European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00191.23S.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Persönlichkeitsschutzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihrem Ausspruch über das Unterlassungsbegehren dahin abgeändert, dass die Entscheidung als Teilurteil zu lauten hat:
„1 Die beklagte Partei ist schuldig, es zu unterlassen, die klagende Partei auf deren Liegenschaft *, sei es im Haus oder im Garten, zu filmen und zu fotografieren.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz bleibt dem Erstgericht vorbehalten.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.881,90 EUR (darin enthalten 392,65 EUR an Umsatzsteuer und 1.526 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Streitteile wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft und befinden sich in einem langandauernden Streit. Am 7. 3. 2020 entstand der Beklagten ein Sachschaden an der Hausfassade. Die Beklagte ist überzeugt, dass der Kläger diesen Schaden herbeigeführt hat.
[2] Der Vorfall war Gegenstand eines Strafverfahrens gegen den Kläger. Im Strafverfahren lag eine Videoaufzeichnung der Tat aus einer Überwachungsanlage der Beklagten vor, die allerdings von schlechter Qualität ist. Daraufhin schrieb der Privatbeteiligtenvertreter der Beklagten, es wäre von Vorteil, wenn sie Videomaterial vom Gangbild des Klägers als eindeutigen Beweis erstellen könnte. Daher fotografierte die Beklagte in der ersten Novemberwoche 2020 an zwei oder drei Tagen heimlich den Kläger in seinem Garten und nahm von ihm auch ein Video auf. Die Beklagte legte sodann im Strafverfahren die von ihr angefertigten Videoaufnahmen und Fotografien vor, die den Kläger bei Tätigkeiten in seinem Garten zeigen. Dennoch endete das Verfahren mit einem Freispruch des Klägers.
[3] Darüber hinaus ist der Vorfall Gegenstandeines Zivilverfahrens, in dem die Beklagte vom Kläger Schadenersatz fordert. Auch dort ist aufgrund der schlechten Videoqualität strittig, ob der auf dem Überwachungsvideo aufgezeichnete Schädiger der Kläger ist. Am 22. 2. 2021 machte die Beklagte ein Foto des Klägers, das ihn in seinem Garten zeigt, wie er ein Bier trinkt. Mit diesem Foto wollte die Beklagte die Aussage des Klägers im Zivilverfahren widerlegen, wonach er keinen Alkohol mehr trinke, weil der Mann auf der Aufnahme torkeln würde.
[4] Der Klagevertreter forderte die Beklagte am 26. 4. 2021 auf, das Anfertigen von Fotos und Videos zu unterlassen. Dieser Aufforderung kam die Beklagte nach. Die Beklagte veranlasste darüber hinaus während dieses Verfahrens im Mai 2022 auch die Löschung bzw Vernichtung der vom Kläger angefertigten Foto- und Videoaufnahmen. Weiters erklärte sie, keine weiteren Fotos oder Videos vom Kläger zu machen.
[5] Der Kläger begehrt von der Beklagten, 1. es zu unterlassen, den Kläger auf seiner Liegenschaft, sei es beim Haus oder im Garten, zu filmen und zu fotografieren und 2. sämtliche bisher von ihm in diesem Bereich angefertigten Bilder und Aufnahmen zu vernichten. Die Beklagte baue einen unerträglichen Überwachungsdruck gegenüber dem Kläger auf, indem sie ihn auf seinem privaten Grund fotografiere und filme. Dies verstoße gegen den aus § 16 ABGB abgeleiteten Bildnis- und Persönlichkeitsschutz des Klägers. Die Aufnahmen würden von der Beklagten vermutlich angefertigt, um Beweise gegen den Kläger zu sammeln, dass er trotz des erfolgten Freispruchs im Strafverfahren für die Sachbeschädigung am Haus der Beklagten verantwortlich sei. Dies stelle jedoch keine Rechtfertigung für deren widerrechtliches Vorgehen dar. Da die Beklagte weiterhin behaupte, sie sei berechtigt gewesen, die Fotos des Klägers anzufertigen, liege Wiederholungsgefahr vor.
[6] Die Beklagte wendete ein, der Kläger trachte seit Jahren danach, sie „in Angst und Schrecken“ zu versetzen und ihr Schäden zuzufügen. Am 7. 3 2021 habe die Überwachungsanlage den Kläger aufgezeichnet, als er die Fassade des Hauses der Beklagten beschädigt habe. Aufgrund einer für das Gericht zu schlechten Qualität der Videoaufnahme sei es im dazu geführten Strafverfahren zu einem Freispruch „im Zweifel“ gekommen. In dem über diese Fassadenbeschädigung anhängigen Zivilverfahren sei der Beschluss gefasst worden, ein biometrisch-anthropologisches Sachverständigengutachten einzuholen. In der Sorge, dass eine Beweisführung der Beklagten als Klägerin in diesem Zivilverfahren wiederum scheitern könne, habe sie aufgrund des „völligen Beweisnotstands“ Bilder des Klägers angefertigt, die nicht nur seine Gesichtszüge, sondern auch seine Körperhaltung und -bewegung, seine körperliche Statur und auch die Art der Werkzeughaltung und -führung wiedergäben, sodass dem Sachverständigen eine Vergleichsmöglichkeit zur Verfügung stehe. Dies werde sie nun künftig nicht mehr machen, weil der Sachverständige im Schadenersatzprozess gegen den (hier) Kläger mit den bisherigen Vergleichsfotos bereits das Auslangen gefunden habe und sein Gutachten auf deren Basis erstellen habe können.
[7] Das Erstgericht wies beide Begehren ab. Die Beklagte habe durch die heimlichen Foto‑ und Videoaufnahmen in das Recht des Klägers auf Schutz seiner Privatsphäre eingegriffen. Die Interessenabwägung im Hinblick auf den von der Beklagten behaupteten Beweisnotstand im Schadenersatzprozess gegen den Kläger falle nicht zu ihren Gunsten aus, weil die Mitwirkung einer Partei an der Aufnahme eines Sachverständigenbeweises in der ZPO entsprechend geregelt sei. Zudem habe der Kläger ohnehin in die Herstellung von Vergleichsbildern eingewilligt. Dem Unterlassungsanspruch des Klägers mangle es aber an der erforderlichen Wiederholungsgefahr, seien doch der Gesamtheit des Verhaltens der Beklagten gewichtige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass sie ernstlich gewillt sei, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen. Ein Zuwiderhandeln der Beklagten stehe auch weder unmittelbar drohend bevor noch sei künftiges Zuwiderhandeln ernsthaft zu besorgen. Das Begehren auf Vernichtung der angefertigten Bilder und Aufnahmen sei von der Beklagten während des anhängigen Verfahrens erfüllt worden, sodass auch dieses abzuweisen sei.
[8] Das Berufungsgericht hob das Ersturteil hinsichtlich des Begehrens auf Vernichtung und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurück. Im Übrigen wurde die Entscheidung des Erstgerichts als Teilurteil bestätigt. Insbesondere aus den vom Erstgericht disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen Feststellungen gehe der Sinneswandel der Beklagten hervor. Das Erstgericht habe daher das Vorliegen von Wiederholungsgefahr zutreffend verneint.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision des Klägers ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.
[10] 1.1 Gemäß § 16 ABGB hat jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als eine Person zu betrachten. Diese Bestimmung wird allgemein nicht als bloßer Programmsatz, sondern als Zentralnorm der österreichischen Rechtsordnung angesehen; sie anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert. Aus ihr wird – ebenso wie aus anderen sich aus der Rechtsordnung ergebenden Grundwerten (etwa Art 8 EMRK ua) – das Persönlichkeitsrecht jedes Menschen auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet (6 Ob 103/07a vgl auch RS0009003).
[11] 1.2. Gemäß § 20 Abs 1 ABGB idF BGBl I 148/2020 kann derjenige, der in einem Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist oder eine solche Verletzung zu besorgen hat, auf Unterlassung und auf Beseitigung des widerrechtlichen Zustands klagen. Diese Bestimmung ist gemäß § 1503 Abs 17 ABGB auf Fälle anzuwenden, in denen die verletzende Handlung nach dem 31. 12. 2020 gesetzt wurde. Im Übrigen leitet die Rechtsprechung aus dem Charakter der Persönlichkeitsrechte als absolute Rechte Unterlassungsansprüche bei Verletzungen dieser Rechte auch dann ab, wenn sie gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen sind (6 Ob 231/16p; 3 Ob 195/17y; vgl auch RS0008987).
[12] 1.3. Die Berechtigung des vom Kläger geltend gemachten Unterlassungsbegehrens setzt zunächst voraus, dass die Beklagte in das Recht des Klägers auf Achtung seiner Privatsphäre (Geheimsphäre), das als absolutes Persönlichkeitsrecht Schutz gegen Eingriffe Dritter genießt, eingegriffen hat. Das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre schützt insbesondere gegen das Eindringen in die Privatsphäre der Person. Eine Verletzung der Geheimsphäre stellen geheime Bildaufnahmen im Privatbereich und fortdauernde unerwünschte Überwachungen dar (8 Ob 108/05y; 6 Ob 6/06k; 6 Ob 231/16p; 3 Ob 195/17y).
[13] 1.4. Da die Beklagte den Kläger mehrfach heimlich in seinem Garten fotografiert und von ihm auch ein Video aufgenommen hat, liegt ein Eingriff in die Privatsphäre des Klägers vor.
[14] 2.1 Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest, trifft den Verletzer die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Stellt sich heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung (RS0120423; 6 Ob 6/19d). Für die Annahme eines rechtfertigenden Beweisnotstands reicht nicht schon das allgemeine Interesse jeder Partei, über ein besonders beweiskräftiges Beweismittel zu verfügen. Demjenigen, der sich auf einen solchen beruft, obliegt der Beweis, dass er die Ton- oder Bildaufzeichnungen bei sonstiger Undurchsetzbarkeit seines Anspruchs benötigt und dass sein verfolgter Anspruch und seine subjektiven Interessen höherwertig sind als die bei Erlangung des Beweismittels verletzte Privatsphäre des Prozessgegners (vgl 1 Ob 1/20h; RS0103010 [T1]; RS0112710).
[15] 2.2. Im vorliegenden Fall brachte die Beklagte gar nicht vor, dass sie vor dem heimlichen Anfertigen der Foto‑ und Videoaufnahmen des Klägers von diesem im Schadenersatzprozess eine Aufnahme zum Zweck der Beweisführung verlangt oder eine entsprechende Vorlage bei Gericht beantragt hätte (vgl § 369 iVm §§ 303 ff ZPO ). Auch dass der Kläger seiner in § 359 Abs 2 ZPO verankerten Mitwirkungspflicht bei der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nicht nachgekommen wäre, behauptete die Beklagte in erster Instanz nicht. Sie brachte vielmehr vor, sie habe die Vergleichsfotos „vorsorglich“ angefertigt. Da sie somit schon das Vorliegen eines Beweisnotstands nicht schlüssig dargelegt hat, ist der Eingriff der Beklagten in die Privatsphäre des Klägers nicht gerechtfertigt.
[16] 3. Der Unterlassungsanspruch setzt neben einer Unterlassungspflicht die Gefahr voraus, dass dieser zuwidergehandelt wird (RS0037660).
[17] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung wird eine Rechtssache unrichtig beurteilt, wenn der Entscheidung unzulässige überschießende Feststellungen zugrunde gelegt werden (RS0040318 [T2]; RS0036933 [T10, T11, T12]). Feststellungen sind „überschießend“, wenn sie nicht durch ein entsprechendes Prozessvorbingen gedeckt sind (vgl RS0037972). Sie dürfen allerdings bei der rechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendung bewegen (RS0040318; RS0036933 [T6]).
