OGH 6Ob247/20x

OGH6Ob247/20x18.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P*****, 2. A*****, vertreten durch IPB Rechtsanwälte Dr. B. Illichmann, Dr. A. Pfeiffer, Dr. F. Bachinger, Mag. A. Hertl in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. L***** GmbH, *****, 2. G*****, beide vertreten durch Mag. Gernot Steier, Rechtsanwalt in Neulengbach, wegen Unterlassung über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2020, GZ 6 R 107/20b‑89, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 30. Juni 2020, GZ 10 Cg 89/17x‑84, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00247.20X.0218.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer des von ihnen bewohnten Grundstücks Nr 383/4 der EZ 308, KG *****. Die Erstbeklagte betreibt als Mieterin auf dem ca 50 m östlich gelegenen Grundstück des Zweitbeklagten Nr 712 der EZ 313, KG *****, eine gewerbebehördlich bewilligte Betriebsanlage zur industriellen Mais- und Weizenverarbeitung. Die Mühle existiert schon seit Jahrhunderten an derselben Stelle und wird seit weit über 30 Jahren maschinell betrieben. Der Zweitbeklagte ist Geschäftsführer der Erstbeklagten. Zwischen den Grundstücken verläuft ein Bach, in dem ein Wasserwehr als Teil eines (Klein‑)Wasserkraftwerks errichtet ist. Westlich der Liegenschaft der Kläger verläuft in ca 100 m Entfernung die Tauernautobahn A10; ungefähr 200 m nördlich verläuft bogenförmig ein Autobahnzubringer. Die Schlafzimmer der Kläger sowie ihrer Tochter befinden sich auf der der Autobahn ab- und der Mühle zugewandten Seite des Wohnhauses. Durch Modernisierung der Mühle in den Jahren 2009 und 2010 wurde die Verarbeitungsleistung von etwa 10 bis 12 Tonnen auf 50 Tonnen pro Tag gesteigert. Im Jahre 2014 erfolgte ein Austausch von Maschinen und eine Sanierung der bachseitigen Ausblasöffnungen der Mühlenpneumatik; danach wurden in den Jahren 2015 und 2017 verschiedene Schallschutzmaßnahmen durchgeführt.

[2] Mit rechtskräftigem Bescheid vom 17. 1. 2017 untersagte die Bezirkshauptmannschaft Hallein der Erstbeklagten den Betrieb der Mühle im Abend- und Nachtzeitraum (19:00 Uhr bis 6:00 Uhr) sowie an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen. Die Auflage wurde zwar mit Bescheid vom 4. 7. 2019 aufgehoben. Das von den Klägern angerufene Landesverwaltungsgericht hob diesen Bescheid jedoch mangels vorangegangenen Antrags der Betriebsanlageninhaberin auf. Am 4. 3. 2020 brachten die Beklagten einen Antrag auf Aufhebung des Bescheids vom 17. 1. 2017 bei der Bezirkshauptmannschaft Hallein ein, über den zum Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht entschieden war.

[3] Die Mühle wird, wenn erforderlich, auch in der Nacht betrieben. Zumindest am 15. 11. 2018 und 21. 11. 2018 wurden trotz Betriebszeitenbeschränkung nach 19:00 Uhr zumindest einzelne Maschinen betrieben.

[4] Der übliche Umgebungslärmpegel am Grundstück der Kläger ist durch die Nähe zur viel befahrenen Tauernautobahn A10 erhöht. Der Autobahnverkehr variiert tageszeitabhängig, in den späteren Nachtstunden lässt er nach. Mitentscheidend für den Umgebungsschallpegel ist auch die Durchflussmenge des Baches und die Position der Wehrklappe. Der Basispegel ist entscheidend niedriger, wenn der Bach – üblicherweise in den Wintermonaten – so weit trocken liegt, dass die Wehrklappe und beide Bypässe geschlossen sind und sämtliches Restwasser über die Turbinen des Kraftwerks abgeleitet werden kann.

