European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00131.21D.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Bestandgeberin und die Beklagte Bestandnehmerin einer Geschäftsräumlichkeit in Wien. Die Beklagte betreibt in dem Bestandobjekt entsprechend dem im Mietvertrag vereinbarten Verwendungszweck eine Gastwirtschaft. Eine Änderung des Verwendungszwecks ist nur mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung des Vermieters gestattet.
[2] Nach § 7 Abs 1 COVID‑19‑Schutzmaßnahmenverordnung idF BGBl II 463/2020 war ab 3. 11. 2020 („Zweiter Lockdown“) das Betreten und Befahren von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Gastgewerbes untersagt. Abweichend von Abs 1 erklärte § 7 Abs 7 dieser Verordnung die Abholung von Speisen und Getränken zwischen 06:00 und 20:00 Uhr für zulässig, sofern diese nicht vor Ort konsumiert werden und gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten sowie eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung getragen wird. § 7 Abs 1 galt nach § 7 Abs 8 der Verordnung nicht für Lieferservices.
[3] Die Beklagte bezahlte von November 2020 bis Jänner 2021 keinen Mietzins für das Bestandobjekt.
[4] Die Klägerin begehrt die Zahlung des ausständigen Mietzinses von insgesamt 13.342,11 EUR sA. Eine (gänzliche) Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts sei trotz des behördlichen Betretungsverbots für sämtliche gastronomische Betriebsstätten nicht gegeben gewesen, weil das Abholen und auch das Ausliefern von Speisen und Getränken ab dem 3. 11. 2020 erlaubt gewesen sei.
[5] Die Beklagte bestreitet. Der Betrieb eines Take‑away bzw ein Lieferservice seien nicht Geschäftsgegenstand einer Gastwirtschaft bzw eines Restaurants.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegenUnbrauchbarkeit des Bestandobjekts ab. Der vereinbarte Verwendungszweck „Gastwirtschaft“ beschreibe die Bewirtung von Gästen vor Ort in einem Lokal. Von der Beklagten könne nicht verlangt werden, dass sie ihr Angebot auf ein Abhol- und/oder Zustellservice umstelle, zumal die Vermieterin dem erst am 19. 3. 2021 zugestimmt habe.
[7] Das Berufungsgerichtbestätigte diese Entscheidung. Die infolge behördlicher Betretungsverbote in Bezug auf den Kundenbereich erfolgte Betriebsschließung sei Folge eines außerordentlichen Zufalls im Sinn des § 1104 ABGB, weshalb der Gebrauch des Bestandobjekts nicht „aus einem dem Bestandnehmer zugestoßenen Hindernisse oder Unglücksfalle vereitelt“ worden sei. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die Gebrauchsfähigkeit des Objekts eingeschränkt sei, richte sich auch im Anwendungsbereich der §§ 1104 f ABGB nach den Grundsätzen des § 1096 Abs 1 ABGB. Das Vorbringen beider Parteien könne nur so verstanden werden, dass die Beklagte bislang kein Abhol- oder Zustellservice angeboten habe. Damit stelle sich die Frage, ob die bloße Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- oder Abholservices einer vollständigen Mietzinsbefreiung entgegenstehe. Hier sei im Hinblick auf den im Mietvertrag mit „Gastwirtschaft“ vereinbarten Verwendungszweck von einer gänzlichen Unbrauchbarkeit des Geschäftslokals auszugehen. Ein möglicher Liefer- und Abholservice wäre für die Frage der Brauchbarkeit nur dann zu berücksichtigen, wenn ein solcher auch schon vor der Pandemie betrieben worden wäre. Beurteilungsmaßstab der Brauchbarkeit sei nämlich die bisher im Objekt zulässig ausgeübte Tätigkeit.
