OGH 5Ob121/17f

OGH5Ob121/17f29.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin Daniela P*, vertreten durch Dr. Olaf Borodajkewycz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin G* regGenmbH, *, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 22 Abs 1 Z 1 und 3 WGG iVm § 14a WGG über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. April 2017, GZ 39 R 11/17g‑14, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 9. Dezember 2016, GZ 9 Msch 12/16i‑8, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119531

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen betreffend das Eventualbegehren aufgehoben und das von ihnen geführte Verfahren in diesem Umfang für nichtig erklärt. Der Antrag wird insoweit zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die mit 226,90 EUR (darin 37,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 225,05 EUR (darin 37,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Begründung:

Die Antragstellerin ist Nutzungsberechtigte der Wohnung Top 21 in *, die Antragsgegnerin – eine Gemeinnützige Bauvereinigung im Sinn des § 1 WGG – ist ihre Vermieterin. Im Zuge einer von dieser beauftragten Sanierung der Außenfassade der Wohnhausanlage wurde im Bereich der Wohnung der Antragstellerin eine dort an der Fassade als Sonnenschutz montierte Markise durch herabtropfende Anstrichfarbe im Erscheinungsbild dadurch beeinträchtigt, dass sich auf der Markise nun über deren Gesamtbreite ein mehrere Zentimeter breiter grauer Farbstreifen befindet. Die Funktionalität der Markise als Sonnenschutz ist dadurch nicht beeinträchtigt.

Die Antragstellerin begehrte bei der Schlichtungsstelle gestützt auf § 14a Abs 2 Z 2a und Z 2b WGG idF der WGG‑Novelle 2016 primär, die Antragsgegnerin zwecks Erhaltung des vereinbarten Zustands der mitvermieteten Markise zu deren Erneuerung zu verhalten, hilfsweise Ersatz der Kosten, die sie aufwenden muss, wenn die Vermieterin die Wiederherstellungsarbeiten nicht leistet, in Höhe von 790 EUR. Da sich der Anspruch auf § 8 Abs 3 MRG iVm § 22 Abs 1 Z 3 WGG gründe, sei er im Außerstreitverfahren geltend zu machen.

Die Antragsgegnerin wendete bereits im Schlichtungsverfahren ein, es handle sich nicht um einen unter § 8 Abs 3 MRG subsumierbaren Schadenersatzanspruch, weshalb eine Zuständigkeit der Schlichtungsstelle nicht bestehe.

Die Schlichtungsstelle wies Haupt‑ und Eventualbegehren ab.

Die Antragstellerin rief dagegen fristgerecht das Gericht an und verwies auf die aus § 14a Abs 2 Z 2b WGG ableitbare Erhaltungspflicht der Antragsgegnerin in Bezug auf die mitvermietete Markise.

Die Antragsgegnerin wendete ein wie im Verfahren vor der Schlichtungsstelle.

Das Erstgericht wies Haupt‑ und Eventualbegehren ab. Über die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs entschied es weder im Spruch noch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich. Aufgrund der eingangs zitierten Feststellungen ging es davon aus, der Schaden an der Markise stelle ausschließlich einen optischen Mangel an einem mitvermieteten Einrichtungsgegenstand dar, dessen Behebung der Antragsgegnerin als Vermieterin im Rahmen der §§ 14a bis 14d WGG nicht aufgetragen werden könne. Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 8 Abs 3 MRG verneinte das Erstgericht mangels wesentlicher Beeinträchtigung der Nutzungsrechte der Antragstellerin.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin in Bezug auf das Hauptbegehren nicht Folge. Eine aus § 14a Abs 2 Z 2b WGG idF der WGG‑Novelle 2016 ableitbare Erhaltungspflicht für bloße Schönheitsreparaturen treffe die Antragsgegnerin nicht. In Bezug auf das Eventualbegehren ging es allerdings von einer wesentlichen Beeinträchtigung im Hinblick auf den Behebungsaufwand für die Neubespannung der Markise von 790 EUR aus und änderte insoweit den erstinstanzlichen Sachbeschluss im Sinn einer Antragsstattgebung ab.

Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu der in höchstgerichtlicher Rechtsprechung noch nicht beantworteten Frage zu, ob unter die Erhaltungspflichten nach § 14a Abs 2 Z 2b WGG auch Schönheitsreparaturen fallen können.

Der ordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin bekämpft lediglich die Entscheidung über das Eventualbegehren mit dem Antrag, insoweit den erstinstanzlichen Sachbeschluss wiederherzustellen. Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekurs‑beantwortung primär, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses war von Amts wegen (§ 55 Abs 3 AußStrG) ein den Vorinstanzen unterlaufener schwerwiegender Verfahrensverstoß wahrzunehmen, der letztlich zur Zurückweisung des Antrags in Bezug auf das Eventualbegehren zu führen hat.

