OGH 9Ob70/24w

OGH9Ob70/24w19.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, Schweiz, vertreten durch die Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Lingenhöle Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch die Lerch Nagel Heinzle Rechtsanwälte GmbH in Lustenau, wegen Räumung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 28. März 2024, GZ 3 R 46/24y‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 12. Jänner 2024, GZ 3 C 937/23f‑7, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00070.24W.0919.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.333,25 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist die Wohnungseigentümerin mehrerer zu einer Einheit verbundener Wohnungseigentumsobjekte (in der Folge: Wohnung). Ihr 1931 geborener, an Parkinson erkrankter Vater hat an der Wohnung ein Fruchtgenussrecht. Bis 5. 9. 2023 bewohnte er sie gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Beklagten. Am 5. 9. 2023 holten ihn die Klägerin und ihr Bruder aus der Wohnung ab und brachten ihn zuletzt am Ferienwohnsitz der Klägerin in Südfrankreich unter. Die Beklagte wohnt seither allein in der Wohnung. Es steht nicht fest, dass der Vater der Klägerin das „Benützungsrecht“ der Beklagten „widerrufen“ hätte.

[2] Die Klägerin begehrte von der Beklagten gestützt auf § 366 ABGB die Räumung und Übergabe der Wohnung sowie hilfsweise die Feststellung, dass zwischen dem Vater der Klägerin und der Beklagten keine Lebensgemeinschaft bestehe. Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Vater der Klägerin und der Beklagten sei beendet. Die Beklagte sei eine neue Lebensgemeinschaft eingegangen. Der Vater der Klägerin lebe nur vorübergehend am Ferienwohnsitz der Klägerin. Er wolle in die Wohnung zurückkehren, was aber unzumutbar sei, solange sie die Beklagte nicht räume.

[3] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, die Lebensgemeinschaft mit dem Vater der Klägerin sei nach wie vor aufrecht. Mangels eines Widerrufs habe sie weiterhin ein vom Vater der Klägerin abgeleitetes Benützungsrecht.

[4] Das Erstgericht wies das Räumungsbegehren mit der Begründung ab, die Beklagte sei aufgrund eines durch ihre Lebensgemeinschaft mit dem Fruchtgenussberechtigten begründeten „familienrechtlichen Wohnverhältnisses“ zur Benützung der Wohnung berechtigt. Dieses „familienrechtliche Wohnverhältnis“ werde nicht durch die (allfällige) Auflösung der Lebensgemeinschaft beendet, sondern erst durch den Widerruf seitens des Fruchtgenussberechtigten. Ein solcher stehe nicht fest. Das hilfsweise gestellte Feststellungsbegehren wies das Erstgericht begründungslos ab.

[5] Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die Verfahrensergänzung zur Frage auf, ob die Lebensgemeinschaft zwischen dem Vater der Klägerin und der Beklagten beendet worden sei oder weiterhin aufrecht bestehe. Das aus der Lebensgemeinschaft abgeleitete Benützungsrecht ende mit der Auflösung der Lebensgemeinschaft, ohne dass es eines Widerrufs bedürfe. Das Erstgericht habe zur entscheidungswesentlichen Frage des aufrechten Bestands der Lebensgemeinschaft keine Feststellungen getroffen. Bei neuerlicher Abweisung des Räumungsbegehrens sei die Entscheidung über das hilfsweise gestellte Feststellungsbegehren zu begründen.

[6] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es gebe keine einheitliche Rechtsprechung zur Frage, ob es vom wirksamen Bestand des vom Vertragspartner des Eigentümers abgeleiteten, die Mitbenützung rechtfertigenden Rechtsverhältnisses abhänge, ob der Eigentümer direkt mit Räumungsklage gegen den Dritten vorgehen könne. Weiters fehle Rechtsprechung zur Frage, ob das aus einer Lebensgemeinschaft abgeleitete Mitbenützungsrecht mit Auflösung der Lebensgemeinschaft automatisch erlösche oder ob es zusätzlich eines gesonderten Widerrufs des Mitbenützungsrechts durch den ehemaligen Lebensgefährten bedürfe.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Rekurs der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass der Vater der Klägerin im Rahmen seines Fruchtgenussrechts zur Aufnahme einer Lebensgefährtin in die Wohnung berechtigt ist und dass eine aufrechte Lebensgemeinschaft der Beklagten mit dem Vater der Klägerin dem Räumungsbegehren entgegenstehen würde.

