OGH 9ObA85/03w

OGH9ObA85/03w5.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Anton Beneder als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Bauarbeiter Urlaubs- und Abfertigungskasse, 1050 Wien, Kliebergasse 1A, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 6.694,79 brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. April 2003, GZ 15 Ra 20/03h-32, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. November 2002, GZ 46 Cga 177/01g-26, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der W*****GmbH & Co KG (in der Folge Arbeitgeberin) als ungelernter Helfer beschäftigt und zu einem erheblichen Teil seiner Arbeitszeit als Bodenleger eingesetzt. Er musste häufig schweres Material tragen und hatte - soweit er als Bodenleger eingesetzt wurde - in knieender Position zu arbeiten. Nach einem am 9. 4. 2000 erlittenen Riss des Kreuzbandes am rechten Kniegelenk hatte er bei längeren im Knien zu verrichtenden Arbeiten und auch beim Stiegensteigen sowie beim Transportieren von Materialien Kniebeschwerden. Er wies aber gegenüber Vertretern seiner Arbeitgeberin bis zum 11. 10. 2000 nie darauf hin, dass ihm die Arbeit wegen der Knieverletzung immer beschwerlicher werde und er die bisherigen Tätigkeiten nicht mehr ausüben könne. Allerdings teilte er mit, dass er sich wegen seiner Verletzung in absehbarer Zeit einer Knieoperation unterziehen müsse.

Am 11. 10. 2000 erklärte er der Arbeitgeberin, sein Dienstverhältnis zu kündigen. Deren Wunsch, zumindest bis zum Abschluss der Arbeiten auf einer gerade bestehenden Baustelle weiterzuarbeiten, lehnte er mit der Begründung ab, dass er bereits für die Zeit ab 2. 11. 2000 ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber fixiert habe. Dass er zu diesem Zeitpunkt gesundheitliche Gründe für seine Kündigung ins Treffen führte, steht nicht fest. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen gingen sowohl der Kläger als auch seine Arbeitgeberin von einem durch die Kündigung des Klägers ausgelösten Kündigungstermin 17. 10. 2000 aus.

Da ihm mittlerweile bewusst geworden war, dass er durch die Selbstkündigung seinen Abfertigungsanspruch verliere, fragte er am 12. 10. 2003 telefonisch bei der Arbeitgeberin an, ob er zur Wahrung seiner Abfertigungsansprüche eine ärztliche Bestätigung vorlegen müsse. Die von ihm kontaktierte Vertreterin der Arbeitgeberin war darüber empört, weil sie die Darstellung des Klägers als bloßen Vorwand zum Zweck der Anspruchssicherung erachtete. Dabei blieb sie auch, als der Kläger noch am selben Tag eine ärztliche Bestätigung vorlegte, aus der hervorging, dass er "Risikotätigkeiten mit Rotations- und Stauchungsbelastung" nicht durchführen solle.

Der Kläger forderte seine Arbeitgeberin nicht auf, ihm einen ihm gesundheitlich zuträglicheren Arbeitsplatz zuzuweisen. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin zog eine derartige Versetzung nie in Erwägung. Sie wäre aber zwischen 12. und 17. 10. 2000 betriebsorganisatorisch problemlos möglich gewesen.

Der Kläger war zum Kündigungszeitpunkt auf Grund seiner Verletzung verhalten, sein Arbeitsverhältnis unverzüglich zu beenden, um eine rapide Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu vermeiden.

Die Arbeitgeberin meldete den Kläger wegen "Kündigung durch den Dienstnehmer" ab und war nicht bereit, diese Abmeldung zu ändern. Aus diesem Grund lehnte die Beklagte die Auszahlung der vom Kläger geforderten Abfertigung ab.

Der Kläger begehrte in seiner Klage seine mit S 92.122,36 brutto bezifferte Abfertigung samt 10,25 % Zinsen. Obwohl er zur Fortsetzung seiner Arbeit gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen sei, habe ihm die Arbeitgeberin, der er diesen Umstand mitgeteilt habe, keine andere Arbeit angeboten. Er habe daher das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen kündigen müssen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe sein Arbeitsverhältnissen nicht aus gesundheitlichen Gründen beendet, sondern wegen eines bereits vereinbarten neuen Arbeitsverhältnisses mit einem anderen Arbeitgeber.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - abgesehen von der Abweisung des 9.25 % übersteigenden Zinsenbegehrens - statt. Es vertrat folgende Rechtsauffassung:

