OGH 9ObA75/92

OGH9ObA75/9229.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** H*****, Arbeiter ***** vertreten durch ***** Rechtsanwälte *****, wider die beklagte Partei S*****-M***** OHG, Speckerzeugung, ***** vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wegen S 53.207,30 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.November 1991, GZ 5 Ra 209/91-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 27.Mai 1991, GZ 44 Cga 115/90-18, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang aufgehoben und die Arbeitsrechtssache wird in ihrem noch streitverfangenen Teil zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1.Juni 1984 als gelernter Metzger beschäftigt. Nach Auffassung beider Parteien und ihrem insofern übereinstimmenden Prozeßvorbringen kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis am 6.November 1989 zum 10.November 1989.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Betrag von S 53.207,30 brutto sA an Abfertigung. Er habe die Arbeit ohne Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen können. Die Beklagte habe ihm innerhalb der Kündigungsfrist keine zumutbare Alternativbeschäftigung angeboten.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Kündigung des Klägers sei unbegründet erfolgt, da diesem im Rahmen seines bisherigen Aufgabenbereiches andere und leichtere Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten worden seien. Der Kläger habe jedoch eine Weiterarbeit im Betrieb aus anderen Gründen abgelehnt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger war im Betrieb der Beklagten hauptsächlich für die Wursterzeugung zuständig; aushilfsweise, besonders während der Urlaubszeit, übernahm er aber auch das Einsalzen des Fleisches. Beim Wursten hatte er unter anderem täglich etwa 10 bis 20mal einen ca. 50 kg schweren Aluminiumtrog ungefähr bis zur Augenhöhe hochzuheben. Diese Tätigkeit zählt in der Metzgerei zu den schwersten. Während seines Arbeitsverhältnisses befand sich der Kläger öfters im Krankenstand, darunter einige Male wegen Kreuzschmerzen. Er wandte sich an den Komplementär und Geschäftsführer der Beklagten F***** M***** und teilte ihm mit, daß er "etwas mit dem Kreuz habe" und so nicht mehr arbeiten könne. Der Geschäftsführer verwies ihn zwecks Zuweisung einer leichteren Arbeit an seinen für Personalangelegenheiten zuständigen Sohn, M***** M*****, der sich gerade auf Urlaub befand.

Am Montag, dem 6.November 1989, teilte der Kläger dem aus dem Urlaub zurückgekehrten und bereits informierten Sohn des Geschäftsführers mit, daß er nicht mehr arbeiten könne. Er wies ein ärztliches Attest und einen orthopädischen Befund vor, nach dem eine schwere Arbeit, wie das Tragen und Heben von Gegenständen für den Kläger als ungünstig und nicht gut praktikabel zu werten sei. Er könne seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben; ein Berufswechsel sei anzuraten. Tatsächlich hätte der Kläger die Tätigkeit des Wurstens ohne Gesundheitsgefährdung nicht mehr ausüben können. Es besteht bei ihm eine rezidivierende Lumbalgie bei leichter skolioser statischer Fehlhaltung mit insuffizienter Bauchmuskulatur und Übergewicht. Bei ganztägig ununterbrochenem Stehen und notwendigem Heben sowie Tragen schwerer Lasten (über 50 kg) sind Beschwerden möglich und bei Fortführung dieser Tätigkeit ist langfristig eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht auszuschließen. Bei einer täglichen Überbelastung könnten die gesundheitlichen Probleme des Klägers akut werden und sich seine Krankenstände häufen. Eine Gesundheitsgefährdung des Klägers ist aber auch dann nicht auszuschließen, wenn er nichts hebt, sondern nur Arbeiten im Stehen verrichtet. Aus orthopädischer Sicht sind dem Kläger leichte und mittelschwere Arbeiten in gelegentlich wechselnder Körperhaltung mit den üblichen Arbeitspausen ganztägig zuzumuten. Mehrstündiges ununterbrochenes Stehen ist ungünstig; das Heben und Tragen von Lasten über 25 kg ist zu meiden. Bücken, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an Maschinen und am Fließband sind möglich.

Der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten nahm die Erklärung des Klägers zur Kenntnis und meinte, daß er "schauen werde", welche leichtere Tätigkeit er dem Kläger anbieten könne. Die Äußerung des Klägers, "er könne nicht mehr arbeiten", faßte M***** M***** als Kündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einer Woche auf. Die Zuweisung einer anderen Tätigkeit erwies sich als relativ schwierig, da es keine unbesetzten Arbeitsplätze gab und dafür andere Arbeitnehmer von ihren Arbeitsplätzen abzuziehen waren. Der Kläger befand sich mittlerweile auf Urlaub.

