European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00012.23I.0927.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Am 6. 10. 2012 erlitt die damals dreizehnjährige Klägerin aufgrund eines Unfalls ein schweres Schädel-Hirn-Trauma.
[2] Im Vorverfahren 11 Cg 102/13t des Landesgerichts Innsbruck wurde rechtskräftig festgestellt, dass die Beklagte für sämtliche unfallskausalen, derzeitig nicht absehbaren künftigen Schäden haftet. Der Klägerin wurde für den Zeitraum bis 4. 12. 2018 ein Teilschmerzengeld von 50.000 EUR als angemessen sowie weiterer Schadenersatz (Pflege- und Betreuungskosten; Fahrtkosten; Nachhilfekosten; Selbstbehalt Medikamente; unfallskausale Nebenspesen; frustrierte Schipasskosten; Volkshochschulkosten) zuerkannt.
[3] Die Klägerin begehrt – nach Einschränkung – im vorliegenden Verfahren die Zuerkennung weiterer unfallskausaler Schäden, nämlich:
1. Teilschmerzengeld vom 5. 12. 2018 bis Schluss der mündlichen Verhandlung |
20.000 EUR |
2. Betreuungsaufwand 12. 10. 2017 bis 31. 8. 2018 |
2.430 EUR |
3. Krankenkassen‑ bzw Therapieselbstbehalte | 5.798,21 EUR |
4. Fahrtkosten | 398,42 EUR |
5. Spesen | 240 EUR |
6. Kosten für Sprachkurs | 2.880 EUR |
7. Verdienstentgang von September 2020 bis Ende Februar 2021 (6 Monate x 2.733,33 EUR) |
16.399,98 EUR |
gesamt | 46.880,65 EUR |
[4] Insbesondere bringt die Klägerin dazu vor, nach wie vor unter unfallskausalen Schmerzen und den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer daraus resultierenden Anpassungsstörung zu leiden. Sie sei dadurch im Alltag drastisch beeinträchtigt. Die Unfallsfolgen führten zu einer reduzierten Leistungsfähigkeit sowie zu psychischen Beeinträchtigungen. Ohne den Unfall hätte die Klägerin im Herbst 2017 das Gymnasium und anschließend im Herbst 2020 das Bachelorstudium BWL abgeschlossen. Ab September 2020 hätte sie dann in Deutschland als Steuerberateranwärterin gearbeitet, wobei sie monatlich brutto 3.733,33 EUR verdient hätte. Unfallsbedingt habe sie weder das Gymnasium beenden noch studieren können. Als Steuerfachangestellte in Ausbildung erhalte sie monatlich brutto 1.000 EUR, woraus sich seit September 2020 ein monatlicher Verdienstentgang von brutto 2.733,33 EUR errechne. Zumindest habe sich für sie unfallsbedingt der Eintritt ins Erwerbsleben um zwei Jahre verzögert.
[5] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass das Begehren auf Zahlung weiteren Schmerzengeldes nicht gerechtfertigt, jedenfalls aber überhöht sei. Allfällige Verletzungsfolgen seien medizinisch nicht objektivierbar. Verdienstentgang stehe der Klägerin nicht zu, weil sie bereits vor ihrem Unfall im Gymnasium schlechte Noten gehabt habe und ihr Vorrücken gefährdet gewesen sei. Auch aus anderen Gründen wäre es möglich gewesen, dass sie das Gymnasium nicht abschließt. Im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht sei es der Klägerin möglich und zumutbar gewesen, mit ihrem Fachoberschulabschluss das Bachelorstudium BWL zu absolvieren. Bei lebensnaher Betrachtung könne nicht immer von einem optimalen Gang der Dinge, wie etwa einem Studienabschluss in Mindestzeit, ausgegangen werden.
