European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00237.23F.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragsteller bringen vor, die Erstantragsgegnerin, deren Komplementärin die Zweitantragsgegnerin sei, habe im Zusammenhang mit der Erweiterung einer von ihr betriebenen U‑Bahnlinie bauliche Maßnahmen an der im Miteigentum der Antragsteller stehenden Liegenschaft durchführen wollen. Mangels Einigung über die Entschädigung habe die Erstantragsgegnerin am 24. 4. 2020 beim Amt der Wiener Landesregierung ein Enteignungsverfahren zur Duldung von Zwangsmaßnahmen eingeleitet. Die Parteien seien letztlich übereingekommen, dass die Erstantragsgegnerin ab einem bestimmten Zeitpunkt die notwendigen Arbeiten durchführen und die Entschädigung danach erfolgen solle. Die Erstbeklagte habe die Arbeiten durchgeführt und danach ihren Enteignungsantrag zurückgezogen, sodass die Behörde keine Entschädigung festgesetzt habe. Eine außerbehördliche Einigung über die Entschädigung sei nicht zustande gekommen. Die Antragsteller begehren daher die gerichtliche Festsetzung der Enteignungsentschädigung analog zum EisbEG. Die begehrte Entschädigung setze sich aus der vom Mieter gegen die Antragsteller geltend gemachten Forderungen aus Ertragsausfall wegen der Schließung eines im Bestandobjekt betriebenen Unternehmens während der Bauarbeiten, den Rechtsvertretungskosten des Mieters, dem vom Sachverständigen ermittelten Entschädigungsanspruch wegen Inanspruchnahme der Räumlichkeiten, dem Mietzinsentgang der Antragsteller und deren Rechtsvertretungskosten im Verfahren vor dem Amt der Wiener Landesregierung zusammen.
[2] Die Antragsteller kamen dem vom Erstgericht erteilten Verbesserungsauftrag, das Begehren im streitigen Rechtsweg geltend zu machen, nicht nach und behaupteten die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs.
[3] Das Erstgericht sprach aus, dass über den geltend gemachten Anspruch im streitigen Verfahren zu entscheiden sei, und wies das Begehren zurück.
[4] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Vorauszuschicken ist, dass sich bei Entscheidungen nach § 40a JN die Anfechtbarkeit nach der vom Verfahrenseinleitenden gewählten Verfahrensart richtet (RS0046245 [T4, T9]; RS0046238 [T2]); das ist hier das Außerstreitverfahren.
[6] 2.1. In welchem Verfahren eine Rechtssache zu behandeln und zu erledigen ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und des Vorbringens der Partei (§ 40a Satz 1 JN). Maßgebend für die Bestimmung der Art des Rechtswegs sind der Wortlaut des Begehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen (RS0013639 [T11, T17, T19]; vgl RS0045718). Ein in der falschen Verfahrensart gestelltes Rechtsschutzgesuch ist nicht jedenfalls zurückzuweisen, sondern umzudeuten und im richtigen Verfahren zu behandeln (RS0116390). Nach Umdeutung eines Sachantrags in eine Klage sind die für diese geltenden Regeln der ZPO anzuwenden (RS0057140 [T3]). Daher ist der in eine Klage umgedeutete Antrag zurückzuweisen, wenn das angerufene Gericht nach der Umdeutung sachlich oder örtlich unzuständig ist, weil eine amtswegige Überweisung einer durch Umdeutung streitig gewordenen Rechtssache vom unzuständigen an das zuständige Gericht nach § 44 JN unzulässig ist (RS0111494; vgl RS0057140 [T4]).
[7] Auch dann, wenn der Antragsteller zu Unrecht auf der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs beharrt, ist der Antrag nicht in eine Klage umzudeuten, sondern zurückzuweisen (6 Ob 162/19w [ErwGr 6]; 5 Ob 121/17f [ErwGr 6]; vgl RS0070463).
[8] 2.2. Grundsätzlich gehören alle in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Rechtssachen auf den streitigen Rechtsweg, sofern sie nicht ausdrücklich oder doch wenigstens unzweifelhaft schlüssig ins Außerstreitverfahren verwiesen sind (§ 1 Abs 2 AußStrG; RS0012214). Die Antragsteller stützen die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtsweges auf eine (analoge) Anwendung von § 24 Abs 1 EisbEG.
[9] 2.3. Nach § 24 Abs 1 EisbEG ist eine Entschädigung wegen Enteignung im Verfahren in Außerstreitsachen geltend zu machen (RS0005931).
