OGH 8Ob172/22k

OGH8Ob172/22k27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter, in der Rechtssache der klagenden Partei L* AG, *, vertreten durch Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* Limited, *, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.796,86 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 24. Oktober 2022, GZ 1 R 124/22k‑19.3, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 25. April 2022, GZ 7 C 6/22d‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00172.22K.0627.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Zurückweisung der Klage wird bestätigt, soweit die klagende Partei ihr Begehren auf ungerechtfertigte Bereicherung stützt.

Im Übrigen – soweit die klagende Partei ihre Ansprüche auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützt – werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte betreibt von ihrem Sitz auf Malta die Website www.m*.com, über die sie Online‑Glücksspiele anbietet. Sie richtet ihr Angebot auf den gesamten europäischen Markt aus. Sie verfügt in mehreren Ländern über Lizenzen, darunter eine von der Malta Gaming Authority ausgestellte, es wurde ihr aber keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz erteilt.

[2] Der im Sprengel des Erstgerichts wohnhafte P* P* (in der Folge: Spieler) stieß über Online‑Recherchen auf die Website der Beklagten, wo er sich in deutscher Sprache registrieren konnte. Er spielte im Zeitraum von 15. Mai bis 30. November 2020, wobei er seine Einzahlungen überwiegend per Sofortüberweisung über sein österreichisches Bankkonto abwickelte. Im Zuge der Registrierung akzeptierte er die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die unter anderem wie folgt lauten:

„22. Anwendbares Recht und Streitigkeiten

22.1 Mit dem Zugriff auf die Website bzw. der Registrierung als Spieler stimmen Sie zu, dass alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit Ihrem Zugriff auf die Website und Ihrer Nutzung der Website und der vom Spielanbieter bereitgestellten Dienste den Gesetzen Maltas unterliegen und gemäß diesen ausgelegt werden, wobei die Anwendung der betreffenden Kollisionsnormen ausgeschlossen wird. Für alle Streitigkeiten, die sich aus Ihrer Nutzung der Website bzw. der Dienste des Spielanbieters ergeben, sind die Gerichte in Malta zuständig, und Sie stimmen hiermit zu, sich der ausschließlichen Zuständigkeit dieser Gerichte zu unterwerfen.

(...)

22.3 Sie erkennen an, das die Spiele und die Dienste, sofern nicht anders angegeben, in Malta organisiert und Ihre Teilnahme an diesen Diensten innerhalb des vorgenannten Gebiets erfolgt. Alle vertraglichen Beziehungen zwischen Ihnen und M* gelten als von den Parteien in Malta eingegangen und durchgeführt, und zwar am eingetragenen Sitz von M*“.

[3] Nachdem er unter Abzug von Gewinnen einen Gesamtspielverlust von 7.796,86 EUR erlitten hatte, erfuhr der Spieler von der Möglichkeit, die Verluste zurückzufordern. Er kontaktierte in diesem Zusammenhang eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die ihm eine Zahlung von 1.942,51 EUR für die Abtretung seiner Rückforderungsansprüche anbot. Der Spieler nahm dieses Anbot an und unterfertigte ein ihm übermitteltes Schreiben mit folgendem wesentlichen Inhalt:

„Abtretungsvertrag

Hiermit treten Sie sämtliche Erstattungsansprüche und Schadenersatzansprüche, die im Zusammenhang mit der Nutzung des Glücksspielangebots des unten bezeichneten Schuldners entstanden sind, an die [Klägerin](...) ab. Die Gesellschaft nimmt die Abtretung an.“

[4] Die Klägerin begehrt unter Berufung auf die Abtretungserklärung des Spielers die Rückzahlung des von ihm bei Online‑Glücksspielen der Beklagten erlittenen Verlusts. Mangels österreichischer Konzession der Beklagten sei der Glücksspielvertrag nichtig und der Verlustbetrag bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln. Im Übrigen werde die Forderung auch auf Schadenersatz gestützt. Die Zuständigkeit des Erstgerichts gründe sich auf Art 7 Nr 1 und 2 sowie Art 18 Abs 1 EuGVVO.