[8] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Brauchbarkeit von Geschäftsräumen in der Zeit behördlich verhängter Betretungsverbote wegen der Corona‑Pandemie noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[9] Die Klägerin beantragt in ihrer dagegen gerichteten Revision die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] DieBeklagte beantragt, die Revision derKlägerin zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[12] 1. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweilein der Entscheidung 3 Ob 78/21y – im Einklang mit den dort zitierten überwiegenden Literaturstimmen – ausgesprochen, dass die COVID‑19‑Pandemie als „Seuche“ im Sinn des § 1104 ABGB zu werten ist und aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren Unbenutzbarkeit führen (RS0133812).
[13] Dies ergibt sich daraus, dass schon nach der bisherigen Rechtsprechung als „außerordentliche Zufälle“ im Sinn des § 1104 ABGB elementare Ereignisse zu verstehen sind, die von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemeinen von niemandem Ersatz erwartet werden kann. Diese Elementarereignisse treffen stets einen größeren Personenkreis auf eine Weise, die durch eine gesetzliche Regelung über Ersatzansprüche nicht ausgeglichen werden kann (3 Ob 184/21m unter Verweis auf 7 Ob 520/87; 1 Ob 306/02k; Lovrek in Rummel/Lukas 4 §§ 1104–1108 ABGB Rz 8 mwN). Diese Kriterien treffen – wie jüngst in der Entscheidung 3 Ob 184/21m bekräftigt wurde – auch auf die COVID‑19‑Pandemie zu, was die Revisionswerberin inhaltlich gar nicht in Zweifel zieht. Vielmehr beruft sie sich darauf, dass das Bestandobjekt zumindest teilweise brauchbar gewesen wäre, weil die Beklagte während des „Zweiten Lockdowns“ ein Abhol- und/oder Zustellservice hätte betreiben können, sodass ihr nur eine teilweise Mietzinsminderung zustehe.
[14] 2.1 Die Frage, ob (teilweise) Unbenützbarkeit des Bestandgegenstands vorliegt, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen. Die in §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB angesprochene Unbrauchbarkeit entspricht daher der (teilweisen) Unbrauchbarkeit im Sinn des § 1096 ABGB (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1104–1108 Rz 2). Nach ständiger Rechtsprechung muss die Bestandsache eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und nach der Verkehrssitte erfolgt. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung ist daher in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (RS0021044; 3 Ob 185/15z; vgl Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 15; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 2). Dabei kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0020926 [insb T3]).
[15] 2.2 Demnachist der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 184/21m zu folgender Schlussfolgerung gelangt:
[16] Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so führt ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID‑19‑Pandemie zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts im Sinn des § 1104 ABGB (vgl Lovrek, COVID‑19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60, 3.2). Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode (Lovrek in Rummel/Lukas 4 § 1096 ABGB Rz 111; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 31 und § 1105 Rz 1).
[17] 3.1 Im Anlassfall ist davon auszugehen, dass die Beklagte weder vor dem 3. 11. 2020 noch danach ein Abhol- bzw Zustellservice angeboten hat. Dazu wäre sie allerdings entgegen ihrer Meinung sehr wohl auch ohne Zustimmung der Klägerin berechtigt gewesen:
[18] Unter die Gewerbeberechtigung für das Gastgewerbe fällt auch die Lieferung und damit der Verkauf von angerichteten kalten Platten, kalten oder warmen Buffets sowie sonstigen warmen Speisen und Menüs ohne Nebenleistungen (vgl VwGH 10. 9. 1991, Zl 91/04/0060). § 111 Abs 4 Z 4 lit a GewO berechtigt den Gastwirt insbesondere dazu, alles, was er den Gästen im Betrieb verabreicht, zB auch Torten und Mehlspeisen (auch im Ganzen), über die Gasse zu verkaufen (Gruber/Paliege‑Barfuß, GewO7 § 111 Anm 70).
[19] Nach dem Verständnis der beteiligten Verkehrskreise deckt der Geschäftszweck „Gastwirtschaft“ sämtliche Tätigkeiten, zu denen ein Gastgewerbetreibender nach der GewO berechtigt ist, also auchdas Anbieten eines Take‑away und die Lieferung von Speisen und Getränken. Die Parteien haben in erster Instanz nicht behauptet, dass sie dem Begriff in concreto einen davon abweichenden Sinn beigemessen und den Geschäftsgegenstand „Gastwirtschaft“ insoweit (gegenüber den sich aus der GewO ergebenden Berechtigungen) eingeschränkt hätten. Der Ansicht des Erstgerichts, die Einrichtung eines Take‑away oder Lieferservices wäre der Beklagten erst nach der Zustimmung der Klägerin möglich gewesen, kann daher nicht beigetreten werden.
[20] 3.2 Es bleibt hier daher zu klären, ob bereits die abstrakte Nutzungsmöglichkeit zu einer zumindest teilweisen Brauchbarkeit des Bestandobjekts und damit zu einer bloß anteiligen Mietzinsminderung führt.
[21] Diese Frage wird – anders als der weitgehend unstrittige Fall, wenn der Mieter etwa durch Einrichtung eines Lieferservices tatsächlich einen eingeschränkten Nutzen aus dem Bestandgegenstand zieht (vgl zB Tschütscher, Auswirkungen der COVID‑19‑Beschränkungen auf Bestandrechte, ZAK 2020, 184 [185]; Singer/Kessler, Erstes Urteil zu § 1104 ABGB, aber noch viele Fragen, immolex 2020, 386 [389]; Hochleitner,Die Auswirkungen von COVID‑19 auf Geschäftsraummieter und Pächter, ÖJZ 2020, 533 [539]; P. Bydlinski, Der Einfluss der COVID‑19‑Pandemie auf die Geschäftsraummiete, ÖJZ 2021, 1065 [1074]) – in der Literatur kontrovers diskutiert:
[22] Nach Prader/Pittl (Zu Reichweite und Wirkungen von COVID‑19 im Bestandrecht, RdW 2020, 402 [404]) ist beim vereinbarten Vertragszweck anzusetzen. Sei ein Abhol- oder Lieferservice vertraglich gedeckt, werde es ab dem Zeitpunkt der Möglichkeit eines Abhol- oder Lieferservices zu einer nur mehr bloß verhältnismäßigen Zinsminderung kommen. Daran ändere in der Regel auch nichts, dass ein solches unter Umständen „Umsatteln“ betriebswirtschaftlich nicht zielführend sei. Sollte eine solche „Neben- oder Zussatztätigkeit“ hingegen vertraglich untersagt sein, bestehe keine Nutzungsmöglichkeit. Der Bestandnehmer sei jedenfalls nicht verpflichtet, einen gänzlich anderen Vertragszweck als vertraglich vereinbart auszuüben, nur um das Bestandobjekt irgendwie nutzen zu können.
[23] Flume/Laimer (Periculum est locatoris, ImmoZak 2020, 28 [29]) vertreten die Ansicht, dass die Entscheidung des Bestandnehmers, die Möglichkeit eines Thekenverkaufs oder die Errichtung eines Lieferungsservices nicht wahrzunehmen, einer freiwilligen Nichtnutzung gleichzusetzen sei. Der Bestandnehmer müsse also, sollte das Lokal während der Dauer des eingeschränkten Nutzungsverbots vollständig geschlossen bleiben, einen Teil des Mietzinses dennoch leisten.
[24] Sehr ausführlich nimmt Pesek (Ausgewählte Fragen zu den Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie auf den Mietzins bei Geschäftsraummieten, wobl 2021, 125 [137 ff]) zu der Problematik Stellung: Ob eine zur Bestandzinsminderung berechtigende Schlechterfüllung des Bestandgebers vorliege, sei nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Die tatsächliche Leistung müsse objektiv von dem vertraglich Geschuldeten abweichen. Demgegenüber sei die subjektive Wahrnehmung des Bestandnehmers voneiner – nach objektiven Kriterien – vorliegenden Gebrauchsbeeinträchtigung für das Eingreifen der Bestandzinsminderung bedeutungslos. Objektiv betrachtet sei ein Restaurant als Mietobjekt durch das öffentlich‑rechtliche Verbot einer Konsumation in den Betriebsräumlichkeiten zwar weitgehend, aber durch die zugleich öffentlich‑rechtlich bestehende Erlaubnis des Anbietens eines Liefer- oder Abholservices noch nicht vollkommen unbrauchbar. Diese objektiv bestehende Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- oder Abholservices begründe bereits eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals, sofern ein solches Service nicht ausnahmsweise im Mietvertrag dezidiert und zulässigerweise untersagt worden sei. Es komme dann nicht mehr darauf an, ob der Mieter von dieser objektiv bestehenden Möglichkeit auch subjektiv tatsächlich Gebrauch mache. Unterlasse der Mieter den Betrieb eines derartigen Services, obwohl er diesen sowohl öffentlich‑rechtlich als auch mietvertraglich anbieten dürfe, dann sei dies im Anschluss an Flume/Leimer seiner Sphäre im Sinn des § 1107 ABGB zuzurechnen, sodass eine vollständige Mietzinsbefreiung ausgeschlossen sei. Dabei mache es keinen Unterschied, ob der Mieter schon vor der Pandemie zusätzlich zu seinem Lokalbetrieb einen Liefer- oder Abholservice betrieben habe oder nicht. Denn unabhängig davon, ob schon bisher ein derartiges Vertriebsmodell angeboten worden sei oder nicht, sei das Mietobjekt nach objektiven Grundsätzen für einen solchen Service zumindest noch beschränkt brauchbar. Dieser Standpunkt lasse sich mit dem Prinzip der Gefahrenbeherrschung bekräftigen. Der Bestandnehmer habe es in der Hand, beim Betrieb seines Unternehmens auf geänderte Umstände aus der neutralen Sphäre zu reagieren, indem er sein Geschäftsmodell anpassen könne, wie dies beispielsweise bei der Ansiedelung eines Konkurrenten in unmittelbarer Nähe zum Geschäftslokal des Bestandnehmers der Fall sei. Aus dem Prinzip der Gefahrenbeherrschung folge, dass im Zweifel der Geschäftslokalmieter das (Mietzins-)Risiko trage, wenn er zwar einen Liefer- oder Abholservice anbieten dürfe, aber von dieser Vertriebsmöglichkeit keinen Gebrauch machen möchte. Unterlasse er das Anbieten eines derartigen Vertriebsmodells, obwohl es ihm rechtlich gestattet sei, dann sei dies also seiner Sphäre im Sinn des § 1107 ABGB zuzurechnen, weil die Betriebsgestaltung und -ausübung allein ihm obliege.
[25] Im Anschluss daran spricht sich auch P. Bydlinski (Der Einfluss der COVID‑19‑Pandemie auf die Geschäftsraummiete, ÖJZ 2021, 1065 [1074]) dafür aus, eine Obliegenheit zur Einrichtung eines Abhol- und Lieferservices auch dann zu bejahen, wenn der Geschäftsinhaber Derartiges vor der Pandemie noch nicht angeboten hat. Einem Gastronomiebetrieb stünden sowohl die Mitarbeiter (mit geförderter Kurzarbeit) als auch die Küche zu Verfügung. Es könne daher keine Rede davon sein, dass der Mietgegenstand gar nicht gebraucht werden könne. Grenze sei wohl auch hier die Unzumutbarkeit, was bedeute, dass die Unterlassung solcher geschäftlicher Ersatztätigkeiten nur dann keinen anteiligen Mietzinsanspruch rechtfertige, wenn sie von vornherein für sich gesehen als wirtschaftliches Verlustgeschäft einzustufen wären.
[26] Lindenbauer (Auswirkungen von COVID‑19 auf die Geschäftsraummiete: Aktuelle Entwicklungen, wobl 2021, 90 [92]) stellt gleichfalls darauf ab, ob der Mietgegenstand objektiv betrachtet zum bedungenen Gebrauch benützbar ist. Die Möglichkeit eines Lieferservices eines Restaurants sei dann zu berücksichtigen, wenn sie schon ursprünglich vom bedungenen Gebrauch umfasst gewesen sei oder letzterer dahingehend (stillschweigend) abgeändert werde. Der Mieter könne nicht zur Änderung des bedungenen Gebrauchs „gezwungen“ werden und müsse daher keine Tätigkeiten aufnehmen, die nicht davon umfasst seien.
[27] Krenn/Schüßler‑Datler (Miete zahlen oder nicht? Zur Bestandzinsfortzahlung während hoheitlicher COVID‑19 Einschränkungen, RZ 2020, 123 [127]) unterscheiden zwischen Bestandnehmern, die trotz Betretungsverboten weiterhin teilweise dem bedungenen Bestandzweck nachgehen können, denjenigen, die die Möglichkeit nutzen, ihr Geschäftsmodell zu adaptieren, und denjenigen, die dem bedungenen Gebrauch nicht nachkommen können und keine andere Wahl haben, als ihr Geschäft für den Kundenverkehr temporär einzustellen, und für die eine alternative Nutzung nicht möglich ist. Damit scheinen sie – wie die bereits zuvor zitierten Autoren – auf die (bloß) objektive Möglichkeit einer (Rest-)Nutzung im Rahmen des Vertragszwecks abzustellen.
[28] Lovrek (COVID‑19: Auswirkungen auf Bestandverträge, ZIK 2020/60, 3.2) geht davon aus, dass eine gänzliche Betriebsschließung aus Anlass der COVID-19-Pandemie dann gänzliche Unbrauchbarkeit im bestandrechtlichen Sinn zur Folge habe, wenn der bisher ausgeübte Geschäftsbetrieb der vertraglichen Vereinbarung entspricht. Sei der Bestandzweck nicht eindeutig vertraglich festgelegt, sei die bisher im Objekt zulässig ausgeübte Tätigkeit Beurteilungsmaßstab. So könne der Vermieter etwa die gänzliche Unbrauchbarkeit eines Gastronomielokals nicht mit dem Argument entkräften, der Mieter könne im Objekt vorbestellte Speisen zubereiten und über einen Lieferdienst zustellen bzw vom Kunden direkt abholen lassen. Habe der Mieter allerdings bereits bisher ein derartiges Service angeboten oder biete er es nun als Reaktion auf die Lokalschließung an, sei das Bestandobjekt nicht gänzlich unbrauchbar. Die verbliebene Gebrauchstauglichkeit werde allerdings verhältnismäßig gering zu bewerten sein.
[29] Singer/Kessler (Erstes Urteil zu § 1104 ABGB, aber noch viele Fragen, immolex 2020, 386 [389]) meinen ebenfalls, dass die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB erhalten bleibe, wenn der Bestandnehmer seit jeher keinen Lieferdienst bzw Abholservice angeboten hat. Die Treuepflicht eines Bestandnehmers habe dort seine Grenzen, wo er sich einer eigenen wirtschaftlichen Gefahr aussetze. Eine Schadenminderungspflicht im Sinn des § 1304 ABGB scheide aus, weil dieser seine Grenzen im Schadenersatz habe.
[30] Auch Ehgartner/Weichbold, (COVID‑19: Mietzinsminderung für Geschäftsräume? wbl 2020, 250 [Fn 59]) bejahen eine teilweise Brauchbarkeit des Bestandobjekts nur für Unternehmen, die Online- bzw Lieferdienste schon vor der COVID‑19-Pandemie angeboten haben. Aus § 1105 ABGB sollte – bereits angesichts der notwendigen Vorlaufzeit und Kosten – keine Obliegenheit für Unternehmen abgleitet werden, solche Services erstmals einzurichten.
[31] Nach Fadinger/Seeber (COVID‑19 alleine reicht nicht für eine Mietzinsminderung gemäß §§ 1104 f ABGB, wobl 2020, 189 [199]) liege zwar bei Möglichkeit eines Restaurants, an der Theke zu bedienen bzw Essen auszuliefern, kein Mietzinsminderungsanspruch auf Null vor, weil die Küche weiterhin genutzt worden sei bzw zumindest hätte genutzt werden können. Das gelte allerdings nur dann, wenn das betreffende Restaurant bereits davor einen entsprechenden Service angeboten habe. Es könne dem Gastgewerbetreibenden nicht zugemutet werden, sein Geschäftsmodell innerhalb kürzester Zeit umzustellen, um einen Mietzinsminderungsanspruch zu behalten.
[32] Ebenso verneinen Laimer/Schickmair (in Resch, Corona-Handbuch1.06, Kap 11, Rz 8) in aller Regel eine Pflicht zum Neuaufbau eines Liefer- und Abholservices.
[33] Ähnlich verweist Karauschek (inEbhart/Karauschek/Reithofer,Mietzinsminderung und Mietzinsbefreiung in Zeiten der Pandemie, immo aktuell 2020, 81 [83]) darauf, dass niemand einem Wirt, der sein Geschäft nie anders als zum Betrieb einer traditionellen Gastwirtschaft verwendet hat, vorwerfen könne, keine Speisenauslieferung durch Zustelldienste zu haben, oder empfehlen könne, den Unternehmensgegenstand zu ändern.
[34] Hochleitner (Die Auswirkungen von COVID‑19 auf Geschäftsraummieter und Pächter, ÖJZ 2020, 533 [537 und 539]) betont, dass es keine Pflicht der Mieter gibt, ihren Geschäftsbetrieb komplett neu auszurichten bzw den Verwendungszweck umzustellen.
[35] 4. Der erkennende Senat tritt der Ansicht von Pesek et al bei, dass die Unbrauchbarkeit bzw Unbenützbarkeit des Bestandobjekts – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen ist. Daraus folgt, dass die hier objektiv bestehende Möglichkeit der Beklagten, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründet. Gleichwohl steht dem Mieter der Einwand offen, dass die Etablierung eines bislang nicht betriebenen Liefer- oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre. Unzumutbarkeit wird jedenfalls dann vorliegen, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre.
[36] Die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit des Bestandobjekts trifft den Bestandnehmer (RS0021416 [T2]). Daher muss auch der Bestandnehmer behaupten und beweisen, dass die Möglichkeit des Anbietens eines Liefer- und Abholservices im konkreten Fall gar keinen verbleibenden Gebrauchsnutzen gebracht hat.
[37] Ein entsprechendes Vorbringen hat die Beklagte hier auch erstattet, indem sie geltend gemacht hat, dass die Abholung oder Auslieferung von Speisen von ihrem Kunden- bzw Gästekreis nicht nachgefragt bzw angenommen würde. Dazu hat das Erstgericht allerdings keine Feststellungen getroffen. Von der zu erwartenden Bedeutung eines Liefer- und Abholservices für den Betrieb ist aber auch das Ausmaß der Mietzinsminderung abhängig (vgl auch die von Pesek aaO [138 f] genannten Beispiele eines in der innerstädtischen Fußgängerzone gelegenen Fast‑Food‑Lokals versus eines in der Einöde gelegenen Luxusrestaurants bzw eines Nachgastronomielokals). Der Mietzinsminderungsanspruch der Beklagten kann hier daher noch nicht abschließend beurteilt werden.
[38] Die Rechtssache ist somit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.
[39] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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