[10] Gemäß § 4 Abs 1 EisbEG ist das Eisenbahnunternehmen verpflichtet, den Enteigneten für alle durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile schadlos zu halten. Über die Entschädigung hat die Behörde im Enteignungsbescheid abzusprechen (§ 17 Abs 2 Satz 1 EisbEG). Gegen den Bescheid kann – hinsichtlich der Enteignung – im Verwaltungsweg Berufung erhoben werden. Eine Berufung gegen die Entscheidung über die Entschädigung ist unzulässig. Dem Enteigneten und dem Eisenbahnunternehmen steht es vielmehr frei, binnen drei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Enteignungsbescheids die Festsetzung der Entschädigung beim zuständigen Landesgericht (§ 18 Abs 2 EisbEG) zu begehren. Mit der Anrufung des Gerichts tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft (§ 18 Abs 1 EisbEG). Damit ist im EisbEG eine sogenannte sukzessive Kompetenz vorgesehen, die darin besteht, dass vor der Antragstellung im Außerstreitverfahren zwingend ein Verwaltungsverfahren zur bloß vorläufigen Entscheidung durchzuführen ist, mit der Anrufung des Gerichts die Entscheidung der Verwaltungsbehörde außer Kraft tritt und ein neues Verfahren vor Gericht beginnt (3 Ob 1/19x [ErwGr 5.2.]).
[11] 2.4. Die gesetzliche Regelung kann dahin zusammengefasst werden, dass die endgültige Bestimmung der Enteignungsentschädigung durch ein (ziviles) Landesgericht in Außerstreitsachen vorgenommen werden soll, welches dann zuständig werden soll, wenn die vorläufige Entscheidung darüber im Enteignungsbescheid von den Parteien nicht akzeptiert wird (3 Ob 1/19x [ErwGr 5.4.]).
[12] Diese Wertung erachtete der Oberste Gerichtshof auch für die Fälle einer „Legalenteignung“ als ausschlaggebend, also für Fälle, in denen eine Enteignung gesetzlich, ohne vorausgehendes Enteignungsverfahren, vorgesehen ist, sodass eine vorläufige Festsetzung der Enteignungsentschädigung in einem Enteignungsbescheid ausgeschlossen ist (3 Ob 1/19x [ErwGr 5.5.]). Auch in solchen Fällen ist die Enteignungsentschädigung daher im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen (3 Ob 1/19x [ErwGr 5.4. ff]).
[13] 3.1. Das Rekursgericht legte das Vorbringen der Antragsteller dahin aus, dass diese eine stattgefundene Enteignung gar nicht behaupteten, sondern die Durchführung der Bauarbeiten im Hinblick auf eine danach zu leistende Entschädigung gestattet hätten.
[14] Mit dem Rechtsmittelvorbringen, die Antragsteller hätten keine freiwillige Zustimmung zur Durchführung von Bauarbeiten auf ihrer Liegenschaft erteilt, weil kein Zweifel daran bestanden habe, dass die Durchführung von Zwangsmaßnahmen ohnehin behördlich genehmigt werden würde, zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs keine im Einzelfall unvertretbare Auslegung des Antragsvorbringens durch das Rekursgericht auf. Dieses Vorbringen kann vielmehr dahin verstanden werden, dass es die Motivation der Antragsteller betrifft, dem Enteignungsantrag der Erstantragsgegnerin im Verfahren vor der Wiener Landesregierung nicht weiter entgegen zu treten. Es ist vertretbar, in diesem Vorbringen nicht die Behauptung einer Enteignung im Sinn eines hoheitlichen Eingriffs (vgl RS0010820; RS0053579) zu sehen.
[15] 3.2. Soweit im Rechtsmittel eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung daraus abgeleitet wird, dass das Rekursgericht von der Entscheidung 3 Ob 1/19x des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei, trifft dies nicht zu.
[16] Der vorliegende Fall unterscheidet sich von der zu 3 Ob 1/19x entschiedenen Konstellation dadurch, dass kein Fall einer unmittelbar aufgrund des Gesetzes erfolgten Enteignung vorliegt. Dass in beiden Konstellationen kein Enteignungsbescheid ergangen ist – was der außerordentliche Revisionsrekurs hervorhebt –, beruht in einem Fall wie dem vorliegenden darauf, dass die Eigentümer der Enteignungswerberin noch während des Verwaltungsverfahrens die Durchführung der Arbeiten gestatteten, nicht aber – wie bei der Legalenteignung – darauf, dass ein verwaltungsbehördliches Enteignungsverfahren gar nicht vorgesehen ist.
[17] 3.3. Wenn die Vorinstanzen in dem Vorbringen, die Parteien seien übereingekommen, dass die Arbeiten ab einem bestimmten Zeitpunkt durchgeführt würden und die Entschädigung anschließend vorgenommen werde, Anhaltspunkte für die Geltendmachung eines aus einer (allenfalls konkludenten) Vereinbarung resultierenden Anspruchs oder eines Bereicherungsanspruchs der Antragsteller erblickten, woraus die Zuständigkeit des streitigen Rechtswegs folge, begegnet dies keinen Bedenken.
[18] 4. Da eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG nicht aufgezeigt wurde, ist der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.
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