Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Das Kostenersatzbegehren der beklagten Partei wird abgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die Begründung des Berufungsgerichtes, der Kläger könne nach der Verfallsregelung des anzuwendenden Kollektivvertrages (für das österreichische Bäckergewerbe) seine länger als 3 Monate vor ihrer schriftlichen Erhebung (mit Schreiben vom 4.1.1995) zurückliegenden (restlichen) Entgeltansprüche nicht mehr geltend machen, ist zutreffend (§ 48 ASGG).
Den Revisionsausführungen ist entgegenzuhalten:
1.) Der Lauf der Fallfrist wird durch die objektive Möglichkeit zur Rechtsausübung in Gang gesetzt (vgl Kerschner DHG, Rz 4 zu § 6 mwN). Hiedurch wird dem Gläubiger die Obliegenheit auferlegt, sich innerhalb der Frist über seine Ansprüche Klarheit zu verschaffen. Es ist völlig atypisch, daß der Kläger behauptet, während eines vollen Jahres sein Arbeitsentgelt nicht vom Girokonto behoben und keine Auszüge abgeholt zu haben. Eine Verfallsklausel, deren Anwendung solcherart in das Belieben des Arbeitnehmers gestellt würde, wäre wertlos und verfehlte den Zweck der raschen Rechtsdurchsetzung ohne erhöhte Beweisschwierigkeiten (vgl Arb 10.475 = JBl 1986, 330 = RdW 1985, 379).
2.) Eine Frist von 3 Monaten hat keine unbillige Erschwerung der Rechtsdurchsetzung zur Folge und verstößt daher nicht gegen arbeitsrechtliche Grundwertungen (im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB; vgl Arb 10.475; Arb 10.578 = SZ59/180 = WBl 1987, 71; Arb 10.819; zuletzt etwa 9 Ob A 1016/95 = ARD 4692/5/95).
3.) Auf den Beginn des Laufes einer Fallfrist kann sich der Arbeitgeber dann nicht berufen, wenn er gegen Treu und Glauben beharrlich gegen seine kollektivvertragliche Verpflichtung zur
ordnungsgemäßen Lohnabrechnung verstoßen hat (DRdA 1994, 525 = infas
1994 A 161 = WBl 1994, 339 = RdW 1994, 319). Ein allgemeiner
Rechtssatz, der Arbeitgeber könne sich nicht auf die Verfallsklausel aus einem Kollektivvertrag berufen, wenn er selbst gegen kollektivvertragliche Bestimmungen verstoßen habe, besteht nicht (RdW 1985, 380).
Der beklagte Arbeitgeber genügte seiner Verpflichtung zur Lohnabrechnung, indem er die Lohnzettel für den Kläger zur Abholung im Betrieb bereit stellte. Wenn es der Kläger aus Desinteresse oder aus anderen Gründen unterließ, diese zu beheben und auch seine Kontoauszüge einzusehen, hat er sich nachteilige Folgen hieraus selbst zuzuschreiben. Der beklagte Arbeitgeber verwirkte auch nicht sein Recht aus der Verfallklausel, indem er die Lohnabzüge - für die dem Kläger angelasteten Beschädigungen des Firmenfahrzeuges - nicht neben den gesetzlichen Abzügen (Lohnsteuer, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ua) gesondert auswies ("angabenkompletter Lohnzettel"); der Kläger hätte unschwer die Differenz des zu niedrig ausbezahlten Betrages gegenüber dem auf den Lohnzettel ausgewiesenen Nettobetrag feststellen können, zumal er nach den Aufforderungen seines Arbeitgebers, Schadenersatz zu leisten (S 7 und 8 der Feststellungen des Urteils erster Instanz) solche Abzüge gewärtigen mußte.
4.) Der Kollektivvertrag geht zwar von dem Modell der Lohnauszahlung in barem Geld aus; diesbezüglich ist aber inzwischen ein Funktionswandel der Bestimmung des § 78 GewO 1859 eingetreten (EvBl 1996/116, 701 mwN), wodurch aber die Verfallklausel des Kollektivvertrages - nach der sinngemäßen Anpassung an die geänderten Modalitäten der Lohnzahlung - nicht gegenstandslos wird. Die Verpflichtung des § 20 Z 1 des KV, der Arbeitnehmer habe bei der Auszahlung des Arbeitsentgeltes den ausgewiesenen Betrag sofort vor dem Auszahlenden nachzuprüfen und anderenfalls unverzüglich zu reklamieren, wird durch den dem Inhaber eines Girokontos leicht möglichen Vergleich des auszuzahlenden Nettobetrages mit der Gutschrift auf seinem Konto ersetzt. § 20 Z 2 des KV (Verfallklausel) ist davon unabhängig anwendbar. Dem Partner des Arbeitsverhältnisses wird es durch die überholte, auf den Auszahlungsvorgang in barem bezogene Regelung nicht verwehrt, eine unbare Entgeltzahlung zu vereinbaren. Der Kläger räumt selbst in seinem Rechtsmittel ein, heute sei auch in gewerblichen Kleinbetrieben die bargeldlose (richtig unbare) Überweisung des Entgelts allgemein üblich (S 8 der Revision = AS 219). Es bleibt dem Kontoinhaber unbenommen, das ihm überwiesene Arbeitsentgelt nicht zu beheben, ohne daß hiedurch allerdings seine Obliegenheit, sich rasch über die Vollständigkeit der Zahlung zu unterrichten, wegfällt.
Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung - neben dem Antrag, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben; "dies bei den gesetzlichen Kostenfolgen" - keine Kosten verzeichnet. Gemäß § 52 Abs 3 ZPO iVm der verwiesenen Bestimmung des § 54 ZPO ist eine von mehreren Bedingungen eines Kostenersatzanspruches die rechtzeitige Übergabe des Kostenverzeichnisses bzw die Verzeichnung mit dem Schriftsatz (vgl Fucik in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 54); anderenfalls tritt Verlust ("bei sonstigem Verlust") des Kostenersatzanspruches ein. Nur für Routineabläufe kommt eine Verweisung auf den Normalkostentarif in Betracht, in welchem Fall die Vorlage eines Kostenverzeichnisses nicht erforderlich ist (M.Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß, 432), in der Revisionsbeantwortung geht ein solcher Antrag ins Leere, weil sich der Tarif nur auf die darin enthaltenen Verfahrenshandlungen (Mahnklagen, Zahlungsaufträge, Versäumungsurteile, Exekutionsanträge ua) bezieht.
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