OGH 9ObA156/08v

OGH9ObA156/08v28.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mohamed W*****, vertreten durch Dietrich Majoros Marchl Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Islamische Religionsgemeinde Wien, Bernardgasse 5, 1070 Wien, vertreten durch Mag. Guido Zorn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert 56.145 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 2008, GZ 7 Ra 8/08k-65, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 19. Oktober 2007, GZ 15 Cga 130/04b-58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.012,96 EUR (darin 335,49 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Frage, inwieweit ein nach § 132 Abs 4 ArbVG zu berücksichtigender Tendenzschutz die wegen behaupteter Sozialwidrigkeit erfolgte Anfechtung einer Arbeitgeberkündigung, die auf ein nicht unmittelbar auf Glaubensfragen bezogenes Fehlverhalten eines Lehrers einer konfessionellen Akademie gestützt werde, verbiete, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Der Revisionswerber schloss sich dieser Begründung der Zulässigkeit der Revision an. Die Revisionsgegnerin bestritt demgegenüber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Der vorliegende Fall kann auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung beurteilt werden. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, der über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung zukäme, muss dabei nicht gelöst werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Der Kläger stand als Arabischlehrer ab 2. 9. 2002 in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Bezüglich der zunächst strittigen Frage, ob eine Kündigungsanfechtung des Klägers nach § 105 ArbVG schon deshalb ausscheide, weil gar keine Kündigung, sondern lediglich ein durch Zeitablauf beendetes befristetes Arbeitsverhältnis vorgelegen sei, folgte das Berufungsgericht im Ergebnis dem Standpunkt des Klägers, der sich auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis stützte. Das Berufungsgericht verneinte zutreffend das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Die Beurteilung der Frage, ob zwischen den Parteien eine befristete oder unbefristete Verlängerung des zunächst befristet abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses vereinbart wurde, hängt von der Auslegung der Vereinbarung im Einzelfall ab; dieser kommt keine erhebliche Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0042936 ua). Nimmt man eine bloß befristete Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses an, dann wäre eine solche nur dann zulässig gewesen, wenn sie durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe gerechtfertigt gewesen wäre (RIS-Justiz RS0028327 ua). Für deren Vorliegen trägt der Arbeitgeber die Behauptungs- und Beweislast (9 ObA 7/98i ua). Maßgeblich sind auch in diesem Fall die jeweiligen Umstände des Einzelfalls (9 ObA 136/07a ua). Die Beklagte versuchte, die bloß befristete Verlängerung des Klägers mit ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Gewährung von Subventionen nach dem Privatschulgesetz, BGBl 1962/244, zu rechtfertigen. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sich die Beklagte damit auf keinen ausreichenden wirtschaftlichen Rechtfertigungsgrund im vorstehenden Sinn gestützt habe, weil gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften einen Rechtsanspruch auf Subventionierung zum Personalaufwand für ihre konfessionellen Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht haben, ist vertretbar (siehe § 17 Abs 1, § 19 Abs 3 Privatschulgesetz; vgl Kalb in DRdA 2006/2, 32 ua).

Der Abschluss von Kettenverträgen ist wie ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit zu behandeln, wenn er nicht durch besondere wirtschaftliche oder soziale Gründe gerechtfertigt ist (RIS-Justiz RS0021824 ua). Im vorliegenden Fall ist daher von der Arbeitgeberkündigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses - und nicht bloß von einem dem Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG nicht unterliegenden Zeitablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses (vgl Wolligger in ZellKomm § 105 ArbVG Rz 7 ua) - auszugehen. Die Kündigungsanfechtung des Klägers scheitert somit nicht schon am Fehlen einer anfechtbaren Kündigung (vgl zur „Bedeutungslosigkeit“ der Kündigung zum vereinbarten Endtermin 9 ObA 330/98i ua). Dies leitet über zur zweiten - vom Berufungsgericht als erheblich angesehenen - Frage, ob dem Kläger die Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG allenfalls wegen des „Tendenzschutzes“ nach § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG verwehrt ist.