[5] Bei geringer Durchflussmenge des Baches und in den späten Nachtstunden bei geringem Verkehrsaufkommen auf der A10 sind Betriebsgeräusche der Mühle am Grundstück der Kläger als tieffrequenter Dauerton wahrnehmbar. Ohne Betrieb der Mühle beträgt bei solchen Umgebungsgeräuschlagen der Basispegel (jeweils 50 cm vor dem geöffneten Fenster) rund ≥ 39 dB beim Schlafzimmer im Erdgeschoß bzw ≥ 41 dB beim Schlafzimmer im Dachgeschoß. Bei Vollbetrieb der Mühle erhöht sich der Pegel um jeweils bis zu 2 dB. Allerdings ist aufgrund der mit der Tonhaltigkeit eines Geräusches verbundenen Lästigkeit aus schalltechnischer Sicht ein Zuschlag von 3 dB hinzuzurechen. Dies bedeutet, dass das Geräusch bei beibehaltener Tonhaltigkeit um rund 5 dB, bei Befreiung von Tonhaltigkeit um etwa 2 dB zu reduzieren ist, damit es in Situationen wie der dargestellten nicht mehr hörbar ist. Bei leicht überdurchschnittlicher Wasserführung des Baches herrscht am Fenster der Schlafräumlichkeiten der Kläger selbst in den späten Nachtstunden ein Basispegel von rund ≥ 52 dB; das Betriebsgeräusch der Mühle ist dann nicht hörbar. Selbst bei einer derart lauten Umgebungsgeräuschkulisse liegt der Schalldruck im Inneren des Schlafzimmers der Kläger bei geschlossenem Fenster bei ≤ 25 dB.

[6] Durch nächtlichen Lärm hervorgerufene dauerhafte Schlafstörungen sind als Gesundheitsrisiko einzustufen. Die schalltechnische und medizinische Empfehlung (nach OIB‑Richtlinie) betreffend den nächtlichen Pegel im Innenbereich (bzw beim Ohr des Schlafenden) liegt bei 25–30 dB, wobei Dauergeräusche den Wert von 25 dB nicht überschreiten sollten. Ab einem Pegelwert von 40 dB bis 55 dB (Durchschnittslärmbelastung in der Nacht, außen) können im Verhalten der Lärmexponierten Anpassungsreaktionen beobachtet werden, ab 55 dB erlangen sie zusehends gesundheitlich nachteiligen Charakter.

[7] Die Kläger schlafen stets bei offenem Fenster. Aufgrund des nächtens auftretenden Dauertons leiden sie unter Einschlafproblemen. Sie sind auf das Geräusch fixiert und nehmen es daher als störend wahr.

[8] Die Kläger begehren die Unterlassung folgender Einwirkungen vom Grundstück des Zweitbeklagten auf ihr Grundstück, und zwar die Verursachung von Lärm in der Zeit von 19:00 Uhr bis 6:00 Uhr sowie an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen ganztags, soweit dadurch das zulässige Ausmaß der Immissionen von höchstens 39 dB bei Freiheit von tonhaltigem Geräuschcharakter oder von höchstens 36 dB bei tonhaltigem Geräuschcharakter durch die behördlich genehmigte Anlage überschritten wird. Von der Anlage der Beklagten gehe eine erhebliche Lärmbelästigung aus, die bei Nacht auf Dauer ein gesundheitsschädliches Ausmaß erreiche. Deshalb seien ihr mit rechtskräftigem Bescheid zeitliche Betriebsbeschränkungen auferlegt worden, die sie jedoch beharrlich ignoriere. Die Kläger seien berechtigt, Unterlassungsansprüche geltend zu machen, wenn sich der Inhaber der behördlich genehmigten Anlage im Sinn des § 364a ABGB nicht an die im Genehmigungsbescheid erteilten Auflagen halte.

[9] Die Beklagten halten dem – soweit für das Revisionsverfahren von Belang – entgegen, die von der Betriebsanlage ausgehenden Lärmemissionen lägen deutlich unter den, insbesondere vom Bach stammenden, Umgebungsgeräuschen. Auch die Umgebungsgeräusche des Straßenverkehrs lägen eindeutig über jenen der seit Jahrhunderten bestehenden Betriebsanlage. Die Geräuschemissionen entsprächen dem nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnlichen Maß.

[10] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf noch nähere Feststellungen, insbesondere zu Art und Umfang der vom Betriebsgeräusch der Mühle ausgehenden Nutzungsbeeinträchtigung des Grundstücks der Kläger, namentlich zur schwachen, aber doch hörbaren Tonhaltigkeit des Geräusches, was dazu führen könne, dass der grundsätzlich an der Wahrnehmbarkeitsschwelle liegende Dauerton nächtens, bei reduziertem Verkehrsaufkommen und niedriger Wasserführung des Baches subjektiv störend dominant wirken könne; (nur) bei sensibilisierten Personen, die sich auf das Geräusch fokussierten, könnten dadurch jedoch Einschlafstörungen verursacht werden, weshalb eine Belästigungswirkung nicht objektivierbar sei. Wie häufig und wann im Jahr eine derart ruhige Umgebungsgeräuschkulisse vorliege, sodass das Betriebsgeräusch der Mühle überhaupt hörbar sei, könne im Übrigen nicht näher festgestellt werden; im überwiegenden Teil des Jahres, insbesondere im Sommer, führe der Bach so viel Wasser, dass dieses über das Wehr und die Bypässe laufe.

[11] Ausgehend von diesen weiteren Sachverhaltsannahmen folgerte es – soweit im Revisionsverfahren relevant – in rechtlicher Hinsicht, es bestehe zwar ein Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB, wenn sich der Inhaber der genehmigten Anlage nicht an die im Genehmigungsbescheid erteilten Auflagen halte. Verstöße gegen das öffentliche Recht begründeten aber per se noch keinen Unterlassungsanspruch, wenn eine ortsübliche Beeinträchtigung vorliege. Im vorliegenden Fall bewege sich das Geräusch unter speziellen Bedingungen an der Wahrnehmbarkeitsschwelle. Eine Gesundheitsgefährdung werde durch die Immissionen nur bei Fixierung auf das Geräusch und Sensibilisierung verwirklicht, es sei aber auf eine Durchschnittsperson abzustellen, die dadurch nicht am Einschlafen gehindert werde. Zudem werde der nach einer medizinischen Empfehlung maßgebliche nächtliche Pegel von 25–30 dB auf der Liegenschaft der Kläger bei geöffnetem Fenster üblicherweise selbst ohne Mühlenbetrieb überschritten, bei geschlossenem Fenster aber eingehalten. Das beim vorzunehmenden Interessenausgleich bestehende Interesse der Kläger, auch bei geöffnetem Fenster das ganze Jahr über keine Betriebsgeräusche der Beklagten wahrzunehmen, überwiege nicht gegenüber den von den Beklagten über Jahre hinweg unternommenen Versuchen von zusätzlichen Schallschutzmaßnahmen. Zudem werde die Belastung durch das Betriebsgeräusch im Wesentlichen nur in den Wintermonaten relevant, in denen es ohnedies unüblich erscheine, durchgängig bei offenem Fenster zu schlafen.

[12] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil ab und gab dem Klagebegehren mit modifiziertem Spruch statt. Es hielt die oben dargestellten, von den Klägern mit Mängel- und Beweisrüge bekämpften weiteren Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts für unbeachtlich. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung ergebe sich der begehrte Unterlassungsanspruch der Kläger schon aus den übrigen Feststellungen: Das Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB bestehe, wenn sich der Inhaber einer genehmigten Anlage (§ 364a ABGB) nicht an die im Genehmigungsbescheid erteilten Auflagen halte. Von einer derartigen Anlage ausgehende Immissionen seien daher nur in dem von der Genehmigung erfassten Ausmaß zu dulden. Wenn nach dem gewerbebehördlichen Bescheid vom 17. 1. 2017 der Betrieb der Mühle im Abend- und Nachtzeitraum (19:00 Uhr bis 6:00 Uhr) sowie an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen untersagt sei, bedeute dies nichts anderes als dass zu diesen Zeiten vom Betrieb überhaupt keine Geräuschimmissionen ausgehen dürfe. Soweit also die Immissionen wegen Verletzung der – regelmäßig als Maß der Ortsüblichkeit heranzuziehenden – bescheidmäßig festgestellten Betriebszeiten das damit nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten hätten, sei den Klägern schon mit dem ersten Zuwiderhandeln ein Abwehranspruch zugestanden. Für Immissionen während der angeordneten Ruhezeiten des Mühlenbetriebs bestehe nicht einmal der Anschein einer Rechtmäßigkeit. Aufgrund des Verstoßes gegen die Betriebsruhezeiten werde auch die zweite Voraussetzung des § 364 Abs 2 ABGB erfüllt, werde doch durch das rechtswidrige Verhalten, nämlich durch den Betrieb der Mühle zu den behördlich angeordneten Ruhezeiten die ortsübliche Benützung des Grundstücks der Kläger auch wesentlich beeinträchtigt. Die in der Lehre und in verschiedenen höchstgerichtlichen Entscheidungen vertretene Auffassung, wonach Verstöße gegen das öffentliche Recht per se noch keinen Unterlassungsanspruch begründeten, sei nicht auf den hier vorliegenden Fall zu übertragen, in dem gegen einen Bescheid, also einen individuell-konkreten Rechtsakt, verstoßen werde. Das Unterlassungsbegehren der Kläger bleibe so besehen hinter ihrer materiellen Berechtigung zurück, nach der sie den Beklagten während der behördlich angeordneten Ruhezeiten jegliche von ihren Grundstücken ausgehende Geräuschimmission untersagen könnten.

[13] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil das Berufungsgericht im Wesentlichen nur auf die nicht im Volltext veröffentlichte und schon länger zurückliegende Entscheidung 6 Ob 772/79 habe zurückgreifen können und eine Aktualisierung der Rechtsprechung zur dahinter stehenden Frage wünschenswert sei, inwieweit die Zivilgerichte (bloß) der Umsetzung öffentlich-rechtlicher Individualrechtsakte dienen sollen.

[14] Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist in Ansehung des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[16] 1.1. Wenn in dem aufgrund der Entscheidung 6 Ob 772/79 gebildeten Rechtssatz RS0010645 und in den zu diesem Rechtssatz indizierten Folgeentscheidungen von einem Untersagungsrecht nach § 364 Abs 2 ABGB die Rede ist, wenn sich der Inhaber der genehmigten Anlage nicht an die im Genehmigungsbescheid erteilten Auflagen hält, dann soll damit durchwegs nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn gestützt auf die angesprochene Gesetzesstelle jegliche von dessen Betriebsanlage ausgehende Immission untersagen kann, solange nur der Betrieb vom Bewilligungsbescheid nicht gedeckt ist. Vielmehr zielt diese Formulierung jeweils allein auf die Reichweite der in § 364a ABGB statuierten Duldungspflicht ab, die nach dem zugrundeliegenden Normzweck dort ihre Grenze finden muss, wo sich der Inhaber der Anlage über die behördlich festgesetzten Vorgaben für den Betrieb hinwegsetzt. Es wird mit anderen Worten bloß eine Aussage über den sachlichen Anwendungsbereich des § 364a ABGB getroffen: Der darin angeordnete Entfall des Unterlassungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB (arg: „ist der Grundbesitzer nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich zu verlangen“) kommt im angesprochenen Fall nicht zum Tragen. Daraus folgt aber wiederum bloß, dass diesfalls der Anwendungsbereich des § 364 Abs 2 ABGB eröffnet ist, nicht aber zugleich, dass eine Anspruchsberechtigung nach dieser Bestimmung jedenfalls, unabhängig vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen, besteht.

[17] 1.2. Dass sehr wohl auch in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, in der die Immission von einem Betrieb der Anlage unter Missachtung einer behördlichen Auflage ausgeht, das nachbarrechtliche Untersagungsrecht nicht schon alleine aufgrund des Verstoßes gegen die öffentlich-rechtliche Anordnung zustehen soll, sondern nur unter den in § 364 Abs 2 ABGB festgelegten Voraussetzungen, hat der Oberste Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 6 Ob 291/99h und 1 Ob 239/14z ausdrücklich festgehalten. Insoweit ist das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Grundsatz, wonach der Verstoß gegen öffentliches Recht nicht schon einen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch begründet (vgl 3 Ob 578/87; 2 Ob 13/97v; 7 Ob 192/09z; siehe auch RS0010484; Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 364 Rz 40; Oberhammer/Scholz-Berger in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 364 Rz 18; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 364 Rz 18), nicht für individuell-konkrete Anordnungen wie behördliche Auflagen gelte.

[18] 1.3. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung 1 Ob 742/83, der zufolge ein nachbarrechtlicher Abwehranspruch gegen Immissionen besteht, soweit diese wegen ihrer Intensität oder wegen Verletzung der – regelmäßig als Maß der Ortsüblichkeit heranzuziehenden – ortspolizeiliche Ruhezeitenverordnung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten. Damit wird nur zum Ausdruck gebracht, dass öffentlich-rechtlichen Anordnungen bei der Beurteilung der Ortsüblichkeit eine gewisse Indizfunktion zukommen kann (vgl – zu Lärmschutzvorschriften – RS0037188; siehe weiters zu Flächenwidmungsplänen 4 Ob 99/12f mwN; dazu auch Oberhammer/Scholz-Berger in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 364 Rz 17; vgl auch 3 Ob 201/99a, wonach von einer ortsüblichen Benutzung dann nicht gesprochen werden kann, wenn diese nach öffentlichem Recht unzulässig ist). Der Umstand, dass auch durch die im vorliegenden Bescheid festgelegte Auflage betreffend die einzuhaltenden Betriebsruhezeiten die Ortsunüblichkeit von Betriebslärm in ebendiesen Zeiträumen indiziert ist, entbindet freilich nicht davon, die Frage der Ortsüblichkeit nicht nur der Störung, sondern auch die Frage der wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung des Grundstücks konkret, nämlich ausgehend von den konkreten tatsächlichen Verhältnissen vor Ort, zu prüfen.

[19] 1.4. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich die angesprochene Indizwirkung öffentlich-rechtlich angeordneter (Betriebs‑)Ruhezeiten nur auf die Orts‑(un‑)üblichkeit der Störung beziehen kann, nicht aber auch auf das nach § 364 Abs 2 ABGB hinzutretende Kriterium der Nutzungsbeeinträchtigung des betroffenen Grundstücks. Dabei ist nämlich nicht auf die Lärmemission, sondern auf die Immission abzustellen, also auf die konkreten Auswirkungen des Lärms auf das beeinträchtigte Grundstück; diese sind naturgemäß je nach Lage des Grundes und Entfernung von der Lärmquelle unterschiedlich stark, sodass dem Lärmschutz dienende öffentlich-rechtliche Anordnungen für die Frage der Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung eines einzelnen Grundstücks von vornherein keine Aussagekraft haben können.

