European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00240.18Z.1220.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme von dem als gegeben erachteten Nichtigkeitsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger ist ein im Jahr 1959 gegründeter (Haupt‑)Verein, dessen Name im April 2017 geändert wurde. Er dient als Dachorganisation für die in den Bundesländern bestehenden Landesvereine, die ihren Namen vom Kläger ableiten und den Zusatz des jeweiligen Bundeslandes tragen. Der Beklagte wurde im Jahr 1962 gegründet und in das Vereinsregister eingetragen und gehört zu den genannten Landesvereinen.
Die Satzung des Klägers sieht in § 1 Pkt 3 vor, dass Landesgruppen nur mit eigener Rechtspersönlichkeit als Zweigverein errichtet werden können und jede Landesgruppe neben dem Namen des Klägers die Landesbezeichnung im Namen zu führen hat. Gemäß § 13 der Satzung des Beklagten tritt als Ehrengericht des Beklagten das Ehrengericht des Klägers in Funktion.
Am außerordentlichen Bundestag des Klägers vom 17. 6. 2016 wurde von der Generalversammlung unter anderem beschlossen, das Zweigvereins- bzw Untergliederungsverhältnis hinsichtlich des Beklagten zu beenden und jede Zusammenarbeit mit diesem einzustellen; der Beklagte wurde aufgefordert, den Verein umzubenennen und die Führung des Namens des Klägers zu unterlassen.
Im Antrag des Beklagten an die Schlichtungseinrichtung des Klägers wurde unter anderem geltend gemacht, dass beim rechtswidrig einberufenen Bundestag vom 17. 6. 2016 der Beklagte willkürlich ausgeschlossen und aufgefordert worden sei, binnen sechs Wochen seinen Namen abzulegen und sich umzubenennen. Das Ehrengericht des Klägers hat über den Antrag des Beklagten eine Unzuständigkeitsentscheidung getroffen und zur Begründung ausgeführt, dass der Beklagte mehrfach behauptet habe, weder Mitglied noch Zweigverein des Klägers zu sein.
Der Kläger begehrte, dem Beklagten die Führung seines Namens ab sofort zu verbieten. Der Beklagte leite die Führung der in Rede stehenden Namensbestandteile als Zeichen der Zusammenarbeit und der Zusammengehörigkeit vom Kläger als Hauptverein ab. Mit Beendigung des Untergliederungsverhältnisses sei der Beklagte nicht mehr berechtigt, die fraglichen Namensbestandteile zu verwenden. Das vom Beklagten angerufene Ehrengericht des Klägers habe eine Unzuständigkeitsentscheidung getroffen.
Der Beklagte entgegnete, dass der Entscheidung des Ehrengerichts die Beurteilung zugrunde liege, dass der Beklagte kein Zweigverein des Klägers sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beklagte leite seinen Namen vom Kläger ab. Für die Zeit der Zusammenarbeit der Streitteile habe ein schlüssiger Gestattungsvertrag bestanden, der nicht mehr aufrecht sei.
Das Berufungsgericht hob – aus Anlass der Berufung des Beklagten – das Urteil des Erstgerichts sowie das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch betreffe einen Rechtsstreit aus dem Vereinsverhältnis. Eine Befassung des Ehrengerichts des Klägers liege nicht vor, weil nicht erkennbar sei, mit welchem Begehren dieses vom Beklagten angerufen worden sei. Die Nichteinhaltung des vereinsinternen Instanzenzugs habe die Unzulässigkeit des Rechtswegs zur Folge.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers, der auf die Fortsetzung des Berufungsverfahrens abzielt.
Mit seiner Rekursbeantwortung beantragt der Beklagte, dem Rekurs den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Wenn das Berufungsgericht unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils die Klage zurückweist, ist sein Beschluss gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO stets anfechtbar (4 Ob 42/18g). Der Rekurs des Klägers ist zulässig, er ist auch berechtigt.
Der Kläger führt in seinem Rekurs aus, dass der Beklagte nicht Mitglied des Klägers sei, weshalb es sich um keine Vereinsangelegenheit handle. Außerdem sei das Ehrengericht in der gegenständlichen Sache bereits befasst worden; dieses habe sich für unzuständig erklärt. Der zugrunde liegende Beschluss der Generalversammlung betreffe sowohl die Beendigung des Untergliederungsverhältnisses als auch die Untersagung der Namensführung durch den Beklagten.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1. Gemäß § 8 Abs 1 VerG haben die Statuten eines Vereins vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten erst nach Ablauf von sechs Monaten seit Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen. Wird dieses Verfahren nicht eingehalten, so steht einer dennoch eingebrachten Klage die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (RIS‑Justiz RS0114603 [T3, T9, T10]), die von Amts wegen wahrzunehmen ist (RIS‑Justiz RS0122426; RS0120837 [T1]). Die Beurteilung, ob das Schlichtungsverfahren eingehalten wurde, richtet sich nach dem Vorbringen in der Klage (RIS‑Justiz RS0045718 [T26]). Der Kläger hat daher konkrete Tatsachen zu behaupten, aus denen sich ergibt, dass der Rechtsweg bereits offensteht (RIS‑Justiz RS0124983).
