OGH 8ObA56/11k

OGH8ObA56/11k26.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Günter Steinlechner und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** H*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei M***** M*****, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, wegen 13.618,43 EUR netto zuzüglich 9.605,26 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2011, GZ 7 Ra 32/11x-38, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Jänner 2011, GZ 38 Cga 177/09f-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung eines Begehrens von 226,63 EUR netto sA als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte führt ein Speiselokal und betreibt auch einen Speisezustelldienst. Der Kläger war zunächst vom 1. 11. 2003 bis 30. 4. 2005 (in diesem Zeitraum geringfügig beschäftigt) und vom 1. 5. 2005 bis 28. 2. 2006 Arbeitnehmer der Beklagten und war für diese als Pizzazusteller tätig.

Um den 1. 3. 2006 herum legte die Beklagte dem Kläger einen als freien Dienstvertrag bezeichneten und ausgestalteten Vertrag zur Unterschrift vor. Die Beklagte hatte immer wieder Probleme, an bestimmten Tagen Mitarbeiter zu finden und verlangte vom Kläger - damit er angemeldet werde -, dass er jeweils am Freitag, Samstag und Sonntag einer Arbeitswoche arbeiten solle. Weiters solle der Kläger einen Abenddienst seiner Wahl übernehmen. Als sich der Kläger weigerte, den freien Dienstvertrag zu unterfertigen, gab sie ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er, wenn er den Vertrag nicht unterfertige, aus dem Unternehmen ausscheiden müsse. Der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich vom Dienstverhältnis zur Beklagten abhängig. Er unterfertigte daher den freien Dienstvertrag, der einen Stundenlohn von 7 EUR und zur Abgeltung der Risikohaftung einen Ersatz von 0,044 EUR pro gefahrenem Kilometer vorsah. Unstrittig erhielt der Kläger „ab einem bestimmten Zeitpunkt“ für Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen einen Stundenlohn von 7,50 EUR. Er war vom 1. 3. 2006 bis zu seinem Ausscheiden am 30. 6. 2009 als freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs 4 ASVG im Unternehmen der Beklagten gemeldet.

Der Kläger war auch in weiterer Folge als Pizzazusteller für die Beklagte tätig. Jeweils zur Monatsmitte erstellte ein Mitarbeiter der Beklagten den Dienstplan für den Folgemonat. Mitarbeiter konnten sich in die jeweiligen Spalten selbst eintragen. Dies galt jedoch nicht für den Kläger, der in den jeweiligen Dienstplänen von vornherein an den Wochentagen Freitag, Samstag und Sonntag fix eingetragen wurde. Für einen Abenddienst während der Woche konnte sich der Kläger einen Tag aussuchen und sich dazu selbst in den Dienstplan eintragen. Die Dienstzeit des Klägers dauerte jeweils von 11:00 Uhr bis 23:00 Uhr und manchmal länger.

Der Kläger wurde regelmäßig dazu angehalten, zu gewissen Zeiten im Unternehmen der Beklagten anwesend zu sein. Zweimal im Jahr fand eine Dienstbesprechung im Unternehmen der Beklagten statt, anlässlich derer organisatorische Abläufe besprochen wurden. Dabei wurden die Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass es Dienstpflicht sei, für verhinderte Kollegen einzuspringen. Der Kläger musste zwar oftmals andere Mitarbeiter vertreten, hatte jedoch selbst keine Möglichkeit, sich vertreten zu lassen. Er war nur einmal krank und meldete dies der Beklagten. Diese teilte für ihn einen anderen Mitarbeiter ein. Sie wies ihn darauf hin, dass er für seine Vertretung selbst zu sorgen habe. Das war dem Kläger aber nicht möglich, weil er trotz Suchens unter den Mitarbeitern der Beklagten keinen Vertreter finden konnte. Ab Sommer 2009 war eine Vertretungsänderung nur mehr mit Zustimmung des jeweiligen Telefonisten der Beklagten möglich.

Die Beklagte oder von ihr beauftragte Mitarbeiter erteilten dem Kläger Weisungen dergestalt, dass er etwa Pizzaschachteln falten, Einkäufe erledigen, Zigaretten holen, den Müll trennen, die Papierschachteln verkleinern, den Biomüll zu den Biotonnen bringen oder Dosen in Säcke abfüllen musste. Es gab auch Weisungen, die über das Dienstverhältnis des Klägers hinausgingen, wie etwa das Verbot, Fußball zu spielen oder ein bestimmtes Wirtshaus aufzusuchen. Auch an Kleidungsvorschriften musste sich der Kläger halten.

