OGH 6Ob183/15b

OGH6Ob183/15b14.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** P*****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, und deren Nebenintervenientin y***** gmbh, *****, vertreten durch Dr. Günther Millner und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen 240.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 20.000 EUR), über die Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Juni 2015, GZ 4 R 63/15v‑85, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 3. Februar 2015, GZ 6 Cg 3/13y‑76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 2.293,38 EUR (darin 382,23 EUR Umsatzsteuer) und der Nebenintervenientin die mit 2.295,53 EUR (darin 382,59 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten deren Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin sind jeweils schuldig, dem Kläger die mit jeweils 2.097,54 EUR (darin 349,59 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten dessen Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

1. Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Sorgfaltsverbindlichkeiten des Betreibers einer „Bagjump“‑ Anlage. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch in der ‑ zu einem ähnlichen Unfall auf einer vergleichbaren Anlage, auf der ein Benutzer ebenfalls beim Versuch eines Vorwärtsdoppelsaltos (dort vorwärts, hier rückwärts angefahren [„switch double front flip“]) schwerste Verletzung erlitten hatte, ergangenen ‑ Entscheidung 8 Ob 41/15k ein ordentliches Rechtsmittel mit der Begründung zurückgewiesen, der Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, dessen Beurteilung daher ‑ von einer groben Fehlbeurteilung abgesehen ‑ regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründe (vgl auch RIS‑Justiz RS0110202).

2. Aber auch den Parteien gelingt es nicht, in ihren Rechtsmitteln erhebliche Rechtsfragen aufzuzeigen:

Das Berufungsgericht warf dem Kläger, der im Alter von knapp 18 Jahren bei seinem Sprungversuch mit der Stirn gegen die Schanzenkante geprallt war, vor, er sei zwar ein ambitionierter Hobbysportler und guter Schifahrer gewesen, habe aber vor seinem Versuch, einen besonders anspruchsvollen Sprung zu absolvieren, an den sich selbst Extremsportler oft jahrelang herantasten, lediglich Längsdrehungen und Schrauben, jedoch keine Saltos durchgeführt. Zum Zeitpunkt des Sprungversuchs nach dem Mittagessen sei die Konzentrationsfähigkeit des Klägers aufgrund seiner Müdigkeit eingeschränkt gewesen, weshalb ihm ein falsches Timing unterlaufen sei. Dem stellte das Berufungsgericht hinsichtlich der Beklagten und der Nebenintervenientin gegenüber, diese hätten durch ihre Werbeankündigung „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ potenziellen Benützern der „Bagjump“‑Anlage signalisiert, dass das Springen relativ harmlos sei; diese Ankündigung habe die ‑ aufgrund des Vorhandenseins eines Luftkissens ohnehin bereits gegebene ‑ Risikobereitschaft des einzelnen Benutzers noch gefördert. Darüber hinaus habe es an jeglichen Zugangsbeschränkungen gefehlt, weshalb „praktisch jedermann“ auch anspruchsvollste Sprünge habe üben können. Die Verschuldensteilung nahm das Berufungsgericht ‑ so wie bereits das Erstgericht ‑ im Verhältnis von 2:1 zu Lasten des Klägers vor.

2.1. Zur Revision des Klägers: Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine gewisse, bei den einzelnen Sportarten mehr oder weniger große und verschiedenartig bedingte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Sportausübenden im Wesen des Sports begründet und das notwendigerweise damit verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen daher gebilligt (RIS‑Justiz RS0023400). Auch für Risikosportarten hat der Oberste Gerichtshof bereits festgehalten, dass die Teilnahme daran grundsätzlich (auch) auf eigenes Risiko geschieht (2 Ob 277/05g ZVR 2006/42 [Gschöpf, 247]). Hat der Teilnehmer an einer Risikosportart bereits vor dem Unfall etwa mehrere Abfahrten unternommen, sodass er mit dem Wesen der Sportart einigermaßen vertraut sein musste, so ist von seinem Wissen(müssen) einer allfälligen erhöhten Gefährdung seiner körperlichen Sicherheit auszugehen, weshalb den Veranstalter eine besondere Warn- oder Belehrungspflicht nicht trifft (1 Ob 400/97y [Snowrafting]).

Der Kläger meint in seiner Revision, das Verschulden treffe ausschließlich die Beklagte und die Nebenintervenientin, hätten diese doch den falschen Anschein der Risikolosigkeit der Benutzung der Anlage geschaffen. Er weicht damit aber insofern von den Feststellungen der Vorinstanzen ab, als im Startbereich (auch) eine Tafel mit dem Hinweis „Bagjumpspringen macht Spaß, aber kann auch zu Verletzungen führen“ angebracht war; Werbeankündigungen mit der Aussage „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ befanden sich hingegen nicht im unmittelbaren Startbereich. Von der Darstellung einer völlig risikolosen Benutzbarkeit der Anlage kann somit nicht ausgegangen werden.

Völlig außer Acht lässt die Revision außerdem den von den Vorinstanzen festgestellten Konzentrations‑, Erfahrungs‑ und Übungsmangel des Klägers vor seinem Sprungversuch. Insbesondere einem ambitionierten Hobbysportler und gutem Schifahrer ist bekannt, dass man sich nach der Mittagspause in einem körperlichen Tief befindet, worauf bereits das Erstgericht hingewiesen hat; dies war im Übrigen offensichtlich auch dem Kläger selbst bewusst gewesen, hatte er doch vor dem Sprung den ihn begleitenden jungen Damen gegenüber geäußert, er wolle nicht springen, weil er müde sei. Dass dem Kläger das Risiko eines Sturzes bei dem von ihm intendierten Sprung bekannt war bzw zumindest bekannt gewesen sein musste, ergibt sich schon allein daraus, dass er bei einem Sprungversuch am Vormittag desselben Tags zu Sturz gekommen war.

Die Annahme eines „Mitverschuldens“ des Klägers durch das Berufungsgericht ist somit durchaus vertretbar. Nach § 1304 ABGB ist im Schadensfall ein „Verschulden“ des Geschädigten „verhältnismäßig“ zu berücksichtigen. Bei diesem „(Mit‑)Verschulden“ handelt es sich mangels Rechtspflicht, eigene Güter (etwa die Gesundheit) zu schützen, um kein Verschulden im technischen Sinn, sondern um eine Obliegenheitsverletzung. Bei der Beurteilung des Fehlverhaltens des Verletzten steht die Frage im Vordergrund, ob er jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung zu verhindern oder abzuwenden (9 Ob 3/06s). Ein solcher Teilnehmer hätte jedoch in der Situation des Kläger den Sprungversuch nicht unternommen.

2.2. Zur Revision der Beklagten und der Nebenintervenientin: Es entspricht durchaus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Verkehrssicherungspflicht entfällt, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht (= ohne genauere Betrachtung) erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0114360). Allerdings trifft den Betreiber und Veranstalter einer Risikosportart, der auch das dafür notwendige Sportgerät zur Verfügung stellt, jedenfalls eine entsprechende Sorgfalts‑ und Aufklärungspflicht über die Sicherheitsrisiken betreffende Umstände; nur so wird der Teilnehmer nämlich in die Lage versetzt, diese auch ausreichend und umfänglich abzuschätzen, wobei die Schilderung, Aufklärung und Beratung (Belehrung) so konkret, umfassend und instruktiv zu erfolgen hat, dass sich der hievon Angesprochene der (möglichen) Gefahren bewusst wird und diese eigenverantwortlich abzuschätzen in der Lage ist (2 Ob 277/05g). Wird demgegenüber dem Sportler vom Veranstalter eine gewisse Gefahrlosigkeit der Sportausübung signalisiert und ist dem unerfahrenen Sportler „überhaupt nicht erkennbar“, dass die konkrete Situation relativ schwierig und damit gefährlich ist, so scheidet der Haftungsausschluss des Handelns auf eigene Gefahr aus (6 Ob 17/07d).

Während die Warnhinweise im Bereich der „Bagjump“‑Anlage eher allgemein gehalten waren („[...] kann zu Verletzungen führen“; „lerne die Schi‑ und Snowboardgrundlagen, bevor Du springst“; „sorge dafür, dass Du nicht auf dem Kopf landest“), stellten die bereits erwähnten Werbemaßnahmen „Erleben Sie das gute Gefühl eines missglückten Backflips“ eine gewisse Verharmlosung der mit der Benutzung der Anlage verbundenen Gefahren dar; jedenfalls suggerierten sie potenziellen Benutzern eine gewisse Gefahrlosigkeit. Dafür hat aber ‑ im Sinne der Entscheidung 6 Ob 17/07d ‑ der Veranstalter einzustehen, wird doch der potenzielle Benutzer vor dem Hintergrund, dass ohnehin ein Luftkissen den Sturz auffängt („gutes Gefühl“), zur Überschätzung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten geradezu animiert, wobei auch nicht unbeachtet bleiben kann, dass derartige Anlagen wohl überwiegend von männlichen Jugendlichen benutzt werden, deren Risikobereitschaft als hoch einzuschätzen ist. Insofern teilt der Oberste Gerichtshof die Auffassung des Berufungsgerichts und des beigezogenen Sachverständigen, dass von Seiten der Beklagten und der Nebenintervenientin ‑ wohl sogar deutlich ‑ darauf hingewiesen hätte werden müssen, dass für unerfahrene (ungeübte) Sportler gefahrträchtige Sprünge wie etwa Saltobewegungen oder Flips nicht erlaubt sind und dass derartige Sprünge ein erhebliches Unfall- und Verletzungsrisiko (vgl auch den Sachverhalt zu 8 Ob 41/15k) in sich bergen. Die Ausführungen der Beklagten und der Nebenintervenientin in ihren Revisionen, bei einer freiwilligen Teilnahme an (offensichtlich jeglicher) gefährlicher Veranstaltung sei Selbstsicherung zumutbar, ist vor diesem Hintergrund nicht zu folgen. Soweit die Beklagte und die Nebenintervenientin die Kausalität ihrer Werbemaßnahmen für die Durchführung des Sprungs durch den Kläger bestreiten, weichen sie von den Feststellungen der Vorinstanzen ab; diese haben den Kausalzusammenhang ausdrücklich bejaht.

Auch in der Literatur ist anerkannt, dass angesichts des unterschiedlichen Niveaus von sogenannten Snowparks der Aufklärung der Benutzer eine große Bedeutung zukommt (M. Gschöpf, Sportrisiko und vertragliche Aufklärungspflicht, ZVR 2008, 247; ders, Spezialfälle der Haftung des Betreibers beim Wintersport, ZVR 2013/252); es müsse deshalb über die Verhaltensregeln und die Schwierigkeitsgrade aufgeklärt werden, um eine Überforderung der Benützer hintanzuhalten, wobei ein besonders strenger Maßstab anzulegen sei, wenn Anfänger ohne Einschränkung zugelassen werden (M. Gschöpf, ZVR 2013/252 [FN 51] unter Hinweis auf 4 Ob 183/03w [Snow-Rafting]).

Damit begegnet aber auch die Annahme eines rechtswidrigen und schuldhaften (§ 1298 ABGB) Verhaltens der Beklagten und der Nebenintervenientin durch das Berufungsgericht keinen Bedenken.

3. Auch die Fragen der Verschuldensaufteilung und der Berücksichtigung eines Mitverschuldens betreffen stets den Einzelfall, womit eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben ist (etwa RIS‑Justiz RS0027134 [T3], RS0027341 [T7]). Dass die Vorinstanzen dem Kläger einen höheren Verschuldensanteil zugewiesen haben, ist vertretbar.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Alle Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revisionen hingewiesen. Die Schriftsätze sind daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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