2.1 Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis im Sinn des § 8 Abs 1 VerG sind zunächst jedenfalls solche, die ihre Wurzel in einer Vereinsmitgliedschaft haben, gleichviel, ob das Mitgliedsverhältnis bei Entstehen des Streitfalls noch besteht oder bereits beendet wurde (RIS‑Justiz RS0122425 [T3]). Erfasst werden somit jedenfalls alle privatrechtlichen Streitigkeiten zwischen Vereinsmitgliedern und dem Verein oder zwischen Vereinsmitgliedern untereinander, sofern sie mit dem Vereinsverhältnis im Zusammenhang stehen (RIS‑Justiz RS0122425 [T6]).
2.2 Der Kläger hat vorgebracht, dass der Beklagte als Zweigverein gegründet und in weiterer Folge durch Beschluss der Generalversammlung „ausgeschlossen“ worden sei. Eine Doppelmitgliedschaft bestehe nur hinsichtlich der Mitglieder des Beklagten, die zugleich Mitglieder des Klägers gewesen seien.
Trotz Verwendung des Wortes „ausgeschlossen“ ergibt sich aus dem Gesamtvorbringen des Klägers, dass das „Untergliederungsverhältnis“ hinsichtlich des Beklagten aufgelöst und die Zusammenarbeit mit diesem beendet wurde. Der Beklagte war daher nur Zweigverein des Klägers, nicht aber auch dessen Mitglied. Aus diesem Grund liegt hier keine Streitigkeit zwischen dem Verein und einem Vereinsmitglied vor.
3.1 Die Besonderheit besteht allerdings darin, dass es sich beim beklagten Verein um einen Zweigverein des Klägers gehandelt hat.
Ein Zweigverein ist nach § 1 Abs 4 VerG ein seinem Hauptverein statutarisch untergeordneter Verein, der die Ziele des übergeordneten Hauptvereins mitträgt. Unter „Zweigverein“ wird daher ein rechtlich selbständiger Verein verstanden, der zu einem Hauptverein in einem gewissen, in den Statuten verankerten Abhängigkeitsverhältnis steht; die Statuten beider Vereine sind zu diesem Zweck miteinander „verzahnt“ (7 Ob 31/14f mwN). Eine Mitgliedschaft des Zweigvereins zum Hauptverein ist möglich, aber nicht zwingend ( Höhne/Jöchl/Lummerstorfer , Das Recht der Vereine 5 76).
3.2 Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 125/16z, die einen Streit zwischen einem Dachverband und Mitgliedern eines Landesfachverbands betraf, die nicht auch Mitglieder des Dachverbands waren, sind „Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis“ weiter zu verstehen als „Streitigkeiten aus der Vereinsmitgliedschaft“. Es sei wenig sachgerecht, die Zulässigkeit des Rechtswegs sofort zu bejahen, nur weil die Vereinsstruktur „dreistufig“ organisiert sei.
Diese Entscheidung wurde im Schrifttum von H. Keinert/E. Keinert (Abgrenzung der Schlichtungsobliegenheit nach § 8 VerG, GesRZ 2017, 42) kritisiert. Allerdings halten auch diese Autoren eine Anwendung des § 8 VerG auf Streitigkeiten zwischen dem Hauptverein und einem Zweigverein bei entsprechender Statutenregelung für angebracht.
3.3 Auch bei Streitigkeiten zwischen dem Hauptverein und einem Zweigverein liegt ein enger Zusammenhang zum Vereinsverhältnis vor, der in Bezug auf die Dichte der Vereinsbeziehung mit einer Vereinsmitgliedschaft grundsätzlich vergleichbar ist. Auch Streitigkeiten zwischen dem Hauptverein und einem Zweigverein sind – bei einem in den Statuten vorgesehenen typischen Abhängigkeitsverhältnis des Zweigvereins – daher solche „aus dem Vereinsverhältnis“ im Sinn des § 8 VerG.