Nahezu jeden Samstag wurde der Kläger auch als „Einteiler“ im Unternehmen der Beklagten eingesetzt. Er musste in dieser Funktion die Fahrten und Routen einteilen und den jeweiligen Fahrern zuteilen, die Bestellungen vorbereiten und auch die Bestellungen von Kunden, die in das Lokal des Beklagten kamen, aufnehmen und kassieren. Andere Mitarbeiter musste er zum Falten der Pizzaschachteln und zu kleinen Hilfsdiensten einteilen. War der Kläger nicht „Einteiler“, so hatte er keinerlei Einfluss darauf, welche Tour er als Pizzazusteller zu nehmen hatte. Die jeweiligen Touren wurden vom Einteiler vorgegeben. Im Sommer 2007 kam es zu einem personellen Engpass bei der Beklagten, die vom Kläger verlangte, dass er vom 19. 7. 2007 bis Ende September 2007 durchgehend als „Einteiler“ arbeiten solle.

Der Kläger erhielt von der Beklagten keine monatlichen Lohnabrechnungen, sondern einmal im Jahr einen „Jahreslohnzettel“. Der Kläger rechnete seine Leistungen täglich eigenhändig derart ab, dass er die gesamte Dienstzeit in Stunden anführte und mit dem Stundenlohn von 7 EUR multiplizierte. Dazu verzeichnete er die gefahrenen Kilometer und den sich daraus ergebenden Kilometergeldbetrag. Als Abzugsposten akzeptierte die Beklagte die Einkäufe, die Fahrer während ihrer Tätigkeit für die Beklagte zu erledigen hatten, sowie erhaltene Essensgutscheine. Der Kläger erhielt den Stundenlohn und das vereinbarte Kilometergeld ausgezahlt und bestätigte den Erhalt der jeweiligen Beträge.

Der Kläger beendete das Vertragsverhältnis zum 30. 6. 2009. Er arbeitete zwischen dem 1. 8. 2006 und dem 30. 6. 2009 zu den vom Erstgericht im Einzelnen festgestellten Zeiten. Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass er im Zeitraum vom 1. 7. 2008 bis 30. 6. 2009 an 2.613,75 Stunden für die Beklagte arbeitete. Mit Schreiben vom 17. 8. 2009 machte der Kläger die im Verfahren geltend gemachten Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend.

Der Kläger begehrt nach Klageeinschränkung die Zahlung von 13.618,43 EUR netto zuzüglich 9.605,26 EUR brutto. Das Vertragsverhältnis zur Beklagten sei kein freier Dienstvertrag, sondern ein echter Arbeitsvertrag gewesen. Auf das Arbeitsverhältnis sei der Kollektivvertrag für die Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe (in weiterer Folge: KV) anzuwenden. Im Einzelnen macht der Kläger folgende Ansprüche geltend:

a) Mit dem Vorbringen, dass die Beklagte zwar die geleisteten Arbeitsstunden mit dem vereinbarten Lohn bezahlt habe, nicht aber die nach dem KV gebührenden Zuschläge für Überstunden sowie Feiertagsentgelte, begehrt der Kläger für den Zeitraum August 2006 bis einschließlich Juni 2009 einen (im Verfahren für jeden Monat getrennt nach Überstunden- und Feiertagsentgelten berechneten) Betrag von insgesamt 7.728,08 EUR netto.

b) An Jahresremuneration begehrt der Kläger - gestützt auf den KV - für die Jahre 2006 bis 2008 und den Zeitraum 1. 1. 2009 - 30. 6. 2009 insgesamt 8.920,55 EUR brutto.

c) An Urlaubsersatzleistung begehrt der Kläger - berechnet auf der Grundlage eines monatlichen Durchschnittsverdienstes von 1.914,35 EUR im Zeitraum 1. 1. 2009 bis 30. 6. 2009 - für 80 Werktage Urlaubsanspruch 5.890,32 EUR netto. An Urlaubsersatzleistung aus der Jahresremuneration begehrt er 684,71 EUR brutto.

