Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
I. Der angefochtene Beschluss, der in seinem abändernden Teil in Rechtskraft erwachsen ist und von dieser Entscheidung unberührt bleibt, wird in seinem Ausspruch über die Zulässigkeit der Verabreichung des Medikaments Nalbufine bestätigt, sodass die Entscheidung unter Einschluss der bereits rechtskräftigen Teile wie folgt zu lauten hat:
1. Die den Bewohner beschränkende Maßnahme, ihm das Narkotikum Nalbufine zu verabreichen, ist zulässig; diese Maßnahme ist bis Ablauf des 21. Juli 2008 befristet und nur dann zu setzen, wenn sich der Bewohner in akutem Erregungszustand befindet, er also selbst- oder fremdgefährdet ist und keine Alternative, ihn zu beruhigen, gegeben ist und diese Maßnahme umgehend fachärztlich nachbefundet wird.
2. Die den Bewohner in seiner Bewegungsfreiheit beschränkende Maßnahme, ihn in seinem Mobilisationsstuhl durch einen Beckengurt zu sichern, war und ist unzulässig.
3. Die den Bewohner in seiner Bewegungsfreiheit beschränkende Maßnahme der Verabreichung der Medikamente Risperdal Consta-Depot und Tramabene war und ist unzulässig.
4. Hinsichtlich der Verabreichung der Medikamente Omniflora und Novalgin wird der Antrag der Bewohnervertreterin abgewiesen.
II. Im Übrigen, soweit der Antrag der Bewohnervertreterin auch hinsichtlich der Verabreichung der Medikamente Zoldem, Dominal forte, Xanor, Seroquel und Haldol abgewiesen wurde, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Die Heimaufenthaltssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der 1938 geborene Bewohner lebt seit 18. 1. 2006 im N*****, einer Einrichtung im Sinne des § 2 Abs 1 HeimAufG. Er leidet an weit fortgeschrittener Demenz (Stadium 3), konkret an Morbus Pick. Dabei handelt es sich um eine neurodegenerative Erkrankung im Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns, die durch Verhaltensauffälligkeiten, Persönlichkeitsveränderungen, Sprach- und Gedächtnisleistungsstörungen, vor allem aber den Verlust von Verhaltensregeln gekennzeichnet ist. Der Verlauf der Erkrankung ist langsam fortschreitend, jedoch seit dem letzten Jahr bereits in einem Stadium, in dem sich das cerebrale Abbaugeschehen als Vollbild einer fronto-temporalen Demenz präsentiert. Diese äußert sich in völliger Desorientierung, Agitiertheit, Muskelversteifung, motorischer Unruhe, Inkontinenz und kompletter Pflegebedürftigkeit. Hiedurch ist eine steuerlos enthemmte - also durch den Bewohner nicht mehr beherrschbare - Mobilität bedingt. Dennoch empfindet der Bewohner noch Bedürfnisse rudimentärer Art, deren Nichtbefriedigung in ihm Leidensdruck erzeugt.
Die Bewohnervertreterin stellte erstmals am 27. 6. 2007 den Antrag auf gerichtliche Überprüfung freiheitsbeschränkender Maßnahmen, den das Erstgericht mit Beschluss vom 3. 7. 2007, soweit sich der Antrag auf die Verabreichung der Medikamente Zoldem, Dominal forte, Trileptal 200, Xanor, Tramabene, Seroquel, Risperdal Consta, Haldol, Nalbufine und Psychopax bezog (rechtskräftig) abwies. Am 3. 1. 2008 beantragte die Bewohnervertreterin erneut die gerichtliche Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen „in Form von Gurten und Medikamenten". Zu Letzteren brachte sie vor, seit dem Beschluss vom 3. 7. 2007 erfolge die Medikation des Bewohners in weit massiverer Form. Allein im November 2007 sei dem Bewohner viermal Haldol und acht weitere Male Nalbufine verabreicht worden. Auch Seroquel werde tagsüber erhöht eingesetzt. Aus den schriftlichen Vermerken zu diesen Verabreichungen gehe eine „massiv sedierende" Wirkung auf den Bewohner hervor. Es bedürfe der Erörterung, warum ein Pausieren mit der Medikation, wie es im ersten Überprüfungsverfahren von der medizinischen Sachverständigen noch empfohlen worden sei, nun nicht mehr in Betracht kommen solle. Es sei zu prüfen, ob der Einsatz von Medikamenten in der nunmehrigen Form und Häufigkeit eine Freiheitsbeschränkung darstelle und inwiefern diese gegebenenfalls zulässig sei.
