European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00064.10F.0713.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:
„Einstweilige Verfügung:
Zur Sicherung des mit Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs nach § 78 UrhG wird der beklagten Partei bis zur Beendigung des Rechtsstreits über die Unterlassungsklage aufgetragen, die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Personenbildnissen des Klägers zu unterlassen, sofern dadurch berechtigte Interessen des Klägers beeinträchtigt werden, indem im Bildbegleittext die tatsachenwidrigen Äußerungen verbreitet werden, der Kläger habe eine Rechnung für Vignetten (EUR 1,5 Mio) zu zahlen, er schulde der ASFINAG einen Betrag von EUR 1,5 Mio und/oder habe Schulden bei der ASFINAG, gegen den Kläger sei auf Grund eines bislang von ihm nicht bezahlten Kaufpreises für Jahresvignetten ein Verfahren beim Landesgericht anhängig und/oder für den Kläger gelte im Zusammenhang mit einem bislang von ihm nicht bezahlten Kaufpreis für Jahresvignetten die Unschuldsvermutung, und/oder wenn im Bildbegleittext sinngleiche Äußerungen behauptet und/oder verbreitet werden.“
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig selbst zu tragen.
Die beklagte Partei hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
Die Beklagte ist Medieninhaberin der Gratiszeitung „H*****“. Der Kläger ist Herausgeber der Tageszeitung „Ö*****“; weiters ist er Geschäftsführer von deren Medieninhaberin und einer anderen im Medienbereich tätigen Gesellschaft. Diese Gesellschaften sind zusammen mit einem dritten Unternehmen an der M***** GmbH beteiligt, bei der der Kläger keine Organfunktion ausübt.
Im Jahr 2007 warb die Zeitung „Ö*****“ mit Autobahn-Vignetten als Zugabe zum Abschluss von Abonnements. Über die Bezahlung dieser Vignetten ist beim Handelsgericht Wien zwischen der ASFINAG und der M***** GmbH ein Verfahren anhängig; strittig sind rund 1,5 Mio EUR. Im August 2009 erschienen in der Gratiszeitung der Beklagten im Abstand einer Woche folgende mit einem Lichtbild des Klägers illustrierte Artikel:
Zur Sicherung seines auf § 78 UrhG gestützten Unterlassungsbegehrens beantragt der Kläger, der Beklagten aufzutragen,
die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Personenbildnissen des Klägers zu unterlassen, sofern dadurch berechtigte Interessen des Klägers beeinträchtigt würden, nämlich wenn im Bildbegleittext die tatsachenwidrigen Äußerungen verbreitet würden, der Kläger habe eine Rechnung für Vignetten (EUR 1,5 Mio) zu zahlen, er schulde der ASFINAG einen Betrag von EUR 1,5 Mio und/oder habe Schulden bei der ASFINAG, gegen den Kläger sei auf Grund eines bislang von ihm nicht bezahlten Kaufpreises für Jahresvignetten ein Verfahren beim Landesgericht anhängig und/oder für den Kläger gelte im Zusammenhang mit einem bislang von ihm nicht bezahlten Kaufpreis für Jahresvignetten die Unschuldsvermutung, und/oder wenn im Bildbegleittext sinngleiche Äußerungen behauptet und/oder verbreitet würden.
In einem auf § 1330 ABGB gestützten Eventualbegehren begehrt der Kläger das Unterlassen der genannten Behauptungen ohne Bezugnahme auf die Verbindung mit den ihn zeigenden Lichtbildern. Weder er noch die von ihm vertretene Medieninhaberin der Zeitung „Ö*****“ hätten Verbindlichkeiten bei der ASFINAG. Der in den Artikeln genannte Rechtsstreit werde zwischen der ASFINAG und der M***** GmbH geführt. Diese Gesellschaft behaupte den Bestand einer Gegenforderung; er habe bei ihr keine Organfunktion.