Die Beklagte wandte dagegen zusammengefasst ein, dass kein echter Arbeitsvertrag vorgelegen sei und der Kläger sämtliche ihm aus dem freien Dienstvertrag zustehenden Ansprüche erhalten habe. Selbst wenn man vom Vorliegen eines Arbeitsvertrags ausginge, könnte der Kläger nicht jahrelang die Vorzüge eines freien Dienstnehmers genießen und nunmehr Ansprüche aus einem echten Arbeitsvertrag geltend machen. Die vom Kläger geltend gemachten Überstundenzuschläge seien darüber hinaus entsprechend dem Dienstvertrag sowie gemäß Pkt 5b KV verfallen; sie seien auch der Höhe nach unrichtig berechnet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Ausmaß von 13.391,80 EUR netto zuzüglich 9.605,26 EUR brutto samt den begehrten Zinsen statt. Im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens auf Zahlung weiterer 226,63 EUR erwuchs sein Urteil mangels Anfechtung in Rechtskraft. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass das Vertragsverhältnis der Streitteile als echter Arbeitsvertrag anzusehen sei. Die auf dem anzuwendenden KV beruhenden Ansprüche an Jahresremunerationen, Überstundenzuschläge und Feiertagsentgelte seien dem Kläger daher mit Ausnahme der gemäß § 1486 Z 5 ABGB verjährten Entgeltansprüche für August 2006 zuzuerkennen. Auf die Verfallsbestimmung des KV könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie selbst beharrlich gegen ihre Verpflichtungen aus dem KV verstoßen habe, indem sie dem Kläger keine monatlichen Lohnabrechnungen, sondern lediglich einen Jahreslohnzettel ausgehändigt habe. Da der Kläger keinen Urlaub verbraucht habe, gebühre ihm auch die geltend gemachte Urlaubsersatzleistung.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass das Beschäftigungsverhältnis des Klägers kein freier Dienstvertrag, sondern ein echter Arbeitsvertrag gewesen sei. Der Kläger sei in die betriebliche Organisation der Beklagten eingebunden und persönlich abhängig gewesen. Er sei der funktionellen Autorität der Beklagten als Arbeitgeberin unterlegen. Die vom Kläger geltend gemachten Überstundenzuschläge seien nicht verfallen. Der Kläger habe seine Arbeitsleistungen täglich abgerechnet und darin die Dienstzeit in Stunden angeführt. Er habe damit die Beklagte uneingeschränkt in die Lage versetzt, seinen Anspruch an Überstundenentgelt zu berechnen und zu erfüllen. Überstunden seien ua dann zu entlohnen, wenn - wie hier - der Arbeitgeber Arbeitsleistungen entgegen genommen habe, die auch bei richtiger Einteilung der Arbeit nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden konnten. Nach dem maßgebenden Empfängerhorizont eines redlichen Arbeitgebers seien die vom Kläger begehrten Überstunden hier Monat für Monat hinreichend geltend gemacht worden. Ausgehend davon seien die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach berechtigt.

Zu Recht begehre der Kläger die Zahlung von Überstundenzuschlägen und Feiertagsentgelten auf Grundlage des vereinbarten Stundenlohns von 7 EUR. Die Beklagte habe im Verfahren erster Instanz weder eine Entgeltanpassung verlangt noch vorgebracht, dass sie zu einem Stundenlohn von 7 EUR einen Arbeitsvertrag mit dem Kläger nicht abgeschlossen hätte. Mangels entsprechenden Vorbringens der Beklagten, die wie jeden Irrenden, der die Vertragsanpassung begehre, die Behauptungs- und Beweislast treffe, könne die Möglichkeit einer Vertragsanpassung daher nicht ins Auge gefasst werden. Die erstmals im Berufungsverfahren sinngemäß aufgestellte Behauptung, die Beklagte hätte einem Stundenlohn von 7 EUR nicht zugestimmt, verstoße gegen das Neuerungsverbot. Die Ermittlung eines abweichenden hypothetischen Parteiwillens und allenfalls einer Entgeltanpassung komme daher nicht in Frage. Dass dem Kläger ein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 80 Werktage dem Grunde nach zustehe, sei im Berufungsverfahren unstrittig. Allerdings sei gemäß Pkt 13c KV die Jahresremuneration bei der Berechnung des Anspruchs außer Acht zu lassen. Gehe man aber gemäß Pkt 13d KV vom Durchschnittsverdienst des Klägers der letzten 12 Monate aus, errechne sich ausgehend von im Zeitraum 1. 7. 2008 bis 30. 6. 2009 geleisteten 2.613,75 Normalstunden, 551,75 Überstunden und 145,75 Feiertagsstunden ein Urlaubsersatzanspruch in Höhe von 6.438,43 EUR netto. Da der Kläger nur 5.890,32 EUR netto aus diesem Titel begehrt habe, sei die Beklagte durch die Berechnung des Erstgerichts nicht beschwert.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten.