Das Erstgericht erklärte die freiheitsbeschränkende Maßnahme, dem Bewohner das Narkotikum Nalbufine zu verabreichen, mit Wirksamkeit bis zum Ablauf des 21. 7. 2008 und der Einschränkung für zulässig, dass sie nur zu setzen sei, „wenn sich der Bewohner in akutem Erregungszustand befindet, er also selbst- oder fremdgefährdet ist und keine Alternative, ihn zu beruhigen, gegeben ist und diese Maßnahme umgehend fachärztlich nachbefundet wird" (1.). Die freiheitsbeschränkende Maßnahme, den Bewohner in seinem Mobilisationsstuhl durch einen Beckengurt zu sichern, erklärte es für unzulässig (2.). Hinsichtlich der Medikation mit Zoldem, Dominal forte, Xanor, Tramabene, Seroquel, Omniflora, Haldol und Novalgin wies das Erstgericht den Überprüfungsantrag der Bewohnervertreterin ab (3.).
Zur Verabreichung von Medikamenten stellte das Erstgericht folgenden Sachverhalt fest:
In der Vergangenheit wurde der Bewohner wiederholt von Aggressionsausbrüchen getrieben. Derartige akute Erregungszustände gefährden ihn selbst, weil damit kaum abschätzbare Stresssituationen geschaffen werden, welche auch somatische Störungen wie Hypertonie nach sich ziehen. Auch ist seine Thymopsyche, also jener Teil des Seelenlebens, der das Gemüt betrifft, ausgeschaltet. In derartigen Situationen wurde ihm das Narkotikum Nalbufine verabreicht, welches beruhigende Wirkung erzeugt und anders als Valium vom Bewohner vertragen wird, aber auch sedierende Wirkung hat. In diesen akuten Erregungszuständen ist diese Maßnahme Mittel der Wahl, weil keine gelinderen Maßnahmen zum gewünschten Ziel, nämlich das Leid des Bewohners zu lindern und ihn zu beruhigen, führen.
Manche der zu Punkt 3. des Spruchs genannten Medikamente mögen für sich betrachtet oder in Kombination mit anderen aus fachärztlicher Sicht diskussionswürdig erscheinen. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass ihre bisherige Verabreichung anderen als therapeutischen Zielen dienen sollte.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, Nalbufine werde primär zur Sedierung des Bewohners in akuten Erregungszuständen eingesetzt, stelle also eine Freiheitsbeschränkung dar. Gelinderes sei zur Linderung der Leiden des Bewohners allerdings nicht an die Hand gegeben, weshalb diese Maßnahme zulässig sei. Die sonstige Medikation verfolge therapeutische Ziele. Möge sie auch fachlich diskutabel sein und mitunter bewegungsdämpfende Nebenwirkungen zeitigen, sei sie nicht als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren. Dieser Beschluss erwuchs in seinem Punkt 2. sowie in seinem Punkt 3. hinsichtlich der Verabreichung der Medikamente Omniflora und Novalgin unbekämpft in Rechtskraft.