[18] Die Annahme des Berufungsgerichts, bei den Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, wonach die Beklagte ernstlich gewillt sei, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen, und dass ein Zuwiderhandeln der Beklagten weder unmittelbar drohend bevorstehe noch künftiges Zuwiderhandeln ernsthaft zu besorgen sei, handle es sich um dislozierte Feststellungen, teilt der Oberste Gerichtshof nicht. Vielmehr ergibt sich aus den unmittelbar vorhergehenden Ausführungen des Erstgerichts, dass es sich dabei um seine rechtliche Schlussfolgerung aus den getroffenen Feststellungen handelt. Es kann sich daher schon deshalb nicht um überschießende Feststellungen handeln. Im Übrigen hat die Beklagte aber entgegen der Ansicht der Revision in erster Instanz sehr wohl ausreichend deutlich vorgebracht, dass aufgrund ihres Verhaltens keine Wiederholungsgefahr (mehr) vorliege.
[19] 3.2. Nach der Rechtsprechung darf bei der Prüfung, ob Wiederholungsgefahr vorliegt, nicht engherzig vorgegangen werden. Es genügt bereits die ernste Besorgnis weiterer Eingriffe in die vom Kläger behaupteten Rechte (RS0037673; RS0012064 [T3]). Ein Indiz für Wiederholungsgefahr stellt eine bereits erfolgte Rechtsverletzung dar (6 Ob 9/99p = RS0037673 [T4]). Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr kommt es nicht nur auf die Art des bereits erfolgten Eingriffs, sondern auch auf die Willensrichtung des Täters an, für die insbesondere sein Verhalten nach der Beanstandung oder während des Rechtsstreits wichtige Anhaltspunkte bieten kann (RS0079692). Wer im Prozess die Auffassung vertritt, zu der beanstandeten Handlung berechtigt zu sein, gibt im allgemeinen dadurch zu erkennen, dass er von weiteren Eingriffen dieser Art nicht gänzlich Abstand nimmt (RS0031772). Besondere Umstände können aber in allen Fällen zum Wegfall der Wiederholungsgefahr führen (vgl RS0079692 [T12]). Die bloße Behauptung des Beklagten im Prozess, von künftigen Störungen Abstand nehmen zu wollen, genügt hingegen nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass eine Wiederholung, wenn schon nicht geradezu ausgeschlossen, so doch nach menschlichem Ermessen höchst unwahrscheinlich ist (vgl RS0012056). Bestreitet der Beklagte die Wiederholungsgefahr, so hat er daher besondere Gründe darzutun, die eine solche Wiederholung in Zukunft als völlig ausgeschlossen oder doch zumindest äußerst unwahrscheinlich erscheinen lassen (RS0005402 [T5]), bzw dass er ernstlich gewillt ist, von künftigen Störungen Abstand zu nehmen (RS0012087). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (RS0079692 [T3]; RS0037587 [T3]; vgl auch RS0012087 [T5]). Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz (vgl RS0114254).
[20] Im vorliegenden Fall vertrat die Beklagte im Verfahren erster Instanz durchgängig die Ansicht, sie sei aufgrund eines Beweisnotstands berechtigt gewesen, die Fotos und Videoaufnahmen des Klägers in dessen privatem Bereich anzufertigen. Aus den Feststellungen ergibt sich zwar, dass die Beklagte während dieses Verfahrens die Fotos und Videos gelöscht und erklärt hat, keine weiteren Aufnahmen anzufertigen, weil der Sachverständige im Schadenersatzprozess gegen den Kläger mit den bisherigen Vergleichsfotos bereits das Auslangen gefunden habe und sein Gutachten auf deren Basis erstellen habe können. Allerdings hat sie den Unterlassungsanspruch des Klägers dennoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz generell bestritten. Damit ist schon aus diesem Grund entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen vom Vorliegen der Wiederholungsgefahr auszugehen.
[21] 4. Da somit sämtliche Voraussetzungen für den Unterlassungsanspruch vorliegen, war der Revision Folge zu geben und dem Unterlassungsbegehren des Klägers mit Teilurteil stattzugeben.
[22] 5. Der Kostenvorbehalt hinsichtlich der Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 52 Abs 4 ZPO (vgl 2 Ob 78/19p).
[23] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO, weil nur das Unterlassungbegehren den Gegenstand dieses Verfahrens bildete und darüber nun endgültig entschieden wird (RS0035972).
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