Mit Schreiben vom 8.November 1989 bestätigte die Beklagte, daß sie die Kündigung des Klägers vom 6.November 1989 aufgrund der vorgelegten Befunde zur Kenntnis genommen habe. Es gebe im Betrieb Tätigkeiten, bei denen keine schweren Gegenstände gehoben weden müßten (zB die schon immer zum Aufgabenbereich des Klägers gehörenden Tätigkeiten des Auslösens und Einsalzens des Fleisches). Diese Tätigkeiten, bei denen maximal 6 Kilo zu heben seien, würden dem Kläger mit der zusätzlichen Zusicherung angeboten, daß er jederzeit vertreten bzw unterstützt werde, wenn ausnahmsweise etwas Schwereres zu heben sei. Die Beklagte erwarte daher, daß der Kläger seine Arbeit bei der Beklagten in der nächsten Woche fortsetzen werde. Diese dem Kläger angebotene Tätigkeit war verantwortungsvoll und - ebenso wie auch alle anderen angebotenen Arbeiten - von einem gelernten Metzger auszuführen. Das Auslösen erfolgt in der Weise, daß ein Arbeiter Fleischteile von einer an der Decke angebrachten Rohrbahn herunternimmt, Filetstücke herausschneidet und die Knochen einschneidet. Vor diesem Arbeitsgang wiegen die Fleischteile, soweit es sich um Karree oder Bauch handelt, 6,5 bis 7 kg, bei Schinken ca. 12 kg. Der zweite Arbeiter trennt sodann Fleisch und Knochen und bringt die Teile in eine ansehnliche Form. Dabei handelt es sich um Gewichte bis zu 2,30 kg, bei Schinken bis maximal 6 kg. Die ausgelösten Stücke werden für die Speckerzeugung händisch eingesalzen, in ein Schaff gelegt und mit einem Hebewagen weggeführt. Anschließend werden die eingesalzenen Teile in ein Eichenfaß umgelagert und in der Folge aufgehängt. Soweit der Kläger die Tätigkeit des Einsalzens etwa während einer Urlaubsvertretung ausgeführt hat, hat er nur eingesalzen und umgestapelt; die Tätigkeit des Aufhängens war ihm zu anstrengend. Eine Verdiensteinbuße wäre mit dem Wechsel des Arbeitsplatzes nicht verbunden gewesen.

Auf dieses Angebot reagierte der Kläger mit Schreiben vom 14. November 1989. Er führte darin aus, daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufrecht bleibe, da ihm die Beklagte trotz wiederholten Ersuchens um Abhilfe keine leichtere Tätigkeit zugewiesen habe. Er habe nicht nur seinen Arbeitsplatz aufgegeben, sondern werde auch seinen Beruf aufgeben. Bei einem Gespräch, dessen Datum nicht festgestellt werden kann, lehnte der Kläger auch ein weiteres Angebot der Beklagten, das Vakuumverpacken von Fleisch oder den Verkauf in einer Filiale zu übernehmen, ab.

Der Kläger trat eine Beschäftigung bei der "Firma Getränke P*****" an, wo er das Zusammenstellen und Verladen von Leergebinden mit Sackroller oder Hubstapler zu bewerkstelligen hat. Dabei sind Hebe- und Trageleistungen von 10 bis 12 kg zu erbringen. Aushilfsweise wird er auch als Beifahrer bei Liefertätigkeiten eingesetzt.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Arbeitnehmer den Arbeitgeber mit einem Austritt aus Gesundheitsgründen nicht überraschen dürfe. Der Kläger habe sich zwar schon während des Urlaubs des für Personalfragen zuständigen Sachbearbeiters erstmalig an den Geschäftsführer der Beklagten gewandt, doch sei dieser aus organisatorischen Gründen und auch deshalb, weil die Gesundheitsgefährdung des Klägers nach dem Gutachten des Sachverständigen nicht so akut gewesen sei, daß eine sofortige Änderung der Tätigkeit erforderlich gewesen wäre, noch nicht verpflichtet gewesen, eine sofortige Abhilfe zu schaffen. Es sei dem Kläger vielmehr zumutbar gewesen, die relativ kurze Zeit bis zur Rückkehr des Personalsachbearbeiters zuzuwarten, damit dieser ihm eine Änderung in der Verwendung anbieten könne. Durch seine bereits am 6.November 1989 ausgesprochene Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe dieser aber keine Möglichkeit mehr gehabt, eine andere Art der Verwendung vorzusehen. Der vom Kläger erklärte "Austritt aus Gesundheitsgründen" sei daher nicht zu Recht erfolgt.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger den begehrten Betrag samt 4 % Zinsen zusprach und das Zinsenmehrbegehren von weiteren 6 % abwies. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß aufgrund der Mitteilung des Klägers über seine Beschwerden bereits durch einfachste organisatorische Maßnahmen, etwa durch die Anordnung, daß der Kläger keine Lasten mehr zu heben habe, Abhilfe hätte geschaffen werden können; etwas anderes sei dem Kläger letztlich auch nicht angeboten worden. Diese Maßnahme hätte bereits der Geschäftsführer und Komplementär der Beklagten nach der Vorsprache des Klägers während des Urlaubs des Personalchefs ergreifen können und müssen. Abgesehen davon hätte der Personalsachbearbeiter bereits am 6.November 1989 in der Lage sein müssen, dem Kläger sofort eine gesundheitlich zumutbare Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsvertrages anzubieten. Das erst am 8.November 1989 erfolgte Angebot einer Alternativbeschäftigung sei somit jedenfalls verspätet erfolgt, so daß dem Kläger trotz seiner Kündigung