Die Revision ist entgegen der den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Rechtsansicht des Berufungsgerichts zulässig, sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Vertragsverhältnis der Parteien:

Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zur Abgrenzung des freien Dienstvertrags vom echten Arbeitsvertrag umfassend und zutreffend dargestellt. Diese Rechtsprechung wird von der Revisionswerberin auch nicht in Frage gestellt und braucht daher hier nicht wiederholt zu werden. Das Berufungsgericht ist auf dieser Grundlage mit überzeugender Begründung vom Vorliegen eines echten Arbeitsvertrags ausgegangen. Die Revisionswerberin hält dieser Begründung, auf die verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO), nichts Substanzielles entgegen, wenn sie ausführt, dass Feststellungen fehlten, wonach der Kläger Pausen selbständig einteilen habe können. Die weitere Behauptung, dass der Kläger Zustellrouten nach eigenem Ermessen habe ändern können, weicht von den Sachverhaltsfeststellungen ab und ist deshalb unbeachtlich.

2. Zum Verfallseinwand:

2.1 Die Revisionswerberin beruft sich im Revisionsverfahren nur mehr auf den ihres Erachtens gemäß Pkt 5b KV eingetretenen Verfall der Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Überstundenentgelten. Nach dieser Bestimmung verfallen - soweit hier von Interesse - Ansprüche auf Überstundenentgelte, wenn sie nicht innerhalb von vier Monaten nach Durchführung der Lohnabrechnung über deren Leistung durch den Arbeitnehmer schriftlich geltend gemacht werden. Bereits das Erstgericht hat allerdings dazu zutreffend ausgeführt, dass der Kläger keine im Sinne der Rechtsprechung ordnungsgemäße Lohnabrechnung (vgl RIS-Justiz RS0029299) erhalten hat, sondern lediglich einmal jährlich einen „Jahreslohnzettel“. Eine Bestimmung, die wie Pkt 5b KV den Beginn des Laufs der Verfallsfrist an die ordnungsgemäße Lohnabrechnung knüpft, verfolgt den Zweck, dass dem Arbeitnehmer durch die Ausfolgung diese Lohnabrechnung Klarheit darüber verschafft werden soll, welche Leistungen der Arbeitgeber berücksichtigt hat (RIS-Justiz RS0064548). Ausgehend davon hat aber bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt, dass die Berufung der Beklagten auf die Verfallsklausel hier gegen Treu und Glauben verstößt, weil sie selbst ihrer kollektivvertraglichen Verpflichtung zur monatlichen Lohnabrechnung nicht nachgekommen ist (RIS-Justiz RS0034487). Einer Auseinandersetzung mit den zur Verneinung des Verfalls angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts und den dagegen von der Revisionswerberin erhobenen Einwänden bedarf es daher nicht.

2.2 Die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Nach den allgemeinen Beweislastregeln trifft die Behauptungs- und Beweislast für den anspruchsvernichtenden Einwand des Verfalls der geltend gemachten Ansprüche auf Überstundenzuschläge die Beklagte (RIS-Justiz RS0109287). Dieser Beweis ist ihr hier nicht gelungen.

3. Zur Höhe der Ansprüche:

3.1 Der Kläger berechnet die von ihm geltend gemachten Ansprüche - mit Ausnahme des Anspruchs auf Zahlung von Jahresremunerationen - auf Grundlage des vereinbarten Entgelts. Die Beklagte hat im Verfahren dazu den Standpunkt vertreten, dass der mit dem Kläger geschlossene Vertrag ein freier Dienstvertrag sei und dass der Kläger einen weit überkollektivvertraglichen Lohn erhalten habe. Der Kläger könne nicht die Vorzüge des freien Dienstverhältnisses für sich in Anspruch nehmen, im Nachhinein jedoch Ansprüche als Arbeitnehmer geltend machen. Die durch den KV normierten Entgeltbestandteile seien nicht isoliert, sondern als Gesamtheit zu betrachten, deren Summe durch den Einzelvertrag nicht unterschritten werden dürfe.