Eine Kündigung durch den Arbeitnehmer schließe den Abfertigungsanspruch nicht aus, wenn der Arbeitnehmer zum Austritt aus gesundheitlichen Gründen berechtigt sei und dies dem Arbeitgeber mitteile, um ihm die Möglichkeit des Anbots eines Ersatzarbeitsplatzes zu eröffnen. Der Ersatzarbeitsplatz müsse vom Arbeitnehmer nicht verlangt, sondern vom Arbeitgeber angeboten werden. Unterbleibe ein solches Angebot, bleibe dem Arbeitnehmer der Abfertigungsanspruch erhalten. Die unterbliebene Aufklärung des Arbeitgebers führe nur dann nicht zum Verlust des Abfertigungsanspruchs, wenn ein adäquater Arbeitsplatz nicht vorhanden sei. Da der Kündigungsgrund der Gesundheitsgefährdung ein Dauertatbestand sei, sei auch ein "Nachschieben" des Motivs für die Beendigung innerhalb der Kündigungsfrist zulässig, sofern dem Arbeitgeber ausreichend Zeit für eine Versetzung des Arbeitnehmers zur Verfügung stehe. Da dem Kläger hier innerhalb der bis zum von den Parteien angenommenen Ende des Arbeitsverhältnisses verbleibenden Zeit problemlos ein geeigneter Ersatzarbeitsplatz hätte zugewiesen werden können, sei seinem Klagebegehren - abgesehen vom 9,25 % übersteigenden Zinsenbegehren - stattzugeben.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil hinsichtlich des Zinsenbegehrens geringfügig ab (Abweisung des 6,25 % übersteigenden Begehrens), bestätigte aber im Übrigen das angefochtene Urteil. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung der ersten Instanz. Der Einwand der Beklagten, dass der Arbeitnehmer durch die Unterlassung der rechtzeitigen Aufklärung des Arbeitgebers über seine gesundheitliche Beeinträchtigung diesem die Möglichkeit nehme, einen zumutbaren Ersatzarbeitsplatz anzubieten, sei grundsätzlich richtig. Wenn der Arbeitnehmer nicht seinen Austritt erkläre, sondern - wozu er ohne Rechtsverlust berechtigt sei - kündige, bleibe aber das Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist aufrecht, sodass der Arbeitgeber der Annahme eines wichtigen Lösungsgrundes iSd § 82a lit a GewO noch durch das Anbot einer adäquaten Ersatzbeschäftigung begegnen könne. Ein solches Anbot habe zwar keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung, wohl aber darauf, ob der Arbeitnehmer einen den Abfertigungsanspruch auslösenden Beendigungsgrund für sich in Anspruch nehmen könne. Es sei daher konsequent, dem Arbeitnehmer, der ohne Angabe von Gründen gekündigt habe, die Möglichkeit einzuräumen, sich während der Kündigungsfrist auf einen im Zeitpunkt der Auflösungserklärung bereits vorhandenen Austrittsgrund zu berufen. Dies führe zur Bejahung des Abfertigungsanspruchs des Klägers, weil die Arbeitgeberin von der ihr durch die Mitteilung eröffnete Möglichkeit, den Austrittsgrund durch das Anbot eines Ersatzarbeitsplatzes zu beseitigen, nicht Gebrauch gemacht habe.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob sich der Arbeitnehmer, der ohne Angabe von Gründen gekündigt habe, während der Kündigungsfrist noch auf einen im Zeitpunkt der Auflösungserklärung bereits vorhandenen Austrittsgrund berufen könne, vom Obersten Gerichtshof bislang nicht geklärt worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 82a lit a GewO 1859 darf ein Arbeitnehmer die Arbeit vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Kündigung verlassen, wenn er die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen kann. Hiebei genügt es, dass durch die Fortsetzung der Arbeit ein gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muss (RIS-Justiz RS0101809, RS0060137; 9 ObA 113/99d; 9 ObA 31/03d). Dies war beim Kläger der Fall.

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass einem Arbeitnehmer, der berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden, nicht verwehrt werden kann, dieses Recht im Wege einer Kündigung - und damit in einer für den Arbeitgeber regelmäßig günstigeren Form - auszuüben. Nach völlig einhelliger Rechtsprechung verliert der Arbeitnehmer seinen Abfertigungsanspruch nicht, wenn er nicht seinen Austritt erklärt, sondern das Arbeitsverhältnis unter Hinweis auf den Lösungsgrund kündigt (RIS-Justiz RS0028469, RS0060132; 9 ObA 158/92; 9 ObA 194/95).

Der Arbeitnehmer kann sich aber dann auf den Austrittsgrund der Gesundheitsgefährdung nicht berufen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor der Austrittserklärung eine andere, seiner Gesundheit nicht abträgliche Arbeit anbietet, die im Rahmen der ihm durch den Arbeitsvertrag übertragene Tätigkeit liegt, und der Arbeitnehmer dieses Angebot zurückweist (RIS-Justiz RS0028736; DRdA 1989/14; WBl 1989, 93; 8 ObA 2048/96a). Den Arbeitnehmer trifft zwar die Obliegenheit, den Arbeitgeber über seine gesundheitlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seiner bisherigen Tätigkeit aufzuklären, damit der Arbeitgeber überhaupt in die Lage versetzt wird, Abhilfe zu schaffen; er ist aber selbst nicht verpflichtet, vom Arbeitgeber die Zuweisung einer anderen Tätigkeit zu verlangen (SZ 60/134; 9 ObA 203/93).

