European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00062.24I.0903.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Begründung:
[1] Die Schuldnerin (idF: S*) ist ein gemeinnütziger Sportverein. Sie ist Teil des „Konzerns der S*“, zu der noch die S* GmbH, eine 100%ige Tochtergesellschaft, die S* GmbH und die S* GmbH gehören, wobei letztere jeweils 100%ige Tochtergesellschaften der S* GmbH sind.
[2] Seit 1992 war M*, der Vorstandsvorsitzende der C* AG (idF: C*) Präsident der S*. Er entnahm bis Mitte 2020 Beträge von insgesamt ca 40 Mio EUR aus der C*, um sie ohne entsprechenden Rechtstitel in den Konzern der S* zu transferieren. Er tat dies mittels ge- und verfälschter Sponsoringverträge, Ankaufs von Eintrittskarten für Spiele mit Geldern aus der C* und „Umsatzaufbesserungen“ in der Kantine. Ein Strafverfahren ist gegen ihn und weitere Personen anhängig.
[3] Das Landesgericht Eisenstadt eröffnete mit Beschluss vom 14. August 2020 über das Vermögen der S* das Konkursverfahren und bestellte den Kläger zum Masseverwalter. Das Unternehmen ist seit 24. August 2020 geschlossen. Auch die übrigen Gesellschaften des Konzerns sind mittlerweile im Konkurs.
[4] Der Beklagte war seit 2008 steuerlicher Vertreter und Steuerberater der S* und sämtlicher konzernverbundener Gesellschaften. Er war überdies als Steuerberater der C* bis Juli 2020 tätig. Außerdem hatte er seit den 90er Jahren unentgeltlich die Funktion als Rechnungsprüfer der S* übernommen.
[5] Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadenersatz in Höhe des Klagebetrags mit der Begründung in Anspruch, er habe Schutz‑, Fürsorge‑ und Aufklärungspflichten bei Erbringung steuerlicher Beratungs‑ und Vertretungsleistungen gegenüber der S* verletzt. Er habe die ihm klar erkennbaren Malversationen in der C* und die der S* dadurch zugeflossenen Gelder nicht erkannt, unrichtige Jahres- und Konzernabschlüsse zum 30. Juni 2018 und 30. Juni 2019 erstellt, ohne zureichende Informationen und Unterlagen Buchungen durchgeführt. Durch – im Einzelnen näher dargestellte – Sorgfaltsverstöße habe er der S* Schaden dadurch verursacht, dass die Malversationen über Jahre fortgeführt werden konnten und weitere Betriebsverluste zumindest in Höhe des Klagebetrags entstanden seien. Die spätestens am 30. Juni 2018 vorgelegene materielle Insolvenz der S* und des gesamten Konzerns habe der Beklagte nicht erkannt und auch seine Pflichten als Rechnungsprüfer des S* habe er grob fahrlässig verletzt.