[5] Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit. Sie habe mit dem Spieler eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten maltesischer Gerichte geschlossen, die auch die Zessionarin gegen sich gelten lassen müsse. Malta sei auch der Erfüllungsort der von der Beklagten erbrachten Leistungen gewesen.

[6] Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück.

[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

[8] Die Klägerin, bei der es sich um keine Verbraucherin handle, müsse sich als Zessionarin die mit dem Spieler geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung entgegenhalten lassen. Der Umstand, dass sie ihren Sitz in der Schweiz habe, ändere nichts an der Anwendbarkeit des Art 25 EuGVVO 2012. Davon unabhängig wären die Voraussetzungen für die von der Klägerin herangezogenen Gerichtsstände des Erfüllungs- und Deliktsorts nach Art 7 EuGVVO 2012 ebenfalls nicht erfüllt.

[9] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur über den Einzelfall hinaus bedeutenden Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für vergleichbare Klagen von Inkassogesellschaften gegen im EU-Ausland ansässige Beklagte fehle.

[10] Der Revisionsrekurs der Klägerin macht unrichtige rechtliche Beurteilung als Rechtsmittelgrund geltend und strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Bejahung der internationalen Zuständigkeit an.

[11] Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, jedenfalls ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

1. Gerichtsstandsvereinbarung

[13] Unstrittig ist, dass der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (Neufassung; EuGVVO 2012, in der Folge: EuGVVO) im vorliegenden Fall eröffnet ist.

[14] Der Revisionsrekurs stellt nicht in Frage, dass sich die Klägerin als Zessionarin einer aus einem Verbrauchergeschäft abgetretenen Forderung selbst nicht auf den Verbrauchergerichtsstand des Art 18 Abs 1 EuGVVO berufen kann (vgl EuGH C‑498/16 , ECLI:EU:C:2018:37, Schrems, Rn 44 mwH).

[15] Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen liege aber keine sie aufgrund des Rechtsübergangs bindende wirksame Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Spieler vor. Die festgestellte Form der Annahme der AGB habe dazu nicht genügt, außerdem wäre eine solche Klausel als missbräuchlich anzusehen. Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

[16] Der Oberste Gerichtshof hat in einem gleich gelagerten Fall (10 Ob 56/22s) derselben Klägerin gegen einen unionsansässigen Glücksspielanbieter ausgeführt:

„In der Entscheidung C‑519/19 , ECLI:EU:C:2020:933, Ryanair DAC, hat der EuGH ausgeführt, dass eine in einen Vertrag aufgenommene Gerichtsstandsklausel ihre Wirkung grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen den Parteien entfaltet, die dem Abschluss des Vertrags zugestimmt haben (Rn 42). Einen Dritten – wie hier die Klägerin – könnte eine Gerichtsstandsklausel, der er nicht zugestimmt hat, nur dann binden, wenn er nach dem in der Sache anwendbaren nationalen Recht in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartner eingetreten ist (Rn 47). Zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel führt der EuGH aus, dass nach Art 25 Abs 1 EuGVVO die in der Gerichtsstandsklausel bezeichneten Gerichte zuständig sind, es sei denn, die Gerichtsstandsvereinbarung ist nach dem Recht [des betreffenden] Mitgliedstaats materiell nichtig (Rn 49). Der EuGH wies weiters auf die Entscheidung Lexitor (C‑383/18 , ECLI:EU:C:2019:702, Rn 20) hin und führte aus, dass die Tatsache, dass sich in dieser (und anderen) Rechtssachen nur Gewerbetreibende gegenüberstanden, der Anwendung eines Instruments aus dem Verbraucherschutzrecht der Union nicht entgegensteht, weil der Anwendungsbereich der RL 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge nicht von der Identität der Parteien des fraglichen Rechtsstreits, sondern von der Eigenschaft der Vertragsparteien abhängt (Rn 53). Im Spruch dieser Entscheidung hielt der EuGH zunächst fest, dass eine Fluggesellschaft eine Gerichtsstandsklausel, die in einem Beförderungsvertrag mit einem Fluggast enthalten war, einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat, nicht im Zuständigkeitsstreit entgegenhalten kann, es sei denn, dass nach den Rechtsvorschriften des Staates, dessen Gerichte in dieser Klausel bestimmt sind, die Inkassogesellschaft in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei (des Fluggastes) eingetreten ist. Im zweiten Satz des Tenors sprach er – ohne Bezugnahme auf die Abtretung der Forderung – aus, dass gegebenenfalls eine Gerichtsstandsklausel in einem Beförderungsvertrag, die nicht im Einzelnen ausverhandelt worden ist, missbräuchlich im Sinn von Art 3 RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln sein kann.