4.1 Für die Beurteilung der Frage, ob der konkret geltend gemachte Anspruch aus dem Vereinsverhältnis resultiert, ist maßgebend, ob eine vermögensrechtliche Streitigkeit in der Vereinsmitgliedschaft wurzelt (RIS‑Justiz RS0122425 [T7]) oder diese ohne vereinsmäßige Verbundenheit der Parteien typischerweise nicht denkbar wäre (5 Ob 60/05t; 9 ObA 107/14x mwN). Nicht notwendig ist aber, dass die Anspruchsgrundlage unmittelbar im Vereinsverhältnis gründet (vgl 6 Ob 194/09m; 6 Ob 80/17h; vgl auch 4 Ob 168/07w). Auch in dieser Hinsicht ist entscheidend, auf welche Tatsachen der Kläger seinen Anspruch stützt (RIS‑Justiz RS0122425 [T9]; RS0119982 [T8]).
4.2 Der vorliegende Rechtsstreit betrifft die Führung des Namens des Klägers durch den Beklagten nach Beendigung des Untergliederungsverhältnisses und nach dem Wegfall der Erlaubnis zur Namensführung. Da der Beklagte die Berechtigung zur Führung des Namens des Klägers von diesem ableitet und diese Berechtigung maßgebend vom Bestehen der Zusammenarbeit und Zusammengehörigkeit abhängt, ist die Streitigkeit durch diese vereinsrechtliche Verbundenheit bestimmt und ohne diese in der vorliegenden Weise nicht denkbar. Daraus folgt, dass der hier geltend gemachte Anspruch aus dem Vereinsverhältnis bzw aus der vereinsrechtlichen Verbundenheit resultiert.
5.1 Letztlich stellt sich noch die Frage, ob die Schlichtungseinrichtung des Klägers mit der vorliegenden Streitigkeit bereits befasst war. Dazu verweist der Kläger zutreffend darauf, dass das im Rekurs dazu erstattete Vorbringen nicht gegen das Neuerungsverbot verstößt, weil die Frage der Unzulässigkeit des Rechtswegs erstmals vom Berufungsgericht aufgegriffen wurde (8 Ob 138/08i). Im Anlassfall ist daher auf die Entscheidung des Ehrengerichts des Klägers, auf die er schon im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen hat, sowie auf den zugrunde liegenden Streitschlichtungsantrag des Beklagten Bedacht zu nehmen.
5.2 Der Begriff „Streitigkeit“ in § 8 VerG ist weiter zu verstehen als „derselbe Streitgegenstand bzw Anspruch“ im Sinn des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Entscheidung der Schlichtungseinrichtung nicht rechtskräftig und vollstreckbar wird, sondern rein von der Akzeptanz der Betroffenen abhängt. Die Schlichtungseinrichtung entscheidet insoweit nicht autoritativ, sondern erstattet einen Einigungsvorschlag an die Beteiligten (9 Ob 24/15t; vgl auch 7 Ob 139/07b; Krejci/S. Bydlinski/Weber‑Schallauer , VerG 2002 2 § 8 Rz 20; vgl auch H. Keinert , Zur prinzipiellen Funktion statutarischer Vereinsschiedsgerichte, in FS Frotz 783 [785]).
Dafür, dass sich die Schlichtungseinrichtung (§ 8 Abs 1 VerG) mit der „Streitigkeit“ befasst hat, ist daher ausreichend, dass die später im Prozess zu klärende Frage entweder von einer Partei zum Thema im Streitschlichtungsverfahren gemacht wurde oder die Entscheidung darüber zwingend aus der Entscheidung über den Streitschlichtungsantrag folgt, die Entscheidung der Prozessfrage also keiner gesonderten Beurteilung zugänglich ist.
5.3 Im Anlassfall hat der Beklagte das Recht zur Führung des Namens des Klägers aus der Satzung des Klägers und damit aus dem Rechtsverhältnis zu diesem als Zweigverein abgeleitet. Wird die Zusammenarbeit beendet und die besondere vereinsrechtliche Verbundenheit aufgelöst, so fällt auch die Erlaubnis zur Führung des Namens weg. Die Entscheidung über die Wirksamkeit des „Untergliederungsverhältnisses“ steht daher in untrennbarem Zusammenhang mit der Entscheidung über die Berechtigung zur Führung des Namens. Dementsprechend wurde im Antrag des Beklagten an das Ehrengericht des Klägers auch der Beschluss, den Namen des Klägers abzulegen und sich umzubenennen, bekämpft.
6. Insgesamt führt die Beurteilung zum Ergebnis, dass die vereinsinterne Schlichtungseinrichtung des Klägers mit der vorliegenden Streitigkeit bereits befasst war und der Rechtsweg daher – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – zulässig ist. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben. Da das Berufungsgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsmeinung die Berufung des Beklagten inhaltlich unerledigt gelassen hat, war ihm die Entscheidung darüber aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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