OGH 9ObA145/99k

OGH9ObA145/99k16.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter OSR Dr. Franz Zörner und DDr. Wolfgang Massl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Theresia G*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei J*****AG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Anfechtung einer Entlassung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. März 1999, GZ 9 Ra 333/98a-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Juli 1998, GZ 33 Cga 105/98x-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ficht ihre am 28. 1. 1997 erfolgte Entlassung gemäß §§ 106 Abs 2, 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an.

Schon im Berufungsverfahren war nicht mehr strittig, daß die Entlassung unberechtigt war.

Das Berufungsgericht, das die Abweisung des Klagebegehrens durch das Erstgericht bestätigte, vertrat die Rechtsauffassung, daß eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen der Klägerin iS § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG nicht gegeben sei. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodaß es ausreicht, auf die Richtigkeit der ausführlichen Begründung der Berufungsentscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen iS § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG hat die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind; auf die Beibehaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses kann es dabei - ungeachtet der Vorteile einer längeren Betriebszugehörigkeit - nicht ankommen (infas 1998 A 131). Eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen liegt vor, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, daß sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne daß aber eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten müßte (SZ 61/213; RIS-Justiz RS0051753). Dabei darf nicht übersehen werden, daß normalerweise mit jeder Kündigung soziale Nachteile für den Arbeitnehmer verbunden sind (Notwendigkeit der Postensuche; Notwendigkeit des Einlebens am neuen Arbeitsplatz etc). Diese "normalen" Nachteile reichen nicht aus, um das Tatbestandselement der "sozial nachteiligen Kündigung" zu erfüllen. Es müssen vielmehr Umstände vorliegen, die über das normale Maß hinaus eine Kündigung für den Arbeitnehmer nachteilig machen (B. Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, ArbVG III 226). Bei der Prüfung, ob dies der Fall ist, ist nicht auf ein einzelnes Element in der sozialen Situation des Arbeitnehmers abzustellen. Vielmehr ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers zu beurteilen. Demgemäß ist auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und in diesem Zusammenhang auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers und auf den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche sowie etwaiger mit dem Arbeitsverhältnis verbundener Vorteile (wie etwa Dienstwohnung) abzustellen. Darüber hinaus sind Einkommen, Vermögen und Sorgepflichten des Arbeitnehmers sowie gegebenenfalls auch das Einkommen eines Ehegatten oder anderer erwerbstätiger Familienmitglieder und Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist, zu berücksichtigen (SZ 61/123; SZ 63/198; infas 1998 A 131; RIS-Justiz RS0051703).

Damit wird deutlich, daß das von der Revisionswerberin gewünschte Aufstellen einer allgemein gültigen Formel, bei einer zu erwartenden Arbeitslosigkeit von sechs Monaten sei in jedem Falle eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen zu bejahen, nicht möglich ist. Vielmehr ist es erforderlich, im jeweils zu beurteilenden konkreten Einzelfall sämtliche der aufgezählten Kriterien zueinander in Beziehung zu setzen und auf dieser Grundlage eine Gesamtbeurteilung vorzunehmen (Schwarz, aaO 226).

Im hier zu beurteilenden Fall ist unstrittig, daß die damals 44 Jahre alte Klägerin zum Zeitpunkt der Entlassung bis zur Erlangung eines im wesentlichen gleichartigen Arbeitsplatzes Arbeitslosigkeit in der Dauer von 6 bis 8 Monaten zu erwarten hatte. Tatsächlich hat sie nach etwa 8 Monaten einen Arbeitsplatz mit im wesentlichen gleichen Entgelt gefunden. Die Klägerin war 11 Jahre bei der Beklagten beschäftigt; sie ist geschieden, hat keine Unterhaltsansprüche, aber auch keine Sorgepflichten. Sie ist Eigentümerin eines Einfamilienhauses, für dessen Erwerb sie nach ihren Behauptungen ihre Ersparnisse aufgebraucht hat. Daß sie Schulden hat, ist ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen und wurde demgemäß auch nicht festgestellt. Unstrittig ist, daß sie während der gesamten Dauer ihrer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte.

Angesichts all dieser Umstände teilt der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, daß gerade noch nicht von einer Beeinträchtigung wesentlicher Interessen iS § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG ausgegangen werden kann. Zwar liegt die Zeit der in Kauf zu nehmenden Arbeitslosigkeit im obersten für eine solche Beurteilung noch möglichen Bereich (vgl infas 1998 A 131); da aber die Klägerin im eigenen Haus wohnt, weder Schulden noch Sorgepflichten hat und während der gesamten Dauer der Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen konnte, reichen die ihr erwachsenden Nachteile noch nicht aus, um das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal zu verwirklichen. Daran ändert auch der Einwand nichts, daß der Arbeitslosengeldbezug der Klägerin knapp unter dem Existenzminimum gelegen sei, weil dieser Umstand - die Klägerin spricht von einer Reduktion des zur Verfügung stehenden Monatseinkommens um etwas mehr als S 4.000,- netto - nur einen vorübergehenden und überschaubaren Zeitraum betraf. Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß die Entlassung unberechtigt war und diese daher die Ansprüche der Klägerin auf Abfertigung und Kündigungsentschädigung nicht beseitigte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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