(...) Daraus ergibt sich, dass in einem ersten Schritt die Frage der Wirksamkeit der zwischen den ursprünglichen Parteien vereinbarten Gerichtsstandsklausel zu prüfen ist. Bejaht man diese, ist erst in einem zweiten Schritt die Wirksamkeit der Rechtsnachfolge zu prüfen, was nach dem sich aus Art 14 Rom‑I‑VO ergebenden Recht zu geschehen hat (und nicht nach Art 25 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 EuGVVO, vgl Mankowski, Legal Tech im Inkassomodell und Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, RIW 2021, 397 [402]).

(...) In der Entscheidung C‑519/19 war eine Gerichtsstandsklausel in einem Beförderungsvertrag zu beurteilen. Beförderungsverträge sind gemäß Art 17 Abs 3 EuGVVO vom Verbraucherschutzregime nach der EuGVVO ausgenommen. Im vorliegenden Fall kommen die Art 17 ff EuGVVO hingegen zur Anwendung, sodass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Spieler und der Beklagten nicht nach (dem von Pkt 24 AGB des Spielervertrags verwiesenen) maltesischem Recht zu beurteilen ist, sondern – aufgrund des Anwendungsvorrangs der EuGVVO (RIS‑Justiz RS0106679 [T6]; RS0109738; Staudinger in Rauscher, EuZPR‑EuIPR I5 Einl Brüssel Ia‑VO Rn 27) – nach den Regeln der EuGVVO.

(...) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust‑Bedingungen haben gemäß Art 25 Abs 4 EuGVVO ua dann keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften des Art 19 EuGVVO zuwiderlaufen. Gemäß Art 19 EuGVVO ist eine Gerichtsstandsvereinbarung in Verbrauchersachen nur nach Entstehen des Rechtsstreits zulässig (Nr 1), weiters wenn sie dem Verbraucher noch andere Gerichtsstände zur Verfügung stellt (Nr 2) und schließlich, wenn sie für beide Parteien den gemeinsamen Wohnsitz oder den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt als Gerichtsstand festschreibt und eine solche Vereinbarung nach dem Recht des Wohnsitz‑(oder Aufenthalts‑)mitgliedstaats zulässig ist (Nr 3; Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4, Art 19 EuGVVO Rz 3).“

[17] Nach diesen Ausführungen, die der erkennende Senat teilt, erfüllt die in Pkt 24 der AGB der Beklagten enthaltene Gerichtsstandsklausel die notwendigen Voraussetzungen nicht. Sie wurde daher nicht wirksam vereinbart. Der Spieler akzeptierte die AGB der Beklagten, spielte in der Folge und erlitt Verluste. Dass (gerichtliche) Streitigkeiten daraus unmittelbar bevorstanden, ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen (vgl Simotta in Fasching/Konecny V/1³ Art 19 EuGVVO Rz 6 mwH).

[18] Mangels einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung kann auch die Klägerin als Zessionarin nicht daran gebunden sein, ohne dass auf die Wirksamkeit der Rechtsnachfolge noch weiter einzugehen ist.

