OGH 2Ob211/04z

OGH2Ob211/04z20.2.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel und Dr. Veith, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Grohmann und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Rumplmayr, Dr. Andreas Haberl und Mag. Franz Hoffmann, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, gegen die Beklagte C***** S.p.A., *****, vertreten durch Aichinger, Bucher & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Villach, wegen Feststellung (Streitwert EUR 70.000,- -) über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 14. Juli 2004, GZ 12 R 20/04d-21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin begehrt in ihrer Klage die Feststellung, es stehe ihr nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten in analoger Anwendung des § 24 HVertrG ein Ausgleichsanspruch zu.

Nach dem dem vorliegenden Zuständigkeitsstreit zugrunde liegenden (Rahmen-)Vertrag kaufte die Klägerin Waren von der in Italien ansässigen Beklagten und veräußerte sie in Österreich weiter. Neben der Kaufpreiszahlung war sie zu weiteren Leistungen verpflichtet, die sie in Österreich erbrachte und die teilweise auf einen Vertragshändlervertrag hindeuten (Mindestabnahme, Werbung, Berichterstattung, Preisbindung). Sonst war sie in ihrer Geschäftsgebarung aber frei.

Die Preise waren „ex factory Lager Verona" vereinbart. Die Beklagte beauftragte jedoch nach Rücksprache mit der Klägerin und nach deren Genehmigung einen Spediteur, der zuerst ein Lager in Deutschland und dann die Klägerin in Österreich belieferte. Für die Kosten musste die Klägerin aufkommen, die ohne diese Vorgangsweise den Transport selbst hätte organisieren müssen.

Die Vorinstanzen haben auf dieser Grundlage eine österreichische Zuständigkeit nach Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO verneint. Der Rechtsmittelwerberin gelingt es nicht, eine dabei im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen.

1. Die Entscheidung zwischen den beiden Alternativen des Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO (Kauf- oder Dienstleistungsvertrag) hängt davon ab, welches Element bei einer Gesamtbetrachtung überwiegt. Dieser im Verfahren unstrittig gebliebene Grundsatz entspricht nicht nur der völlig herrschenden Lehre zu dieser Bestimmung (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8, Art 5 EuGVVO Rz 40; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/G.Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2, Art 5 EuGVVO Rz 31; Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Art 5 EuGVVO Rz 11). Er steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art 5 Nr 1 EuGVÜ, wonach „Nebensächliches der Hauptsache" folgt (Rs 266/85, Slg 1987, 239 [Shenavai]; 9 ObA 247/98h).

Nach Art 5 Nr 1 EuGVÜ führte dies zur Anknüpfung von strittigen Nebenverpflichtungen an der jeweils strittigen Hauptverpflichtung. Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO stellt demgegenüber nicht mehr auf den Erfüllungsort der jeweils strittigen Leistung ab. Vielmehr können nun alle Ansprüche aus einem Kauf- oder Dienstleistungsvertrag am Erfüllungsort der jeweils vertragscharakteristischen (dh nicht in einer Geldzahlung bestehenden) Leistung geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0118364; Kropholler, aaO, Art 5 Rz 45; Czernich, aaO, Art 5 Rz 26; Burgstaller/Neumayr, aaO Art 5 Rz 13). Hier folgt daher aus dem vom EuGH angenommenen Vorrang der „Hauptsache", dass bei der Unterscheidung zwischen Kauf- und Dienstleistungsverträgen auf die beim jeweiligen Vertrag im Vordergrund stehende Nicht-Geldleistung abzustellen ist, die anders als früher nicht mehr unbedingt auch selbst strittig sein muss.

Die Vorinstanzen haben ein Überwiegen des Kaufvertragselementes angenommen. Diese Beurteilung hängt von der Bewertung der konkreten vertraglichen Beziehung zwischen den Streitteilen und damit von den Umständen des Einzelfalls ab. Ihr kommt daher keine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0042405, insb T1), sodass eine erhebliche Rechtsfrage nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht vorläge (RIS-Justiz RS0042405, T12; RS0021095).