[6] Der Beklagte wendete ein, sein Auftrag sei auf die Finanzbuchhaltung und die Erstellung der Jahresabschlüsse sowie die Lohnverrechnung für zwei Unternehmen im Konzern eingeschränkt gewesen. Er sei den Aufträgen ordnungsgemäß nachgekommen, prüfende Tätigkeiten habe er nie übernommen. Ein allfälliger Schaden der S* sei nur auf strafbares Verhalten des Vorstandsvorsitzenden der C* und Vereinspräsidenten zurückzuführen, weshalb eine allfällige Fahrlässigkeit des Beklagten in den Hintergrund trete. Als Steuerberater sei er berechtigt gewesen, erhaltene Informationen als vollständig und richtig anzusehen. Selbst eine objektiv unrichtige Darstellung in den Jahresabschlüssen sei ihm auf Basis seines damaligen Informationsstands und der Einsicht in übergebene Belege nicht erkennbar gewesen. Er habe keinen Grund für die Annahme gehabt, eine materielle Insolvenz der S* könnte drohen. Die S* sei jährlich durch Abschlussprüfer geprüft worden, die ex lege die Aufgaben des Rechnungsprüfers hätten. Wegen der Unentgeltlichkeit der Tätigkeit als Rechnungsprüfer hafte der Beklagte nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die nicht vorgelegen seien, zumal er als Rechnungsprüfer die Prüfung der Wirtschaftsprüfer zugrundelegen habe dürfen. Für rückständiges Honorar wendete er eine Gegenforderung von 13.452,63 EUR ein.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach dem Klagevorbringen liege dem Schaden (auch) das vorsätzliche Handeln des ehemaligen Präsidenten der S* zugrunde, weshalb der Mitverschuldenseinwand des Beklagten als nicht abschlussprüfender Steuerberater berechtigt sei. Der S* sei das vorsätzliche Handeln des Vereinspräsidenten zuzurechnen, allfälliges fahrlässiges Verhalten des Beklagten trete demgegenüber in den Hintergrund, sodass die S* ihren Schaden zur Gänze selbst zu tragen habe. Als einziges Versäumnis in seiner Funktion als Rechnungsprüfer sei dem Beklagten vorzuwerfen, die Vereinsgremien hinsichtlich der Wirtschaftsjahre 2016/2017 und 2017/2018 nicht darauf hingewiesen zu haben, dass die Aufstellung eines erweiterten Jahresabschlusses weiter notwendig sei. Dies sei nicht grob fahrlässig. Hinsichtlich dieses leicht fahrlässigen Sorgfaltsverstoßes komme dem Beklagten das Haftungsprivileg des unentgeltlich tätigen Rechnungsprüfers zugute.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Auf Basis der Klagebehauptungen könnten für den Beklagten offenkundige Umstände vorgelegen sein, aufgrund derer er aufgrund des in § 1299 ABGB normierten Sorgfaltsmaßstabs verpflichtet gewesen wäre, die Richtigkeit (und Vollständigkeit) der ihm von seinem Klienten erteilten Informationen und übergebenen Belege in Zweifel zu ziehen. Ein jahrelang mit der Buchhaltung und den steuerlichen Belangen einer Mandantin beauftragter Steuerberater sei verpflichtet, diesen zu einer entsprechend geordneten Belegsammlung, allenfalls zur Führung von Grundaufzeichnungen, die ihm zeitnahe Buchungen ermöglichen, und allenfalls zur Führung eigener Listen anzuhalten, falls ihm nicht ohnehin eine getrennte und übersichtliche Aufbuchung nach tatsächlich übergebenen Belegen möglich gewesen sein sollte. Die Auskunfts‑ und Fürsorgepflicht des Steuerberaters reiche so weit, als für ihn aus einem Fehlverhalten der Eintritt eines Schadens für seinen Mandanten bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge voraussehbar sei. Für den Fall des Zutreffens der Klagebehauptungen hätte der Beklagte auf den Wahrheitsgehalt der ihm vom Vereinspräsidenten erteilten Informationen und übergebenen Belege nicht mehr vertrauen dürfen, sondern diese kritisch hinterfragen, Aufklärungen verlangen und weitere Unterlagen und Informationen anfordern müssen.
[9] Zur Frage, ob das vorsätzliche Handeln des Vereinspräsidenten hier jegliche Haftung des Beklagten für fahrlässiges Handeln ausschließt, ging das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung 6 Ob 183/13z, die zur Anwaltshaftung in vergleichbarer Konstellation ergangen war, davon aus, die S* habe sich das vorsätzliche Handeln ihres Vereinspräsidenten nicht als schadensmindernd anrechnen zu lassen. Auch hier sei mit dem Mandat an den Beklagten bezweckt gewesen, dass die steuerlichen Vertretungsleistungen für die S* sowie die Erstellung und Einreichung der Jahresabschlüsse vollständig und richtig erfolgen. Auftraggeber des Beklagten sei die S* gewesen; hätte der Beklagte erkennen können, dass der Vereinsvorstand unrichtige und unvollständige Unterlagen und Informationen zur Verfügung stellt – wie behauptet –, wäre er verpflichtet gewesen, die Interessen des Vereins wahrzunehmen, rechtzeitig auf drohende Gefährdungen hinzuweisen und seine Auftraggeberin vor Schäden zu bewahren.