Das im Übrigen von der Bewohnervertreterin angerufene Rekursgericht bestätigte, nachdem es die Ergänzung des in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachtens veranlasst hatte, den angefochtenen Beschluss in dessen Punkten 1. und 3. mit Ausnahme der Medikamente Risperdal Consta-Depot und Tramabene, deren Verabreichung es in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung als freiheitsbeschränkende Maßnahme für unzulässig erklärte. Es sprach ferner aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Das Rekursgericht stellte aufgrund des Ergänzungsgutachtens insbesondere folgenden, in dritter Instanz noch bedeutsamen weiteren Sachverhalt fest:
Zusätzlich zu Nalbufine, das er letztmalig im November 2007 (in Form einer Injektion) erhielt, wird dem Bewohner ein „bunter Mix von Neuroleptika" in bestimmter Dosierung verabreicht, nämlich Risperdal Consta-Depot, Zoldem, Dominal forte, Xanor, Tramabene, Seroquel, Haldol und Novalgin (es folgen Feststellungen zur sedierenden Wirkung der Medikamente Risperdal Consta-Depot und Tramabene). Die Medikation mit Haldol ist entsprechend dem therapeutischen Ziel als indiziert anzusehen, sollte jedoch nicht in Kombination mit Seroquel verabreicht werden. Die übrigen Medikamente, nämlich Xanor, Novalgin, Zoldem, Omniflora und Seroquel sind als therapeutisch indiziert anzusehen.
Rechtlich erörterte das Rekursgericht, eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel sei nur dann zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezwecke, nicht aber bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben könnten. Ersteres treffe auf das Narkotikum Nalbufine zu, dessen Anwendung jedoch mit den gemäß § 15 Abs 2 HeimAufG angeordneten Beschränkungen der Umstände und des Ausmaßes zulässig sei. Die Medikation mit Nalbufine sei in gewissen Stresssituationen, nämlich zur Vermeidung von Aggressionsakten gegenüber Dritten angebracht, zumal mit gelinderen Maßnahmen, wie gutem Zuspruch oder Ähnlichem nicht das Auslangen gefunden werden könne. Anders verhalte es sich bei der Verabreichung von Risperdal Consta und Tramabene; beide Medikamente hätten primär sedierende Wirkung und seien beim Krankheitsbild des Bewohners medizinisch nicht indiziert. Mit den übrigen Medikamenten werde hingegen ein therapeutisches Ziel verfolgt und nicht in erster Linie die Sedierung des Bewohners bezweckt. Dies gelte insbesondere für Haldol, das nur bei Unruhe des Bewohners verabreicht werde. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG liege nicht vor, da bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Freiheitseinschränkung durch Verabreichung von Medikamenten bestehe. Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts, soweit die Zulässigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme durch Verabreichung von Nalbufine und die Abweisung des Überprüfungsantrags hinsichtlich der Verabreichung von Zoldem, Dominal forte, Xanor, Seroquel und Haldol bestätigt wurde, richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin mit dem Antrag, die zweitinstanzliche Entscheidung dahin abzuändern, dass die Verabreichung der genannten Medikamente als Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zu den darin relevierten verfahrensrechtlichen Fragen noch nicht geäußert hat; er ist auch teilweise berechtigt. Die Bewohnervertreterin macht geltend, das Rekursgericht habe das Ergänzungsgutachten der Sachverständigen zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht, ohne den Parteien vorher die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen und dadurch deren rechtliches Gehör verletzt. Bei Anwendung des § 14 Abs 3 letzter Satz HeimAufG auch im Rekursverfahren stehe den Parteien ein obligatorisches Fragerecht an die Sachverständige zu. Hinsichtlich der Verabreichung des Narkotikums Nalbufine fehle es an Feststellungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, insbesondere zu ihrer Eignung, Dauer und Intensität, aber auch zur ärztlichen Anordnung und Dokumentation. Die Verabreichung der übrigen Medikamente diene nur der Symptombekämpfung, nämlich der Unterbindung der motorischen Unruhe und der „steuerlos enthemmten Mobilität" des Bewohners und stelle ebenfalls eine unzulässige Freiheitsbeschränkung dar.
Hiezu wurde erwogen:
I. Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs:
1. § 16 HeimAufG regelt die Befugnis zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen Beschlüsse, mit denen eine Freiheitsbeschränkung für zulässig (Abs 1) oder für unzulässig (Abs 2) erklärt wird. Nicht erfasst sind Beschlüsse, mit denen ein Überprüfungsantrag abgewiesen wird, weil das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von ihm überprüfte Maßnahme die Voraussetzungen einer Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 leg cit nicht erfüllt. In diesen Fällen richten sich die Rechtsmittelbefugnisse nach den allgemeinen Grundsätzen des Außerstreitgesetzes (§ 11 Abs 3 HeimAufG iVm § 45 AußStrG; Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 16 HeimAufG Anm 1; Strickmann, Heimaufenthaltsrecht [2008] 159).