Es mag zwar zutreffen, dass bei typischen (Allein-)Vertriebs- oder Vertragshändlerverträgen das Dienstleistungselement auch dann im Vordergrund steht, wenn der Händler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung handelt (vgl Bajons, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes: Rück- und Ausblick auf eine umstrittene Norm, FS Geimer 15, 54 ff; Czernich in Czernich/Tiefenthaler/G.Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2, Art 5 Rz 40). Ein solcher Vertrag liegt hier aber nach der vertretbaren Beurteilung des Rekursgerichtes nicht vor. Die Klägerin war in ihrer Geschäftsgebarung grundsätzlich frei. Sie war nicht in die Geschäftsorganisation der Beklagten eingebunden, unterlag keinem Wettbewerbsverbot und war auch nicht zur Lagerhaltung verpflichtet. Ein Alleinvertriebsrecht (Exklusivität) steht nicht fest; die Beklagte hatte auch kein Recht auf Zutritt zu Räumlichkeiten der Klägerin oder zur Einsicht in deren Unterlagen.

Geht man von diesem nach Beweisaufnahme festgestellten Sachverhalt aus, auf den sich das Rechtsmittel ausschließlich bezieht, hat das Rekursgericht den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Dass die Zuständigkeitsfrage nicht aufgrund des festgestellten Sachverhaltes, sondern aufgrund des diesbezüglichen (möglicherweise doppelrelevanten, vgl RIS-Justiz RS0056159 und RS0116404) Tatsachenvorbringens der Klägerin zu entscheiden gewesen wäre, wird im Rechtsmittel nicht releviert.

2. Auch die Verneinung eines österreichischen Lieferortes iSv Art 5 Abs 1 lit b, erster Fall, EuGVVO ist nicht zu beanstanden.

Das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass die Bestimmung des Lieferortes nach tatsächlichen Kriterien zu erfolgen hat (vgl 1 Ob 63/03a, EvBl 2004/83; 4 Ob 147/03a, RdW 2004, 416; 1 Ob 123/03z; EvBl 2004/29; Kropholler, aaO Art 5 Rz 45 ff; Burgstaller/Neumayr, aaO, Art 5 Rz 13). Entscheidend ist dabei schon nach dem Wortlaut von Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO die diesbezügliche Vereinbarung der Parteien (1 Ob 94/04m; RIS-Justiz RS0118365; Kropholler, aaO, Art 5 Rz 48; Burgstaller/Neumayr, aaO, Art 5 Rz 15).

Wie in diesem Zusammenhang die Vereinbarung der Parteien zu beurteilen ist, wonach die Ware bei einer Niederlassung der Verkäuferin bereitzuhalten ist („ex factory Lager Verona"), hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl 8 Ob 239/02h = ZfRV-LS 2003/52; 4 Ob 147/03a, RdW 2004, 416; für die grundsätzliche Relevanz solcher Klauseln [Incoterms] nach neuer Rechtslage Czernich, aaO Art 5 Rz 35; Rauscher, aaO 947; Burgstaller/Neumayr, aaO, Art 5 Rz 15). Sie als Festlegung eines Lieferortes zu deuten, ist jedenfalls nicht unvertretbar.

In weiterer Folge wurde die Übersendung der Ware zwar von der Beklagten organisiert. Der Auftrag an die Spedition erfolgte aber nicht nur auf Kosten, sondern auch „mit Genehmigung" der Klägerin. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Beklagte bei der Versendung für die Klägerin handelte (die sonst, wie festgestellt, nach dem Vertrag selbst für die Abholung hätte sorgen müssen). Wenn das Rekursgericht auf dieser Grundlage annahm, dass der Transport bereits in die Sphäre der Klägerin gefallen und Verona daher Liefer-(Erfüllungs-)ort iSv Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO geblieben sei, ist das ebenfalls keine im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels wahrzunehmende Fehlbeurteilung.

3. Der Rechtsmittelwerberin gelingt es somit nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Der außerordentliche Revisionsrekurs war aus diesem Grund zurückzuweisen.

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