OGH 8ObA35/18g

OGH8ObA35/18g19.7.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Gerald Fida als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Mag. Martin Triendl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M***** G*****, vertreten durch Dr. Michael Jägerndorfer, Rechtsanwalt in Berndorf, wegen 19.567,56 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. April 2018, GZ 9 Ra 114/17a‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00035.18G.0719.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Rechtsprechung, dass ein Dienstgeber, der seiner kollektivvertraglichen Verpflichtung zur monatlichen Lohnabrechnung nicht nachgekommen ist, gegen Treu und Glauben verstoße, wenn er sich auf eine Verfallsklausel im Kollektivvertrag beruft (8 ObA 56/11k; 9 ObA 83/17x), ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die Verletzung der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abrechnung ohne weiteres und immer den Arbeitgeber das Recht nimmt, den Verfall von Ansprüchen einzuwenden. Ein allgemeiner Rechtssatz, dass sich der Arbeitgeber immer dann nicht auf die Verfallsklausel aus einem Kollektivvertrag berufen könne, wenn er selbst gegen kollektivvertragliche Bestimmungen verstoßen habe, ist dem Gesetz nach ständiger Rechtsprechung fremd (4 Ob 113/85; 9 ObA 27/96; 8 ObA 2286/96a; 9 ObA 86/01i; 9 ObA 86/08z; RIS‑Justiz RS0051974 [T1 und T3]).

2. Die Berufung auf eine für sich allein betrachtet noch nicht sittenwidrige Verfallsklausel kann lediglich unter gewissen weiteren Umständen sittenwidrig sein:

2.1. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwert oder praktisch unmöglich macht, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0051974 [T5]). Für den Einwand, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs erschwert oder praktisch unmöglich macht, trifft aber den Arbeitnehmer die Behauptungs- und Beweislast (9 ObA 44/14g; 8 ObS 9/17g; vgl RIS‑Justiz RS0034487 [T9]). Eine solche Behauptung stellte die Klägerin hier nicht auf.

2.2. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt jedenfalls auch dann vor, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die (rechtzeitige) Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (9 ObA 27/96; 9 ObA 86/01i). Dazu wäre aber Voraussetzung, dass dem Arbeitgeber ein bewusstes rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen wäre, das von der Absicht getragen ist, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern oder zumindest ernsthaft zu erschweren (8 ObA 75/15k). Eine solche Behauptung stellte die Klägerin nicht auf.

2.3. Weiters verstößt eine Berufung auf eine kollektivvertragliche Verfallsfrist gegen Treu und Glauben, wenn es der Arbeitgeber beharrlich unterlassen hat, dem Arbeitnehmer eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung im Sinn des Kollektivvertrags auszufolgen (8 ObA 227/00s; 9 ObA 92/01x; 8 ObA 75/15k; 8 ObA 85/15f; RIS‑Justiz RS0034487 mzwN).

Auch dieser Rechtsprechung liegt im Wesentlichen zugrunde, dass der Arbeitgeber durch sein Verhalten die Geltendmachung der Ansprüche erschwert oder praktisch unmöglich macht (9 ObA 46/12y; vgl auch 8 ObA 85/15f). Es wäre also auch hier, wo der Kollektivvertrag für den Beginn der Frist nicht auf eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung, sondern die Beendigung des Dienstverhältnisses abstellt, vom Arbeitnehmer zu behaupten und zu beweisen, dass ihm der Arbeitgeber die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs erschwert oder praktisch unmöglich machte.

3. Ob ein Verhalten des Arbeitgebers als gegen Treu und Glauben verstoßend anzusehen ist, kann immer nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (9 ObA 114/11x; 9 ObA 68/15p; RIS‑Justiz RS0110900). Eine vom Obersten Gerichtshof im vorliegenden Fall aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vermag die Klägerin nicht darzustellen.

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