OGH 9Ob4/17d

OGH9Ob4/17d28.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** OG, *****, vertreten durch Dr. Johannes Eltz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Riha, Rechtsanwalt in Wien, 2. G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, 3. R*****, vertreten durch Dr. Gerhard Halbreiner, Rechtsanwalt in Graz, wegen 5.131,20 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 24. November 2016, GZ 3 R 44/16m‑66, mit dem über die klagende Partei eine Ordnungsstrafe von 1.000 EUR verhängt wurde (Punkt II.), den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00004.17D.0228.000

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs wird zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang der Verhängung einer Ordnungsstrafe von 1.000 EUR über die klagende Partei ersatzlos aufgehoben.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Zahlung von 5.131,20 EUR sA. Das Klagebegehren wurde in erster Instanz abgewiesen. Der Berufung der Klägerin wurde vom Berufungsgericht nicht Folge gegeben und ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Mit Schriftsatz vom 3. 10. 2016 beantragte die Klägerin die Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 508 Abs 1 ZPO. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 22. 10. 2016 legte sie den Ausdruck eines E‑Mails vor, mit dem sie die Sachverständige Dr. A***** beauftragt hatte, ein Gutachten über die Geschäftsfähigkeit des Drittbeklagten zu erstellen, sowie das von der Sachverständigen allein auf Grundlage der ihr von der Klägerin zur Verfügung gestellten Schriftstücke erstellte Gutachten, in dem sie zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Drittbeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung, nämlich eine demenzielle Entwicklung ungeklärter Ätiologie vorliegt. In dem Schriftsatz beantragt die Klägerin die amtswegige Veranlassung „sämtlicher notwendigen (prozessualen) Schritte“ hinsichtlich des Erst‑ und Drittbeklagten sowie anderer namentlich genannter Personen. Inhaltlich erstattet sie Vorbringen über ein Privatanklageverfahren gegen den Drittbeklagten sowie zu den Vermögensverhältnissen des Drittbeklagten.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht einerseits den Antrag der Klägerin nach § 508 Abs 1 ZPO wegen Verspätung zurück (Punkt I.) und verhängte über die Klägerin nach § 86 ZPO für die den Drittbeklagten beleidigenden Äußerungen im Schriftsatz vom 22. 10. 2016 eine Ordnungsstrafe in Höhe von 1.000 EUR (Punkt II.). Rechtlich führte es aus, durch das Vorbringen und die Urkundenvorlage solle suggeriert werden, der Drittbeklagte sei wegen Demenz geschäftsunfähig und daher von seiner Familie nahezu vermögens‑ und einkommenslos gestellt worden, wodurch das persönliche und berufliche Ansehen des Drittbeklagten mehrfach massiv angeschwärzt und das Maß einer zulässigen Kritik bei weitem überschritten worden sei. Damit sei er im Sinn des § 86 ZPO beleidigt worden. Es sei auch kein sachlicher Grund erkennbar, in dieser Phase des Verfahrens die Geschäftsfähigkeit des Drittbeklagten in Zweifel zu ziehen. Die Urkunden seien darüber hinaus über E‑Mail einer Vielzahl von Richtern zur Kenntnis gebracht und in diversen Zivilverfahren vorgelegt worden.

Die Verfasserin des Gutachtens habe dadurch, dass sie in einer Ferndiagnose zur Annahme einer mit Demenz begründeten Geschäftsunfähigkeit des Drittbeklagten gelangt sei, gegen ihre Pflicht verstoßen, ärztliche Zeugnisse nach gewissenhafter Untersuchung und genauer Erhebung nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen. Sie sei offenbar von der Klägerin zu dem von ihr angestrebten Zweck instrumentalisiert worden.

Die Strafe sei über die Klägerin zu verhängen, da zwingend davon auszugehen sei, dass diese Prozesshandlung und der Schriftsatzinhalt dem Auftrag der Klägerin entspreche und mit ihr abgesprochen worden sei.

Gegen Punkt II. dieses Beschlusses richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den Beschluss als nichtig aufzuheben, in eventu dem Rekurs Folge zu geben und den Beschluss aufzuheben. Weiters wird beantragt, die Rechtssache an den Verfassungsgerichtshof bzw dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinn einer ersatzlosen Aufhebung berechtigt.

1. Gegen die Verhängung einer Ordnungsstrafe durch das Rechtsmittelgericht ist der Rekurs unabhängig von der Höhe der verhängten Ordnungsstrafe, einer allfälligen Wertgrenze für die Erhebung des Rechtsmittels oder dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RIS‑Justiz RS0036270, RS0121603).

2. Der nicht näher begründete Antrag auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs war zurückzuweisen. Eine Prozesspartei hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens oder eines Vorabent-scheidungsverfahrens (RIS‑Justiz RS0056514; RS0058452).

