OGH 8Ob169/18p

OGH8Ob169/18p25.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

 Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 9 C 804/13i, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 31. Oktober 2018, GZ 18 R 45/18y‑15, mit dem das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel (richtig: Rekurs) gegen das Urteil (richtig: Beschluss) des Bezirksgerichts Baden vom 6. Dezember 2017, GZ 9 C 621/17h‑8 (9), zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00169.18P.0125.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 695,64 EUR (darin enthalten 115,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 9 C 804/13i. Der vom Gericht in diesem Verfahren bestellte Sachverständige habe sich zur Begründung seines Gutachtens auf Studien bezogen, die von der Beklagten mitfinanziert worden seien. Dies sei ihr erst durch die erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen in einem anderen Verfahren bekannt geworden.

Die Beklagte bestritt und wandte im Wesentlichen ein, dass die vermutete Befangenheit eines Sachverständigen keinen Ablehnungsgrund darstelle, im wiederaufzunehmenden Verfahren andere medizinische Fragen zu beurteilen gewesen seien, weshalb die Studie, auf die sich die Klägerin beziehe, überhaupt kein Thema gewesen sei und das Zitieren relevanter Studien zu den zu beurteilenden Sachfragen unabhängig von der Finanzierung keine Befangenheit des Sachverständigen begründen könne.

In der Tagsatzung vom 6. 12. 2017 verkündete das Erstgericht den Beschluss auf Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage. Die schriftliche Ausfertigung erfolgte jedoch in Urteilsform. Die Zurückweisung der Klage wurde unter anderem damit begründet, dass die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen keinen Wiederaufnahmegrund bilde. Die Studie, auf die sich die Klägerin beziehe, habe keinen Einfluss auf die gutachterliche Stellungnahme gehabt. Darüber hinaus habe schon die behauptete Erkrankung der Klägerin nicht festgestellt werden können, weshalb die Frage, inwieweit Produkte der Beklagten ursächlich für eine solche Erkrankung gewesen seien, für den Verfahrensausgang nicht von Relevanz gewesen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme lägen daher nicht vor.

Die gegen diese Entscheidung erhobene „Berufung“ der Klägerin wurde vom Rekursgericht als Rekurs behandelt und – ebenso wie die „Berufungsbeantwortung“ der Beklagten – als verspätet zurückgewiesen. Es führte aus, dass sich die Zulässigkeit einer Anfechtung allein nach der vom Gesetz vorgeschriebenen Entscheidungsform richte. Dies gelte auch für den Fall der fälschlichen Abweisung eines Klagebegehrens mit Urteil, welches richtigerweise mit Beschluss hätte zurückgewiesen werden müssen. Das Fehlen einer Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Wiederaufnahmsklage sei in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen und führe zur Zurückweisung mit Beschluss. Es sei davon auszugehen, dass das Erstgericht eine Entscheidung im Sinn des § 538 ZPO auf beschlussmäßige Zurückweisung der Klage wegen der absoluten Untauglichkeit des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes getroffen habe. Dies decke sich auch mit den Ausführungen in der „Urteils“-Ausfertigung, in der die Wiederaufnahmsklage auch mit der Begründung zurückgewiesen worden sei, eine nachträglich hervorgekommene Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen bilde für sich keinen Wiederaufnahmegrund. Da sich somit die angefochtene Entscheidung als Beschluss darstelle, könne sie nur mit Rekurs angefochten werden. Das nach Ablauf der 14‑tägigen Rekursfrist eingelangte Rechtsmittel sei daher verspätet, ebenso die Rekursbeantwortung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen in eventu dem Rekursgericht zum Ausspruch über die Zulassung eines Revisionsrekurses rückzumitteln.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit des Rekurses:

Ein Beschluss des Rekursgerichts, mit dem ein an dieses gerichteter Rekurs gegen eine erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen wurde, ist zwar grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 528 ZPO anfechtbar (RIS‑Justiz RS0044501; RS0044269 [T1]). Richtet sich ein Rechtsmittel jedoch gegen einen Zurückweisungsbeschluss, der im anhängigen Verfahren auf die abschließende Verweigerung des Rechtsschutzes nach einer Klage hinausläuft, so ist nach ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog anzuwenden ( Zechner in Fasching/Konecny ZPO² § 519 Rz 21 mwN; RIS‑Justiz RS0043802; vgl auch RS0098745 [T25]). Dies wurde bereits mehrfach für die hier vorliegende Konstellation bejaht, dass eine „Berufung“ gegen eine Klagszurückweisung vom Gericht zweiter Instanz in einen Rekurs umgedeutet und wegen Verspätung zurückgewiesen worden war (4 Ob 233/16t; 8 ObA 10/15a; 9 ObA 35/13g; 8 ObS 8/10z). Das Rechtsmittel ist daher ungeachtet der Streitwertgrenze des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO und des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als „Vollrekurs“ zulässig (RIS‑Justiz RS0043882).

