VwGH Ra 2018/21/0205

VwGHRa 2018/21/020513.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision von

1. E S, 2. Z S, 3. R S, 4. M S, 5. H S und 6. A S, alle vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Oktober 2018, 1.) W171 1428334- 3/18E, 2.) W171 1428335-3/9E, 3.) W171 1428336-3/10E,

4.) W171 1428337-3/9E, 5.) W171 1436238-2/7E und 6.) W171 1436239- 2/7E, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §75 Abs20;
AVG §56;
BFA-VG 2014 §9 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §50 Abs1;
FrPolG 2005 §50 Abs2;
FrPolG 2005 §51 Abs2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
MRK Art3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210205.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und stammen aus der autonomen russischen Republik Tschetschenien. Sie gelangten gemeinsam mit ihren am 17. April 2006 und am 27. September 2009 geborenen Söhnen (Dritt- und Viertrevisionswerber) über Polen, wo sie Asylanträge gestellt hatten, Mitte Juni 2012 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich. Hier wurden sodann am 25. Dezember 2012 eine Tochter und ein weiterer Sohn (Fünft- und Sechstrevisionswerber) geboren. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

2 Die Revisionswerber leben in Österreich von der Grundversorgung. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind nicht berufstätig, verfügen aber über Einstellungszusagen. Sie haben Deutschprüfungen auf dem Niveau A 2 bzw. A 1 absolviert. Der Erstrevisionswerber weist aus dem Jahr 2016 eine rechtskräftige Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen Urkundenfälschung auf. Die Dritt- und Viertrevisionswerber besuchen die Schule und sind in einem Fußballklub aktiv, der Drittrevisionswerber ist außerdem Mitglied in einem Schachverein. Fünft- und Sechstrevisionswerber besuchen den Kindergarten. Die Eltern haben in der Nachbarschaft und durch die Aktivitäten der Kinder soziale Kontakte und leisten in der Unterkunft Hilfstätigkeiten.

3 Die Erst- bis Viertrevisionswerber hatten am Tag ihrer Einreise Anträge auf internationalen Schutz gestellt, die mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 25. Juli 2012 wegen der Zuständigkeit Polens zurückgewiesen wurden. Unter einem ergingen Ausweisungen nach Polen. Die dagegen eingebrachten Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 29. August 2012 als unbegründet ab. Die für 3. Oktober 2012 geplante Überstellung nach Polen wurde allerdings wegen Abwesenheit des Erstrevisionswerbers und der Risikoschwangerschaft der Zweitrevisionswerberin nicht vorgenommen. In der Folge wurden die Verfahren wegen Ablaufs der Überstellungsfrist zugelassen. Am 15. Jänner 2013 wurden auch für die Fünft- und Sechstrevisionswerber Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

4 Alle Anträge auf internationalen Schutz wurden sodann mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 7. Juni 2013 samt Ausweisungen in den Herkunftsstaat abgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2015 in Bezug auf die Punkte Asyl und subsidiärer Schutz als unbegründet ab. Dem lag zugrunde, dass das Vorbringen des Erstrevisionswerbers zu seinen Fluchtgründen als unglaubwürdig qualifiziert wurde. Im Übrigen verwies es gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit von Rückkehrentscheidungen an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

5 Im insoweit fortgesetzten Verfahren ergingen sodann die Bescheide des BFA vom 27. Februar 2016, mit denen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurden. Unter einem wurden gegen die Revisionswerber Rückkehrentscheidungen erlassen und es wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. September 2018 mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 8. Oktober 2018 als unbegründet ab, wobei das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 In dieser Hinsicht wenden sich die Revisionswerber in der vorliegenden außerordentlichen Revision in erster Linie gegen die vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits in seinem Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033, zum Ausdruck gebracht, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sei (vgl. daran anschließend unter vielen etwa auch VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0328, Rn. 11, mwN, und darauf Bezug nehmend VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0090, 0091, Rn. 11).

8 Nun vermag die Revision aber weder aufzuzeigen, dass das BVwG von den in der Rechtsprechung zur Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG entwickelten Grundsätzen abgewichen ist, noch darzulegen, dass das Ergebnis dieser Abwägung unvertretbar ist.

9 Zunächst führt die Revision diesbezüglich die Aufenthaltsdauer der Revisionswerber in Österreich von etwa sechs Jahren ins Treffen, die nicht mehr als "kurz" zu bewerten sei. Außerdem habe das BVwG im angefochtenen Erkenntnis (Seite 23) dem Verwaltungsgerichtshof eine tatsächlich nicht existente Rechtsprechung unterstellt, dass für einen weiteren Verbleib der Revisionswerber "außergewöhnliche" Integrationsleistungen hätten erbracht werden müssen. Schließlich rekurriert die Revision in diesem Zusammenhang auch noch auf die Entscheidung VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124, wonach die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen jedenfalls überwögen, wenn ein siebenjähriger Aufenthalt vorliege sowie eine berufliche und soziale Verfestigung gegeben sei.

10 Diesem Vorbringen ist zunächst zu erwidern, dass das BVwG in seinem Erkenntnis (vgl. Seite 18) ohnehin auch davon ausgegangen ist, die bisherige Dauer des Aufenthalts der Revisionswerber im Bundesgebiet sei "nicht mehr als ‚kurz' zu bewerten". Wenn das BVwG dann die in dieser Zeit erlangte Integration nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und mit näherer Begründung im angefochtenen Erkenntnis einzelfallbezogen als nicht ausreichend ansah, um die mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Folgen als unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben der Revisionswerber - wegen der gegen alle Familienmitglieder ergangenen Rückkehrentscheidungen liegt von vornherein kein Eingriff in das Familienleben vor - zu qualifizieren, so war das aber im Ergebnis nicht unvertretbar (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH 26.1.2012, 2010/21/0124, 0182 bis 0185; siehe zu Familien mit ähnlicher Aufenthaltsdauer und zum Teil auch mit in Österreich geborenen Kindern beispielsweise noch VwGH 21.3.2013, 2011/23/0360 bis 0363, VwGH 21.2.2013, 2011/23/0617 bis 0619, VwGH 29.2.2012, 2009/21/0251, VwGH 25.3.2010, 2009/21/0216 bis 0220, VwGH 25.3.2010, 2010/21/0064 bis 0068, und VwGH 17.7.2008, 2008/21/0090 bis 0093).

11 Unter anderem in dem oben auch zitierten Erkenntnis VwGH 21.2.2013, 2011/23/0617 bis 0619, wurde in Bezug auf die Begründung der Interessenabwägung zusammenfassend festgehalten, die von den Parteien geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände stellten sich nicht als derart außergewöhnlich dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass sie mit ihrem Verhalten letztlich versuchen, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Inhaltsgleiche Aussagen, die nicht nur für Ausweisungen, sondern auch für Rückkehrentscheidungen gelten, finden sich noch in zahlreichen anderen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs (siehe beispielsweise VwGH 21.3.2013, 2011/23/0209, VwGH 20.3.2012, 2010/21/0471 bis 0475, VwGH 29.4.2010, 2010/21/0083, 0084, und VwGH 25.3.2010, 2010/21/0064 bis 0068). Das BVwG bewegte sich somit - entgegen der Revisionsmeinung - im Rahmen dieser Rechtsprechung, indem es in der von der Revision kritisierten Passage des angefochtenen Erkenntnisses darauf abstellte, ob die Revisionswerber derart "außergewöhnliche Integrationsleistungen" erbracht hätten, dass sie "für ihren Verbleib ausschlagen würden".

12 Soweit die Revision im Übrigen noch das Erkenntnis VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124, ins Treffen führt, ist dazu vorrangig zu entgegnen, dass ihm die in der Revision unterstellte Aussage (siehe oben Rn. 9) in dieser Allgemeinheit nicht entnommen werden kann. Im Übrigen ist aus dieser Entscheidung für den vorliegenden Fall schon deshalb nichts zu gewinnen, weil ihr ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, zumal der dort Beschwerdeführende in einer Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin lebte sowie darüber hinaus im Besitz einer Arbeitserlaubnis war und in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis mit einem hohen monatlichen Einkommen stand.

13 Betreffend die Interessenabwägung wird in der Zulassungsbegründung der Revision dann auch noch die Meinung vertreten, die Begründung des BVwG stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 19.2.2009, 2008/18/0721), weil das Familienleben der Revisionswerber nicht zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als sie sich ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich bewusst gewesen seien. Außerdem stelle die Rückkehr in den Herkunftsstaat für die revisionswerbenden Kinder eine unzumutbare Härte dar, weil sie bisher noch gar keine (Fünft- und Sechstrevisionswerber) bzw. nur kurze Zeit (Dritt- und Viertrevisionswerber) in Tschetschenien verbracht hätten.

14 Richtig ist zwar, dass in dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Ausdruck gebracht wurde, bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sei (unter anderem) zu berücksichtigen, "ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als sich die betroffenen Personen bewusst gewesen seien, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart gewesen sei, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher gewesen sei."; es sei (unter anderem) darauf abzustellen, "ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem auf ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertraut werden durfte." Diese Aussagen beziehen sich jedoch - wie auch in dem dort behandelten Fall - nur auf Konstellationen, in denen ein Familienleben erst im Aufnahmestaat während unsicheren Aufenthalts (zumindest) eines der Familienmitglieder begründet wurde und in dem es um einen durch die Aufenthaltsbeendigung bewirkten Eingriff in das Familienleben geht.

15 Daraus kann - anders als die Revision offenbar meint - allerdings nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Familienleben der Revisionswerber in maßgeblicher Weise bereits vor der Einreise nach Österreich bestand und nunmehr nur ein mit den Rückkehrentscheidungen verbundener Eingriff in das Privatleben zur Debatte steht, eine solche Entscheidung jedenfalls unzulässig wäre und der Unsicherheit des Aufenthalts bei der Interessenabwägung keine Bedeutung zukomme. Vielmehr ist nach § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG nicht nur bei der Beurteilung des "Familienlebens", sondern auch des "Privatlebens" im Sinne des Art. 8 EMRK die Frage zu berücksichtigen, ob es in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren. Diese Bestimmung erfasst somit auch die das "Privatleben" betreffenden Umstände, wie insbesondere alle sich auf die Integration beziehenden Aspekte.

16 In diesem Sinn entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, es dürfe bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich (bereits nach Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz in erster Instanz) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (siehe beispielsweise VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0034, Rn. 8; siehe dazu auch noch Punkt. 2.4.2. der Entscheidungsgründe des unter Bezugnahme auf Judikatur des EGMR grundsätzliche Ausführungen enthaltenden Erkenntnisses VwGH 22.12.2009, 2009/21/0348). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen (vgl. etwa VwGH 29.2.2012, 2009/21/0251, mwN), wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (siehe dazu VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, Rn. 33).

17 Von dieser Rechtsprechung ist das BVwG - entgegen der erkennbaren Meinung in der Revision - nicht abgewichen, weil es ohnehin bloß die beim Erstrevisionswerber und bei der Zweitrevisionswerberin zu berücksichtigenden integrationsbegründenden Umstände, vor allem die mittlerweile erworbenen sozialen Bindungen, wegen ihrer Erlangung während unsicheren Aufenthalts im Bundesgebiet als relativiert ansah (siehe Seite 23 Mitte des angefochtenen Erkenntnisses).

18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 BFA-VG bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, "die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder", insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. unter Bezugnahme auf Judikatur des EGMR etwa VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, Rn. 28, und daran anschließend VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0333 bis 0335, Rn. 13).

19 Das BVwG hat aber nicht nur diese Judikaturlinie im angefochtenen Erkenntnis zitiert, sondern es hat sich dann auch eingehend mit der Situation der revisionswerbenden Kinder, sowohl in Bezug auf die Verhältnisse in Österreich, als auch bei einer Rückkehr in die Russische Föderation befasst. Das dabei erzielte Ergebnis, ihre gemeinsame Ausreise mit den Eltern stelle keine unverhältnismäßige Härte dar, ist vor allem angesichts ihres anpassungsfähigen Alters - die in Österreich geborenen Kinder besuchten im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses erst den Kindergarten und die beiden anderen Kinder haben die ersten Lebensjahre in Tschetschenien verbracht und sind mittlerweile nicht so lange in Österreich sozialisiert, dass für sie eine Rückkehr unzumutbar erscheinen musste - nicht als unvertretbar anzusehen. Im Übrigen beschäftigte sich das BVwG auch mit der Frage, ob für die Revisionswerber bei einer Rückkehr eine ausreichende Existenzgrundlage bestehen werde. Das wird in der Revision zwar bestritten, ohne jedoch die diesbezüglichen Feststellungen des BVwG, insbesondere zum Bestehen von familiären Anknüpfungspunkten und einer Unterkunftsmöglichkeit, substanziiert zu bekämpfen und ohne insoweit eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung aufzuzeigen. Auch in diesem Punkt kann der Revision somit nicht gefolgt werden.

20 Das gilt schließlich auch für das Vorbringen in der Revisionszulassungsbegründung, die Abschiebung der Revisionswerber in die Russische Föderation sei unter dem Gesichtspunkt des § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, weil der Erstrevisionswerber in seinem Heimatstaat mehrfach gefoltert und regelmäßig zu Unrecht inhaftiert worden sei. Dabei wird nämlich außer Acht gelassen, dass die darauf gegründeten Anträge der Revisionswerber auf Gewährung von internationalem Schutz vollinhaltlich mit Erkenntnis des BVwG vom 9. Oktober 2015 rechtskräftig abgewiesen wurden (siehe oben Rn. 4). Demnach kam - insoweit geänderte Verhältnisse wurden nicht behauptet - eine Neubeurteilung im Rahmen der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat von vornherein nicht in Betracht. Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine Konstellation nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 vor, so ist diese Feststellung, soweit sie sich auf den Herkunftsstaat bezieht, regelmäßig nur die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0101, Rn. 14, mit dem Hinweis auf VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe).

21 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision, die sich im Übrigen im Revisionspunkt vergreift ("Der Revisionswerber erachtet sich durch das angefochtene Erkenntnis in seinem subjektiven Recht auf Nichtbestrafung mangels Erfüllung des gesetzlichen Tatbildes verletzt.") und sich auch in den daran anschließenden Revisionsgründen offenbar auf ein nicht die Revisionswerber betreffendes Strafverfahren bezieht und keine fallbezogen passenden Ausführungen mehr enthält, war daher schon gemäß § 34 Abs. 1 dritte Alternative VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen. Angesichts dessen kann die entgegen § 1 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 BVwG-EVV vorgenommene Einbringung der Revision auf dem Postweg jedenfalls auf sich beruhen.

Wien, am 13. November 2018

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