Dieser Standpunkt ist teilweise berechtigt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass es den Parteien des Arbeitsvertrags frei steht, durch eine über dem Mindestansatz des Kollektivvertrags liegende Entgeltvereinbarung eine Abgeltung von Sonderzahlungen vorzusehen (8 ObA 20/04f mwH). Erhielt daher der Arbeitnehmer auf der Basis eines „freien Dienstvertrags“ „Honorare“ und wird - wie hier - festgestellt, dass er in Wahrheit kraft der Art und Gestaltung seiner Verwendung in einem echten Arbeitsverhältnis gestanden ist, das einem bestimmten Kollektivvertrag unterliegt, dann muss bei der Prüfung der Frage, ob er aufgrund dieses Kollektivvertrags noch offene Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber auf Sonderzahlungen hat, das gesamte von ihm bezogene „Honorareinkommen“ in Anschlag gebracht werden (RIS-Justiz RS0028906, zuletzt 8 ObA 20/04f, 9 ObA 150/08m mwH).

Anders sind allerdings die weiteren vom Kläger geltend gemachten Ansprüche zu beurteilen:

Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die zwingenden Regelungen über das Urlaubsentgelt sicherstellen sollen, dass der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub auch tatsächlich konsumiert. Eine Vereinbarung, wonach das Urlaubsentgelt unabhängig vom Verbrauch des Urlaubs mit einem erhöhten laufenden Entgelt abgegolten werden soll, ist unwirksam (RIS-Justiz RS0077538). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Geltendmachung von Ansprüchen auf Urlaubsersatzleistung im Hinblick auf diese klare Zielsetzung des Gesetzgebers nicht einmal dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, wenn sie mit dem früheren Verhalten eines Arbeitnehmers im Widerspruch steht (8 ObA 20/04f). Der Rechtsansicht der Revisionswerberin, dass sich der Kläger eine allfällige überkollektivvertragliche Entlohnung auch auf den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung anrechnen lassen müsste, kommt daher keine Berechtigung zu. Der Berechnung dieses Anspruchs ist daher die von den Parteien getroffene Entgeltabrede zugrunde zu legen.

Auf die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang angesprochene Möglichkeit einer Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums braucht hier nicht eingegangen zu werden, weil - wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat - ein entsprechender Einwand gar nicht erhoben wurde.

Mit der (relativ zwingenden) Verpflichtung zur Zahlung von Überstundenzuschlägen verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, die damit verbundene Mehrbelastung des Arbeitnehmers abzugelten und die Kosten der Arbeit zu erhöhen, damit die Arbeitgeber veranlasst werden sollen, von Überstundenarbeit nur in begründeten Fällen Gebrauch zu machen (Felten in Grillberger, AZG³ § 10 Rz 1 mwH). Einen vergleichbaren Zweck verfolgt der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur Zahlung von Feiertagsentgelten iSd - unabdingbaren - § 9 Abs 5 ARG (vgl Pfeil in ZellKomm² § 9 ARG Rz 10 ff), auf den auch Pkt 15a KV Bezug nimmt. Aus der von der Beklagten behaupteten überkollektivvertraglichen Entlohnung des Klägers kann für sich allein noch nicht auf das Vorliegen einer Pauschalvereinbarung zur Abgeltung von Überstunden (9 ObA 251/91) geschlossen werden (zu den Schranken einer Überstundenpauschalvereinbarung Felten aaO § 10 Rz 29 ff). Ein auf das Vorliegen einer solchen Vereinbarung hindeutendes Vorbringen hat die Beklagte in keiner Weise erstattet. Eine Anrechnung eines überkollektivvertraglichen Bezugs des Klägers auf seine Ansprüche auf Überstunden kommt daher im konkreten Fall ebenso wenig in Betracht, wie eine Anrechnung auf ihm zustehende Feiertagsentgelte. Dazu kann im Übrigen auf die Ausführungen zu den Ansprüchen auf Urlaubsersatzleistung verwiesen werden.

4. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ergibt sich für die einzelnen vom Kläger geltend gemachten Ansprüche Folgendes:

4.1 Zu den Jahresremunerationen:

Zur Beurteilung dieser Ansprüche ist es zunächst erforderlich, die dem Kläger entsprechend seiner Einstufung als Arbeitnehmer zustehenden kollektivvertraglichen Mindestlohnansprüche für die im Verfahren geltend gemachten Entgeltzeiträume zu ermitteln. Bereits an dieser Stelle ist zur Klarstellung festzuhalten, dass - wie das Berufungsgericht, von der Revisionswerberin nicht bestritten, ausgeführt hat - der Kläger als Festlöhner (und nicht als Garantielöhner, vgl Pkt 8b, 8c KV; RIS-Justiz RS0064854) im Sinn des KV anzusehen ist. Den so ermittelten Ansprüchen des Klägers sind die von ihm tatsächlich bezogenen Honorare gegenüberzustellen. Soweit der Kläger in der Revisionsbeantwortung die Einbeziehung eines „amtlichen“ Kilometergelds fordert, ist ihm nicht zu folgen. Die vertraglich vereinbarte Abgeltung pro gefahrenem Kilometer hat er erhalten; auf welcher rechtlichen Grundlage ihm im Hinblick auf die dispositive Natur des § 1014 ABGB (vgl RIS-Justiz RS0019505) ein „amtliches“ Kilometergeld zustehen soll, zeigt er nicht auf.

Erst infolge der Gegenüberstellung der dem Kläger aus dem KV gebührenden Mindestansprüche mit den ihm tatsächlich gezahlten Honoraren kann nach der dargestellten Rechtsprechung beurteilt werden, ob dem Kläger ungeachtet der ihm bezahlten Honorare noch ein Anspruch auf Jahresremunerationen nach dem KV zusteht.

4.2 Zur Urlaubsersatzleistung:

Dieser Anspruch ist aus den bereits dargelegten Gründen auf Grundlage des vertraglich vereinbarten Stundensatzes zu bemessen. Zur Berechnungsgrundlage für das diesem Anspruch zugrundeliegende Urlaubsentgelt hat das Berufungsgericht zutreffend auf Pkt 13d KV hingewiesen und ausgeführt, dass nach dieser Bestimmung Sonderzahlungen nicht in die Berechnungsgrundlage einzubeziehen sind. Seiner Rechtsansicht, dass dem Kläger Urlaubsersatzleistung für einen Urlaubsanspruch von 80 Werktagen zusteht, tritt die Beklagte in der Revision nicht mehr entgegen, sodass davon im weiteren Verfahren auszugehen sein wird.

Allerdings weist die Revisionswerberin zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht - was vom Kläger in der Revisionsbeantwortung auch zugestanden wird - bei der Berechnung der Urlaubsersatzleistung zu Unrecht von 2.613,75 vom Kläger geleisteten Normalarbeitsstunden (zuzüglich 551,75 Überstunden und 145,75 Feiertagsstunden) ausgeht. Tatsächlich ergibt sich aus den Feststellungen, dass der Kläger insgesamt 2.613,75 Arbeitsstunden geleistet hat, in denen daher die genannten 551,75 Überstunden und 145,75 Feiertagsstunden enthalten sind, weshalb zur Berechnung der Urlaubsersatzleistung nicht von 2.613,75, sondern richtig von 1.916,25 Normalarbeitszeitstunden auszugehen ist. Ob und in welchem Ausmaß sich dieser Umstand auf die Berechnung der Höhe der Urlaubsersatzleistung auswirkt, wird daher ebenfalls im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern sein.

4.3 Überstundenzuschläge und Feiertagsentgelte:

Ausgehend von den bereits dargelegten Gründen ist auch für die Berechnung dieser Ansprüche (vgl dazu Pkt 5e und 15 KV) der vertraglich vereinbarte Stundensatz heranzuziehen. Nach dem übereinstimmenden beiderseitigen Vorbringen erhielt der Kläger jedoch - zumindest ab einem bestimmten, jedoch nicht festgestellten Zeitpunkt nach Beginn des Arbeitsverhältnisses - für an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeitsstunden einen Grundlohn von 7,50 EUR anstelle der sonst vereinbarten 7 EUR. Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob und in welchem Ausmaß der Kläger daher Zahlungen erhalten hat, die allenfalls - wie von der Beklagten behauptet im Ausmaß von 0,50 EUR pro Stunde - auf seine Ansprüche aus diesem Titel anzurechnen wären. Auch dieser Anspruch erweist sich daher als noch nicht entscheidungsreif.

Die Rechtssache war aus all diesen Gründen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den § 2 ASGG, § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte