European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00073.24M.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb von einer Fahrzeughändlerin den klagsgegenständlichen von der Beklagten hergestellten PKW VW Sharan Highline BMT TDI um den Kaufpreis von 39.500 EUR. In diesem Fahrzeug ist ein 2.0 l‑Dieselmotor vom Typ EA189 verbaut. Sowohl bei der im Übergabezeitpunkt in diesem Fahrzeug vorhandenen Umschaltlogik als auch bei dem im Wege des Software‑Updates implementierten Thermofenster handelt es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn des Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG . Die Klägerin verkaufte das Fahrzeug im November 2019 mit einem (von der Beklagten behaupteten und von der Klägerin nicht substantiiert bestrittenen) Kilometerstand von rund 340.000 km um 5.000 Euro. Der „Abgasskandal“ war dabei kein Thema und auch für den Verkaufspreis nicht relevant, weil dies den Käufern egal war. Am österreichischen Gebrauchtwagenmarkt gab es bislang keinen Wertverlust für Fahrzeuge, die vom „Dieselabgasskandal“ betroffen waren und sind. Das Fahrzeug war aus technischer Sicht uneingeschränkt betriebs- und verkehrssicher und fahrbereit.
[2] Im Hinblick auf das fiktive Käuferverhalten im Ankaufszeitpunkt ist wegen der unzulässigen Abschalteinrichtungen von einer fiktiven Wertminderung von mindestens 20 % auszugehen.
[3] Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien nur mehr strittig, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin Schadenersatz (Wertminderung) wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte zusteht.
[4] Die Klägerinbegehrte von der Beklagten 11.850 EUR samt 4 % Zinsen seit 14. 10. 2011 an Schadenersatz, gestützt auf den Minderwert des Fahrzeugs zum Kaufzeitpunkt von 30 % des Kaufpreises.
[5] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Klägerin habe keinen Vermögensschaden erlitten.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.900 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. 9. 2022 statt und wies das darüberhinausgehende Mehrbegehren an Kapital und Zinsen ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Der Zuspruch eines Schadenersatzbetrags von 20 % des Kaufpreises sei zu Recht erfolgt, weil der Klägerin der Nachweis einer Wertminderung des Fahrzeugs in dieser Höhe zum Kaufzeitpunkt gelungen sei. Das Berufungsgericht hat die Revision nachträglich zugelassen, weil der Oberste Gerichtshof in jüngeren Entscheidungen zum einen Feststellungen zu „fiktiven“ Käufern als nicht ausreichend angesehen habe, um daraus auf Marktwerte des (konkreten) Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand zu schließen und zum anderen den Weiterverkauf des Fahrzeugs bei der Schadensberechnung berücksichtigt habe.
[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig; sie kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[11] 1. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen und nationale Vorschriften dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90, 93), ist jedenfalls ein angemessener Schadenersatzbetrag zu gewähren. Der EuGH bejaht damit abschließend den Eintritt eines objektiv-abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags (10 Ob 27/23b Rz 25; 10 Ob 46/23x Rz 16 mwN). Im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegt das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit (RS0022537 [T32]). Dies gilt nach der Rechtsprechung auch in Fällen, in denen das Fahrzeug bereits verkauft wurde (3 Ob 58/24m Rz 13).
[12] 2. Wie bereits vom Obersten Gerichtshof wiederholt entschieden, kann der zu ersetzende Betrag in Übereinstimmung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO vom Gericht nach freier Überzeugung – selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen (etwa: Sachverständigen-)Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festgesetzt werden (RS0134498). Das schließt allerdings nicht aus, dass die Wertminderung (der Minderwert des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs) exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangen kann (RS0134498 [T6]; 8 Ob 109/23x Rz 22, 50 und 9 Ob 52/24y Rz 11 je betreffend Nachweis der Wertminderung von 20 %; 5 Ob 61/24t Rz 17 betreffend Nachweis der Wertminderung von 25 %; 4 Ob 27/24k Rz 21 mwN betreffend Nachweis der Wertminderung von 30 %).
[13] 3.1. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in zwei jüngeren Entscheidungender Ansicht der jeweiligen Berufungsgerichte nicht entgegengetreten ist, dass in den damaligen Verfahren allgemeine Feststellungen, welchen Betrag ein „durchschnittlicher“ Käufer für das manipulierte Fahrzeug gezahlt hätte (10 Ob 46/23x Rz 19; 5 Ob 33/24z Rz 25) nicht genügen, um daraus auf Marktwerte des (konkreten) Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand zu schließen.
[14] 3.2. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichts zur fiktiven Wertminderung jedoch so verstanden, dass damit die Differenz zwischen dem Wert der geschuldeten Sache (= Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung) und jenem der gekauften Sache (= Fahrzeug mit unzulässiger Abschalteinrichtung) mit 20 % des Kaufpreises konkret festgestellt wurde. Diese Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft aber regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891). Sie ist auch hier nicht weiter zu beanstanden, zumal den Entscheidungen 8 Ob 109/23x, 9 Ob 52/24y und 7 Ob 128/24k ähnliche Feststellungen wie hier zugrunde lagen. Von widersprüchlichen Feststellungen zur Frage des Minderwerts des Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt, die eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zuließen – so aber die Revisionswerberin –, kann hier keine Rede sein.
[15] 4. Da hier der Minderwert des Fahrzeugs zum Ankaufszeitpunkt exakt festgestellt wurde und daher die in der Revision angesprochene Judikatur zur Bemessung des Minderwerts im Sinn des § 273 ZPO nicht zur Anwendung gelangt, kann schon deshalb eine Berücksichtigung des Weiterverkaufs des Fahrzeugs durch den Kläger nicht stattfinden (vgl 5 Ob 33/24z Rz 12; 3 Ob 58/24m Rz 13; 7 Ob 128/24k Rz 6).
[16] 5. Die Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[17] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).
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