerdeführer behaupteten Fluchtgründen stützen sich auf folgende Beweiswürdigung:

Die Identität, die Staatsangehörigkeit sowie die Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer stellte bereits das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid fest.

Die Feststellungen zur familiären Situation und zu den Sprachkenntnissen der Beschwerdeführer in Österreich ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2014.

Die Feststellungen zu den vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründen beruhen auf den nicht glaubwürdigen und nicht nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u. v.a.m.).

Der Beschwerdeführer bezieht sich in seinem ganzen Vorbringen auf Vorfälle, die sich bereits 2006 ereigneten, also 2 Jahre vor seiner Ausreise. Bei seiner Erstbefragung im Rahmen seines ersten Antrags am 14.02.2008 gab er zwar an, dass es zwei Vorfälle gegeben hätte, allerdings wiederholte er dies nicht mehr und blieb in allen weiteren Einvernahmen dabei, dass es einen Vorfall gegeben hätte.

Selbst wenn dieser Vorfall stattgefunden haben sollte, so fehlt dennoch die zeitliche Nähe zur Ausreise, denn es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass eine verfolgte Person zwei Jahre wartet, bevor sie flüchtet. Der Beschwerdeführer brachte selbst vor, ein Jahr in XXXX verbracht zu haben und dann wieder nach Tschetschenien zurückgereist zu sein, wo er noch ein weiteres Jahr bis zu einer Ausreise vergehen ließ. Erst dann fasste er den Entschluss, sein Heimatland zu verlassen, obwohl in den vergangenen zwei Jahren seit dem Vorfall keine weiteren Verfolgungshandlungen dazugekommen sind.

Zu seiner "Mitnahme" selbst ist zu sagen, dass er diese nicht glaubwürdig schildern konnte, es erscheint beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass er genau wusste, wohin er gebracht wurde, obwohl er angeblich im Kofferraum versteckt wurde. Es ist kaum glaubhaft, dass man in einem dunklen Kofferraum nachvollziehen kann, wohin das Auto fährt, selbst dann nicht, wenn man sich in der Gegend sehr gut auskennt. In einem dunklen engen Raum, der sich noch dazu bewegt, und von so einer Situation kann man wohl bei einem fahrenden Auto ausgehen, verliert man innerhalb kürzester Zeit die Orientierung.

Ferner brachte er vor, auf einem "Stützpunkt" versteckt worden zu sein. Seinen eigenen Angaben zufolge, hielten sich dort regelmäßig Köchinnen auf. Auch waren seine "Peiniger" nicht vermummt, so dass er sie sogar namentlich nennen konnte und Fotos aus dem Internet vorlegte, auf denen sie angeblich zu sehen sind. Auch dies erscheint der erkennenden Richterin nicht nachvollziehbar, da dies selbst für tschetschenische Verhältnisse sehr gewagt erscheint, dass sich die Peiniger offen zeigen und sogar ihre Namen nennen.

Es mag sein, dass der Beschwerdeführer tatsächlich einmal "mitgenommen" und verhört wurde, allerdings ist die Schwere der geschilderten Eingriffe kaum glaubwürdig, da er angeblich von mindestens 10 Personen mit "Baugeräten" geschlagen wurde. Diese seien bei den Schlägen ruiniert worden und sodann sei er mit Gummiknüppeln und Schlagstöcken und Fäusten misshandelt worden. Falls tatsächlich so starke Misshandlungen stattgefunden haben sollten, scheint es erstaunlich, dass der Beschwerdeführer nur relativ "leicht" verletzt wurde. Er hatte keine schweren Verletzungen und ein Röntgen wurde erst in Österreich gemacht. Da der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben aus einer Familie mit XXXX stammt, ist es verwunderlich, dass niemand ein Röntgen veranlasst hat. Auch das Vorbringen, dass er selbständig mit dem Auto nachhause gefahren sei, spricht eher dafür, dass diese geschilderten Misshandlungen nicht stattgefunden haben.

Kaum nachvollziehbar ist das Vorbringen, dass er tagsüber die "Köchinnen" auf dem "Stützpunkt" gesehen hätte, aber niemals mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte und er zwar in der Nacht misshandelt worden ist, tagsüber aber laut eigenen Angaben "gut zu essen" bekommen hätte, allerdings nichts zu trinken. Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass man nach so schweren Schlägen im Stande ist, Essen bei sich zu behalten.

