European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00081.23D.0111.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.551,44 EUR (darin 258,57 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Dem Rekurs der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Verfahrens über den Rekurs der klagenden Parteien sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Kläger erwarben am 20. 3. 2014 einen von der Konzerntochter der Beklagten hergestellten Neuwagen der Type Skoda Fabia Combi Ambition TDI zum Preis von 16.850 EUR. Im Fahrzeug ist der von der Beklagten entwickelte und hergestellte Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. Ursprünglich war in der Motorsteuerung des Fahrzeugs eine Umschaltlogik enthalten, die einen Prüfstandslauf erkannte und die Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb reduzierte. Am 20. 10. 2017 wurde am Fahrzeug eine neue Software installiert, nach der die Abgasrückführung außerhalb eines „Thermofensters“ zwischen 10 und 45 Grad Celsius reduziert bzw ganz abgeschaltet wird.
[2] Die Kläger begehren mit ihrer Klage vom 15. 6. 2020 die Rückzahlung des Kaufpreises von 16.850 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs, hilfsweise den Ersatz einer Wertminderung von 5.000 EUR sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden. Die Beklagte habe die Kläger darüber getäuscht, dass das Fahrzeug nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche. Das von der Beklagten durchgeführte Software-Update habe den rechtswidrigen Zustand nicht beseitigt. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätten die Kläger das Fahrzeug nicht erworben. Die objektive Wertminderung des Fahrzeugs betrage 30 % des Kaufpreises.
[3] Die Beklagte wendet ein, dass sie nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei. Durch das Software-Update sei ein rechtskonformer Zustand hergestellt worden. Das Thermofenster sei zum Schutz des Motors nötig und entspreche dem Stand der Technik. Das Fahrzeug sei uneingeschränkt fahrbereit und es drohe auch kein Widerruf der Typengenehmigung oder Zulassung. Die Beklagte habe weder arglistig noch fahrlässig gehandelt. Allfällige Schadenersatzansprüche seien zudem verjährt, weil die Abgasproblematik bereits seit September 2015 bekannt gewesen sei. Im Fall der Rückabwicklung des Kaufvertrags müssten sich die Kläger ein Benützungsentgelt anrechnen lassen.
[4] Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung mit 16.850 EUR und die Gegenforderung mit 10.300 EUR zu Recht bestehe, sodass es die Beklagte zur Zahlung von 6.550 EUR sA Zug um Zug gegen Rückstellung des Fahrzeugs verpflichtete und das Mehrbegehren abwies. Die im Fahrzeug ursprünglich enthaltene Umschaltlogik sei eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , sodass die Beklagte sowohl eine Schutzgesetzverletzung als auch eine sittenwidrige Schädigung verantworte. Das Software-Update habe keinen rechtskonformen Zustand hergestellt, weil die Abgasrückführung angesichts des „Thermofensters“ während des überwiegenden Teils des Jahres nur eingeschränkt funktioniere, was den Klägern im Wege der Naturalrestitution einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags verleihe. Angesichts des vorsätzlichen Handelns bei der Umschaltlogik sei die Beklagte zumindest als Beitragstäterin zum Betrug anzusehen, sodass keine Verjährung eingetreten sei. Die Kläger würden jedoch ein Benützungsentgelt schulden, das sich aus dem Kaufpreis abzüglich des aktuellen Händlerverkaufspreises ergebe.
[5] Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Kläger hätten zugestanden, dass sie mit dem Schreiben der Generalimporteurin vom Oktober 2015 darauf hingewiesen worden seien, dass ihr Fahrzeug von der bereits aus den Medien bekannten Abgasthematik betroffen sei, sodass schon damals die Verjährung begonnen habe. Eine 30‑jährige Verjährungsfrist setze voraus, dass ein Organ oder ein Repräsentant der Beklagten den Straftatbestand des qualifizierten Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB verwirklicht hätte. Da die Beklagte nicht Fahrzeughersteller sei, würde eine Haftung nach § 874 oder § 1295 Abs 2 ABGB voraussetzen, dass einem Organ oder Repräsentanten der Beklagten eine zumindest bedingt vorsätzliche Täuschung der Fahrzeugkäufer über die Rechtskonformität des mit der Umschaltlogik ausgestatteten Fahrzeugs anzulasten ist.
[6] Die Rechtssache sei daher schon mangels Feststellungen zum Vorsatz der Beklagten nicht spruchreif. Es könne auch nicht beurteilt werden, ob die Kläger durch das Software-Update klaglos gestellt wurden, weil nicht feststehe, ob das Thermofenster zum Schutz des Motors erforderlich ist. Auch würden hinreichende Feststellungen zu den Außentemperaturen im deutschsprachigen Raum fehlen, um beurteilen zu können, ob die Abschalteinrichtung unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist. Die vom Erstgericht festgestellte Jahresdurchschnittstemperaturen seien nicht aussagekräftig.
[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss im Hinblick auf die Fragen zulässig sei, ob sich der Fahrzeugkäufer auch gegenüber dem Motorenhersteller auf eine Schutzgesetzverletzung berufen könne, ob die Zulässigkeit des Thermofensters von den klimatischen Verhältnissen im deutschsprachigen Raum oder im gesamten Unionsgebiet abhänge und ob eine Abschalteinrichtung auch dann unzulässig ist, wenn die Emissionsgrenzwerte im normalen Straßenbetrieb eingehalten werden.