[6] Das Erstgericht wies das Renten- und Leistungsbegehren – mit Ausnahme eines nicht angefochtenen Zuspruchs von 30 EUR sA – ab. Unter anderem traf es folgende – in der Berufung angefochtene – Feststellungen: „Bei der Klägerin bestanden bereits im Jahr 2017 nur mehr geringe neurokognitive Folgen aus dem Unfall. Zumindest seit 16. 9. 2021 bestehen keine unfallskausalen kognitiven Defizite und auch keine neurokognitiven Störungen mehr. Derartige auf den Unfall zurückzuführende Störungen werden auch künftig nicht mehr auftreten. […] Ob bei der Klägerin seit 4. 12. 2018 eine krankheitswertige unfallskausale posttraumatische Belastungsstörung und eine krankheitswertige unfallskausale Anpassungsstörung besteht, steht nicht fest. Die Klägerin hatte seit 4. 12. 2018 unfallsbedingt weder seelische noch traumatologisch-orthopädische Schmerzperioden zu erdulden. Sie wird unfallsbedingt auch künftig keine derartigen Schmerzperioden mehr zu erdulden haben. […] Es kann nicht festgestellt werden, ob die Klägerin ohne den Unfall
a) das Gymnasium tatsächlich abgeschlossen hätte;
b) ihre schulische Ausbildung ein Jahr früher beendet hätte, als dies tatsächlich der Fall war;
c) einen (deutlich) besseren Notendurchschnitt am Gymnasium oder an den später tatsächlich besuchten Schulen erreicht hätte;
d) einen Studienplatz an einer Universität oder Hochschule erhalten hätte;
e) früher mit der Lehre zur Steuerfachangestellten begonnen und deshalb früher ein Einkommen bezogen hätte;
f) (ebenfalls) eine Karriere als Steuerberaterin angestrebt hätte;
g) ab September 2020 monatlich 2.733 EUR mehr verdient hätte, als dies seit diesem Zeitpunkt tatsächlich der Fall ist. […] Die Klägerin war seit 2018 unfallsbedingt nicht eingeschränkt, um erfolgreich das Bachelorstudium der Betriebswirtschaftslehre zu absolvieren.“
[7] Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit beurteilt werden könne, welchen beruflichen Werdegang die Klägerin bei normalem Verlauf der Dinge genommen hätte. Daher könne auch nicht festgestellt werden, ob sie ohne Unfall ab September 2020 monatlich 2.733 EUR mehr verdient hätte, als sie seit diesem Zeitpunkt tatsächlich verdient. Da die Klägerin seit dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorverfahren weder unfallsbedingt krankheitswertigen Störungen ausgesetzt gewesen sei noch unfallskausale psychische oder physische Schmerzperioden zu erdulden gehabt habe, sei das Begehren auf Zuerkennung weiteren Schmerzengeldes nicht berechtigt. Der Beweis, dass die Klägerin ohne Unfall das Abitur am Gymnasium absolviert und anschließend das BWL‑Studium abgeschlossen hätte und in weiterer Folge als Steuerberaterin ein um 2.733 EUR höheres Einkommen erzielt hätte, sei ihr nicht gelungen.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Mit – nicht angefochtenem – Teilurteil bestätigte es die infolge eines Additionsfehlers erfolgte Abweisung eines Betrags des Leistungsbegehrens von 24,54 EUR sA. Im Wesentlichen – daher im Umfang der Abweisung des Leistungsbegehrens von 46.850,65 EUR sA und des Rentenbegehrens – hob es das Urteil des Erstgerichts mit dem angefochtenen Beschluss auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Was die von der Klägerin behaupteten medizinischen und damit zusammenhängenden Folgen des Unfalls vom 6. 10. 2012 betreffe, sei das Verfahren mangelhaft geblieben. Insbesondere seien die Gutachten der im Verfahren bestellten Sachverständigen aus den Bereichen der Neurologie/Psychiatrie und Psychologie in mehrfacher Hinsicht mit dem Akteninhalt und den Ergebnissen des Vorverfahrens nicht in Einklang zu bringen. Auch reichten die bisher getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Beschwerden der Klägerin und die daraus resultierenden Kosten zu beurteilen. Das Erstgericht werde diese Mängel im fortzusetzenden Verfahren – insbesondere auch durch Einholung eines „Obergutachtens“ aus den Bereichen Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie – zu beheben haben. Auch betreffend den Anspruch auf Verdienstentgang liege ein Verfahrensmangel vor. Bei Schädigung durch Unterlassung genüge der Beweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines hypothetischen Kausalverlaufs, weil dieser ja fiktiv sei. Diese Grundsätze ließen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Weil aber das Erstgericht von „hoher Wahrscheinlichkeit“ ausgegangen sei, habe es das falsche Beweismaß angewendet, sodass sein Urteil mangelhaft begründet sei. Vor dem Hintergrund dieser Mängel könne weder die Beweis- noch die Rechtsrüge behandelt werden. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob das reduzierte Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auch in Fällen anzuwenden ist, in denen zur Beurteilung eines Verdienstentgangsanspruchs hypothetische Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf erforderlich sind.