2. Gerichtsstand des Erfüllungsorts

[19] Der Revisionsrekurs hält diesen Gerichtsstand für eröffnet, weil der Spieler die Rückzahlung seiner Einsätze begehre und diese Schuld (offenbar gemeint: wenn sie im Verfahren bejaht würde) als Geldschuld von der Beklagten an seinem Wohnsitz zu erfüllen wäre. Darüber hinaus sei bei richtiger Betrachtung das Endgerät, auf dem der Spieler seine Einsätze tätigt, der Ort, an dem sie ihre Dienstleistung zu erbringen habe.

[20] 2.1. Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, kann gemäß Art 7 Abs 1 lit a EuGVVO eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Orts verklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre.

[21] Es entspricht der herrschenden Auffassung, dass der Gerichtsstand des Art 7 Nr 1 EuGVVO nicht nur den Vertragsparteien, sondern auch deren Gesamt‑ oder Einzelrechtsnachfolgern zur Verfügung steht (10 Ob 56/22s unter Verweis auf Leible in Rauscher, EuZPR‑EuIPR5 Art 7 Brüssel‑Ia‑VO, Rn 11; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4, Art 7 Rz 33; 9 Ob 104/04s).

[22] 2.2. Die Begriffe „Vertrag“ und „Ansprüche aus einem Vertrag“ sind nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich autonom auszulegen und lassen sich nicht als Verweisung darauf verstehen, wie das dem nationalen Gericht unterbreitete Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist. Danach ist unter „Vertrag“ jede von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung zu verstehen (zuletzt 10 Ob 56/22s unter Verweis auf 4 Ob 11/11p; RS0108473; EuGH C‑548/12 , ECLI:EU:C:2014:148, Brogsitter, Rn 18). Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung als Folge eines nichtigen Vertrags – wie sie die Klägerin hier als Zessionarin geltend macht – fallen unter Art 7 Nr 1 EuGVVO, weil die durch das behauptete konzessionslose Anbieten eines Glücksspiels verletzte Primärverpflichtung aus einer Vertragspflicht herrührt (10 Ob 56/22s; Simotta in Fasching/Konecny V/1³ Art 7 EuGVVO Rz 50 mwH).

[23] 2.3. Ein Kaufvertrag über bewegliche Sachen im Sinn des von Art 7 Nr 1 lit b erster Gedankenstrich EuGVVO wird hier von den Parteien nicht behauptet.

[24] Zur Beurteilung eines Glücksspielvertrags hat der Oberste Gerichtshof in der Rechtssache 10 Ob 56/22s unter anderem Folgendes ausgesprochen:

„Der Begriff 'Dienstleistungen' im Sinn von Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO ist autonom auszulegen und bedeutet nach der Rechtsprechung des EuGH zumindest, dass die Partei, die sie erbringt, eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt durchführt. Das Kriterium des Vorliegens einer Tätigkeit erfordert die Vornahme positiver Handlungen und schließt bloße Unterlassungen aus (EuGH C‑307/19 , ECLI:EU:C:2021:236, Obala i lučice d.o.o., Rn 93, 94 mwH; Simotta in Fasching/Konecny V/1³ Art 7 EuGVVO Rz 170 f mwH). (...)

Nach dieser Rechtsprechung ist der Vertrag des Spielers mit der Beklagten als Dienstleistungsvertrag im Sinn des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO anzusehen: Die Beklagte übt eine Tätigkeit aus, sie bietet Glücksspiele im Internet an. Als Entgelt erbringt der Spieler seinen Einsatz, der der Beklagten – abzüglich eines allfällig vom Spieler erzielten Gewinns – verbleibt. Zwar erbringt der Spieler 'Mitwirkungshandlungen', diese bestehen aber nur in einem Abruf der von der Beklagten bereitgestellten Leistung im Internet (...) (Gottwald in MüKomm zur ZPO6 Art 7 Brüssel‑Ia‑VO, Rn 31; zu 'Telemedizinverträgen' vgl Leible in Rauscher, EuZPR‑EuIPR5 Art 7 Brüssel‑Ia‑VO, Rn 67).