Klärt der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht rechtzeitig über seine gesundheitliche Beeinträchtigung auf, vereitelt er die Möglichkeit des Arbeitgebers, seiner Fürsorgepflicht durch das Anbot einer zumutbaren, dem Arbeitsvertrag entsprechenden und die Gesundheit nicht gefährdenden Ersatzbeschäftigung nachzukommen (RIS-Justiz RS0028718; 9 ObA 75/92). Das Berufungsgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass im Falle einer Kündigung durch den Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist aufrecht bleibt und der Arbeitgeber daher - wie der Oberste Gerichtshof schon mehrmals ausgesprochen hat - noch innerhalb der Kündigungsfrist der Annahme eines wichtigen Lösungsgrundes iSd § 82a lit a GewO durch das Anbot einer adäquaten Ersatzbeschäftigung begegnen kann. Dieses Anbot hat zwar keinen Einfluss auf die Kündigung des Arbeitnehmers, wohl aber darauf, ob der Kläger einen wichtigen, den Abfertigungsanspruch auslösenden Beendigungsgrund für sich in Anspruch nehmen kann. Dem Arbeitnehmer steht es nach einem solchen Angebot frei, seine Arbeit für den Arbeitgeber in einer seine Gesundheit nicht gefährdenden Weise nach einvernehmlicher Rücknahme der Kündigung fortzusetzen (9 ObA 93/88; 9 ObA 75/92).

Die Frage, ob sich der Arbeitnehmer, der ohne Angabe von Gründen gekündigt hat, während der Kündigungsfrist noch auf einen im Zeitpunkt der Auflösungserklärung bereits vorhandenen Austrittsgrund berufen kann, hat der Oberste Gerichtshof in 9 ObA 158/92 (= DRdA 1993/22 [Mosler]) zwar aufgeworfen, aber letztlich als für die damalige Entscheidung unerheblich offen gelassen; festgehalten wurde nur, dass eine erfolgreiche Berufung auf den Austrittsgrund jedenfalls dann nicht in Betracht komme, wenn von einem schlüssigen Verzicht auf diesen auszugehen sei.

Der Oberste Gerichtshof teilt die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass sich - wenn nicht von einem Verzicht auf den Lösungsgrund auszugehen ist - der Arbeitnehmer, der ohne Hinweis auf seine gesundheitliche Beeinträchtigung gekündigt hat, auch noch in der Kündigungsfrist auf den darin gelegenen Lösungsgrund berufen kann, sofern es dem Arbeitgeber innerhalb der verbleibenden Kündigungsfrist noch möglich ist, dem Arbeitnehmer einen geeigneten, den oben dargestellten Anforderungen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz anzubieten.

Wie Mosler in seiner Glosse zur Entscheidung 9 ObA 158/92 (DRdA 1992/22) zutreffend ausführt, soll nach den Grundwertungen des Gesetzgebers der Abfertigungsanspruch nur dann verlorengehen, wenn die Verantwortung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitnehmer liegt. Beim Austrittsgrund der Gesundheitsgefährdung liegt zwar die Ursache, idR nicht aber die Verantwortung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitnehmer. Es wäre daher - so Mosler zutreffend - ein Wertungswiderspruch, den Abfertigungsanspruch trotz Vorliegens des Austrittsgrundes nur deshalb zu verneinen, weil der Arbeitnehmer bei der Beendigung eine Frist nicht eingehalten hat. Diese Überlegungen sind auch auf den hier zu beurteilenden Fall zu übertragen und stützen die Annahme des Berufungsgerichtes, dass der Arbeitnehmer seinen Abfertigungsanspruch nicht deshalb verliert, weil er auf den Austrittsgrund erst mit Verspätung hinweist. Anders muss dies naturgemäß beurteilt werden, wenn diese Verspätung dazu führt, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit genommen wird, den Austrittsgrund durch das Anbot eines geeigneten Ersatzarbeitsplatzes zu beseitigen. Daher erweist sich auch der Einwand der Revisionswerberin als ungerechtfertigt, wonach es der Arbeitnehmer in der Hand habe, durch Verheimlichen seines Gesundheitszustandes den Arbeitgeber zu überraschen, ihm die Möglichkeit für das Anbot eines Ersatzarbeitsplatzes zu nehmen und sich dadurch die Abfertigung zu sichern.

Im hier zu beurteilende Fall ist zunächst - gegen die Auffassung der Revisionswerberin - davon auszugehen, dass der Kläger nicht auf die Geltendmachung des Auflösungsgrundes verzichtet hat. Für die Annahme eines solchen Verzichtes fehlen hinreichende Anhaltspunkte; die Abgabe der Kündigungserklärung allein ohne Nennung des Lösungsgrundes reicht dafür ebenso wenig aus, wie der Hinweis darauf, dass der Kläger bereits ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart hatte.

Im Übrigen steht fest, dass es dem Arbeitgeber in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit möglich gewesen wäre, dem Kläger einen geeigneten Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Da er von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht hat, haben die Vorinstanzen im Sinne der dargestellten Rechtslage den Abfertigungsanspruch des Klägers zu Recht bejaht.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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