(Martinek-M. Schwarz-W. Schwarz, AngG7 493) die begehrte Abfertigung zustehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der "unrichtigen Beweiswürdigung, allenfalls Verletzung der materiellen Prozeßleitungspflicht" und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Arbeitnehmer auf den Austrittsgrund der Gesundheitsgefährdung dann nicht berufen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor der Austrittserklärung eine andere, seiner Gesundheit nicht abträgliche Arbeit anbietet, die im Rahmen der ihm durch den Arbeitsvertrag übertragenen Tätigkeit liegt, und der Arbeitnehmer dieses Angebot zurückweist (vgl. DRdA 1989/14 = ZAS 1988/19 mwH; WBl 1989, 93; WBl 1988, 160 uva). Im vorliegenden Fall endete das Arbeitsverhältnis des Klägers jedoch nicht durch vorzeitigen Austritt am 6.November 1989, sondern nach dem Konsens der Parteien erst durch Kündigung zum 10. November 1989. Damit kommt einerseits zum Ausdruck, daß dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Kündigungsfrist nicht unzumutbar war - er befand sich ohnehin auf Urlaub - und andererseits, daß der Beklagten vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses noch Gelegenheit geboten war, dem Kläger durch organisatorische Maßnahmen eine seiner Gesundheit nicht abträgliche Arbeit anzubieten. Das Anbot einer anderen, leichteren Beschäftigung hatte in diesem Fall zwar keinen Einfluß auf die Kündigung des Klägers als einer einseitigen, empfangsbedürftigen, aber nicht annahmebedürftigen Willenserklärung, das Arbeitsverhältnis nach Fristablauf aufzulösen, wohl aber darauf, ob der Kläger einen wichtigen, den Abfertigungsanspruch auslösenden Beendigungsgrund für sich in Anspruch nehmen kann (idS 9 Ob A 93/88).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts teilte der Kläger erstmals während des Urlaubs des für Personalangelegenheiten zuständigen Sachbearbeiters dem Komplementär der Beklagten mit, daß er so nicht mehr arbeiten könne, weil er "etwas mit dem Kreuz" habe. Diese allgemeine und unsubstantiierte Mitteilung kann, wie das Erstgericht richtig erkannte, noch nicht als Hinweis auf eine solche Intensität der Gesundheitsgefährdung angesehen werden, die es auf jeden Fall erforderlich gemacht hätte, unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Der am 6.November 1989 aus dem Urlaub zurückgekehrte und darüber informierte Personalsachbearbeiter der Beklagten sicherte dem Kläger ohnehin noch während des Gespräches zu, für eine leichtere Beschäftigung zu sorgen, wofür nach den Feststellungen aber erst organisatorische Umschichtungen erforderlich waren. Ein solches konkretes Anbot erfolgte mit Schreiben vom 8.November 1989, also innerhalb der Kündigungsfrist. Ob dem Kläger aber diese angebotene Alternativbeschäftigung gesundheitlich zumutbar war, ist noch aufklärungsbedürftig. Es wurde dem Kläger zwar auch eine Hilfestellung bei schwereren Hebearbeiten zugesagt, doch steht bisher nicht fest, ob die Arbeit des Auslösens und Einsalzens des Fleisches etwa ganztägig im Stehen zu verrichten gewesen wäre, sodaß diesbezüglich allenfalls auch eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu befürchten gewesen wäre. Das Erstgericht wird daher das Verfahren in diesem Sinn zu ergänzen haben. Auch hinsichtlich der weiteren Ersatzarbeitsplätze (Vakuumverpacken von Fleisch oder Verkauf in einer Filiale) ist die Rechtssache noch nicht spruchreif. Es kommt dabei nämlich nicht entscheidend darauf an, wann diese Arbeiten genau angeboten wurden, sondern, ob dies noch vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses geschah. Eine Behauptung, daß die vorgeschlagenen Arbeiten nicht im Rahmen des Arbeitsvertrages gelegen wären, wurde dazu nicht aufgestellt. Wäre es dem Kläger somit noch während der Kündigungsfrist freigestanden, seine Arbeit für die Beklagte in einer seiner Gesundheit nicht gefährdenden Weise, wie angeboten, "fortzusetzen", wäre auch eine einvernehmliche Rücknahme der Kündigung möglich gewesen. Soweit der Kläger die Fortsetzung seiner Tätigkeit für die Beklagte ohne Gefahr einer Gesundheitsbeeinträchtigung aber nur deshalb abgelehnt hätte, weil er nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern überhaupt auch seinen Beruf wechseln wollte, könnte er sich nicht mehr auf einen wichtigen Lösungsgrund berufen.

Die Kostenentscheidung ist im § 52 ZPO begründet.

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