Liegt ein Dienstleistungsvertrag im Sinn des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO vor, kann der Anspruch am Erfüllungsort der jeweils vertragscharakteristischen (dh nicht in einer Geldzahlung bestehenden) Leistung geltend gemacht werden (2 Ob 211/04z; RS0118364 [T7]; Gottwald in MüKomm zur ZPO6 Art 7 Brüssel‑Ia‑VO, Rn 29).

Entscheidend ist dabei die diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien (RS0118507 [T5]; RS0118365 [T2]). Bei einem Dienstleistungsvertrag ist auf der Grundlage dieses Vertrags der Ort zu ermitteln, an dem der Dienstleister seine Tätigkeit hauptsächlich vorzunehmen hatte (EuGH C‑19/09 , ECLI:EU:C:2010:137, Wood Floor Solutions, Rn 38). (...) Im vorliegenden Fall erforderte zwar das Abrufen von Glücksspielen auf der Webseite der Beklagten die Mitwirkung des Spielers, die Glücksspiele wurden aber von der Beklagten auf ihrer Webseite 'bereit gehalten' (angeboten). Der Sitz der Beklagten liegt in Malta, sodass Malta auch Leistungsort im Sinn des Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO ist.“

[25] Aus diesen – vom erkennenden Senat geteilten – Ausführungen ergibt sich hier, dass ein Gerichtsstand des Erfüllungsorts für die aus dem Titel der ungerechtfertigten Bereicherung geltend gemachten Ansprüche in Österreich nicht besteht.

3. Deliktsgerichtsstand

[26] Der Revisionsrekurs macht jedoch zu Recht geltend, dass die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts insoweit gegeben ist, als die Klägerin ihre Ansprüche auf deliktischen Schadenersatz stützt und damit den Deliktsgerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO geltend macht.

[27] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 Ob 56/22s bei gleichartigem Sachverhalt zu dieser Frage folgendermaßen Stellung bezogen:

„Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 kann, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Orts geklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.

(...) Der EuGH definiert Klagen aus 'unerlaubten Handlungen' als Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen 'Vertrag' im Sinne des Art 7 Nr 1 EuGVVO anknüpfen (RS0115357). Beruft sich der Kläger auf die Regeln über die Haftung aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, also auf einen Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung, und erscheint es nicht unerlässlich, den Inhalt des mit dem Beklagten geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das diesem vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, weil diese Verpflichtung des Beklagten unabhängig von diesem Vertrag besteht, so bilden eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand der Klage im Sinne von Art 7 Nr 2 EuGVVO (EuGH C‑59/19 , ECLI:EU:C:2020:950, Wikingerhof, Rn 33; C‑548/12 , Rn 25). Sache des nationalen Gerichts ist es zu prüfen, ob die Ansprüche des Klägers – unabhängig von ihrer Einordnung nach nationalem Recht – im Sinn der EuGVVO vertraglicher Art sind oder vielmehr eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, zum Gegenstand haben (EuGH C‑59/19 Wikingerhof, Rn 30; C‑548/12 , Bragsitter, Rn 26).

(...) Die Klägerin stützt ihre Ansprüche auf deliktischen Schadenersatz, weil die Beklagte in Österreich konzessionslos und unter Missachtung der strafrechtlichen Bestimmungen des § 168 Abs 1 StGB und § 1 Abs 1 GspG – als Schutzgesetze zugunsten des Spielers – verbotenes Glücksspiel anbot.

Die zivilrechtliche Unerlaubtheit eines Spiels, das den in § 168 Abs 1 StGB und § 1 Abs 1 GSpG genannten Charakter hat, bei dem also Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen, setzt überdies eine Strafbarkeit im Sinn des § 168 StGB nicht voraus (10 Ob 22/22s mwH; RS0102178 [T10]; RS0038378). Um die darauf gestützten deliktischen Schadenersatzansprüche der Klägerin zu beurteilen, ist es daher nicht unerlässlich, den Inhalt des Vertrags zwischen dem Spieler und der Beklagten zu prüfen, weil bereits der behauptete Verstoß der Beklagten gegen die § 168 Abs 1 StGB und § 1 Abs 1 GSpG zivilrechtliche Schadenersatzansprüche aus deliktischer Haftung nach sich zieht (vgl 6 Ob 229/21a Rz 28 f ua).