Die Beklagte wendet ein, dass die beanstandeten Behauptungen im Kern wahr seien. Die Tageszeitung „Ö*****“ habe mit Gratis-Vignetten geworben; die daraus entstandene Kaufpreisforderung der ASFINAG sei bisher nicht beglichen. Kein redlicher Mitteilungsempfänger werde annehmen, dass der Kläger persönlich für diese Schulden hafte. Wenn die Textberichterstattung im Lichte des § 1330 Abs 2 ABGB zulässig sei, könne für die Bildberichterstattung im gleichen Zusammenhang nichts anderes gelten. Die Beklagte sei wegen der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK berechtigt, die Geschäftsgebarung des Klägers auch auf provokante Art und Weise zu hinterfragen und zu kritisieren.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Kern der beanstandeten Artikel sei die Aussage, dass die Werbung der Zeitung „Ö*****“ mit einer Gratis‑Autobahnvignette zu einer unbezahlten Kaufpreisschuld bei der ASFINAG geführt habe, worüber ein Gerichtsverfahren anhängig sei. Der Kläger werde in der Öffentlichkeit mit dieser Zeitung identifiziert; er sei als Geschäftsführer der Medieninhaberin deren „führender Mann“. Da die Kaufpreisschuld materiell der Zeitung zuzurechnen sei, sei es nicht verfehlt, umgangssprachlich und im Zeitungsjargon von einer Schuld des Klägers zu sprechen. Es mache für den durchschnittlichen Zeitungsleser keinen Unterschied, ob der Kläger Eigentümer der Tageszeitung „Ö*****“ sei oder nur der führende Kopf jener juristischen Person, die als Herausgeber fungiere.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Die Veröffentlichung von neutralen Lichtbildern sei im Regelfall zulässig, wenn der Begleittext unbedenklich sei. Im vorliegenden Fall verstoße die Textberichterstattung nicht gegen § 1330 Abs 2 ABGB, da ihr sachlicher Kern mit der Wirklichkeit übereinstimme. Für die Ermittlung des Bedeutungsgehalts sei maßgebend, wie die Aussagen im Gesamtzusammenhang von einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Kreise bei ungezwungener Auslegung verstanden würden. Für den durchschnittlichen Leser sei der Kläger jener Entscheidungsträger, der die Blattlinie und die Aktivitäten von „Ö*****“ maßgeblich bestimme. Der Leser nehme nicht an, dass der Kläger die Vignetten-Aktion aus seinem Privatvermögen finanziert habe und dass die Verbindlichkeit ihn daher persönlich treffe. Er erwarte sich von der Zeitung „H*****“ leicht fassliche und rasch überblickbare Kurzinformationen, nicht tiefergehende Analysen eines juristischen Sachverhalts. Der Hinweis auf die Unschuldsvermutung werde mittlerweile als eine anspruchsabwehrende Floskel hingenommen, aus deren Verwendung niemand weitere Schlüsse ziehe.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil das Rekursgericht seinen Beurteilungsspielraum bei der Auslegung der beanstandeten Äußerungen überschritten hat. Er ist aus diesem Grund auch berechtigt.
1. Der Kläger stützt sich auf eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild iSv § 78 UrhG. Die für die Anwendung dieser Bestimmung maßgebenden Grundsätze hat der Senat zuletzt in 4 Ob 105/07f (= MR 2007, 309 - Ahnungslose Anleger) sowie in 4 Ob 132/09d (= MR 2010, 73 - Aufruhr-Versand) zusammengefasst. Danach fällt die nach § 78 UrhG gebotene Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums - soweit kein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre vorliegt (4 Ob 150/08z = MR 2008, 346 - Julius M mwN) - bei einem im Kern wahren Begleittext gewöhnlich zugunsten des Mediums aus (4 Ob 142/99g = SZ 72/97 - Miserabler Verleumder; 6 Ob 249/01p = SZ 74/204 - Schönheitschirurgie; RIS-Justiz RS0112084). Das gilt jedenfalls für Lichtbilder, die an sich unbedenklich sind, dh den Abgebildeten nicht entstellen oder Geschehnisse aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich zeigen (vgl 6 Ob 211/05f = ZÖR 2006, 687). Dieses Ergebnis wird durch die Judikatur des EGMR gestützt, wonach Verbote und Beschränkungen in der Wahl medialer Darstellungsmittel nur bei Vorliegen besonderer Gründe mit Art 10 EMRK vereinbar sind (6 Ob 249/01p - Schönheitschirurgie mwN).
2. Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung für den unbefangenen Durchschnittsleser oder -hörer. Der subjektive Wille des Äußernden ist nicht maßgeblich. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie vom angesprochenen Verkehrskreis bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (RIS-Justiz RS0031883; vgl RS0031815).
3. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts hängt von den näheren Umständen des jeweiligen Falls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang ab. Wegen dieser Einzelfallbezogenheit kommt ihr grundsätzlich keine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0111733 [T5]). Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht seinen Beurteilungsspielraum jedoch überschritten. Zwar ist im ersten Artikel davon die Rede, dass „die Zeitung“ die Vignetten gekauft habe, was - trotz der dortigen Bildunterschrift: „Schulden bei der ASFINAG: *****“ - eine Deutung zugunsten der Beklagten ermöglichte. Dem zweiten Artikel ist jedoch ohne jeden Zweifel zu entnehmen, dass der Kläger selbst der ASFINAG beträchtliche Summen schulde. Denn dort heißt es, die ASFINAG warte noch immer gespannt, „wann Ö*****-Herausgeber W***** F***** (Bild u.) seine Schulden zu begleichen“ geruhe; und die Straßenerhalter hätten „Klage eingebracht, weil F***** - für den die Unschuldsvermutung gilt - ihnen 1,5 Mio Euro“ schulde. Irgendeine Relativierung dieser persönlichen Haftung ist dem zweiten Artikel nicht zu entnehmen.
Weshalb der durchschnittliche Leser aus diesen eindeutigen Formulierungen ableiten soll, dass nicht der Kläger persönlich, sondern eine (nicht einmal von ihm vertretene) Gesellschaft geklagt wurde, ist nicht erkennbar. Vielmehr zielt der Artikel durch den ohne jede Grundlage erfolgenden Hinweis auf die Unschuldsvermutung in subtiler Weise darauf ab, den Kläger in einen strafrechtlichen Zusammenhang zu stellen. Denn gerade die Leser einer Boulevardzeitung sind es gewohnt, diesen - vom Rekursgericht richtig als „anspruchsabwehrende Floskel“ qualifizierten - Hinweis im Zusammenhang mit einem behaupteten strafbaren Verhalten zu lesen, und zwar nicht selten dort, wo der Verfasser damit eher das Gegenteil aussagen will.
An den genauen Inhalt des eine Woche früher erschienenen ersten Artikels wird sich der Leser bei der Lektüre des zweiten Artikels nicht mehr erinnern. Daher lässt sich für die Beklagte nichts daraus gewinnen, dass dieser erste Artikel möglicherweise noch unbedenklich war.
4. Auf die Unklarheitenregel und ihre durch das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit gezogenen Grenzen (RIS-Justiz RS0121107) kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn der Sinngehalt der beanstandeten Tatsachenmitteilung ist nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers ohnehin klar (RIS-Justiz RS0085169); unwahre Tatsachenbehauptungen sind durch Art 10 EMRK nicht gedeckt (RIS-Justiz RS0107915).
5. Der Begleittext der beanstandeten Bildnisveröffentlichungen erfüllt daher den Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB. Damit ist der mit dem Hauptbegehren geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 78 UrhG begründet. Die beantragte einstweilige Verfügung ist aus diesem Grund zu erlassen. Im Spruch ist allerdings klarzustellen, dass nicht (generell) alle Bildnisveröffentlichungen verboten werden, die berechtigte Interessen des Klägers verletzen, sondern ‑ ausgehend vom konkreten Verstoß ‑ nur solche, die den beanstandeten oder einen sinngleichen Begleittext aufweisen („indem“ statt „nämlich wenn“). Da dies offenkundig dem vom Kläger Gewollten entspricht, ist damit keine Teilabweisung verbunden.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO.
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