[9] Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der von der Klägerin beantwortete (richtig:) Rekurs der Beklagten, mit dem diese die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs ist aus Gründen der Klarstellung zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
[11] 1. Die Rekurswerberin macht geltend, dass die Klägerin für den von ihr behaupteten Verdienstentgang beweispflichtig sei. Anwendbar sei das Regelbeweismaß der „hohen Wahrscheinlichkeit“. Eine pauschale Herabsetzung des Beweismaßes komme nicht in Frage. Dies folge schon daraus, dass selbst beim Regelbeweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit eine gewisse Bandbreite vorhanden sei. Dazu ist auszuführen:
[12] 2.1 Verdienstentgang im Sinn des § 1325 ABGB ist der Entgang dessen, was dem Verletzten durch die Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entgeht (RS0030675). Ein Ersatzanspruch wegen Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit setzt in der Regel voraus, dass der Verletzte zur Zeit der Verletzung im Erwerbe stand, ist aber auch gegeben, wenn angenommen werden muss, dass der Verletzte Erwerb gesucht und gefunden hätte (RS0030440; RS0030842 [T2]; RS0030484 [T3]). Einem Kind gebührt vor Erreichung des Alters, in dem es ohne den Unfall erwerbsfähig geworden wäre, noch kein Ersatz des Verdienstentgangs (RS0030683 [T2]).
[13] 2.2 Die Klägerin, die durch den Unfall am Körper verletzt wurde, hat daher auch dann Anspruch auf Ersatz eines Verdienstentgangs, wenn sie zum Zeitpunkt des Unfalls (noch) nicht im Erwerbsleben stand (2 Ob 16/01v). Es trifft sie die Beweislast dafür, dass sie einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte (RS0030440 [T4]). Welches Einkommen sie bei Ausnützung ihrer Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, kann nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden Geschehnisablauf beurteilt werden (2 Ob 110/16i mwH; RS0030911). Es kommt dafür einerseits auf die persönlichen Verhältnisse des Verletzten (seines allgemeinen Gesundheitszustands, seiner Interessen an einer beruflichen Tätigkeit und Eignung dazu), andererseits auf die allgemeine Lage auf dem Arbeitsmarkt an (2 Ob 230/15k; RS0030911 [T2]). Ist ein Zustand festgestellt, der sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht von selbst ändert, so hat derjenige, der eine solche Änderung behauptet, hiefür den Beweis zu erbringen (2 Ob 129/19p Rz 15 mwN).
[14] 2.3 Feststellungen zum gewöhnlichen Verlauf der Dinge betreffen trotz ihres hypothetischen Charakters ausschließlich den – im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren – Tatsachenbereich (RS0030911 [T3]). Die Wertung dieser Tatsachenfeststellungen hingegen, ob damit der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht ist, gehört zum Gebiet der Beweislastverteilung und somit zur rechtlichen Beurteilung (RS0022782; 3 Ob 212/13t mwH; Spitzer in Spitzer/Wilfinger, Beweisrecht, Vorbemerkungen zu §§ 266 ff ZPO [Stand 1. 9. 2020, rdb.at] Rz 11).
[15] 3.1 Das Regelbeweismaß der ZPO ist weder eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit noch eine (bloß) überwiegende Wahrscheinlichkeit, sondern die hohe Wahrscheinlichkeit (RS0110701 [T7]). Hohe Wahrscheinlichkeit stellt keine objektive Größe dar. Einem solchen Regelbeweismaß wohnt eine gewisse Bandbreite inne, sodass es sowohl von den objektiven Umständen des Anlassfalls als auch von der subjektiven Einschätzung des Richters abhängt, wann er diese „hohe Wahrscheinlichkeit als gegeben sieht (7 Ob 260/04t; RS0110701 [T3]).
[16] 3.2 In Fällen, die vornehmlich schwer zu beweisende fiktive Geschehensabläufe betreffen, lässt die Rechtsprechung als reduziertes Beweismaß die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl die Aufzählungen in 2 Ob 97/11w und 1 Ob 172/12v sowie bei Spitzer in Spitzer/Wilfinger, Beweisrecht Vorbemerkungen zu §§ 266 ff ZPO Rz 17 und Rechberger in Fasching/Konecny³ III/1 Vor § 266 ZPO Rz 15: RS0124818 [Entstehen einer Erkrankung]; RS0026101; RS0022782 [Kausalität für Schaden]; RS0022706 [Anwaltsfehler, fiktiver sonstiger Prozessverlauf]; RS0038222; RS0026412 [T13] [ärztliche Behandlungsfehler]; RS0022900 [T28]; RS0030153 [T26, T37, T38] [Kausalität der Unterlassung; hypothetische Alternativveranlagung]).
[17] 4.1 Zum Verdienstentgang lässt sich die Rechtsprechung wie folgt zusammenfassen: Soweit es darum geht festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, ist volle Gewissheit nicht zu erwarten, wohl aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit erforderlich (RS0022483). Das fiktive Einkommen kann zumeist nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Steht nicht mit Sicherheit oder zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger ohne den Unfall die vor diesem ins Auge genommene Anstellung erhalten hätte und damit ins Verdienen gekommen wäre, fehlt es am Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Verletzung des Klägers und dem behaupteten Verdienstentgang (RS0030842). Steht der Verdienstentgang nicht zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, so ist er nur als entgangener Gewinn zu beurteilen (RS0030842 [T4]).
[18] 4.2 In der Entscheidung 2 Ob 8/07a verlangte der Oberste Gerichtshof zwar den Beweis der hohen Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verdienstes in dem vom Rentenbegehren betroffenen Zeitraum (RS0030842 [T5]). Der in dieser Entscheidung zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch wesentlich vom hier vorliegenden, weil der damalige Kläger im Zeitpunkt der Schädigung bereits im Erwerbsleben stand und nur zu beweisen hatte, ob eine rechtlich gesicherte Position auf künftigen Verdienst bestand. In einem solchen Fall stellt sich – anders als im vorliegenden Fall – die – schwieriger zu beweisende – Frage nach einem hypothetischen Eintritt in das Erwerbsleben, nach dessen Zeitpunkt und nach dem dann fiktiv zu erwartenden Verdienst nicht (vgl zu diesem Unterschied 2 Ob 16/01v).
[19] 4.3 In der von der Rekurswerberin für ihren Standpunkt zitierten Entscheidung 2 Ob 100/10k wird unter Hinweis auf die dargestellte Rechtsprechung zu RS0022483 wiedergegeben, dass, soweit es darum gehe festzustellen, was eine Person unter bestimmten Voraussetzungen erworben hätte, keine volle Gewissheit zu erwarten sei. Der Oberste Gerichtshof billigte in der Folge die Beurteilung des Berufungsgerichts als vertretbar, nach der dem Kläger der Beweis dafür, dass die Unfallfolgen seinen beruflichen Aufstieg und damit die Verbesserung seiner Einkommenssituation verhindert hätten, auch unter Anwendung des Regelbeweismaßes (der hohen Wahrscheinlichkeit) gelungen sei.
[20] 4.4 In der von der Rekurswerberin zitierten Entscheidung 3 Ob 204/18y, in der der Anspruch auf Verdienstentgang eines infolge eines Geburtsschadens niemals am allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbaren Klägers zu beurteilen war, finden sich keine Ausführungen zum anzuwendenden Beweismaß. Dies gilt auch für die weitere, von der Rekurswerberin zitierte Entscheidung 2 Ob 129/19p, in der überdies ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zu beurteilen war, weil dort Grund für die Weigerung der Beklagten, dem Kläger weiteren Verdienstentgang zu zahlen, die von ihr behauptete hypothetisch vermutlich negative Entwicklung des Unternehmens des Klägers aufgrund des Konkurses seines Geschäftspartners war.
[21] 5. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass das für die Beurteilung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Verdienstentgang anzuwendende Beweismaß jenes der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ ist, stimmt mit der dargestellten Rechtsprechung zu vergleichbaren Fällen überein. Der Geschädigte ist dafür beweispflichtig, dass (zumindest) überwiegende Gründe dafür vorliegen, der Verdienstentgang sei durch das Verhalten der beklagten Partei herbeigeführt worden (vgl RS0022782 und RS0022900).
[22] Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, aber nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414).
[23] 6.1 Die Rekurswerberin rügt, dass das Berufungsgericht Ausführungen zu der von ihr behaupteten Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin unterlassen habe. Da es bisher an den erforderlichen Tatsachengrundlagen für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin auf Verdienstentgang mangelt, zeigt die Rekurswerberin damit keine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht auf. Auf die Feststellung, die Klägerin sei seit 2018 unfallsbedingt nicht mehr gesundheitlich eingeschränkt gewesen und hätte das Bachelorstudium der BWL ergreifen können, kann die Beklagte ihre Argumentation nicht erfolgreich stützen, weil diese Feststellung in der Berufung angefochten wurde und das Berufungsgericht die Beweisrüge unerledigt gelassen hat.
[24] 6.2 Die Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens und die allfällige Notwendigkeit einer Ergänzung oder eines Vorgehens nach § 362 Abs 2 ZPO fallen in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0113643 [T7]). Die Revisionswerberin macht geltend, dass das Berufungsgericht zu Unrecht von einem Anwendungsfall des § 362 Abs 2 ZPO ausgegangen sei, dass es zu Unrecht die vom psychologischen Sachverständigen angewandte Methode als ungeeignet befunden habe und dass es bezüglich des Gutachtens der neurologischen Sachverständigen einen falschen Beurteilungsmaßstab anwende. Mit diesen Ausführungen greift sie tatsächlich nur die inhaltlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Beweiswürdigung an, die jedoch im Revisionsverfahren nicht überprüfbar sind (Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1§ 503 Rz 51 f).
[25] Dem Rekurs der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
[26] Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO.
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