Auszugehen ist von Art 15 StGG. Danach ordnet und verwaltet jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft ihre inneren Angelegenheiten selbständig; sie ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Die Schaffung eines grundrechtlich geschützten Freiraums stellt keinen Freibrief dar, der die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften bei Besorgung ihrer inneren Angelegenheiten von den Verbindlichkeiten der gesamten staatlichen Rechtsordnung zur Gänze entbindet. Vielmehr greifen die allgemeinen Staatsgesetze auch in diesen Bereich regelnd ein. Auch Art 15 StGG steht somit unter der „Schranke der allgemeinen Staatsgesetze“. Diese Schranke ist nach herrschender Auffassung als Gesetzesvorbehalt zu sehen (8 ObA 117/04w mwN, DRdA 2006/2 [Kalb]). Zu den „inneren Angelegenheiten“ zählen vor allem jene, die den inneren Kern der kirchlichen Betätigung betreffen und in denen die Kirchen und Religionsgesellschaften ohne Autonomie in der Verkündigung der von ihnen gelehrten Heilswahrheiten und der praktischen Ausübung ihrer Glaubenssätze eingeschränkt wären (vgl 4 Ob 41/74; 7 Ob 109/08t ua). Der Bereich der inneren Angelegenheiten kann naturgemäß nicht erschöpfend aufgezählt werden (14ObA29/87). Er kann letztlich nur unter Bedachtnahme auf das Wesen der Kirchen und Religionsgesellschaften nach deren Selbstverständnis erfasst werden (Mayer, B-VG4 Art 15 StGG Anm III.1; VfSlg 11.574 ua).

Gemäß § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG sind die Bestimmungen des II. Teils des ArbVG (Betriebsverfassung: §§ 33 bis 134b) auf Unternehmen und Betriebe, die konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dienen, nicht anzuwenden, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Mit dieser Bestimmung, die Bestandteil des „Tendenzschutzes“ für Unternehmen und Betriebe mit besonderer Zweckbestimmung ist, respektiert der Gesetzgeber die durch Art 15 StGG gewährleistete Autonomie und nimmt für das Gebiet der Betriebsverfassung eine Grenzziehung zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften vor. Dieser Tendenzschutz ist von dem Gedanken bestimmt, dass die allgemein normierte Beteiligung der Arbeitnehmer an bestimmten Entscheidungen des Betriebsrats in sozialen, persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten in bestimmten Unternehmen und Betrieben wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nicht oder nicht in gleichem Maß wie sonst zustehen soll (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a, DRdA 2002/42 [Kalb]).

Voraussetzung für die Anwendung des § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG ist zunächst, dass die betreffenden Unternehmen und Betriebe konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dienen, was für die Islamische Religionspädagogische Akademie (IRPA), deren Schulerhalterin die Beklagte ist, nicht zweifelhaft ist. Die Anhänger des Islams sind seit 1912 in Österreich als Religionsgesellschaft gesetzlich anerkannt (Islamgesetz, RGBl 1912/159); sie führen die Bezeichnung „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (Verordnung BGBl 1988/466). Die Beklagte ist eine von vier Gebietsteilorganisationen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die gemäß ihrer Verfassung für sich in Anspruch nimmt, alle in Österreich vertretenen Strömungen des Islams zu repräsentieren (vgl Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht 629 ff; Gartner, Der Islam im religionsneutralen Staat 27 f). An der IRPA werden im Rahmen eines sechssemestrigen Diplomstudiums islamische Religionslehrer ausgebildet. Dabei handelt es sich um die einzige derartige Einrichtung für den gesamten deutschen Sprachraum.