[8] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit welchem sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, sowie der Rekurs der Kläger, mit welchem sie eine Klagsstattgabe anstreben; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[9] Die Parteien beantragen wechselseitig, den Rekurs der jeweiligen Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[10] Der Rekurs der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs der Kläger ist zulässig, er ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Zum Rekurs der Beklagten:
[12] 1.1. Die VO 715/2007/EG , auf die sich die Kläger berufen, regelt die Anforderungen, welche die Hersteller von Neufahrzeugen erfüllen müssen, um eine EG‑Typengenehmigung zu erhalten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zu C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, ausgesprochen, dass diese Regelungen neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Interessen des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits zu 3 Ob 40/23p darauf hingewiesen, dass eine deliktische Haftung aus Schutzgesetzverletzung wegen Verstoßes gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausschließlich den Fahrzeughersteller als Inhaber der EG-Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung trifft, sodass eine Haftung des Motorenherstellers nur nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar ist.
[13] 1.2. Ob ein solches Verschulden vorliegt, wird erst im fortgesetzten Verfahren zu klären sein. Dass die Beklagten dabei nicht nur für ihre Organe, sondern auch für das Verhalten jener Personen haftet, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0009113; RS0009133; RS0107916). Ob die Beklagte angesichts der Offenlegung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt auf die Zulässigkeit des Thermofensters vertrauen durfte, ist nicht entscheidungswesentlich. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass die Beklagte hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters einen entschuldbaren Rechtsirrtum erlegen ist, würde dies nichts an einer Haftung für eine vorsätzliche Schädigung durch die im Fahrzeug ursprünglich verbaute Umschaltlogik ändern, weil das Fahrzeug dann nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht.
[14] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile nach Einholung der Vorabentscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C-145/20 , zu 10 Ob 2/23a klargestellt, dass eine „Umschaltlogik“, wie sie auch im Fahrzeug der Kläger verbaut war, eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt und der damit verbundene Sachmangel auch durch ein Software-Update nicht behoben wird, wenn diese Software ein „Thermofenster“ beinhaltet, aufgrund dessen die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr uneingeschränkt aktiv ist (ebenso 6 Ob 150/22k und 3 Ob 121/23z). Die Rechtsansicht der Beklagten, wonach es nicht auf die Temperaturverhältnisse in Österreich, sondern auf die durchschnittliche Umgebungstemperatur im Unionsgebiet ankomme, wurde vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 40/23p ausdrücklich abgelehnt.
[15] 1.4. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass es angesichts der jedenfalls unzulässigen Abschalteinrichtung nicht darauf ankommt, ob Emissionsgrenzwerte im realen Fahrbetrieb trotz der unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden, weshalb das Erstgericht dazu auch keine Feststellungen treffen musste (10 Ob 31/23s; ebenso BGH VIa ZR 335/21 Rn 51; anders noch 3 Ob 77/23d). Die von derBeklagten aufgeworfenen Rechtsfragen wurden damit vom Obersten Gerichtshof bereits beantwortet, sodass der Rekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen war.
[16] 1.5. Die Kostenentscheidung im Verfahren über den Rekurs der beklagten Partei beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO (RS0123222 [T2]). Die Kläger haben in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Gemäß § 23a RATG steht der ERV-Zuschlag allerdings nur im Ausmaß von 2,60 EUR zu.
Zum Rekurs der Kläger:
[17] 2.1. Der Rekurs der Kläger ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Beginns der Verjährungsfrist von der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist.
[18] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat zu 8 Ob 113/21g ausgesprochen, dass ein Schreiben, wie es den Klägern im Oktober 2015 übermittelt worden war, noch nicht bedeutet, dass der Fahrzeugeigentümer auch den drohenden Entzug der EG-Typengenehmigung kannte oder erkennen hätte müssen. Diese Entscheidung betraf aber ausschließlich die Erkennbarkeit eines mit der Umschaltlogik allenfalls verbundenen Rechtsmangels. Später hat der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 160/21d ausgesprochen, dass ein Fahrzeugeigentümer schon mit dem Schreiben, wonach sein Fahrzeug von dem aus der medialen Berichterstattung bekannten Abgasskandal betroffen sei, Kenntnis vom mit dem Erwerb des Fahrzeugs verbundenen Schaden hatte oder zumindest unschwer erlangen konnte (Verweis auf BGH VI ZR 739/20).
[19] 2.3. Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung, dass der Geschädigte, wenn er annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden behoben sei, nicht anders zu behandeln ist, als wenn er von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat, weil für ihn auch in einem solchen Fall nicht der geringste Anlass zur Klagsführung besteht (RS0034426). Da auch die Eigentümer der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nach Durchführung des Software-Updates mit gutem Grund davon ausgehen durften, dass der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben wurde, hat der Oberste Gerichtshof mittlerweile zu 9 Ob 33/23b und 10 Ob 31/23s ausgesprochen, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst zu laufen beginnt, wenn sie davon Kenntnis erlangen, dass das Fahrzeug trotz des Software-Updates nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht.
[20] 2.4. Nachdem das Software-Update erst am 20. 10. 2017 installiert wurde, war – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – auch die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch nicht abgelaufen. Dies ändert aber nichts daran, dass die Rechtssache schon mangels Feststellungen zum Vorsatz der Beklagten nicht entscheidungsreif ist, weshalb es bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils bleiben muss. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu gegeben (RS0007094 [T7]; Musger in Fasching/Konecny 3 § 519 ZPO Rz 99).
[21] 2.5. Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO und rechtfertigt sich im Umstand, dass der Rekurs zur Klärung der Rechtslage beitrug (RS0036035).
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