1. § 56 Abs 1 iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG normieren ausdrücklich als Revisionsrekursgrund im Außerstreitverfahren, dass der angefochtene Beschluss über eine Sache gefällt wurde, die nicht auf den außerstreitigen Rechtsweg gehört. Zwar wird im Rechtsmittelsystem des AußStrG 2005 der Begriff der Nichtigkeit vermieden. Gelangt das Rechtsmittelgericht allerdings aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zur Überzeugung, dass der angefochtene Beschluss oder das Verfahren an einem bisher unbeachtet gebliebenen Mangel (unter anderem) nach § 56 Abs 1 AußStrG leidet, so ist dieser wahrzunehmen, auch wenn er von keiner der Parteien geltend gemacht wurde und er die Richtigkeit der Entscheidung nicht berührt (RIS‑Justiz RS0122081 [T4]). Eine den Obersten Gerichtshof bindende, weil von beiden Vorinstanzen übereinstimmend ausdrücklich (zumindest) in den Entscheidungsgründen vorgenommene Bejahung der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs liegt hier nicht vor (vgl RIS‑Justiz RS0046249), sodass zunächst im Sinn des § 42 Abs 1 und 4 JN die Frage der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs in Bezug auf den Eventualantrag zu erörtern ist.

2. Die Zulässigkeit des außerstreitigen Verfahrens ist für wohnrechtliche Angelegenheiten gegeben, wenn das Gesetz die betreffende Angelegenheit ausdrücklich (§ 1 Abs 2 AußStrG iVm § 37 Abs 1 MRG, § 52 Abs 2 WEG 2002 oder § 22 Abs 1 WGG) oder wenigstens unzweifelhaft schlüssig in das außerstreitige Verfahren verweist (RIS‑Justiz RS0005948; RS0012214 [T1]). Einen ausdrücklichen Verweis enthält § 37 Abs 1 Z 5 MRG und § 22 Abs 1 Z 3 WGG für Verfahren über die Duldungspflicht des Mieters einschließlich seines Entschädigungsanspruchs (§ 8 Abs 2 und 3 MRG).

3. Gemäß § 8 Abs 3 MRG sind alle Erhaltungs‑, Verbesserungs‑, Änderungs‑ und Errichtungsarbeiten, die ein Mieter zuzulassen hat, so durchzuführen, dass eine möglichste Schonung des Mietrechts gewährleistet ist; für wesentliche Beeinträchtigungen hat der Vermieter den Mieter, der hiedurch in seinen Rechten beeinträchtigt wird, angemessen zu entschädigen. Diese Bestimmung ist gemäß § 20 Abs 1 lit b WGG auch auf das Nutzungsrecht an Genossenschaftswohnungen anzuwenden. Dieser Entschädigungsanspruch ist als rechtswidrigkeits‑ und verschuldensunabhängige Eingriffshaftung konzipiert (Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 8 MRG Rz 42; 5 Ob 3/08i; RIS‑Justiz RS0069533) und kommt auch dann in Betracht, wenn Erhaltungs‑ oder Verbesserungsarbeiten an allgemeinen Teilen des Hauses wesentliche Beeinträchtigungen der Rechte des Mieters verursachen (RIS‑Justiz RS0069520). Demgemäß kann etwa die im Zug von Umbauarbeiten an allgemeinen Teilen des Hauses erfolgte Entfernung der vom Mieter mit Zustimmung des Vermieters angebrachten Außenjalousien die Pflicht des Vermieters zur Leistung einer angemessenen Entschädigung zur Folge haben (5 Ob 192/92 = wobl 1993/112; 5 Ob 194/11g).

4. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in bereits zwei Fällen (5 Ob 170/01p, 5 Ob 109/08b = wobl 2009/81 [Vonkilch]) ausgesprochen, dass ein Begehren nach Kostenbevorschussung für vom Mieter erst in der Zukunft beabsichtigte Instandsetzungsarbeiten nicht einmal im weitesten Sinn als von § 8 Abs 3 MRG umfasster Entschädigungsanspruch für zu duldende Beeinträchtigungen anzusehen sei, sodass das wohnrechtliche Außerstreitverfahren für die Erledigung eines derartigen Anspruchs nicht zur Verfügung stehe. Diese gesicherte Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0116133 [T1]), wird in der Literatur überwiegend geteilt (Klicka in Hausmann/Vonkilch Österreichisches Wohnrecht3 § 37 MRG Rz 30; Kulhanek in Illedits/Reich‑Rohrwig, Wohnrecht2 § 37 MRG Rz 103). Lediglich Vonkilch (Glosse zu 5 Ob 109/08b in wobl 2009/81) hält es zwar für zutreffend, dass der Mieter nicht unter Berufung auf § 8 Abs 3 MRG generell Kostenvorschuss für die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen begehren könne, die dem Vermieter obliegen. Er sieht lediglich keinen Grund, in Fällen, in denen dem Mieter gemäß § 8 Abs 3 MRG unstrittig Ersatz zustehe, diesem einen Anspruch auf Vorschuss gegenüber dem Vermieter zu verweigern.

5. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs ist auf den Wortlaut des Begehrens und das Sachvorbringen abzustellen (RIS‑Justiz RS0005896 [T17, T19]). Schon vor der Schlichtungsstelle begehrte die Antragstellerin – ungeachtet des Umstands, dass sie sich formell auf § 8 Abs 3 MRG iVm § 22 Abs 1 Z 3 WGG stützte – die Durchführung von Erhaltungsarbeiten durch die Antragsgegnerin und zitierte hiezu ausdrücklich § 14 Abs 2 Z 2a und 2b WGG idF WGG‑Novelle 2016. Ihr Eventualbegehren auf Zahlung begründete sie damit, diese Kosten müsste sie deshalb aufwenden, weil die Vermieterin die Wiederherstellungsarbeiten nicht leiste. Im Gerichtsverfahren hielt die Antragstellerin dieses Vorbringen aufrecht und ergänzte es lediglich dahin, dass es nicht darauf ankomme, ob die Markise als mitvermieteter Einrichtungsgegenstand zum Vermögen der Antragstellerin zähle. Auch hier macht die Antragstellerin in ihrem Eventualbegehren daher nichts anderes als einen Vorschuss auf die von ihr selbst mehrfach ausdrücklich als solche bezeichneten Erhaltungskosten geltend; eine – jedenfalls Tatbestandsvoraussetzung des § 8 Abs 3 MRG bildende – wesentliche Beeinträchtigung des Mietrechts der Antragstellerin selbst (vgl hiezu Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 8 MRG Rz 43) ist dem Vorbringen der Antragstellerin hingegen weder im Verfahren vor der Schlichtungsstelle noch vor dem Erstgericht ausreichend zu entnehmen. Der Hinweis auf einen – offenbar von der Loggia der Antragstellerin aus nur beim „Nach-Oben-Schauen“ überhaupt erkennbaren (Lichtbild ./A im Akt der Schlichtungssstelle) – Farbstreifen auf der Oberseite der Markisenbespannung reicht dafür nicht aus. Die von der Antragstellerin mehrfach zitierte Entscheidung 5 Ob 194/11g erging zwar im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren, betraf allerdings die Entfernung von Außenjalousien und einer Markise und befasste sich mit der Frage der Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs vermutlich deshalb nicht explizit, weil das – in der Veröffentlichung nicht wiedergegebene – Antragsvorbringen keinen Zweifel daran ließ, dass dort tatsächlich ein Entschädigungsanspruch iSd § 8 Abs 3 MRG Gegenstand des Antrags sein sollte. Sie ist daher nicht unmittelbar einschlägig. Im Sinn der Vorentscheidungen 5 Ob 170/01p und 5 Ob 109/08b ist vielmehr auch hier von einer Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs auszugehen, weil die Antragstellerin in Wahrheit einen Anspruch auf Vorauszahlung von Kosten der von ihr beabsichtigten Sanierung der bei Umbauarbeiten am Haus herbeigeführten Schäden an der Markise geltend macht.

6. Zwar kommt eine Zurückweisung eines im außerstreitigen Verfahren gestellten Antrags wegen Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs nur dann in Betracht, wenn das Gericht für das richtige Verfahren nicht sachlich und örtlich zuständig und auch nicht § 44 JN anzuwenden ist, weil grundsätzlich über den Antrag im Sinn des § 40a JN als Klage im streitigen Verfahren durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter zu verhandeln und zu entscheiden wäre (RIS‑Justiz RS0057140). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Antragstellerin die Zulässigkeit des mietrechtlichen Verfahrens nach § 37 Abs 1 MRG bzw § 22 Abs 1 WGG nie bezweifelt, sondern ausdrücklich daran festgehalten hat (5 Ob 3/08i; 5 Ob 182/07m). Dies ist hier der Fall. Schon im Verfahren vor der Schlichtungsstelle wendete die Antragsgegnerin die Unzulässigkeit der gewählten Verfahrensart ein, die Antragstellerin bestand auf der Zulässigkeit des außerstreitigen Verfahrens auch für das Eventualbegehren hielt ihr diesbezügliches Vorbringen im Gerichtsverfahren ausdrücklich aufrecht. Aufgrund ihres Beharrens auf der von ihr gewählten Verfahrensart ist ihr Eventualantrag nicht in eine Klage umzudeuten, sondern wegen Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs zurückzuweisen (vgl RIS‑Justiz RS0070463; 5 Ob 170/01p).

7. Die Entscheidung über die Kosten der Verfahren erster und zweiter Instanz gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 22 Abs 4 WGG. In Bezug auf das Hauptbegehren ist die Antragstellerin unterlegen, ihr Eventualbegehren wurde zurückgewiesen, sodass es der Billigkeit entspricht, der Antragsgegnerin vollen Kostenersatz zuzusprechen, den sie tarifgemäß verzeichnet hat. Im Revisionsrekursverfahren hat die Antragsgegnerin allerdings die Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs nicht (mehr) thematisiert und hier somit keinen Beitrag zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in Bezug auf die letztliche entscheidungsrelevante Frage geleistet. Es entspricht daher der Billigkeit, die Kosten der Parteien im Revisionsrekursverfahren gegenseitig aufzuheben (vgl RIS‑Justiz RS0122082; vgl auch Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 78 Rz 47).

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