Der Tendenzschutz des § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG ist - anders als nach § 132 Abs 1 und Abs 4 Satz 2 ArbVG - nur ein relativer (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a); dh er wird nur gewährt, soweit die Eigenart des Betriebs oder des Unternehmens einer Anwendung der Bestimmungen des II. Teils des ArbVG entgegensteht. Der Begriff „Eigenart“ knüpft an die besonderen Merkmale an, die gerade für ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Betrieb charakteristisch sind und diesen Betrieb oder dieses Unternehmen gegenüber anderen Betrieben oder Unternehmen näher kennzeichnen (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a). Eigenart bedeutet im Rahmen des § 132 Abs 4 ArbVG, dass andere Unternehmen und Betriebe ohne konfessionelle Zwecksetzung regelmäßig „anders geartet“ sind (Schrammel, Probleme des Tendenzschutzes in der österreichischen Betriebsverfassung, in FS Strasser [1983] [559] 579; 14 ObA 29/87 ua). Die Eigenart eines konfessionellen Betriebs oder Unternehmens steht der Anwendung von Bestimmungen des ArbVG dann entgegen, wenn die Mitwirkungsrechte der Belegschaft mit den besonderen konfessionellen Zwecken unvereinbar sind oder wenn die Mitwirkung der Arbeitnehmer für die Kirchen oder Religionsgesellschaften zu unerträglichen oder grob unzweckmäßigen Ergebnissen führt. Das für Kirchen oder Religionsgesellschaften unerträgliche Ergebnis kann zB darin bestehen, dass das Mitbestimmungsrecht der Belegschaft Maßnahmen des Arbeitgebers verhindert oder doch auf ungewisse Zeit verzögert (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a).

Besondere praktische Bedeutung gewinnt die sich aus der Relativklausel ergebende beschränkte Anwendbarkeit des ArbVG vor allem bei den Mitwirkungsrechten der Belegschaft in personellen Angelegenheiten, die gerade jene Arbeitnehmer betreffen, deren Aufgabe es ist, die konfessionelle Zwecksetzung zu verwirklichen („Tendenzträger“; vgl Schrammel in FS Strasser [559] 580; 14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a). Der Arbeitgeber soll nicht gezwungen werden, mit dem Betriebsrat eine Auseinandersetzung darüber zu führen, ob ein Tendenzträger noch tragbar ist. Eine Mitwirkung der Belegschaft hat nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bereits dann zu unterbleiben, wenn ein Tendenzträger von einer personellen Maßnahme des Arbeitgebers schlechthin betroffen wird, und nicht erst dann, wenn die Maßnahme aus tendenzbedingten Gründen erfolgt (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a). Zwischen tendenzbedingten und tendenzneutralen Gründen bestehen nämlich häufig Zusammenhänge, sodass es der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft nach der Rechtsprechung auch in solchen Fällen unbenommen bleiben muss, die Eignung des betreffenden Tendenzträgers allein zu beurteilen.

Die Kirchen und Religionsgesellschaften sind nach deren Selbstverständnis nicht nur berechtigt, ihre innere Organisation und die Vornahme religiöser Feierlichkeiten autonom zu gestalten, sondern es ist ihnen auch die staatliche Freiheit bei der Bildung und Erziehung sowie bei karitativer und diakonischer Betätigung gewährleistet (vgl Schrammel in FS Strasser [559] 577; Runggaldier, Das Arbeitsrecht in der Kirche: kollektivrechtliche Aspekte, in Runggaldier/Schinkele, Arbeitsrecht und Kirche [145] 168; Neumayr in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 132 Rz 83; ders in ZellKomm § 132 ArbVG Rz 42; 9 ObA 184/01a ua). Dazu gehören unter anderem auch Kindergärten, Pensionistenheime, Studentenheime, Friedhöfe etc, weil auch hier die Wesens- und Lebensäußerung einer Kirche oder Religionsgesellschaft zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist, ob die jeweiligen Einrichtungen konfessionellen Zwecken bzw der Ordnung der inneren Angelegenheiten bei gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften dienen. Die Wahrung der Verwirklichung des ideellen Zwecks soll im Vordergrund stehen (9 ObA 184/01a ua). Auch der Ausbildung von islamischen Religionslehrern an der IRPA kommt nach dem Selbstverständnis der Beklagten besondere Bedeutung zur Erreichung des konfessionellen Zwecks zu. Diese Akademie ist damit ebenfalls als „Tendenzeinrichtung“ im Sinn des § 132 ArbVG zu qualifizieren.