[20] 1.5. Die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach im vorliegenden Fall schon aus dem Verstoß gegen die Betriebsruhezeiten selbst folgt, dass die Lärmemmissionen einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und andererseits die ortsübliche Benützung des Grundstücks der Kläger wesentlich beeinträchtigt haben, erweist sich vor diesem Hintergrund als nicht zutreffend. Im Ergebnis würde damit dem Eigentümer eines Grundstücks unter Außerachtlassung des Regelungskonzepts des § 364 Abs 2 ABGB ein Unterlassungsanspruch unabhängig von der konkreten Art und Intensität der Lärmstörung zugestanden; eine solche Ausweitung der Abwehrrechte des Nachbarn über den klaren Gesetzeswortlaut hinaus lässt sich indes sachlich nicht begründen.

[21] 2. Damit haben auch dann, wenn die Immissionen auf den Betrieb einer Anlage zurückgehen, der nicht vom Genehmigungsbescheid gedeckt ist, die allgemeinen zu § 364 Abs 2 ABGB entwickelten Grundsätze zu gelten:

[22] 2.1. Das Untersagungsrecht besteht also nur dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen; dabei sind die örtlichen Verhältnisse in beiden Belangen zu beachten. Die Grenze zulässiger Einwirkung ist somit einerseits durch die Ortsüblichkeit der Störung und andererseits die ortsübliche Benützung des Grundstücks gegeben, die durch den Eingriff nicht wesentlich beeinträchtigt werden darf (RS0010587 [T1]). Da diese beiden Kriterien kumulativ vorliegen müssen, sind selbst übermäßige Immissionen zu dulden, wenn sie die ortsübliche Nutzung des Grundstücks nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch dann, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks durch sie wesentlich beeinträchtigt wird (RS0010587 [T4]; RS0010577 [T4]). Die Gewährung des Immissionsschutzes darf nicht überspannt werden (RS0010587 [T5]).

[23] 2.2. Bei der Ortsüblichkeit ist auf die Lage des beeinträchtigten Grundstücks zu jenem, von dem die Störung ausgeht, sowie auf die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften abzustellen (RS0010577 [T3]). Die Beurteilung einer Immission als ortsüblich erfolgt auf der Grundlage eines Vergleichs der Benützung des störenden (nicht des betroffenen) Grundstücks mit anderen Grundstücken des betreffenden Gebiets: In der Regel hängt die Ortsüblichkeit von Immissionen in dem zu betrachtenden Raum davon ab, ob schon eine größere Anzahl von Grundstücken dieses Gebiets so genutzt wird, dass Einwirkungen von ihnen ausgehen, die den zu beurteilenden Immissionen entsprechen (RS0010577 [T8]). Für die Ortsüblichkeit und deren Intensität können auch Ö‑Normen (ÖAL‑Richtlinien) als Anhaltspunkt dienen (6 Ob 105/11a; RS0010678 [T8]). Ebenso können von der Wissenschaft entwickelte Grenzwerte als Beurteilungskriterium herangezogen werden (Oberhammer/Scholz-Berger in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 364 Rz 18 unter Zitierung von Gimpel‑Hinteregger, Grundfragen der Umwelthaftung[1994] 281).

[24] 2.3. Bei der Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung ist in erster Linie ein objektiver, auf die Benützung der Nachbargrundstücke abgestellter Maßstab anzulegen (RS0010583), ließe sich doch die sachenrechtliche Abgrenzung der Befugnisse benachbarter Grundeigentümer ansonsten nicht sinnvoll bewerkstelligen. Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Betroffenen befindet (RS0010607; zu Lärmimmissionen siehe etwa 2 Ob 55/99y); auch Sonder- und Hyperempfindlichkeiten oder spezielle Gewohnheiten des konkret beeinträchtigten Nachbarn sind im Allgemeinen nicht beachtlich (Kerschner/E. Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 364 Rz 236).

[25] 2.4. Bei Lärmemmissionen kommt es nicht bloß auf die objektiv messbare Lautstärke an, zu beachten ist auch, ob die Störung häufig und lang andauernd erfolgt, maßgeblich ist weiters die Tageszeit (RS0037203), aber auch die „subjektive Lästigkeit“ des Geräusches: Dabei ist aber wiederum nicht auf das Empfinden des einzelnen Betroffenen abzustellen, die Lästigkeit ist vielmehr am Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks zu messen. Es kommt mit anderen Worten darauf an, ob das Geräusch unabhängig von der Lautstärke aufgrund seiner besonderen Eigenart gemeinhin als störend empfunden wird (vgl auch RS0010557; näher Th. Aigner, Über die Bedeutung subjektiver Eigenschaften des Nachbarn bei der Immissionsabwehr, RdU 2016/116, 191; siehe aber auch 8 Ob 635/92, wonach dann, wenn von einem Durchschnittsmenschen Erhöhungen bis 5 dB[A] kaum wahrgenommen werden, auch unter Berücksichtigung der Besonderheit des Lärms [hier: Tennislärm] eine Erhöhung des Geräuschpegels von mehr als 5 dB[A] vorliegen muss, damit die ortsübliche Benützung wesentlich beeinträchtigt wird). Als nicht nur das ortsübliche Maß überschreitende, sondern zugleich auch die ortsübliche Benutzung wesentlich beeinträchtigende Immissionen werden demnach etwa solche angesehen, die die empfindliche Störung der Nachtruhe in einer Wohngegend zur Folge haben (vgl 1 Ob 262/97d; 5 Ob 219/07b); das ist in der Regel dann der Fall, wenn normal empfindliche Menschen durch das als lästig empfundene Geräusch in ihrem Ruhe- und Schlafbedürfnis wesentlich gestört werden (siehe RS0037171).

[26] 2.5. Ganz allgemein sind bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung im besonderen Maß die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (RS0010583 [T2]). Ähnlich wird in der Literatur formuliert, dass die Normen des Nachbarrechts dem Interessenausgleich dienen und gerade daher in hohem Maße einer wertenden Auslegung zugänglich sind (Oberhammer/Scholz-Berger in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 364 Rz 15). Es geht darum, ob der Kern der geschützten Nutzung beeinträchtigt wird, was wiederum von Ausmaß und Häufigkeit der Beeinträchtigung determiniert wird (Kerschner/E. Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 364 Rz 233; 6 Ob 60/20x).

[27] 2.6. Die Rechtsprechung geht im Allgemeinen – im Sinn eines beweglichen Systems – davon aus, dass die Beeinträchtigung der Benutzung umso wesentlicher sein muss, je näher die Immission an der Ortsüblichkeit liegt (zuletzt 6 Ob 60/20x mwN). Je mehr schließlich die schädlichen Immissionen auf ein Manko in der Sphäre des Störers zurückzuführen sind, umso weniger kann man Abhilfemaßnahmen durch den Betroffenen im Rahmen der Prüfung der Beeinträchtigung auf ihre Wesentlichkeit als zumutbar ansehen (RS0132173). Es ist unter anderem darauf Bedacht zu nehmen, ob der Störer den beeinträchtigenden Zustand durch „unsachgemäßes Vorgehen“ geschaffen hat (RS0132173 [T1]).

[28] 2.7. Zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB hat der Kläger sein Eigentumsrecht und die Einwirkung zu beweisen, der Beklagte hingegen die Zulässigkeit seiner Einwirkung (RS0010474 [T4]). Der Beklagte ist beweispflichtig, dass der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Grenzen nicht überschritt (RS0010474).

[29] 3.1. Vor dem Hintergrund dieser Judikaturgrundsätze ist die Rechtssache auf Grundlage der vom Berufungsgericht bloß partiell übernommenen Sachverhaltsannahmen im Ersturteil noch nicht entscheidungsreif. Das Berufungsgericht hat sich bisher nämlich – ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung durchaus folgerichtig – nicht mit der in der Berufung der Kläger geltend gemachten Mängel- und Beweisrüge auseinandergesetzt.

[30] 3.2. Zudem ist für die abschließende rechtliche Beurteilung erforderlich zu klären, über welchen Zeitraum das in Rede stehende Dauergeräusch bereits auf das Grundstück der Kläger einwirkt, namentlich, ob es erst durch die Modifikationen der Anlage im Jahr 2014 hervorgerufen wurde, oder aber schon zuvor – allenfalls bereits seit der Umstellung der Mühle auf maschinellen Betrieb – bestand.

[31] 3.3. Dasselbe gilt für die Frage, über wieviele Tage im Jahr der Bach in der Nähe des Grundstücks der Kläger durchschnittlich so wenig Wasser führt, dass der von der Mühle ausgehende Dauerton in den Nachtstunden, wenn der Verkehr auf der Tauernautobahn nachlässt, nicht mehr vollends vom Wasserrauschen überlagert wird.

[32] 3.4. Letztlich ist zu klären, ob das Betriebsgeräusch der Mühle in dieser Konstellation – also nächtens bei wenig Verkehr und geringem Wasserstand – gemessen an den Schlafgewohnheiten und dem Lärmempfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage der Kläger auch unter Bedachtnahme auf die Lästigkeit des tieffrequenten Dauertons überhaupt zu einer ins Gewicht fallenden Störung der Nachtruhe führt. Dabei ist zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass die Wesentlichkeitsschwelle selbstverständlich nicht erst dann erreicht wäre, wenn die Beeinträchtigung des Schlafbedürfnisses so nachhaltig und tiefgreifend ist, dass damit eine Gefährdung der körperlichen oder psychischen Gesundheit einhergeht. Sofern eine derartige Gefährdung der Gesundheit vorliegt, würde sich schon allein daraus sowohl die Ortsunüblichkeit der Lärmstörung als auch die wesentliche Nutzungsbeeinträchtigung im oben dargelegten Sinn ergeben (6 Ob 166/13z; 7 Ob 80/14m; 4 Ob 43/16a uva); dabei kommt es aber neuerlich darauf an, dass die Lärmimmission überhaupt – und nicht nur für übersensible Menschen – gesundheitsgefährdend bzw -beeinträchtigend ist, wofür die Kläger die Beweislast trifft (6 Ob 166/13z; RS0010607 [T9]).

[33] 3.5. Für das weitere Verfahren ist auch klarzustellen, dass, sofern die Klärung der angeführten Umstände zusätzliche Beweisaufnahmen erfordern sollte, die Vorinstanzen auch berücksichtigen können, wenn – wie die Beklagten behaupten – zwischenzeitig die Auflage, wonach die Mühle nicht in der Nachtzeit betrieben werden darf, rechtskräftig (vgl Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 364a Rz 39) aufgehoben wurde (zur Wahrnehmung von nova producta nach einem Aufhebungsbeschluss vgl 3 Ob 56/89; RS0042458 [T5, T8]).

[34] 3.6. Im Übrigen wäre es auch nicht verfahrensökonomisch, weitere Beweisaufnahmen zur Ortsüblichkeit der Störung durchzuführen, wenn mittlerweile bereits eine rechtskräftige Bewilligung durch die Verwaltungsbehörde vorläge, sodass der Schutz des § 364 ABGB im Ergebnis ohnedies nicht greifen könnte. Daher ist auch diese Frage vom Umfang der ausgesprochenen Aufhebung (vgl Lovrek in Fasching/Konecny³ § 510 Rz 10) umfasst, wäre es doch widersinnig, die Beklagten auf ein gesondertes Oppositionsverfahren zu verweisen und gleichzeitig ein Beweisverfahren über die tatsächlichen Voraussetzungen einer in Wahrheit möglicherweise gar nicht mehr anzuwendenden Norm zu führen. Insoweit sind die zur Wahrnehmung einer nachträglichen Änderung der Rechtslage nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entwickelten Grundsätze (RS0037660 [T2]; RS0123158 [T1, T2, T5, T7, T8]) auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

[35] 4. Zusammenfassend war daher spruchgemäß mit Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts vorzugehen.

[36] 5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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