OGH 6Ob143/14v

OGH6Ob143/14v19.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. G. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M***** L*****, vertreten durch Mag. Julia Eckhart, Rechtsanwältin in Graz, als Verfahrenshelferin, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. O***** GmbH, 2. Prof. G***** S*****, beide *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 30.100 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Teilbeschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2014, GZ 4 R 262/13y‑13, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 21. Oktober 2013, GZ 30 Cg 61/13t‑5, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, die Beklagten haben die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.

Begründung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Haftung des Herausgebers und Chefredakteurs nach § 1330 ABGB.

Der Kläger begehrt im Provisorialverfahren von den Beklagten nach § 1330 ABGB die Unterlassung verschiedener Äußerungen, die sich in einem auf der Internetseite www.*****.at publizierten Beitrag finden; die Erstbeklagte ist Medieninhaberin, der Zweitbeklagte Herausgeber und Chefredakteur.

Das Rekursgericht verbot die Behauptungen, der Kläger sei Mitglied einer Bluffer-Bande, er sei ein Betrüger und er habe vorsätzlich vorgetäuscht, eine weitaus höhere Summe an N*****-Automaten verspielt zu haben, um sich so unrechtmäßig zu bereichern; hinsichtlich der weiteren Behauptungen, der Kläger habe eine Straftat in Form einer gefährlichen Drohung begangen und er sei brandgefährlich verwies das Rekursgericht die Sache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

I. Der Revisionsrekurs ist weder in Teilbereichen noch insgesamt jedenfalls unzulässig.

Der Provisorialantrag des Klägers umfasst insgesamt fünf Äußerungen der Beklagten (Punkte a bis e), deren Unterlassung gemäß § 1330 ABGB er begehrt. Das Rekursgericht hat den Wert des Entscheidungsgegenstands mit einem insgesamt 30.000 EUR übersteigenden Betrag angesetzt. Da eine unterschiedliche Gewichtung der inkriminierten Äußerungen vom Kläger weder behauptet wird noch eine solche erkennbar wäre, übersteigt der Wert der einzelnen Teilentscheidungsgegenstände jeweils 5.000 EUR.

Das Rekursgericht hat den ordentlichen Revisionsrekurs pauschal für zulässig erklärt, ohne zwischen dem abändernden und dem aufhebenden Teil seiner Entscheidung zu differenzieren. Im Zweifel ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass sich der Zulässigkeitsausspruch auch auf den aufhebenden Teil bezieht (vgl 6 Ob 10/14k).

II. Der Revisionsrekurs ist jedoch mangels Darstellung einer hier relevanten erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der Chefredakteur einer Zeitung, dessen Bestellung gesetzlich gar nicht vorgeschrieben ist, wegen einer allfälligen Verletzung seiner dienstlichen Obliegenheiten niemandem als seinem Dienstgeber verantwortlich ist und daher gegen ihn ein Anspruch nach § 1330 Abs 2 ABGB nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden kann, wenn ihn ein zivilrechtliches Verschulden an der Veröffentlichung trifft (2 Ob 525/53 unter Verweis auf 3 Ob 388/52; 1 Ob 4/87). In den Entscheidungen 6 Ob 197/99k und 6 Ob 45/01p wurde klargestellt, dass sowohl der Herausgeber als auch der Chefredakteur Repräsentanten des Medieninhabers sind.

1.1. Diese Rechtsprechung wurde von Koziol (Die Haftung für kreditschädigende Berichte in Massenmedien, JBl 1993, 613) unter Hinweis auf deutsche Literatur und Rechtsprechung kritisiert: Gerade dem Chefredakteur sei die Verantwortung für sämtliche Artikel und Berichte in seinem Zuständigkeitsbereich übertragen; ihn träfen daher als Beherrscher der Gefahrenquelle die Verkehrssicherungspflichten, die auf eine aktive Verhinderung von Schädigungen gerichtet sind.

1.2. In Deutschland wird vertreten, die Haftung richte sich jeweils nach den tatsächlich und rechtlich zukommenden Einflussmöglichkeiten; sie sei dann gegeben, wenn der Herausgeber nicht nur die Richtlinien der Publikationspolitik bestimme und inhaltlich nicht eingreife, sondern maßgeblichen Einfluss auf das Werk ausüben könne ( Rixecker in MünchKomm BGB 6 [2012] Anh zu § 12 Rz 203), wenn er also „Herr des Unternehmens“ beziehungsweise „maßgeblicher Mann des Verlags“ sei, was grundsätzlich eine Haftung wie jene des Medieninhabers („Verlegers“) begründe (BGH NJW 1954, 1682; Damm/Rehbock , Widerruf 3 [2008] Rn 696; Klass in Erman , BGB 14 [2014] Anh § 12 Rz 85; Burkhardt in Wenzel , Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung 5 [2003] § 12 Rz 65).

Auch beim Chefredakteur, der keine presserechtliche Sonderstellung einnehme, komme es auf die eigene Mitwirkung an ( Damm/Rehbock aaO Rn 697), auf seine aktive oder passive Beteiligung an der Publikation, wobei allein die Kenntnisnahme für eine Haftung reiche ( Rixecker aaO Rz 202; BGH GRUR 1979, 421).

1.3. Aufgrund folgender Überlegungen bedarf es im vorliegenden Fall keiner Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs dazu, ob die zu 1. dargestellte (ältere) Rechtsprechung aufrecht zu erhalten oder die (strengere) deutsche Auffassung auch für den österreichischen Rechtsbereich zu übernehmen ist:

1.3.1. Nach § 1330 ABGB kommt es für eine Haftung grundsätzlich auf das Verbreiten an. Den Behauptungen des Klägers im Verfahren erster Instanz, der Zweitbeklagte habe den Kläger lächerlich gemacht (AS 25) und unrichtige Tatsachenbehauptungen aufgestellt (AS 27), es sei davon auszugehen, dass der Zweitbeklagte die (gemeint: inkriminierten) Behauptungen aufgestellt oder zumindest am Aufstellen der Behauptungen aus eigenem Wissen mitgewirkt hat (AS 43), traten die Beklagten lediglich mit der Argumentation entgegen, der Zweitbeklagte sei Herausgeber und Chefredakteur, als solcher komme ihm die Richtlinienkompetenz des Mediums und die selbstständige redaktionelle Führung zu, nicht jedoch die Verbreitung jenes Mediums beziehungsweise von dessen Inhalten; er habe den inkriminierten Beitrag weder geschrieben noch verbreitet (AS 115).

Mit diesem Vorbringen hat der Zweitbeklagte im Verfahren erster Instanz die Behauptung, er habe den Beitrag verbreitet ‑, wie das Rekursgericht in zumindest vertretbarer Weise angenommen hat ‑ lediglich unsubstanziiert und damit unzureichend (§ 267 ZPO) bestritten (vgl RIS‑Justiz RS0039927); dass er den Beitrag nicht selbst geschrieben hat, reicht hierfür noch nicht aus.

1.3.2. Im Übrigen hält der Zweitbeklagte 100 % der Anteile der P***** GmbH, die an der erstbeklagten Medieninhaberin die Anteile zu 100 % hält.

1.3.3. Dem als bescheinigt angenommen Sachverhalt ist weiters zu entnehmen, dass für den Beitrag „S*****.at enthüllt: Wie eine Bluffer-Bande um T***** S***** zum großen Geld kommen will“ die „Redaktion S*****“ verantwortlich zeichnet, ohne dass der konkrete Verfasser des Beitrags erkennbar wäre. Da der Zweitbeklagte als Chefredakteur zweifellos der „Redaktion“ angehört, ist die Überlegung des Rekursgerichts, der Zweitbeklagte habe an der inhaltlichen Gestaltung und Herstellung des Beitrags mitgewirkt, durchaus naheliegend (vgl dazu auch Koziol , JBl 1993, 613).

1.3.4. Bei dieser Sachverhaltsgrundlage wäre es aber im Sinn jener Rechtsprechung, wonach allgemeine Beweislastregeln eine Einschränkung dann finden, wenn die Beweisführung von der beweisbelasteten Partei billigerweise nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur dieser bekannt und damit auch nur durch diese beweisbar sind (RIS‑Justiz RS0040182, RS0013491 [T1]), am Zweitbeklagten gelegen, konkret zu behaupten und zu bescheinigen, dass er an der Verfassung des inkriminierten Beitrags nicht mitgewirkt hat.

1.4. Da somit aufgrund der hier konkret gegebenen verfahrensrechtlichen Situation und des als bescheinigt angenommenen Sachverhaltes von einem Mitwirken des Zweitbeklagten am inkriminierten Beitrag auszugehen ist, hat das Rekursgericht schon im Sinne der bisherigen Rechtsprechung (siehe oben 1.) in durchaus vertretbarer Weise eine Mithaftung angenommen.

2. Das Rekursgericht hat die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Äußerungen Punkt d (gefährliche Drohung) und Punkt e (brandgefährlich) aufgehoben und diesem insoweit eine neuerliche Entscheidung aufgetragen. Das Erstgericht habe keine mangelfreie Tatsachengrundlage geschaffen, indem es weder die von den Beklagten beantragten „Tatzeugen“ noch den Kläger einvernommen habe.

Diese Aufhebung halten die Beklagten in ihrem Revisionsrekurs für verfehlt. Sie übersehen dabei allerdings, dass ein von der zweiten Instanz erteilter Auftrag zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage nicht der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof unterliegt (7 Ob 331/98x).

3. In die Ehre eines anderen eingreifende Äußerungen sind nach dem Gesamtzusammenhang, in dem sie fielen, und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0031883 [T12]). Wie eine Äußerung im Einzelfall zu verstehen ist, hängt dabei so sehr von den Umständen des konkreten Falls ab, dass dieser Frage regelmäßig keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt und sie daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne der §§ 502 Abs 1 bzw 528 Abs 1 ZPO bildet (RIS‑Justiz RS0031883 [T28]).

3.1. Das Rekursgericht hat die Äußerung Punkt a (Bluffer-Bande) als ehrenrührig angesehen und dies umfangreich begründet. Die Beklagten halten dem in ihrem Revisionsrekurs lediglich entgegen, der Kläger habe unter Berufung auf die Expertise von Mag. G***** S***** beziehungsweise der Beklagtenvertreterin zu Unrecht die Behauptung aufgestellt, „nachweislich“ 310.000 EUR verspielt zu haben; diese Frage sei in der Expertise nämlich gar nicht geprüft worden. Das Aufstellen einer solchen Behauptung zum Zweck der Verbesserung der eigenen Verhandlungsposition bezeichne man aber gerade als „bluffen“, wobei ein derartiges Verhalten im Übrigen von § 1330 ABGB begrifflich gar nicht erfasst sei.

Die Beklagten lassen dabei allerdings zum einen außer Acht, dass die erwähnte Expertise Beilage ./V wortwörtlich die Aussage „Herr L***** hat in den Zeiträumen 2001-2002 und 2005-2012 in diversen von der A***** GesmbH betriebenen Spielfilialen rund 310.000 EUR verspielt“ enthält. Zum anderen enthält der Vorwurf, Teil einer Bande zu sein, nach allgemeinem Begriffsverständnis durchaus einen strafrechtlichen Bezug, der mit dem inkriminierten Beitrag ganz offensichtlich ja auch intendiert war, wird dem Kläger doch auch noch vorgeworfen, ein Betrüger zu sein. Vor diesem Hintergrund und in diesem Zusammenhang den Kläger nicht nur des „bluffens“, sondern sogar als Teil einer „Bluffer‑Bande“ zu bezeichnen, ist somit als exzessiv und unzulässig zu beurteilen.

3.2. Das Erstgericht hat der Erstbeklagten ‑ insoweit rechtskräftig ‑ die Äußerung Punkt c verboten, der Kläger habe vorsätzlich vorgetäuscht, eine weitaus höhere Summe an N*****-Automaten verspielt zu haben, um sich so unrechtmäßig zu bereichern. Das Rekursgericht verbot den Beklagten darüber hinaus ganz allgemein, den Kläger als Betrüger zu bezeichnen (Punkt b).

Die Beklagten meinen in ihrem Revisionsrekurs, beide Unterlassungsbegehren des Klägers zielten inhaltlich auf den selben Kern ab und könnten deshalb nicht nebeneinander Bestand haben. Dem ist entgegen zu halten, dass dem Kläger nicht nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der Äußerung Punkt c ein Betrugsversuch unterstellt, sondern bereits am Beginn des inkriminierten Beitrags sämtlichen darin genannten Personen, also auch dem Kläger, vorgeworfen wurde, diese würden „auch vor Prozess-Betrug nicht zurückschrecken“. Der Kläger wurde somit ganz generell als Betrüger bezeichnet, womit die Auffassung des Rekursgerichts, den Beklagten könnten beide Äußerungen kumulativ verboten werden, nicht zu beanstanden ist.

4. Insgesamt vermag der Revisionsrekurs keine hier relevante Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO darzustellen und war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO beziehungsweise § 393 EO; der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

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