European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00153.23B.0320.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.745,07 EUR (darin 513,97 EUR Umsatzsteuer und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger unterfertigte am 11. 10. 2017 einen Kaufvertrag betreffend einen PKW der Marke Audi um 60.932,11 EUR bei einem Autohändler, wobei er das Fahrzeug mit dem vom Händler vermittelten und ebenfalls am 11. 10. 2017 vom Kläger unterzeichneten Leasingvertrag leaste.
[2] Nach dem Leasingvertrag handelte es sich um ein Finanzierungsleasing nach § 26 Abs 1 Z 4 VKrG mit einer Laufzeit von 48 Monaten, den der Kläger mit der P* Bank AG schloss, welche vereinbarungsgemäß in den Kaufvertrag eintrat. Der Gesamtleasingbetrag belief sich über den gesamten Kaufpreis inklusive NoVA, NoVA‑Zuschlag und Umsatzsteuer. Die Summe der Zahlungsverpflichtung betrug 35.336,19 EUR; zuzüglich des vereinbarten Restwerts zum Ende der Kalkulationsdauer von 30.479,89 EUR ergab sich ein Gesamtbetrag von 65.816,08 EUR.
[3] Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA288 verbaut. Die Beklagte ist nur Herstellerin des Motors, aber nicht auch des Fahrzeugs.
[4] Beim Fahrzeug wird abhängig von den Umgebungsbedingungen, insbesondere Temperatur und Luftdruck, die Ansteuerung des AGR‑Ventils verändert. Die auf dem Prüfstand ermittelten Abgaswerte weichen von realen Emissionen insbesondere hinsichtlich der NOx‑Emissionen ab. Bei niedrigen Umgebungstemperaturen sind die Emissionsminderungssysteme weniger effizient als bei den Standardtemperaturen zwischen 20 Grad Celsius und 30 Grad Celsius. Um wieviel höher die Schadstoffemissionen beim gegenständlichen Fahrzeug sind, steht nicht fest. Das beim Fahrzeug vorhandene „Thermofenster“ dient vor allem dazu, einen Ausfall bzw ein Steckenbleiben oder Blockieren des AGR‑Ventils zu verhindern. Das Fahrzeug ist technisch sicher, in der Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt und kann uneingeschränkt genützt werden.
[5] Beim Fahrzeug liegt kein erhöhter Wertverfall vor. Es hat somit für dieses Fahrzeug in Österreich keinen Preisverfall von Dieselfahrzeugen gegeben. Gemäß Eurotax‑Liste ergibt sich ein Händler‑Einkaufspreis von 28.500 EUR zum Zeitpunkt Schluss der Verhandlung erster Instanz. Unter Berücksichtigung der vom Kläger gefahrenen Kilometer von 38.000 besteht ein Wiederbeschaffungswert/Händler‑Verkaufspreis von 32.432 EUR. Im Jänner/Februar 2021 – während des gegenständlichen Verfahrens – kaufte der Kläger das Fahrzeug von der Leasinggeberin an und verkaufte es zeitgleich mit einem Kilometerstand von 38.000 km um 37.500 EUR.
[6] Der Kläger begehrt Schadenersatz (als Minderwert des PKW) in Höhe des Klagsbetrags. Er hätte in Kenntnis des nicht typengenehmigungsfähigen Zustands des Fahrzeugs – wenn überhaupt – maximal einen um den nunmehr begehrten Betrag geminderten Kaufpreis für das Fahrzeug bezahlt. Die Beklagte habe vorsätzlich und sittenwidrig die Abgasstrategie durch Entwicklung und Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung unter Inkaufnahme geschädigter Autokäufer manipuliert. Das Fahrzeug bleibe daher hinter dem gesetzlich technisch geforderten Zustand zurück, weil die NOx‑Grenzwerte im Realbetrieb nicht eingehalten würden, die Abgasrückführung lediglich in einem Temperaturbereich von 15 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius voll funktionsfähig sei und die AdBlue‑Einspritzung unzulässig reduziert/abgeschaltet werde, nämlich außerhalb des oben angeführten Temperaturbereichs und über 120 km/h. Dem Kläger stehe daher ein Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zu.
[7] Die Beklagte wendete ein, der Kläger als Leasingnehmer sei nicht dazu berechtigt, den von ihm gar nicht bezahlten Kaufpreis zurückzuerhalten. Beim Leasingvertrag erwerbe der Leasingnehmer ein reines Nutzungsrecht; solange das Fahrzeug daher uneingeschränkt genützt werden könne, habe der Leasingnehmer auch die vereinbarten Leasingraten zu zahlen. Ein Schaden aus dem Kaufvertrag des Klägers, mit dem er das Fahrzeug vom Leasinggeber erworben habe, werde nicht geltend gemacht und läge auch nicht vor. In dem im Fahrzeug verbauten Motortyp EA288 komme eine unzulässige Abschalteinrichtung, wie sie der Kläger behaupte, nicht zum Einsatz. Dementsprechend habe das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) für das Fahrzeug keinen Rückruf im Zusammenhang mit einer von ihm als unzulässig qualifizierten Abschalteinrichtung angeordnet. Das bei den EA288‑Aggregaten vorhandene Thermofenster zwischen - 24 Grad Celsius bis + 70 Grad Celsius sei jedenfalls rechtlich zulässig. Das Klagsfahrzeug entspreche den gesetzlichen Vorschriften. Es liege kein Schaden vor.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei Abschluss des Leasingvertrags sei der Kläger nicht Eigentümer geworden, sondern erst, als er fast am Ende des Leasingvertrags das Fahrzeug von der Leasinggeberin gekauft habe. Zu diesem Zeitpunkt seien ihm Zustand und tatsächlicher Wert sowie Qualität des Fahrzeugs bekannt gewesen. Eine Schadensverlagerung vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer liege nicht vor. Eine listige Irreführung, sohin eine vorsätzliche Einwirkung auf den Willen des Klägers vor oder bei Vertragsabschluss des Leasing‑ und Kaufvertrags, habe nicht stattgefunden. Darüber hinaus liege auch kein Schaden vor, weil der Kläger das Fahrzeug zu einem Preis weiterverkauft habe, der weit über dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs gelegen sei.
[9] Das Berufungsgerichthob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die von der Beklagten eingewandte Unschlüssigkeit der Klage sei nicht gegeben. Es bedürfe jedoch konkreter Feststellungen zu dem beim Fahrzeug vorhandenen Thermofenster sowie zu dessen Temperaturbereich, Zweck und Wirkungsweise. Sollte sich ergeben, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei, werde es insbesondere auch klare Feststellungen dazu brauchen, welche von den objektiven Verkehrserwartungen abweichenden Umstände der Kläger konkret in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben habe, insbesondere ob er auch ein Abweichen des Fahrzeugs von gesetzlichen Vorgaben akzeptiert hätte, die zu einem Typengenehmigungsentzug führen könnten. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der RL (EG) 2007/46 iVm Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG schützten unter anderem das Vertrauen eines Käufers gegenüber dem Fahrzeughersteller, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, wobei dieser Schutz aus der vom Hersteller des Fahrzeugs auszustellenden Übereinstimmungsbescheinigung hergeleitet werde. Dieser Schutz lasse sich auf das Verhältnis des Lieferanten von Motoren oder Motorkomponenten zum Käufer ebenso wenig übertragen wie auf den Motorentwickler. Wenn daher dem Kläger der Nachweis eines Schadenseintritts gelinge, würden Beweisaufnahmen und Feststellungen zu den weiters geltend gemachten Haftungsansätzen (insbesondere nach §§ 874, 1295 ABGB) erforderlich sein.
[10] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit Blick auf die Vielzahl an gerichtsanhängigen ähnlichen Fällen zu, insbesondere weil es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Haftung eines Komponentenzulieferers (Motorherstellers) fehle.
[11] DerRekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist;er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Die Beklagte ist nicht Herstellerin des klagsgegenständlichen Fahrzeugs. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung kann ein individueller Fahrzeugkäufer nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2]; ausführlich 6 Ob 161/22b [ErwGr 3]; RS0134616).
[13] 2. Eine unmittelbare Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors in Bezug auf Schäden durch die Abschaltvorrichtung wärenur nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB möglich (6 Ob 16/23f [Rz 21]; 6 Ob 84/23f [Rz 23 ff]; 6 Ob 161/22b [Rz 30 ff]; 3 Ob 40/23p [Rz 34]; 10 Ob 31/23s [Rz 50]), worauf der Kläger seinen Anspruch auch gestützt hat.
[14] 3. Der geltend gemachte Schaden des Klägers lässt sich aus dem behaupteten und festgestellten Sachverhalt jedoch nicht ableiten:
[15] 3.1. Das Finanzierungsleasing ist grundsätzlich eine Form der Investitionsfinanzierung, bei dem an die Stelle des Eigentumserwerbs an den Anlagegütern die bloße Gebrauchsüberlassung tritt. Der Leasinggeber erwirbt eine den Wünschen des Leasingnehmers, der das Leasinggut seinerseits bei einem Dritten (Lieferanten, Hersteller, Händler) ausgesucht hat, entsprechende Sache, um sie diesem für bestimmte Zeit zum Gebrauch zu überlassen. Nach ständiger Rechtsprechung gehört beim Finanzierungsleasing jedenfalls die erstmalige Verschaffung des ordnungsgemäßen Gebrauchs des Leasingobjekts zur unabdingbaren Verpflichtung des Leasingebers im Austausch zu den Leasingraten (RS0020739). Wenngleich sich der Leasinggeber ähnlich dem drittfinanzierten Kauf wirtschaftlich der Rolle des Kreditgebers annähert, schließt der Leasingnehmer keinen Kaufvertrag mit dem Lieferanten ab. Ihm stehen daher gegenüber dem Lieferanten weder Eigentumsverschaffungsansprüche noch eigene vertragliche Gewährleistungsansprüche noch ein Anspruch auf Gebrauchsüberlassung zu. Aber auch eine Kredit‑ oder Darlehensgewährung durch den Leasinggeber erfolgt nicht. Vielmehr besteht die vertragliche Hauptverpflichtung des Leasinggebers darin, dem Leasingnehmer ein zum vereinbarten Gebrauch taugliches Leasinggut zur Verfügung zu stellen. Auch die Auswahl des Lieferanten durch den Leasingnehmer ändert nichts an der Pflicht des Leasinggebers, dem Leasingnehmer die Gebrauchsmöglichkeit zu verschaffen (7 Ob 88/23a [ErwGr 1.]; 7 Ob 128/23h [ErwGr 2.]; 4 Ob 142/22v [ErwGr 1.2.]).
[16] 3.2. Der Kläger hat nach den – seinem Vorbringen folgenden – Feststellungen über das Fahrzeug am 11. 10. 2017 einen Kaufvertrag unterfertigt, der – wie die von ihm vorgelegte (unstrittig echte) Urkunde Beilage ./I zeigt – bereits eine Berücksichtigung eines „P*-Bank‑Bonus“ beim Kaufpreis enthält, die Zahlungsbedingungen aber offen lässt. Weiters hat er am selben Tag einen Leasingvertrag abgeschlossen, wobei die Leasinggeberin in den Kaufvertrag an Stelle des Klägers als Käuferin eintrat. Er beabsichtigte von Anfang an, den Erwerb des Fahrzeugs über Leasing zu finanzieren. Der Kaufvertrag diente damit ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs, das letztlich die Leasinggeberin erwarb und dem Kläger zum Gebrauch überließ. Der Kläger hat daher aufgrund der gewählten Vertragskonstruktion das Fahrzeug 2017 gerade nicht gekauft und ist nicht Eigentümer geworden (vgl 7 Ob 88/23a; 7 Ob 128/23h).
[17] 3.3. Einen Schaden aus dem Leasingvertrag, etwa aus überhöhten Leasingraten, macht der Kläger nicht geltend. Der Kläger behauptet auch nicht, dass er sich, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits die gegenständliche Klage eingebracht hatte und von einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie deren allfälligen Folgen ausging, aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung im Zusammenhang mit dem Leasingvertrag für den Ankauf des Fahrzeugs im Jahr 2021 entschieden habe. Vielmehr ist unstrittig, dass er nicht verpflichtet war, das Fahrzeug am Ende der Laufzeit des Leasingvertrags zu kaufen. Nach dem Vorbringen des Klägers ist der Erwerb lediglich aus faktisch‑wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt.
[18] 3.4. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, inwieweit bereits 2017 beim Kläger der geltend gemachte Schaden aufgrund der Zahlung eines überhöhten Kaufpreises eingetreten sein sollte (vgl 7 Ob 88/23a; 7 Ob 128/23h).
[19] 3.5. In dem zu 8 Ob 22/22a beurteilten Sachverhalt erwarb die Klägerin ein Fahrzeug, wobei sie eine Anzahlung leistete, ihren Gebrauchtwagen eintauschte und nachträglich den restlichen Kaufpreis über eine Leasingkonstruktion finanzierte (ähnlich auch 8 Ob 109/23x). Der Entscheidung 2 Ob 172/22s lag die Geltendmachung offener Umsatzsteuer aus einer Totalschadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall gegenüber Lenker und Halter zugrunde, die die dortige Klägerin an die Leasinggeberin zu zahlen hatte. All diese Entscheidungen betreffen daher nicht vergleichbare Sachverhalte (vgl 5 Ob 118/23y [ErwGr 3.]).
[20] 4. Der Rekurs hat somit Erfolg. Die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts war wiederherzustellen.
[21] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.
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