3. Gemäß § 86 ZPO kann gegen eine Partei, welche die dem Gericht schuldige Achtung in einem Schriftsatz durch beleidigende Ausfälle verletzt oder welche in einem Schriftsatz den Gegner, einen Vertreter, Bevollmächtigten, Zeugen oder Sachverständigen beleidigt, unbeschadet der deshalb etwa eintretenden strafgerichtlichen Verfolgung vom Gericht eine Ordnungsstrafe verhängt werden.

Wurde ein Schriftsatz nicht von der Partei, sondern von ihrem Rechtsanwalt verfasst, kommt in der Regel die Verhängung einer Ordnungsstrafe gegen die Partei nicht in Betracht, weil die beleidigenden Äußerungen keine Prozesshandlung darstellen und der Partei daher nicht zuzurechnen sind (vgl § 34 ZPO). Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Formulierungen einem Auftrag der Partei entsprechen. Dass die Klägerin im konkreten Fall die Vorlage und die Textierung des Schriftsatzes verlangt und genehmigt hat und damit die Verantwortung dafür bei ihr liegt, wird im Rekurs ausdrücklich zugestanden. Der Schriftsatz und die Urkundenvorlage sind daher der Klägerin zuzurechnen.

4. Beleidigende Äußerungen sind ungebührliche Formulierungen, die eine Verletzung der dem Gericht bzw den Verfahrensbeteiligten geschuldeten Achtung darstellen. Die Ausfälligkeiten müssen nicht das Gewicht einer strafbaren Handlung haben. Bei der Beurteilung ist nicht jedes Wort allein zu betrachten, sondern muss auf die Bedeutung der Gesamtäußerung abgestellt werden (vgl Gitschthaler in Rechberger 4, § 86 Rz 2; Konecny/Schneider in Fasching/Konecny 3 II/2 § 86 Rz 15).

Der vorliegende Schriftsatz enthält für sich allein betrachtet ein relativ unzusammenhängendes Vorbringen, dessen Verfahrensrelevanz sich nicht ohne weiteres erschließt. Konkrete Vorwürfe werden nur gegen die Familie des Drittbeklagten erhoben, die aber nicht zum geschützten Personenkreis nach § 86 ZPO gehört. Erst aus der Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen ergibt sich die von der Klägerin offenbar intendierte Behauptung der Prozessunfähigkeit des Drittbeklagten.

Der Vorwurf der Prozess‑ oder Geschäftsunfähigkeit in einem Verfahren oder wie der Rekurs ausführt, die Behauptung einer psychischen Erkrankung, kann in den Fällen als Beleidigung anzusehen sein, in denen sie ohne Anhaltspunkte und ohne sachlichem Zusammenhang zum Verfahren erhoben werden.

Die Klägerin hat diese Behauptung allerdings auf Grundlage eines von einer Sachverständigen erstellten Gutachtens aufgestellt. Aus dem Akt ergibt sich nicht die vom Berufungsgericht herangezogene „Instrumentalisierung“ der Sachverständigen, die die Validität dieser Unterlagen für die Gutachtenserstellung eigenständig zu beurteilen hatte. Ob bei dieser Ausgangslage ein Gutachtensauftrag abzulehnen oder die Relativität des Ergebnisses im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Prüfmöglichkeiten anders darzustellen gewesen wäre, ist hier nicht zu beurteilen. Der Inhalt des Gutachtens ist aber von der Sachverständigen, die – wie das Berufungsgericht richtig darlegt – mit einer Vorlage bei Gericht rechnen musste, zu verantworten, nicht von der Klägerin.

Die Vorlage eines solchen Gutachtens ist, mag es auch von der Klägerin veranlasst worden sein und sofern es nicht wider besseren Wissens erfolgt, auch im Zusammenhalt mit dem relativ nichtssagenden Inhalt des Schriftsatzes, unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesamtumstände noch als zulässiges Begehren auf Überprüfung der Prozessfähigkeit anzusehen, das letztlich auch in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens nicht jedenfalls unzulässig ist.

Dass die Klägerin das Gutachten auch außerhalb des Verfahrens in unsachlicher Weise verwendet, ist nicht im Rahmen des § 86 ZPO zu ahnden.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben.

Über die Zurückweisung des Antrags nach § 508 Abs 1 ZPO als verspätet wird nach Vorlage des gesondert erhobenen Rekurses und einer allfälligen Rekursbeantwortung zu entscheiden sein.

5. Im Rechtsmittelverfahren über die Rechtmäßigkeit der Verhängung einer Ordnungsstrafe findet ein Kostenersatz nicht statt (RIS‑Justiz RS0119128). Die Klägerin hat daher die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

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