Obwohl der Beschwerdeführer flüssig seine Erlebnisse schilderte und auch die angeblichen Räume schildern konnte, wo er festgehalten wurde, konnte er insgesamt dennoch nicht den Eindruck erwecken, dass ihm die geschilderten Erlebnisse tatsächlich selbst widerfahren seien.

Bezüglich der Höhe des gezahlten Lösegeldes wurden ebenfalls vom BF divergierende Angaben getätigt. In seinem ersten Zulassungsverfahren bezifferte er die Summe mit USD 6.000,-- , danach war immer von USD 8.000,-- die Rede.

Dem Vorbringen, dass der Beschwerdeführer Österreich nie verlassen hätte, sondern sich immer in Österreich versteckt hätte, kann nicht geglaubt werden. Der Beschwerdeführer konnte nicht berichten, wo er sich versteckt hatte und dass er seiner Frau angeblich nichts davon mitteilte, sondern völlig "untertauchte" widerspricht jeder Lebenserfahrung. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt konnte er sehr nachvollziehbar schildern, dass und warum er nachhause gefahren ist. Auch haben in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt beide Ehepartner übereinstimmend berichtet, dass sie sich lediglich einmal in Tschetschenien gesehen hätten und konnten diesen Tag auch genau benennen. Selbst wenn die erkennende Richterin davon ausginge, dass die Beschwerdeführer sich in Tschetschenien versteckt hätten, was schon per se nicht glaubwürdig erscheint, so kann dem Vorbringen, dass der Erstbeschwerdeführer Österreich nie verlassen hätte, nicht gefolgt werden. Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin selbst angab, dass der Beschwerdeführer wieder nach Tschetschenien zurückgereist sei, kann die Behauptung in der mündlichen Verhandlung, dass das gelogen gewesen sei, nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Da der Beschwerdeführer bereist XXXX aus Polen freiwillig nach Russland zurückgefahren ist, ist es durchaus nachvollziehbar, dass er auch aus Österreich freiwillig in seine Heimat zurückgekehrt ist.

Hingegen ist es kaum nachvollziehbar, dass eine junge traditionell verheiratete tschetschenische Frau alleine mit 2 Kleinkindern nach Tschetschenien unter Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe reist und dann angeblich schlepperunterstützt alleine illegal wieder nach Österreich fährt, zumal sie selbst keine eigenen Fluchtgründe vorbringt.

Gegen eine Verfolgung maßgeblicher Intensität spricht ferner, dass der Erstbeschwerdeführer innerhalb der Russischen Föderation unbehelligt mit seinem Reisepass reisen konnte. Der Reisepass selbst wurde zu einem Zeitpunkt ausgestellt, als er angeblich bereits verfolgt wurde. Dass er den Reisepass über "irgendeine" Dame organisiert habe, ist kaum nachvollziehbar. Auch wenn es bekannt ist, dass in Russland Dokumente "besorgt" werden können, so ist doch festzuhalten, dass auch ein russischer Reisepass persönlich abgeholt werden muss. Ebenso unglaubwürdig ist, dass keiner der beiden Beschwerdeführer beim Standesamt war, um sich die Heiratsurkunde ausstellen zu lassen.

In der Beschwerde wird vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin die Dokumente selbst im Standesamt abgeholt hätte, in der mündlichen Verhandlung hingegen wird erzählt, dass keiner der beiden Beschwerdeführer selbst beim Standesamt gewesen sei.

Dass der Beschwerdeführer angeblich Widerstandskämpfer unterstützt haben soll und deswegen solche Probleme bekommen haben soll, konnte er der erkennenden Richterin nicht nachvollziehbar schildern. Angeblich hat diese Unterstützung zwischen 2001 und 2003 stattgefunden und 15-20 Leute durften in seiner Wohnung übernachten. Da der Beschwerdeführer aber offensichtlich in einem Mehrparteienwohnhaus lebte, ist es kaum nachvollziehbar, dass jemand dieses Risiko eingehen sollte. Ferner sind zwischen der Unterstützung und der angeblichen "Mitnahme" ca. 5 Jahre vergangen, in denen nichts passierte und er brachte diese angebliche Unterstützung der Widerstandskämpfer über mehrere Jahre hinweg erstmals in der mündlichen Verhandlung vor.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es den Behörden nicht verwehrt, die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (siehe z.B. VwGH vom 29.06.2000, 2000/01/0093).

Ein gesteigertes Vorbringen ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als unglaubwürdig einzustufen (VwGH vom 08.04.1987, Zahl 85/01/0299, VwGH vom 02.02.1994, Zahl 93/01/1035), weil grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden muss (VwGH vom 05.10.1988, Zahl 88/01/0155, VwGH vom 11.11.1998, Zahl 98/01/261 u. v. a. m.).

In Gesamtbetrachtung der dargelegten Umstände des Beschwerdefalls konnte daher nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - droht. Festzuhalten ist, dass die mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben der Beschwerdeführer letztlich auch durch den persönlichen Eindruck der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht untermauert wurde.

Auch die Beschwerdeführerin änderte mehrmals ihr Vorbringen. Sie gab bei ihrer ersten Einvernahme am 21.06.2010 an, eigene Fluchtgründe zu haben und ebenfalls geschlagen und befragt worden zu sein. Dieses Vorbringen hielt sie in Folge nicht aufrecht. Ferner gab sie selbst an, dass ihr Mann nach Tschetschenien zurückgefahren sei und sie ihn dann an einem bestimmten Tag nur einmal getroffen hätte. In der mündlichen Verhandlung behauptete sie dann, dass auch das gelogen gewesen sei. Auch dies zeugt davon, dass die Zweitbeschwerdeführerin dazu neigt, Schutzbehauptungen aufzustellen und diese dann zurückzuziehen. Daher konnte auch ihrem Vorbringen, dass sie alleine aus Tschetschenien unter Mitnahme ihrer zwei Kleinkinder "geflohen" ist, kein Glauben geschenkt werden.

Ihre Erlebnisse in der Russischen Föderation schilderte sie weitgehend emotionslos, ebenso wie ihre angebliche Flucht alleine mit zwei Kleinkindern in einem LKW in den Händen eines fremden Mannes. Sie vermittelte niemals den Eindruck, in Sorge um das Leben ihres Mannes zu sein. Hingegen wirkte sie sehr betroffen und war den Tränen nahe, als die erkennende Richterin sie bezüglich ihrer Erlebnisse in Polen befragte, um herauszufinden, warum die Beschwerdeführer Polen verlassen hätten. Diese Beweggründe konnte sie sehr glaubhaft und nachvollziehbar schildern.

In einer Gesamtbetrachtung kommt das Bundesverwaltungsgericht angesichts der aufgezeigten Widersprüche, Unstimmigkeiten und Unplausibilitäten zu dem Schluss, dass keine aktuelle individuelle Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen besteht.

Darüber hinaus ist erneut in diesem Zusammenhang auf die zugrunde liegenden Länderfeststellungen zu verweisen, aus denen sich ergibt, dass sich die allgemeine Lage in Tschetschenien in einem gewissen Ausmaß stabilisiert hat, wenngleich nicht verkannt wird, dass die Menschenrechtslage im Nordkaukasus dennoch zumindest teilweise weiterhin problematisch ist und dass mannigfaltige Bedrohungsszenarien bestehen und in Einzelfällen auch schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen können. Wie schon weiter oben erwähnt: Diese Szenarien sind jedoch individuell glaubhaft zu machen und führen im Fall ihrer individuellen Glaubhaftmachung auch konsequenterweise zur Gewährung von Asyl.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer und dem Bundesamt gemeinsam mit ihren Ladungen zur mündlichen Verhandlung zugestellt und sind im Rahmen der Verhandlung nicht bestritten worden. Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Länderberichte - sowie auch vor dem Hintergrund, dass dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführer zu den von ihm behaupteten Fluchtgründen, wie oben ausführlich dargelegt wurde, keine Glaubhaftigkeit zukommt - kann jedoch nicht erkannt werden, dass in Tschetschenien aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre; in Tschetschenien ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes und hat daher das vorliegende Beschwerdeverfahren zu führen.

Gemäß § 75 Abs. 19 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 144/2013 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. In den Fällen des § 28 Abs. 3 (2. Satz) leg.cit. ist der Bescheid mittels Beschluss aufzuheben.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung demnach der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichterin und ist die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes mittels Erkenntnis abzuweisen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Im gegenständlichen Fall liegt unbestritten ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor. Die in Österreich aufhältigen und im Asylverfahren anhängigen Familienangehörigen umfassen den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und ihre fünf minderjährigen Kinder.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag ergeht eine für alle Familienangehörigen inhaltlich gleichlautende Entscheidung.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183, 18.02.1999, 98/20/0468).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Das Bundesasylamt hat in der Begründung des Bescheides vom 01.08.2012 die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage hinsichtlich der behaupteten Flüchtlingseigenschaft klar und übersichtlich zusammengefasst und den rechtlich maßgeblichen Sachverhalt in völlig ausreichender Weise erhoben.

Auch der Beschwerde und dem Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 2.3.2006, Zl. 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.1.2003, Zl. 2002/20/0533; 12.06.2003, Zl. 2002/20/0336).

Weder in der Beschwerde noch bei der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer neue Ausführungen zu seinen Fluchtgründen machen. Er war keineswegs in der Lage, die im Rahmen der Einvernahmen entstandenen und vom Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid aufgezeigten vagen, widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Aussagen zu erklären.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur erkannt, dass für die Glaubhaftmachung der Angaben des Fremden es erforderlich ist, dass er die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (vgl. VwGH 26.06.1997, 95/21/0294, 95/18/1291) und dass diese Gründe objektivierbar sind (vgl. VwGH 05.04.1995, 93/18/0289), wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. auch VwGH 23.01.1997, 95/20/30303, 0304). Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (s.a. VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988 86/01/0268). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Da die Beschwerdeführer, wie in der Beweiswürdigung aufgezeigt, keine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende aktuelle Bedrohung durch Verfolgungshandlungen glaubhaft machen konnten, liegen die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl nicht vor, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe.

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Wird der Antrag auf internationalen Schutz eines Fremden in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ordnet § 8 Abs. 1 AsylG an, dass dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, wenn eine mögliche Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung in seinem Recht auf Leben (Art. 2 EMRK iVm den Protokollen Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe) oder eine Verletzung in seinem Recht auf Schutz vor Folter oder unmenschlicher Behandlung oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) oder für den Fremden als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes mit sich bringen würde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Asylwerbers in sein Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (vgl. EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (vgl. EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).

Das Vorliegen eines tatsächlichen Risikos ist von der Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen (vgl. EGMR vom 15.11.1996 in Chahal gg. Vereinigtes Königsreich).

Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Ob die Verwirklichung der im Zielstaat drohenden Gefahren eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den Zielstaat bedeuten würde, ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht entscheidend.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht.

Im vorliegenden Fall ist jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben, da der Beschwerdeführer nachdem er Tschetschenien verlassen hat, eine Weile im XXXX lebte.

§ 8 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 1 AsylG beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Teil des Herkunftsstaates des Antragstellers, in dem für den Antragsteller keine begründete Furcht vor Verfolgung und keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter dem Herkunftsstaat der Staat zu verstehen, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Die Gefahr muss sich daher auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.

Es besteht kein Hinweis auf derartige Umstände, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. Da der Beschwerdeführer, wie unter Spruchpunkt I ausgeführt, keine asylrelevanten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen konnte, ist nicht davon auszugehen, dass er aus den von ihm vorgebrachten Ausreisegründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Übergriffe drohen, die die von Art. 3 EMRK geforderte Intensität erreichen.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner gesundheitlichen Situation eine Rückverbringung in die Russische Föderation die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde. Der Beschwerdeführer brachte selbst vor, gesund zu sein. Dies gilt ebenso für die Zweit- bis Siebentbeschwerdeführer.

Im gesamten Verfahren haben sich keine Hinweise, welche die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an einen der Beschwerdeführer rechtfertigen würden, ergeben. Es liegen also keine Umstände vor, welche einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Für die Russische Föderation kann nicht festgestellt werden, dass in diesem Herkunftsstaat eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd § 8 Abs. 1 AsylG als unrechtmäßig erscheinen ließe. Im konkreten Fall ist nicht ersichtlich, dass eine gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen wurde, die die Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen ließe. Die Abschiebung des Beschwerdeführers würde ihn jedenfalls nicht in eine "unmenschliche Lage", wie etwa Hungertod, unzureichende oder gar keine medizinische Versorgung, eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens, versetzen. Der Beschwerdeführer ist ein junger arbeitsfähiger Mann, der für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen kann und dies bereits auch davor tat. Der Beschwerdeführer wird daher bei einer etwaigen Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Abgesehen davon verfügt der Beschwerdeführer in seiner Heimat nach wie vor über Familienangehörige und wird von diesen bei einer Rückkehr unterstützt werden. Es ergibt sich somit kein "reales Risiko", dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Der Beschwerdeführer hat sohin kein Vorbringen erstattet, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihm in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

Angemerkt wird, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte Bericht von Memorial sich ebenfalls auf einen Vorfall aus dem Jahr 2006 bezieht und daher keine aktuelle Gefahr einer Verfolgungshandlung bescheinigt.

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen ca. 70 seitigen Bericht des Menschenrechtszentrums "Memorial" aus dem Jahr 2013 vor, der sich auf die Situation in Tschetschenien bezieht, allerdings handelt es sich um keinen Bericht, der auf ihn persönlich Bezug nimmt oder auf Verwandte seinerseits, sondern es ist größtenteils ein allgemein gehaltener Bericht. Teilweise werden Personen auch namentlich erwähnt.

Der erstinstanzliche Ausspruch in Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides war deshalb zu bestätigen.

3.4. Zu Spruchpunkt II. (Zurückverweisung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das BFA):

3.4.1. Die relevanten Übergangsbestimmungen des § 75 Abs. 19, 20 und 23 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, lauten wie folgt:

"§ 75. (...)

(19) Alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren sind ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,

jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder

den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen.

(...)

(23) Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 erlassen wurden, bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. oder 3. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012."

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).

Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).

Gemäß der aktuellen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Integration von Asylwerbern stärker zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte - diese während eines einzigen Asylverfahrens erfolgt ist und von den Asylwerbern nicht schuldhaft verzögert wurde (vgl. VfGH 7.10.2010, B 950/10 u.a., wonach es die Verantwortung des Staates ist, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass den nunmehrigen Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - 7 Jahre verstreichen). Diese Judikatur wurde durch die Einführung der lit. I in § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 im Rahmen der Novelle BGBl. I Nr. 38/2011 - seit 01.01.2014 nunmehr § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG - umgesetzt.

Weitgehende Unbescholtenheit gilt hingegen als wichtiges Element für die Annahme sozialer Integration (vgl. VwGH 05.07.2005, 2004/21/0124 u. a.; sowie Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR, 2006, 261 ff).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind nicht erkennbar. So konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über hinreichende Deutschkenntnisse verfügt. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, sondern lebte bislang überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine sonstigen nennenswerten sozialen Bindungen.

Die Beschwerdeführer weisen Grund- bzw. keine Kenntnisse der deutschen Sprache auf - doch selbst wenn das Sprachniveau deutlich höher wäre, wäre anzumerken, dass aus dem Umstand allein, die deutsche Sprache bis zu einem gewissen Grad zu beherrschen, nicht auf ein überwiegendes Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich geschlossen werden kann, und wäre ein solcher Umstand zudem schon deshalb zu relativieren, weil der beschwerdeführenden Partei die Unsicherheit der Aufenthaltsberechtigung bewusst sein musste (vgl. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0187).

Es handelte sich um den zweiten Asylantrag in Österreich und die "lange" Dauer des Verfahrens ist darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer dazwischen Österreich verlassen hat und dann neuerlich illegal einreiste, um einen neuen Asylantrag zu stellen.

Die minderjährigen Kinder sind allesamt in Österreich geboren, aber nur die Drittbeschwerdeführerin besucht den Kindergarten, da die anderen Kinder noch zu jung sind. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über etwas bessere Deutschkenntnisse als der Erstbeschwerdeführer und ist offensichtlich auch um soziale Integration bemüht.

Es gibt Unterstützungsschreiben für die gesamte Familie, die dokumentieren, dass die Beschwerdeführer sich um Integration bemühen auch legte der Beschwerdeführer Einstellungszusagen vor.

Im gegenständlichen Fall sind dennoch keine Umstände erkennbar, die auf eine während des knapp vierjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet entstandene außergewöhnliche Integration der beschwerdeführenden Partei schließen lassen: BF 1und BF 2 sind am Arbeitsmarkt nicht integriert, haben während ihres Aufenthaltes in Österreich laufend Leistungen aus der Grundversorgung für sich und die gemeinsamen Kinder in Anspruch genommen und sind auf fremde Unterstützungsleistungen angewiesen. Weiters besuchen BF 1 und BF 2 in Österreich abgesehen von der Teilnahme an Deutschkursen keine Bildungseinrichtungen und sind auch nicht Mitglied in Vereinen bzw. sonstigen Organisationen oder leisten sonstige gemeinnützige Arbeit. Lediglich BF 3 besucht den Kindergarten. Alle Kinder befinden sich in einem anpassungsfähigen Alter, es ist zu erwarten, dass sie ihre Schulausbildung problemlos im Herkunftsstaat beginnen können.

BF 1 und BF 2 sind zwar unbescholten, doch vermag nach der verwaltungsgerichtlichen Judikatur die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein weder die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich entscheidend zu verstärken (vgl. VwGH 25.2.2010, 2010/0018/0029) noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (vgl. etwa VwGH 27.3.2007, 2006/21/0277 mwN).

Das Bundesverwaltungsgericht kann aber auch sonst keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation erkennen. Insbesondere führt ein Vergleich der Verhältnisse in Österreich zu jenen in Tschetschenien zu dem Schluss, dass die beschwerdeführende Partei ihrem Herkunftsstaat, in welchem sie den weit überwiegenden und prägenden Teil ihres Lebens verbracht hat, noch über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügt, da sich dort nach wie vor Verwandte befinden. BF 1 und BF 2 sprechen die tschetschenische als auch die russische Sprache, sodass auch seine Resozialisierung und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitern und vor diesem Gesichtspunkt unmöglich erscheinen. Weiters sind diese mit den Gepflogenheiten der russischen bzw. der tschetschenischen Gesellschaft vertraut. Nach alledem kann nicht gesagt werden, dass sie ihrem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in ihrer Heimat überhaupt nicht mehr zu Recht finden würde.

Angesichts der - in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht der erkennenden Einzelrichterin die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07).

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in der Russischen Föderation - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).

3.4.2. Mit der vorliegenden Entscheidung werden die abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes bestätigt.

Die in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides angeordnete Ausweisung nach § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 gilt gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 idgF als aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Geltung als Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 FPG.

Da sich im gegenständlichen Fall nicht ergeben hat, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre, war gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher diesfalls die Erlassung der Rückkehrentscheidung nach der neuen Rechtslage neu zu prüfen haben. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung sind für das Bundesamt jedoch nicht bindend.

3.5. Zu Spruchpunkt 2. A) III.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeit-punkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag wurde das Verfahren betreffend den Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführerin und der Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt III. zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen, da im Verfahren des Erstbeschwerdeführers eine dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung nicht festgestellt werden konnte.

Da jedoch im Fall einer Zurückverweisung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das - nunmehr wieder zum Treffen einer Rückkehrentscheidung zuständige - Bundesamt an die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung nicht gebunden ist - vgl. § 75 Abs. 20 zweiter Satz AsylG 2005 - und gegen den Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt keine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, erscheint im gegenständlichen Fall - da die Zuständigkeiten zum Treffen von Rückkehrentscheidungen auseinanderfallen würden - im Hinblick auf die Frage des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben des Siebtbeschwerdeführers eine gemeinsame Entscheidung aller sieben Familienangehörigen in einer Instanz geboten, weshalb mit der Behebung des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides vorzugehen war. Insofern ist auch vom Feststehen des Sachverhaltes gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG auszugehen.

In weiterer Folge wird daher das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den Erstbeschwerdeführer zu prüfen und danach unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieser Prüfung nochmals über die Rückkehrentscheidung gegen die übrigen Familienmitglieder abzusprechen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil der gegenständliche Fall ausschließlich tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt

3.2. und 3.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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