(...) Grundsätzlich kann der Geschädigte seine Ansprüche alternativ am Handlungs‑ oder Erfolgsort geltend machen (EuGH C‑709/19 , ECLI:EU:C:2021:377, Vereniging van Effectenbezitters, Rn 26; 8 Ob 30/19y; RS0115357 [T19], RS0109078 [T27]). Erfolgsort ist der Ort, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten (Simotta in Fasching/Konecny V/1³ Art 7 EuGVVO Rz 335 mwH; RS0119142). Für den Bereich eines reinen Vermögensschadens – wie er auch im vorliegenden Fall geltend gemacht wird – kann der Geschädigte an seinem Wohnort nur dann klagen, wenn neben der Vermögensbeeinträchtigung an diesem Ort ein weiteres Element der unerlaubten Handlung in diesem Staat eingetreten ist oder hier gesetzt wurde, wenn daher der Wohnsitz des Klägers tatsächlich der Ort des ursächlichen Geschehens oder der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist (EuGH C‑375/13 , ECLI:EU:C:2015:37, Kolassa, Rn 50; C‑709/19 Rn 29 ua; 8 Ob 30/19y; 8 Ob 75/18i).

(...) Dem Einwand der Beklagten, der – hier maßgebliche – Erstschaden habe sich infolge der Einzahlung des Einsatzes des Spielers auf das Spielerkonto in Malta verwirklicht, ist entgegenzuhalten, dass der dort erliegende Spieleinsatz sich nach dem Erfolg oder Misserfolg des Spiels richtet. Verluste werden mit Gewinnen ausgeglichen, sodass erst der letztlich verbleibende Verlust einen Erstschaden darstellt, der sich für den Spieler durch das Fehlen des entsprechenden Betrags in seinem in Österreich befindlichen Vermögen auswirkt.“

[28] Entscheidend ist danach nicht, wo die Beklagte die Spielerkonten führt. Die Einzahlung des Spielers schädigt sein Vermögen nicht, denn ihm steht in gleicher Höhe eine Forderung gegen die Beklagte gegenüber, die er sich jederzeit auf Verlangen wieder auszahlen lassen kann. Erst ein die Gewinne übersteigender Verlust aus dem verbotenen Glücksspiel schädigt das Vermögen des Spielers, indem sich sein Auszahlungsanspruch dadurch um den Verlust vermindert.

[29] Nach Österreich weist auch, dass die den Schadenersatz begründende Rechtswidrigkeit aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht resultiert, also einem Verstoß gegen öffentlich‑rechtliche österreichische Eingriffsnormen (vgl 10 Ob 56/22s). Das vorgeworfene deliktische Verhalten der Beklagten bestand nicht im Anbieten von Online-Glücksspielen an sich (wozu sie nach ihrem Sitzrecht befugt ist), sondern darin, dieses Angebot für österreichische Spieler im Geltungsbereich der Konzessionspflicht zugänglich und nutzbar zu machen.

[30] 4. Der Revisionsrekurs ist daher teilweise berechtigt.

[31] Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts ist gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO in dem Umfang zu bejahen, in dem der Kläger seine Ansprüche auf deliktischen Schadenersatz stützt. Hingegen können Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht beim Gerichtsstand für Deliktsklagen des Art 7 Nr 2 EuGVVO geltend gemacht werden (10 Ob 56/22s, 4 Ob 173/19y; RS0109739 [T12]). Dies gilt selbst für Bereicherungsansprüche, die aus einem Eingriff in Rechtsgüter des Entreicherten herrühren, weil mit ihnen nur die Rückgängigmachung der Entreicherung, nicht aber Schadenersatz begehrt wird (5 Ob 49/06a; 10 Ob 56/22s; RS0109078 [T4]).

[32] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 und 4 ZPO.

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