Nach § 16 Abs 3 HeimAufG ist die Zweiseitigkeit des Rekurses und des Revisionsrekurses lediglich für den Fall vorgesehen, dass der Leiter der Einrichtung den Beschluss, mit dem eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird, bekämpft. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen aus dieser Bestimmung abgeleitet, dass das Rechtsmittel (Rekurs bzw Revisionsrekurs) in allen anderen Fällen einseitig ist. Dabei wurde insbesondere eine Differenzierung danach, ob die Zulässigerklärung einer Freiheitsbeschränkung oder die Abweisung eines Überprüfungsantrags bekämpft wurde, abgelehnt, weil beide Entscheidungsvarianten zum selben Ergebnis, nämlich zur Zulässigkeit der getroffenen Maßnahme, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, führen (7 Ob 186/06p; 7 Ob 226/06w; 7 Ob 19/07f; RIS-Justiz RS0121226 [T1]). Danach ist sowohl der Rekurs als auch der außerordentliche Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin als einseitiges Rechtsmittel anzusehen.
2. Hält das Rekursgericht die Ergänzung oder Neudurchführung des Verfahrens für erforderlich, so hat es dieses gemäß § 17 Abs 2 HeimAufG selbst zu ergänzen. Diese Bestimmung orientiert sich an der analogen Regelung des § 29 Abs 2 UbG (so die ErlRV 353 BlgNR 22. GP 16). Zu dieser Verfahrensvorschrift wird die Auffassung vertreten, dass bei einer Ergänzung oder neuen Durchführung des Verfahrens sinngemäß nach den für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Bestimmungen vorzugehen ist (vgl 6 Ob 96/99g; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts² [2005] Rz 432; ders bereits in Unterbringungsrecht II [1995] 703). Dies gilt nunmehr ebenso für das Rekursverfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz (Barth/Engel aaO § 17 HeimAufG Anm 3).
Das bedeutet aber nicht, dass das Rekursgericht in jedem Fall der Verfahrensergänzung die nach § 14 HeimAufG durchzuführende mündliche Verhandlung obligatorisch zu wiederholen hat. Entschließt sich das Rekursgericht - wie im vorliegenden Fall - zur Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens, das lediglich der Verdeutlichung oder Erläuterung der schon in erster Instanz mündlich erörterten Ergebnisse der Befundaufnahme dienen soll, so schließt die „sinngemäße" Anwendung der zitierten Verfahrensbestimmung die schriftliche Ergänzung des Gutachtens nicht aus. Wurde das den Parteien in § 14 Abs 3 letzter Satz HeimAufG eingeräumte Recht, an den Sachverständigen Fragen zu stellen, in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bereits ausreichend gewahrt, so ist es grundsätzlich auch nicht erforderlich, den Parteien ein nochmaliges Fragerecht zu gewähren. Die Notwendigkeit dazu würde sich nur dann ergeben, wenn das Ergänzungsgutachten zu entscheidungswesentlichen Umständen von dem in erster Instanz erstatteten Gutachten abweichen oder neue, in erster Instanz noch nicht behandelte Aspekte enthalten sollte.
Zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs ist es aber jedenfalls geboten, den am Rechtsmittelverfahren beteiligten Parteien vom Inhalt des ergänzenden Gutachtens so rechtzeitig Kenntnis zu verschaffen, dass für sie noch vor der Sachentscheidung die Möglichkeit zu einer (schriftlichen) Äußerung besteht (RIS-Justiz RS0005915, RS0006048, RS0074920).