[10] Das Berufungsgericht nahm auch zur Behauptung Stellung, der Beklagte hätte bei sorgfältigem Vorgehen schon zum Bilanzstichtag 30. Juni 2018 die bereits eingetretene materielle Insolvenz der S* und der sonstigen konzernverbundenen Unternehmen erkennen können. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. Jänner 2017, IX ZR 285/14, vertrat es die Auffassung, auch hier komme eine Haftung des Beklagten für einen allfälligen Insolvenzverschleppungsschaden in Betracht, wenn der Verein bei Aufzeigen relevanter Umstände bereits früher Insolvenz angemeldet hätte. Hätte dem Beklagten – wie behauptet – bei entsprechender Sorgfalt die bereits eingetretene materielle Insolvenz zum Bilanzstichtag am 30. Juni 2018 auffallen müssen, hätten diese Umstände in die Erstellung des Jahresabschlusses einfließen müssen. Bei der Bewertung hätte er diesfalls nicht mehr vom „going concern“‑Wert ausgehen und eine Bilanzierung nicht mehr zu Fortführungswerten vornehmen dürfen.
[11] Das Erstgericht habe daher im fortgesetzten Verfahren die vom Kläger behaupteten Pflichtverstöße des Beklagten und deren Ursächlichkeit für einen allenfalls verschleppten Insolvenzantrag inhaltlich zu prüfen.
[12] Sollten dem Beklagten als Steuerberater keine Pflichtverletzungen vorzuwerfen sein, werde die Haftung aufgrund der Funktion des Rechnungsprüfers zu erörtern sein. Die Feststellungen zur Erstellung und Prüfung der (Einzel‑)Jahresabschlüsse der S* im fraglichen Zeitraum seien aber widersprüchlich, weshalb das Erstgericht hiezu widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen haben werde. Allenfalls werde es auch festzustellen haben, ob sich der Beklagte als Rechnungsprüfer auf die von den Abschlussprüfern im Rahmen der Konzernabschlussprüfung ausgestellten Testate verlassen habe dürfen.
[13] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich ein Verein bei Geltendmachung einer vertraglichen Haftung gegenüber seinem langjährigen Steuerberater das Verhalten des Vereinsvorstands gemäß § 1304 ABGB zurechnen lassen müsse, und ob und unter welchen Voraussetzungen den Steuerberater eine Haftung für eine Insolvenzverschleppung treffe.
[14] Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten, der eine Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise eine Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht, hilfsweise das Erstgericht unter Bindung an seine im Rekurs abweichend formulierte Rechtsansicht anstrebt.
[15] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
[16] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[17] 1. Das Berufungsgericht erachtete das Klagevorbringen und auch die Ermittlung des Schadensbetrags nicht für unschlüssig. Der Rekurs spricht dies nicht mehr an.
[18] 2.1. Die Grundsätze der Haftung des Beklagten als von der S* und den konzernverbundenen Unternehmen beauftragtem Steuerberater legte das Berufungsgericht auf Basis der höchstgerichtlichen Rechtsprechung dar. Dass er seinen Beruf nach § 71 Abs 1 WTBG gewissenhaft, sorgfältig, eigenverantwortlich und unabhängig und unter Beachtung der Richtlinien der Kammer der Wirtschaftstreuhänder auszuüben hat, gemäß § 77 Abs 6 WTBG dabei aber grundsätzlich berechtigt ist, die ihm erteilten Auskünfte und übergebenen Unterlagen des Auftraggebers, insbesondere Zahlenangaben, als richtig und vollständig anzusehen („Vertrauensgrundsatz“), berücksichtigte auch das Berufungsgericht. Dass aufgrund des Sorgfaltsmaßstabs des § 1299 ABGB ein Steuerberater aber dann verpflichtet ist, die ihm vom Klienten erteilten Informationen und übergebenen Belege in Zweifel zu ziehen, wenn er für deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit erhebliche Anhaltspunkte hat, ist nicht korrekturbedürftig (vgl [zur Anwaltshaftung] RS0026628 [T3]). Dies hat seine Grundlage darin, dass die den Steuerberater treffende Auskunfts‑ und Fürsorgepflicht jedenfalls so weit reicht, als für den Steuerberater aus seinem Fehlverhalten der Eintritt eines Schadens für den Mandanten bei gewöhnlichem Lauf der Dinge vorhersehbar ist (RS0026584 [T14]; RS0026258 [T2]). Gerade dem für einen Mandanten jahrelang tätigen Steuerberater obliegt nach gefestigter Rechtsprechung im Hinblick auf diese Tätigkeit eine besondere Schutz‑, Fürsorge‑ und Aufklärungspflicht gegenüber seinem Mandanten (RS0037133). Nach der vom Berufungsgericht bereits zitierten Entscheidung 6 Ob 82/99y hat etwa der mit der Buchhaltung und den steuerlichen Belangen eines Mandanten beauftragte Steuerberater diesen zur entsprechend geordneten Belegsammlung, zur Führung von Grundaufzeichnungen, die zeitnahe Buchungen ermöglichen, und zur Führung eigener, den einschlägigen Bestimmungen entsprechender Listen anzuhalten, falls ihm nicht ohnehin eine getrennte und übersichtliche Aufbuchung nach den tatsächlich übergebenen Belegen möglich gewesen sein sollte. Explizit wurde auf das langjährige Mandat abgestellt. Nach der Entscheidung 6 Ob 53/21v ist der Steuerberater, der sich bei Übernahme des Mandats über das Rechnungswesen informiert, verpflichtet, den Geschäftsführer sofort zur ordnungsgemäßen Belegführung anzuhalten und auf steuerliche Konsequenzen mangelnder Bezeichnungen hinzuweisen. Die Auffassung, der Steuerberater habe – stellt der Klient eine Haushaltshilfe im Privathaushalt an – bei auffallender Geringfügigkeit des Entgelts über gesetzliche Mindestlohnansprüche aufzuklären, wurde ebenso als nicht korrekturbedürftig angesehen (1 Ob 47/20y) wie, dass ein mit der Lohnverrechnung betrauter Steuerberater auch ohne ausdrücklichen Auftrag zur sozialversicherungsrechtlichen Prüfung den Klienten darauf hinzuweisen hat, dass für einen Dienstnehmer fälschlich keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden (7 Ob 121/13i). Der Steuerberater hat den Klienten etwa auch vor negativen Konsequenzen einer Umwandlung einer GmbH in ein Einzelunternehmen (Verlust von Verlustvorträgen) zu warnen (6 Ob 144/08g). Eine Nachforschungspflicht betreffend tatsächliche Umstände im Betrieb des Klienten, die bei Steuererklärungen steuermindernd berücksichtigt werden könnten, trifft den Steuerberater aber nicht. Solche Umstände müsste der Klient dem Steuerberater bekanntgeben (RS0026519).
[19] 2.2. Würden sich somit – wie der Kläger behauptet – erhebliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der vom Klienten erteilten Informationen ergeben, wäre ein Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt der mitgeteilten Tatsachen nicht mehr gerechtfertigt (RS0026628 [T2, T3]; vgl auch RS0106940 [T3]). Naturgemäß sind bei Beurteilung der Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Steuerberaters aber die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich, ist doch jeweils stets der konkrete Auftrag an ihn zu berücksichtigen (RS0026584 [T8, T17]; 10 Ob 59/18a).
[20] 2.3. Der Beklagte war jahrelang steuerlicher Vertreter und Berater der S* und sämtlicher im Konzern verbundener Unternehmen. Zum exakten Umfang seines Mandats fehlen zwar konkrete Feststellungen; unstrittig ist aber, dass er jedenfalls mit der Erstellung der Finanzbuchhaltung, sämtlicher Jahresabschlüsse (auch im Lizenzierungsverfahren gegenüber der Bundesliga) und hinsichtlich der S* sowie zweier weiterer Gesellschaften des Konzerns mit der Lohnverrechnung beauftragt war. Seinen Auftragsumfang wertete daher das Berufungsgericht frei von Rechtsirrtum als umfassend. Dass – bei Zutreffen der vom Kläger im Einzelnen behaupteten – Sorgfaltswidrigkeiten des Beklagten anlässlich seiner steuerlichen Beratungs‑ und Vertretungsleistungen für die S* eine Haftung für eine dadurch allenfalls eingetretene Vermehrung des Schuldenstands grundsätzlich in Betracht käme, entspricht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.
[21] 3.1. Vergleichbares gilt für die Frage, ob sich die S* das vorsätzliche Verhalten des vormaligen Vereinspräsidenten als Mitverschulden anrechnen lassen muss. Auch diesbezüglich zitierte das Berufungsgericht zunächst die ständige Rechtsprechung (RS0016291), dass es bei bloß fahrlässigem Verhalten des Geschädigten im Regelfall dann zu keiner Schadensteilung kommt, wenn der Schädiger vorsätzlich handelt, weil die Zurechnung des Schadens zum Verantwortungsbereich des Schädigers in einem solchen Fall so stark überwiegt, dass die Fahrlässigkeit des Geschädigten nicht ins Gewicht fällt. Die zu diesem Rechtssatz indizierten Entscheidungen begründen den Entfall der Haftung von bloß fahrlässig handelnden Personen meist damit, dass die Verhinderung krimineller Handlungen nicht Inhalt der Aufsichtspflicht dieser fahrlässig Handelnden gewesen sei (vgl 4 Ob 35/81; 8 Ob 538/85; 9 ObA 2293/96i; 9 ObA 15/20a).
[22] 3.2. Zur Frage der Verschuldensteilung beim grundsätzlich haftpflichtigen Abschlussprüfer – der der Beklagte unstrittig nicht war –ist es ständige Rechtsprechung, dass sich ein haftpflichtiger Abschlussprüfer gegenüber der Gesellschaft nicht auf vom Vorstand oder Geschäftsführer verschuldete Fehler berufen kann, weil die Tätigkeit des Prüfers für die Gesellschaft in der Kontrolle ihrer Organe besteht. Schutzzweck der Abschlussprüfung der Gesellschaft ist es nämlich, vor Schäden aus unrichtiger Rechnungslegung der Organe zu bewahren. Demgemäß steht dem Abschlussprüfer der Mitverschuldenseinwand grundsätzlich nicht zu (RS0130743 [T2]). §§ 273–275 UGB sind Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB, die den Zweck haben, die geprüfte Gesellschaft vor Vermögensschäden und damit auch vor Manipulation im Sinn vorsätzlicher unrichtiger Rechnungslegung durch den Vorstand zu schützen (RS0114297; RS0114296).
[23] 3.3. Zu 1 Ob 30/92 hatte der Oberste Gerichtshof die Frage zu behandeln, ob sich der ruhende Nachlass bei Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen wegen fehlerhafter Genehmigung eines Gerichts ein an diesem Schaden mitwirkendes Verschulden des Verlassenschaftskurators im Genehmigungsverfahren zurechnen lassen muss, und verneinte dies mit der Begründung, das Gesetz habe das Gericht gerade zur Überwachung des Kurators berufen.
[24] 3.4. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 6 Ob 183/13z hatte der Oberste Gerichtshof die Haftung zweier von einer Gesellschaft (unter anderem) auch mit der Abwicklung des laufenden Zahlungsverkehrs der Klägerin beauftragten Rechtsanwälte zu prüfen. Der Geschäftsführer der Klägerin hatte sich ein überhöhtes Gehalt, unberechtigte Provisionen und Reisekosten angewiesen und überhöhte Repräsentationsaufwendungen verrechnet. Der 6. Senat hielt fest, dass für eine Zurechnung des Verhaltens des Geschäftsführers zur klagenden Gesellschaft im Rahmen des § 1304 ABGB kein Raum besteht und die Organe juristischer Personen im Bereich vertraglicher Haftung nicht „gesetzliche Vertreter“ iSd § 1313aABGB sind. Die ratio der Haftung für Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB liegt demnach darin, dass der Schuldner berechtigt ist, zur Erfüllung seiner Verpflichtung Hilfspersonen heranzuziehen, die Position des Gläubigers aber dadurch nicht verschlechtert werden soll. Eine Zurechnung des Mitverschuldens des Geschäftsführers scheiterte am speziellen Zweck der die dortigen Beklagten treffenden Kontroll‑ und Sorgfaltspflichten, die auch dazu dienten, die Klägerin vor Malversationen ihres Geschäftsführers zu schützen. Bei einer solchen Sachlage muss ein zuzurechnendes Mitverschulden des Geschäftsführers ausgeschlossen sein.
[25] 3.5. Aus all diesen Entscheidungen geht der Grundsatz hervor, dass die Frage der Zurechnung vorsätzlichen Handelns eines Geschädigten im Rahmen eines Mitverschuldenseinwands im Einzelfall davon abhängt, welche konkreten Pflichten der fahrlässig handelnde Schädiger konkret übernommen hatte. War eine gewisse Aufsicht oder Kontrolle (auch) über das Verhalten der Organe einer juristischen Person Inhalt der übernommenen Verpflichtungen, scheidet eine Zurechnung des vorsätzlichen Verhaltens des Geschäftsführers oder Leitungsorgans eines Vereins an die juristische Person aus; war dies nicht der Fall, wäre der Mitverschuldenseinwand hingegen zulässig.
[26] 3.6. Das Berufungsgericht argumentierte mit der Vergleichbarkeit des konkreten Falls mit dem zu 6 Ob 183/13z entschiedenen Sachverhalt und verwies zur Begründung auf das übernommene Mandat, das insbesondere auch die der S* selbst (und nicht deren Vereinspräsidenten) gegenüber übernommene Verpflichtung zu vollständigen und richtigen steuerlichen Vertretungsleistungen, so auch Jahresabschlüssen umfasste. Dass auch einen bloßen Steuerberater grundsätzlich gegenüber seiner Mandantin Kontroll‑ und Sorgfaltspflichten treffen, begründete das Berufungsgericht mit dem Hinweis auf die von ihm zitierte Rechtsprechung. Dies ist nicht zu beanstanden. Nach dem unstrittigen Sachverhalt hatte der Beklagte über Jahre hinweg ein sehr umfassendes Mandat nicht nur der S*, sondern sämtlicher konzernverbundener Unternehmen. Daraus abzuleiten, seine Auftraggeber dürften erwarten, dass er eine gewisse Aufsichts-, Kontroll- und Sorgfaltspflicht in Bezug auf kriminelles Handeln der Leitungsorgane jedenfalls insoweit übernommen hatte, als ihm ein solches tatsächlich aufgefallen war oder jedenfalls leicht auffallen hätte können, ist im hier zu beurteilenden Einzelfall nicht zu beanstanden, zumal auch das WTBG in seinen §§ 87 ff konkrete Sorgfaltspflichten des Steuerberaters gegenüber seinem Auftraggeber zur Verhinderung von „Geldwäsche“ (die nach der Definition in § 87 Abs 2 Z 1 WTBG eine ganze Reihe von vorsätzlich begangenen Handlungen erfasst) vorsieht.
[27] 3.7. Die im Rekurs behaupteten (vermeintlichen) Abweichungen zum Sachverhalt zu 6 Ob 183/13z betreffen keine entscheidungswesentlichen Umstände; dass der Beklagte eine prüfende Tätigkeit vergleichbar einem Abschlussprüfer übernommen hätte, vertrat auch das Berufungsgericht nicht. Dass aber der Beklagte auch hier sehr wohl mit Tätigkeiten der Geschäftsführung wie laufender Lohnverrechnung, Finanzbuchhaltung und Erstellung der Jahresabschlüsse beauftragt war (und daher Einblick in das gesamte Finanzwesen hatte), entspricht dem unstrittigen Sachverhalt. All dies sind Aufgaben, die nach dem VereinsG grundsätzlich dem Vereinsvorstand obliegen und zu deren (korrekter!) Erfüllung er sich der Fachkunde des Beklagten bediente. Dass einen Steuerberater jedenfalls und unabhängig vom Umfang des übernommenen Mandats eine Prüfpflicht hinsichtlich der ihm übergebenen Belege träfe, vertrat auch das Berufungsgericht nicht. Dass aber das konkret hier übernommene Mandat (auch) die Verpflichtung mit sich brachte, tatsächlich aufgefallene oder jedenfalls auffällige Mängel wie fehlende oder inhaltlich bedenkliche Belege im Hinblick auf daraus erkennbares Fehlverhalten der Leitungsorgane anzusprechen und diesbezüglich nachzufragen, ist keine Abweichung von den zu 6 Ob 183/13z aufgestellten Grundsätzen, sondern deren Weiterentwicklung und Anwendung auf den hier zu entscheidenden Fall. Dass ein Verein nicht anders zu behandeln ist als eine (6 Ob 183/13z zugrundeliegende) GmbH, bedarf keiner weiteren Erörterung.
[28] 4.1. Als erheblich erachtete das Berufungsgericht auch die Frage der grundsätzlichen Haftung eines beauftragten Steuerberaters für Insolvenzverschleppung. Diese vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Judikatur des BGH gelöste Rechtsfrage ist derzeit allerdings nur von theoretisch-abstrakter Bedeutung, sodass sich eine Stellungnahme hiezu erübrigt.
[29] 4.2. Die Haftung des Beklagten wird nämlich vor allem auf den Umstand gestützt, dass er als Steuerberater Unrichtigkeiten der Buchhaltung und der Jahresabschlüsse zu verantworten haben soll, die zu einer Vermehrung des Schuldenstands der S* führten. Ein Aspekt der dem Beklagten vorgeworfenen Sorgfaltswidrigkeiten ist die Frage, zu welchen Werten (Fortführungswerten oder „going concern“‑Prämisse) er die Bilanzen hätte erstellen müssen. Hilfsweise wurde behauptet, der Beklagte habe die bereits eingetretene materielle Insolvenz nicht erkannt. Das Erstgericht traf zu den dem Beklagten vorgeworfenen Sorgfaltswidrigkeiten bisher – ausgehend von seiner vom Berufungsgericht nicht geteilten und nun bestätigten – Rechtsauffassung, aufgrund des Mitverschuldenseinwands komme eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht, gar keine Feststellungen (so auch nicht zur Erkennbarkeit der materiellen Insolvenz der S*, die nach dem Verständnis des erkennenden Senats jedenfalls davon abhängen wird, ob der Beklagte die Fälschung der Belege erkannt hat oder hätte erkennen können). Da es zur isolierten Frage der Erkennbarkeit der materiellen Insolvenz der S* aber bisher an jeglichem Sachverhalt mangelt, erübrigt sich – derzeit – eine Auseinandersetzung mit dieser vom Berufungsgericht als erheblich angesprochenen Frage.
[30] 4.3. In diesem Zusammenhang ist nämlich auch darauf hinzuweisen, dass der Beklagte seine grundsätzliche Haftung für den Fall, dass er eine materiell bereits eingetretene Insolvenz zum 30. Juni 2018 bereits erkennen hätte können, im Verfahren erster Instanz bisher gar nicht substanziiert bestritt. Er verneinte seine Haftung aus diesem Grund im Wesentlichen nur mit dem Argument, er habe keinen Anlass gehabt, von einer materiellen Insolvenz auszugehen (wozu – wie erwähnt – jegliche Feststellungen fehlen).
[31] 5.1. Zur Frage der Haftung des Beklagten als Rechnungsprüfer des Vereins ließ das Berufungsgericht den Rekurs nicht zu. Es erachtete die Feststellungen hiezu als widersprüchlich. Das Erstgericht stellte tatsächlich einerseits fest, Einzelabschlüsse der einzelnen im Konzern verbundenen Unternehmen seien ab 2006 nicht mehr gemacht worden, andererseits aber, dass der Jahresabschluss des S* bis zu dessen Auflösung konsolidiert im Konzernabschluss durch einen Abschlussprüfer geprüft worden sei.
[32] 5.2. Dass widersprüchliche Feststellungen einen wahrzunehmenden Feststellungsmangel begründen, der zur Aufhebung des Urteils führt, entspricht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (RS0042744). Soweit der Beklagte dem entgegensetzt, es stehe fest, dass bis zuletzt Einzeljahresabschlüsse erstellt, diese aber lediglich im Rahmen der konsolidierten Konzernabschlussprüfung geprüft worden seien, betrifft dies den für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Sachverhalt; überdies legt der Beklagte insoweit einen von den Feststellungen eben gerade nicht gedeckten Wunschsachverhalt zugrunde und führt seine Rechtsrüge nicht gesetzesgemäß aus (RS0043312; RS0043603). Dass das Berufungsgericht insoweit nicht von einem bloßen Schreibfehler ausging, ist nicht zu beanstanden (vgl RS0118891).
[33] 5.3. Wenn aber das Berufungsgericht ausgehend von seiner richtigen oder nicht angegriffenen Rechtsauffassung der Meinung ist, der Sachverhalt sei noch nicht ausreichend geklärt, ist dies der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0042179). Dies gilt daher auch für die Frage, ob ergänzende Feststellungen zum Ausmaß der Konzernabschlussprüfung zu treffen sind.
[34] 5.4. Auch die Ansicht des Berufungsgerichts, es seien ergänzende Feststellungen dazu zu treffen, ob sich der Beklagte als Rechnungsprüfer auf das Testat der Konzernabschlussprüfung verlassen durfte, ist – ausgehend von seiner nicht zu beanstandenden Rechtsauffassung – der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen. Gemäß § 269 Abs 2 UGB hat der Abschlussprüfer die im Konzernabschluss zusammengefassten Jahresabschlüsse daraufhin zu prüfen, ob sie den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen und ob die für die Übernahme in den Konzernabschluss maßgeblichen Vorschriften beachtet wurden. Dabei umfassen die im Konzernabschluss zusammengefassten „Jahresabschlüsse“ die Finanzinformationen der einbezogenen Unternehmen, die nach den für den Konzernabschluss gültigen Rechnungslegungsgrundsätzen erstellt wurden. Üblicherweise werden diese Finanzinformationen in sogenannten Berichtspaketen zusammengefasst und umfassen alle für die Erstellung des Konzernabschlusses notwendigen Bestandteile, so Bilanz, Gewinn‑ und Verlustrechnung, Geldflussrechnung und sonstige Bestandteile des Rechenwerks sowie ausgewählte Anhangangaben (Hirschböck/Völkl/Gedlicka in Straube/Ratka/Rauter UGB II/RLG3 § 269 Rz 62). Ein ungeprüfter Jahresabschluss eines Konzernunternehmens wäre durch den Konzernabschlussprüfer vollumfänglich zu prüfen, wobei dabei die Wesentlichkeitsgrenzen aus Konzernsicht zugrunde zu legen sind, was allenfalls sogar dazu führen kann, dass unbedeutende Konzerngesellschaften überhaupt nicht geprüft werden müssten (Zib/Dellinger, Kommentar UGB III § 269 Rz 35). Dass eine konsolidierte Konzernabschlussprüfung jedenfalls (auch) den Vorgaben des § 22 Abs 2 VereinsG entsprechen müsste, geht aus § 269 Abs 2 UGB nicht hervor. Aus dem Gesetz lässt sich die Auffassung des Beklagten, er habe sich jedenfalls auf die Konzernabschlussprüfung verlassen dürfen, ohne nähere Feststellungen zum Inhalt dieser Konzernabschlussprüfung und zu den zugrunde liegenden Unterlagen der Einzelgesellschaften nicht ableiten.
[35] 6. Damit war dem Rekurs keine Folge zu geben.
[36] 7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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