Der Kläger unterrichtete an der IRPA Arabisch, wobei sowohl der Lehrstoff als auch die von ihm verwendeten Texte überwiegend religiösen Bezug hatten. Er nahm auch Prüfungen in religiösen Fächern (Koran; Überlieferungen des Propheten Mohammed) ab. Naturgemäß gibt es beim Grad der Mitwirkung an der konfessionellen Zwecksetzung einer Religionsgesellschaft verschiedene Abstufungen. Die Beantwortung der Frage, ob jemand bereits als Tendenzträger einer Religionsgesellschaft zu qualifizieren ist, hängt dabei von der Beurteilung und Gewichtung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls ab. Dieser kommt in der Regel keine über den entschiedenen Fall hinausgehende erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu. Der Kläger war zwar nicht unmittelbar für die Verkündung von Heilswahrheiten zuständig; der Religionsbezug war jedoch bei seiner Tätigkeit für die Beklagte stets gegeben. Er trug damit ebenfalls maßgeblich zur Verwirklichung der konfessionellen Zwecksetzung der Religionsgesellschaft bei. Der Einfluss eines Lehrers, der andere Lehrer ausbildet, ist vor allem aufgrund der „Multiplikatorwirkung“ enorm. Die Auffassung des Revisionswerbers, nur für die unmittelbare Verbreitung von Heilswahrheiten zuständige Personen seien als Tendenzträger zu qualifizieren, ist zu eng. Der Revisionswerber lässt unbeachtet, dass den Kirchen und Religionsgesellschaften nach deren Selbstverständnis auch bei der Bildung und Erziehung sowie bei karitativer und diakonischer Betätigung staatliche Freiheit zu gewähren ist. Wie bereits ausgeführt, zählen zu den „inneren Angelegenheiten“ auch jene, bei denen die Kirchen und Religionsgesellschaften ohne Autonomie in der praktischen Ausübung ihrer Glaubenssätze eingeschränkt wären. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der in der Ausbildung künftiger islamischer Religionslehrer tätige Kläger Tendenzträger im Sinn des § 132 ArbVG war, ist daher durchaus vertretbar. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt zufolge der Einzelfallbezogenheit dieser Qualifikation nicht vor.

Die Kündigung des Klägers wurde von der Beklagten nicht nur darauf gestützt, dass er den Unterricht nach Belieben verkürzte oder ganz ausfallen ließ, seine mangelhaften Deutschkenntnisse trotz gegenteiliger Zusage nicht verbesserte und sein Unterricht von Wutanfällen gegen Studenten und Verweisen aus der Klasse geprägt war. Die Kündigung erfolgte auch wegen Beschimpfungen der Akademie, Österreichs und Europas durch den Kläger, seiner mangelnden Vorbereitung auf den Unterricht und wegen abfälliger Reden über Kollegen. Kündigungsgrund war auch ein vom Kläger „im Halbspass“ vor der gesamten Klasse an eine Studentin gerichteter Heiratsantrag, der dazu geführt hatte, dass zwei Studentinnen die Lerngruppe wechselten.

Aus dem Tendenzschutz nach § 132 ArbVG folgt, dass der österreichische Gesetzgeber den Kirchen und Religionsgesellschaften nicht nur in dem unmittelbar konfessionellen Zwecken dienenden Kernbereich, sondern auch bezüglich der konfessionellen Schulen im Rahmen der ihnen in § 15 StGG gewährleisteten Autonomie die Beurteilung überlässt, ob die Weiterbeschäftigung eines Lehrers aus der Sicht der mit der Erziehungseinrichtung verfolgten ideellen Zwecke tragbar ist. Die Beklagte hat diese Frage aufgrund einer Beschwerde der Studentenvertretung und einer entsprechenden Beschlussfassung der Beklagten verneint und den Kläger gekündigt.

