OGH 8ObA38/24g

OGH8ObA38/24g26.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Antonia Oberwalder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Gerhard Ebenbichler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Schneider Rechtsanwalts KG in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2024, GZ 8 Ra 55/24b‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00038.24G.0926.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Die Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG bedarf zum Erfolg primär des Nachweises, dass dadurch wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (RS0051640), wofür dieser behauptungs‑ und beweispflichtig ist (RS0051746 [insb T3–T5]; RS0051845 [insb T1]; RS0110944 [T4]). Dabei ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, das Alter des Arbeitnehmers oder die Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, sondern es ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen einzubeziehen (RS0051806; RS0051741; RS0051703; RS0110944).

[2] Da jede Kündigung die Interessen des Dienstnehmers beeinträchtigt und mit sozialen Nachteilen verbunden ist, müssen Umstände vorliegen, die eine Kündigung für den Arbeitnehmer über das normale Maß hinaus nachteilig machen (RS0051746 [T7]; RS0051753 [T5]); gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss nämlich jeder Arbeitnehmer im Lauf seines Arbeitslebens hinnehmen (RS0051727 [insb T2]). Bei Einkommenseinbußen ist nicht auf starre Prozentsätze abzustellen (RS0051727 [T10]; RS0051753 [T7]). Mag etwa eine Einkommenseinbuße von 30 % bei einem geringen Einkommen für die Wesentlichkeit der Interessenbeeinträchtigung ausschlaggebend sein, muss dies bei einem höheren Einkommen noch nicht der Fall sein (vgl etwa 8 ObA 81/23d, 9 ObA 54/12z, jeweils mwN). In einer Durchschnittsbetrachtung werden Verdiensteinbußen von 20 % oder mehr auf gewichtige soziale Nachteile hindeuten (vgl 9 ObA 125/13t mwN; RS0051727 [T6]).

[3] 1.2. Ob die Sozialwidrigkeit der Kündigung, insbesondere die wesentliche Interessensbeeinträchtigung nachgewiesen werden kann, hängt ebenso wie die Frage, ob künftige Entwicklungen zu berücksichtigen sind, weil sie zum Kündigungszeitpunkt objektiv vorhersehbar waren, regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass sich hierzu regelmäßig – abgesehen von krassen Fehlbeurteilungen – keine die Befassung des Obersten Gerichtshofs zulassende Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO stellt (vgl RS0051746 [T9]; RS0051640 [T5]; RS0051753 [T9]; RS0051785 [T12]; RS0051772 [T11]).

[4] 2.1. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass dem 59 Jahre alten, für zwei Kinder sorgepflichtigen Kläger angesichts seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der seiner Familienangehörigen der Nachweis einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung nicht gelungen sei: Er kann bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche am allgemeinen Arbeitsmarkt mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb von zehn bis zwölf Monaten ab Wirksamwerden der Kündigung zum 31. 12. 2023 ein dem zuletzt innegehabten annähernd vergleichbares Dienstverhältnis ohne Gehaltseinbuße (14 x 3.380 EUR brutto als Marketingassistent) erlangen.

[5] 3.1. In der Rechtsprechung im Hinblick auf die zumutbare Dauer der zu erwartenden Arbeitslosigkeit wurde unter Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Einzelfall einerseits eine Dauer von etwa neun, zehn oder zwölf Monaten als Beeinträchtigung wesentlicher Arbeitnehmerinteressen qualifiziert (zB 8 ObA 62/08p), andererseits jedoch bei prognostizierten sechs bis acht Monaten (9 ObA 145/99k) oder sechs bis zwölf Monaten und zu erwartendem Fix‑Einkommen etwa in der bisherigen Größenordnung ebenso verneint (9 ObA 58/06d) wie bei innerhalb von neun bis zwölf Monaten ab Ausspruch der Kündigung erwartbarer, ungefähr gleich dotierter Vollzeitbeschäftigung (9 ObA 93/08d).

[6] 3.2. Angesichts des erheblich höheren Einkommens der Ehefhefrau des Klägers (vgl RS0051845) und der Aussicht, ein gleich hohes Einkommen wie bisher zu erzielen, ist die hier festgestellte Arbeitsplatzsuchdauer nicht geeignet, eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nahezulegen: Dessen Einschätzung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.

[7] 3.3. Dass die Dauer der zu erwartenden Arbeitslosigkeit ab Ausspruch der Kündigung zu beurteilen wäre, wie die Revision vermeint, entspricht nicht der Rechtsprechung: Stichtag für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit (Konkretisierungszeitpunkt) ist der Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (RS0051772), auf den die Vorinstanzen auch abgestellt haben.

[8] Aus der in der Revision angeführten Entscheidung 9 ObA 93/08d ist für den Kläger nichts zu gewinnen, weil die Zumutbarkeit der Dauer der Arbeitssuche dort gar nicht zu beurteilen war.

[9] 3.4. Soweit die Revision im Übrigen bemüht ist, aus einzelnen Beweisergebnissen, insbesondere einzelnen Aussagen des berufskundlichen Sachverständigen Gehaltseinbußen des Klägers abzuleiten und Prognoseüberlegungen anzustellen sowie aus all dem ihr günstig erscheinende rechtliche Schlussfolgerungen zu ziehen, geht die Rechtsrüge nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist in dieser Hinsicht nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043312 [insb T4, T14]; RS0043603).

[10] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte