OGH 6Ob40/17a

OGH6Ob40/17a29.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagten 1. Mag. A***** P*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, 2. G*****, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, und 3. R***** E*****, vertreten durch Dr. Gerhard Halbreiner, Rechtsanwalt in Graz, wegen 5.131,20 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen Punkt I. des Beschlusses des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 24. November 2016, GZ 3 R 44/16m‑66, womit der Antrag der klagenden Partei gemäß § 508 ZPO samt der ordentlichen Revision zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00040.17A.0329.000

 

Spruch:

1. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

2. Der Antrag auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs wird zurückgewiesen.

3.1. Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

3.2. Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung

Zu 1:

1.1.1. Die vom Antrag nach § 508 ZPO betroffene Entscheidung des Berufungsgerichts vom 11. 7. 2016 wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter der klagenden Partei gemäß dem Zustellnachweis beim Postamt 1094 Wien am 31.  8. 2016 zur Abholung hinterlegt und am 31. 8. 2016 an die Überbringerin der Hinterlegungsanzeige ausgefolgt. Der Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs gemäß § 508 ZPO (verbunden mit der ordentlichen Revision) langte beim Erstgericht elektronisch am 3. 10. 2016 ein. Zur Rechtzeitigkeit des Antrags wird darin ausgeführt: Die angefochtene Entscheidung sei am 5. 9. 2016 zugestellt worden. Durch einen Fehler der Post sei das Urteil erst am 5. 9. 2016 ausgehändigt worden, was der „Zustellungssphäre“ des Gerichts zuzurechnen sei. Der rechtsfreundliche Vertreter der Klägerin sei urlaubsbedingt ortsabwesend gewesen, sodass am 31. 8. 2016 „über 20 Hinterlegungsscheine“ abzuholen gewesen seien. Noch am 31. 8. 2016, am Tag der Rückkehr, sei eine befugte Vertreterin des Rechtsanwalts der klagenden Partei bei der dortigen Post gewesen und habe im Vertrauen auf die Gewissenhaftigkeit der Post sämtliche Hinterlegungsscheine unterschrieben. Tatsächlich seien aber nicht alle hinterlegten Poststücke ausgefolgt worden. Als eine Rechtsanwaltsanwärterin – nach neuerlicher Ortsabwesenheit – am 5. 9. 2016 Schriftstücke bei der Post abgeholt habe, sei ihr von derselben Postmitarbeiterin auch die verfahrensgegenständliche Entscheidung ausgefolgt und darüber eine Bescheinigung ausgestellt worden.

1.1.2. Die daraufhin vom Berufungsgericht angestellten amtwegigen Erhebungen zum Zustellvorgang durch eine Anfrage an die Postgeschäftsstelle 1094 Wien, ergaben nach deren Auskunft vom 16. 11. 2016, dass dem Klagevertreter das Zustellstück tatsächlich erst am 5. 9. 2016 ausgefolgt wurde. Diese Tatsache wurde in der Auskunft damit begründet, dass die Rechtsanwaltskanzlei immer sehr viele Schriftstücke gleichzeitig abhole und damals ein anderer Brief (mit ähnlicher GZ) ausgefolgt, aber „der andere“ unterschrieben worden sei. Der Irrtum sei erst später aufgefallen und korrigiert worden.

1.2. Das Berufungsgericht wies mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss den Antrag der klagenden Partei gemäß § 508 ZPO samt der ordentlichen Revision als verspätet zurück.

Dies stützte es auf folgende rechtliche Beurteilung: In Form des Zustellnachweises liege eine öffentliche Urkunde über den Zustellvorgang vor, die eine ordnungsgemäße Hinterlegung der Gerichtssendung mit 31. 8. 2016 dokumentiere. Dies mache zunächst vollen Beweis. Die Rechtsmittelwerberin sei gehalten gewesen, dazu den Gegenbeweis zu führen (RIS‑Justiz RS0006957). Die Hinterlegung der Gerichtssendung sei gemäß § 17 Abs 1 ZustG erfolgt. Die klagende Partei behaupte nicht, keine Kenntnis von der Hinterlegung gehabt zu haben. Sei die Zustellung durch Hinterlegung vorschriftsmäßig erfolgt, dann gelte der Tag der Hinterlegung als Zustelltag (RIS‑Justiz RS0036574). Die Rechtswirksamkeit der Zustellung sei nicht davon abhängig, ob und wann eine gemäß § 17 Abs 3 ZustG rechtswirksam hinterlegte Sendung vom Empfänger behoben werde und ob dabei Hindernisse aufgetreten seien (RIS‑Justiz RS0114434; VwGH, ua 92/17/0239). Demnach bleibe die Zustellwirkung einer ordnungsgemäß hinterlegten Sendung auch dann bestehen, wenn etwa die Post dem Empfänger die Ausfolgung verweigere (8 ObA 184/98m) oder wenn die in § 17 Abs 2 ZustG genannte Verständigung beschädigt oder entfernt worden sei, weil auch dadurch die Wirksamkeit der Zustellung nicht beeinträchtigt werde (RIS‑Justiz RS0036624). Der Lauf der vierwöchigen Berufungsfrist habe daher bereits am 31. 8. 2016 zu laufen begonnen, sodass der erst am 3. 10. 2016 bei Gericht eingelangte Antrag gemäß § 508 ZPO in Verbindung mit der ordentlichen Revision verspätet sei.

1.3. Dagegen richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss (ersatzlos) aufzuheben und den Antrag nach § 508 ZPO samt der ordentlichen Revision als rechtzeitig zu qualifizieren. Gleichzeitig wird ein Antrag auf Vorlage an den Verfassungsgerichtshof zwecks Prüfung der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs 4 ZustG sowie auf Vorlage an den EuGH gemäß Art 267 AEUV gestellt.

1.4. Die erst‑ und zweitbeklagte Partei beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben. Die drittbeklagte Partei hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

1.5.1. Der Rekurs ist zulässig (RIS‑Justiz RS0115271 [T5, T7]; RS0043676; 1 Ob 138/99x), aber nicht berechtigt.

1.5.2. In der Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses wurde unter Punkt II. über die klagende Partei eine Ordnungsstrafe verhängt. Diesen Beschlusspunkt hat die klagende Partei gesondert bekämpft, was Gegenstand des Verfahrens 9 Ob 4/17d beim Obersten Gerichtshof ist. In einem solchen Fall liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels vor, sondern es ist die gesonderte Anfechtung nach ständiger Rechtsprechung zulässig (RIS‑Justiz RS0043968 [T1]; RS0040202; RS0041666 [T26, T47]).

1.5.3. Der Rekurs enthält neues Tatsachenvorbringen, auf das wegen des auch im Rekursverfahren geltenden Neuerungsverbots (RIS‑Justiz RS0042091) nicht einzugehen ist.

1.5.4. Im Übrigen kann die Rekurswerberin auf die zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts verwiesen werden, der sie nichts Stichhaltiges entgegensetzen kann (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO).

1.5.5. Lediglich ergänzend wird ausgeführt: Die im Rekurs vertretene Rechtsansicht, zwischen Gericht und Post liege ein privatrechtliches Auftragsverhältnis vor, ist unzutreffend, weil die Zustellung ein an eine gesetzliche Form geknüpfter, hoheitlicher Vorgang ist, durch den dem als Empfänger des Schriftstücks bezeichneten Adressaten Gelegenheit geboten wird, von einem im Auftrag des Gerichts an ihn gerichteten Schriftsatz Kenntnis zu nehmen (RIS‑Justiz RS0106442 [T7]). Daran hat sich durch die von der Rekurswerberin so genannte „Privatisierung“ der Post nichts geändert.

Zu 2.

Der nicht näher begründete Antrag auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs war zurückzuweisen. Eine Prozesspartei hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens oder eines Vorabent-scheidungsverfahrens (RIS‑Justiz RS0056514; RS0058452). Überdies hegt der Senat keine Bedenken an der Verfassungsgemäßheit des § 13 Abs 4 ZustG; welche Unionsnorm vom EuGH ausgelegt werden sollte, legt die Rekurswerberin nicht dar.

Zu 3.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der von der erstbeklagten Partei verzeichnete Streitgenossenzuschlag steht nicht zu, weil der Vertreter der erstbeklagten Partei weder weitere Beklagte vertritt noch mehreren Parteien gegenübersteht (§ 15 RATG).

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