Der vorliegende Fall unterstreicht einmal mehr die bereits angesprochene Problematik, dass zwischen tendenzbedingten und tendenzneutralen Gründen häufig Zusammenhänge bestehen. Gerade im Islam ist die Verflechtung von Staat, Gesellschaft und Religion besonders stark (vgl Gartner, Der Islam im religionsneutralen Staat 24, 113). Die willkürliche Handhabung der Unterrichtszeit durch den Kläger mag für sich allein betrachtet noch als tendenzneutral angesehen werden. Andere Gründe, wie beispielsweise die mangelnde Vorbereitung des Klägers auf den vom Religionsbezug geprägten Unterricht oder abfällige Reden über andere Lehrer an der IRPA, sodass die Studenten ausdrücklich das schlechte Vorbild des Klägers für Religionslehrer beklagten, können hingegen nicht mehr als tendenzneutral angesehen werden. Negativer Höhepunkt war schließlich - neben diversen Wutanfällen und Klassenverweisen - ein im Unterricht „im Halbspass“ gestellter Heiratsantrag des Klägers an eine Studentin. Die besondere Bedeutung der Würde der Frau im Islam ist ebenso notorisch wie der hohe Stellenwert des Instituts der Ehe für Muslime (vgl zur Ehe im Islam Schmied, Familienkonflikte zwischen Scharia und Bürgerlichem Recht 52 ff). Der festgestellte Umgang des Klägers mit einer Studentin kann zufolge der aufgezeigten Verflechtung, die naturgemäß bei angehenden Religionslehrern und -lehrerinnen besonders ausgeprägt ist, ebenfalls nicht mehr als tendenzneutral angesehen werden.

Der Revisionswerber wendet sich gegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Mitwirkung der Belegschaft im Rahmen der Betriebsverfassung bereits dann zu unterbleiben hat, wenn ein Tendenzträger von einer personellen Maßnahme des Arbeitgebers schlechthin betroffen wird, und nicht erst dann, wenn die Maßnahme aus tendenzbedingten Gründen erfolgt (14 ObA 29/87; 9 ObA 184/01a). Ein Fall völliger „Tendenzneutralität“ ist hier aber entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ohnehin nicht zu beurteilen. Das Berufungsgericht ging somit zutreffend davon aus, dass die Beklagte berechtigt ist, die Eignung des Klägers als Tendenzträger für die bedungene Aufgabe allein zu beurteilen. Die vom Berufungsgericht dennoch als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO angesehene Fragestellung (Fehlen eines „unmittelbar auf Glaubensfragen bezogenen Fehlverhaltens“) stellt sich nach den vorstehenden Erwägungen in dieser Form nicht. Richtig ist, dass „Glaubensfragen“ nach dem Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgesellschaften eine ganz besondere Rolle spielen. Die vom Tendenzschutz nach § 132 Abs 4 ArbVG erfassten „konfessionellen Zwecke“ gehen aber über Glaubensfragen im engeren Sinn hinaus. Entscheidend ist, ob die Eigenart des Unternehmens, das den konfessionellen Zwecken einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft dient, der Anwendung von Bestimmungen der Betriebsverfassung entgegensteht. Dies wurde vom Berufungsgericht, wie vorstehend dargelegt, mit vertretbarer Begründung bejaht.

Zusammenfassend ist die vorliegende Arbeitgeberkündigung von den staatlichen Gerichten nicht darauf zu prüfen, ob das Verhalten des Klägers so schwerwiegend ist, dass es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfordert. Von Tendenzneutralität und dem Fehlen jeglichen Religionsbezugs kann hier nicht ausgegangen werden. Es wäre für die Beklagte unzumutbar, nicht selbständig entscheiden zu können, wer angehende islamische Religionslehrer und -lehrerinnen an ihrer Akademie unterrichtet, sondern im Rahmen der Betriebsverfassung eine Auseinandersetzung über die Gründe der Kündigung und die Eignung des Klägers führen zu müssen (vgl Neumayr in ZellKomm § 132 ArbVG Rz 48 ua). Die Eigenart des Betriebs der Beklagten im Sinn des § 132 Abs 4 Satz 1 ArbVG steht im Fall des Klägers der Anwendung des § 105 ArbVG entgegen. Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Klägers, ungeachtet ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels ausdrücklich hingewiesen (RIS-Justiz RS0035962 ua).

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