2. Zur Berechtigung des Rekurses:

2.1. Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neue Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Parteien günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Die neuen Tatsachen oder Beweismittel, auf die ein solches Wiederaufnahmsbegehren gestützt wird, müssen sich nicht unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung auswirken; es genügt, wenn sie geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, wobei auch neue Hilfstatsachen, aus denen Schlüsse auf eine Haupttatsache gezogen werden können, in Betracht kommen (RIS‑Justiz RS0044411, RS0044510).

Die Frage, ob die als Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO geltend gemachten Umstände ersichtlich von vornherein keinen Einfluss auf die Entscheidung in der Hauptsache haben können, ist bereits im Vorprüfungsverfahren (§ 538 Abs 1 ZPO) abstrakt zu prüfen (10 ObS 169/03f). Ergibt diese abstrakte Prüfung, dass die in der Klage vorgebrachten Tatsachen oder die aus den neuen Beweismitteln abzuleitenden Tatsachen sogar dann, wenn man sie als richtig unterstellt, zu keiner Änderung der früheren Entscheidung führen können, sind die vorgebrachten Umstände auch abstrakt als Wiederaufnahmsgrund untauglich und die Klage ist mit Beschluss zurückzuweisen. Bei dieser Prüfung der Wiederaufnahmsklage, bei der von der dem früheren Urteil zugrunde gelegten Rechtsansicht auszugehen ist, handelt es sich letztlich um eine Schlüssigkeitsprüfung (RIS‑Justiz RS0044631).

2.2. Eine nachträglich hervorgekommene Besorgnis einer Befangenheit bildet für sich allein keinen Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (RIS‑Justiz RS0040662). Wenn die Klägerin geltend macht, dass der vorliegende Fall insoweit andern zu beurteilen sei, weil eine Befangenheit schon festgestellt worden sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Die in einem anderen Verfahren angenommene Befangenheit (im Sinn eines nachvollziehbaren Misstrauens gegen die Unbefangenheit), begründet im wiederaufzunehmenden Verfahren allenfalls die Besorgnis der Befangenheit, eine bindende Entscheidung darüber liegt damit aber nicht vor.

Das Wiederaufnahmebegehren scheitert daher schon an der absoluten Untauglichkeit des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes, ohne dass es darauf ankäme, ob die Berücksichtigung der geltend gemachten Ablehnungsgründe abstrakt dazu führen könnte, ein anderes Bild des entscheidungswesentlichen Sachverhalts herzustellen (vgl 5 Ob 552/94). Die Wiederaufnahmsklage war daher richtigerweise zurückzuweisen.

2.3. Auch das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass die behauptete Befangenheit des Sachverständigen keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstellt. Damit hat es eine Unschlüssigkeit der Wiederaufnahmsklage angenommen, sodass es nicht mit Urteil, sondern mit Beschluss auf Zurückweisung der Klage zu entscheiden hatte. Tatsächlich wurde auch ein Beschluss verkündet, von dem nur die Ausfertigungen abgewichen sind. Nach ständiger Rechtsprechung beeinflusst aber selbst das Vergreifen in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des gegen die Entscheidung erhobenen Rechtsmittels (RIS‑Justiz RS0036324) und verlängert nicht die Rechtsmittelfrist, weil auch Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung von Notfristen führen können (RIS‑Justiz RS0036324 [T14]). Ob eine Entscheidung anfechtbar ist und mit welchem Rechtsmittel das zu geschehen hat, hängt nicht davon ab, welche Entscheidungsform das Gericht tatsächlich gewählt hat oder wählen wollte, sondern nur davon, welche Entscheidungsform die richtige ist (RIS‑Justiz RS0041880 [T1]; RS0041859 [T3]). Hat das Erstgericht die Klage unrichtigerweise in Urteilsform zurückgewiesen, so steht dagegen nur der Rekurs offen (RIS‑Justiz RS0040285).

Richtig ist daher das Gericht zweiter Instanz davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Erstgerichts nur mit Rekurs bekämpft werden kann und das als „Berufung“ bezeichnete Rechtsmittel der Klägerin als ein solcher Rekurs zu verstehen ist. Die Rekursfrist beträgt aber nach § 521 Abs 1 ZPO 14 Tage. Zu Recht wurde der Rekurs daher als verspätet zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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