[9] 2. Die Beklagte meint aber, das Berufungsgericht sei insofern von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, als ein „prekaristisch eingeräumtes Wohnrecht“ nicht mit – der von ihr bestrittenen – Beendigung der Lebensgemeinschaft erlösche, sondern „widerrufen“ werden müsse. Sie steht auf dem Standpunkt, sie wäre auch im Fall der Beendigung der Lebensgemeinschaft zur (weiteren) Benützung der Wohnung berechtigt, weil der Vater der Klägerin ihr „Benützungsrecht“ nicht „widerrufen“ habe. Damit zeigt sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf:

[10] 2.1. Nach der gefestigten Rechtsprechung entstehen allein mit der Aufnahme einer Lebensgemeinschaft weder dingliche noch obligatorische noch familienrechtliche Beziehungen (RS0011874; 3 Ob 65/21m). Der (ehemalige) Lebensgefährte, der zur Nutzung eines Hauses oder einer Wohnung berechtigt ist, kann daher vom anderen (ehemaligen) Lebensgefährten, der bei ihm wohnt, jederzeit die Räumung des Hauses oder der Wohnung verlangen (RS0011874; RS0010337; 3 Ob 65/21m). Das gilt nur dann nicht, wenn der andere (ehemalige) Lebensgefährte behauptet und beweist, dass das Räumungsbegehren schikanös wäre (RS0010345) oder dass er ein von der Lebensgemeinschaft unabhängiges Benützungsrecht hat (RS0011874; 3 Ob 65/21m).

[11] 2.2. Ein Prekarium dagegen ist nach der ebenso gefestigten Rechtsprechung ein Vertrag (RS0019212), dessen entscheidendes Kriterium die Gestattung der Benützung gegen jederzeitigen Widerruf ist (RS0019221). Im Gegensatz zur Lebensgemeinschaft begründet das Prekarium also eine obligatorische Beziehung, deren wirksame Beendigung einen Widerruf voraussetzt.

[12] 2.3. Die Annahme der Beklagten, allein durch die Aufnahme einer Lebensgemeinschaft in einem Haus oder einer Wohnung eines Lebensgefährten werde dem anderen Lebensgefährten „prekaristisch“ ein Wohnrecht eingeräumt, das erst dann erlösche, wenn es der Bittleihgeber widerrufe, ist mit der Rechtsprechung nicht vereinbar. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts dagegen, das aus der Lebensgemeinschaft mit dem Vater der Klägerin abgeleitete Benützungsrecht der Beklagten ende auch im Verhältnis zur Klägerin mit der Auflösung der Lebensgemeinschaft, ohne dass es eines Widerrufs durch ihren Vater bedürfe, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Eine erhebliche Rechtsfrage ist insofern nicht zu erkennen.

[13] 2.4. Die vom Berufungsgericht und im Rekurs angeführten Entscheidungen (8 Ob 540/93; 3 Ob 278/04k; 1 Ob 106/19y [vom 19. 11. 2019]) können die Zulässigkeit des Rekurses schon deshalb nicht begründen, weil die dort Beklagten nicht vorgebracht hatten, aufgrund einer Lebensgemeinschaft mit dem Nutzungsberechtigten zur weiteren Benützung eines Objekts berechtigt zu sein.

[14] 3. Andere Argumente dafür, dass die den Aufhebungsbeschluss tragende Begründung des Berufungsgerichts – die Entscheidung über das Räumungsbegehren hänge davon ab, ob eine Lebensgemeinschaft der Beklagten mit dem Vater der Klägerin bestehe, weshalb das Erstgericht das Beweisverfahren und Feststellungen zu dieser Frage nachzutragen habe – eine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen würde, sind dem Rekurs nicht zu entnehmen.

[15] 4. Der Rekurs ist daher zurückzuweisen.

[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Ihr Kostenverzeichnis ist aber um die verzeichnete Umsatzsteuer zu kürzen: Die in der Schweiz ansässige Klägerin hat für die Leistungen ihrer Vertreterin – aus deren Tätigkeit als Rechtsanwälte GmbH mit Sitz in Österreich – kommentarlos 20 % Umsatzsteuer verzeichnet. Nach § 3a Abs 6, Abs 7 und Abs 14 Z 3 UStG unterlägen die Leistungen der Klagevertreterin nur dann der österreichischen Umsatzsteuer, wenn die Klägerin eine Nichtunternehmerin im Sinne des § 3a Abs 5 Z 3 UStG wäre und außerdem einen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hätte (§ 3a Abs 14 Z 3 UStG e contrario). Andernfalls unterlägen die Leistungen der Klagevertreterin der schweizerischen Umsatzsteuer, deren Höhe nicht gerichtsbekannt ist (vgl RS0114955 [T13]). Die Klägerin hat weder die Voraussetzungen dafür behauptet und bescheinigt, dass für die Leistungen ihrer Vertreterin die österreichische Umsatzsteuer anfiele, noch die Höhe der schweizerischen Umsatzsteuer. Sie hat daher insofern keinen Kostenersatzanspruch (vgl § 54 Abs 1 ZPO).

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