Der Bewohnervertreterin wurde vor der zweitinstanzlichen Sachentscheidung kein Äußerungsrecht zu dem im Auftrag des Rekursgerichts erstatteten Ergänzungsgutachten eingeräumt. Da sie zu diesem Beweisergebnis wegen des nach § 66 Abs 2 AußStrG geltenden Neuerungsverbots im Revisionsrekurs nicht mehr Stellung nehmen kann, wurde sie durch diese Vorgangsweise in ihrem rechtlichen Gehör verletzt.
3. Zu den Revisionsrekursgründen zählt nach § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dieser in § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG geregelte Anfechtungsgrund wirkt aber nicht mehr - wie die Nichtigkeitsgründe nach der ZPO - absolut und muss nicht jedenfalls zu einer Aufhebung der mit einem solchen Mangel behafteten Sachentscheidung führen (RIS-Justiz RS0120213, zuletzt 5 Ob 249/07i). Der Anfechtungsgrund ist aber wahrzunehmen, wenn er zum Nachteil des Revisionsrekurswerbers ausschlagen könnte (5 Ob 174/05g; 6 Ob 41/06g).
Gemäß § 58 Abs 1 und 3 AußStrG ist vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung „selbst aufgrund der Angaben im (Revisions-)Rekursverfahren" oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist (3 Ob 192/07t). Um diese Prüfung vornehmen zu können, muss daher von einem Revisionsrekurswerber, der die Verletzung seines rechtlichen Gehörs geltend macht, gefordert werden, dass er seine Rüge durch Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensverstoßes entsprechend konkretisiert.
Im vorliegenden Fall ist die Bewohnervertreterin zu derartigem Rechtsmittelvorbringen aber gar nicht in der Lage, weil ihr nach dem Akteninhalt das Ergänzungsgutachten bisher weder vom Erstgericht noch vom Rekursgericht zugestellt worden ist. Die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs muss daher im Revisionsrekursverfahren zur Aufhebung des von diesem Verfahrensverstoß betroffenen, also jenes Teils der angefochtenen Entscheidung führen, dem auf dem Ergänzungsgutachten beruhende zusätzliche Feststellungen zugrunde gelegt worden sind. Dies trifft zwar nicht auf den die Zulässigkeit der Verabreichung von Nalbufine, wohl aber auf den die Abweisung des Überprüfungsantrags hinsichtlich der übrigen Medikamente bestätigenden Ausspruch des Rekursgerichts zu.
II. Zur Sache:
1. Zur Rechtslage:
Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinne dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (im Folgenden: Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. § 4 HeimAufG normiert, dass eine Freiheitsbeschränkung nur vorgenommen werden darf, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, 2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist, sowie
3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- und Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann. In den Gesetzesmaterialien wird zur Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ausgeführt, von einer solchen könne nur dann gesprochen werden, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei Verfolgung anderer therapeutischer Ziele mitunter ergeben können (ErlRV 253 BlgNR 22. GP 9). Danach soll eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel nur dann von vornherein ausgeschlossen sein, wenn die Sedierung des Bewohners eine bloße Nebenwirkung des betreffenden Medikaments darstellt. Ist das Medikament hingegen ein (reines) Sedativum, mit dem also unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs erreicht werden soll, kann von einer Nebenwirkung im Sinne der erläuternden Bemerkungen keine Rede sein (7 Ob 186/06p; Barth/Engel aaO § 3 HeimAufG Anm 7).
2. Zur Verabreichung von Nalbufine:
Hinsichtlich der Verabreichung des Narkotikums Nalbufine haben die Vorinstanzen das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung bejaht. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht ist diese Beurteilung durch die in erster Instanz erhobene Tatsachengrundlage ausreichend gedeckt:
Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten die Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit (RIS-Justiz RS0105729). Die Beschränkung muss zur Erreichung des angestrebten Ziels unerlässlich sein und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen; es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (7 Ob 144/06m; 7 Ob 226/06w; 7 Ob 19/07f; Barth/Engel aaO § 4 HeimAufG Anm 9). Die Feststellungen des Erstgerichts sind bei verständiger Würdigung dahin zu verstehen, dass dem Bewohner das Narkotikum Nalbufine in Fällen verabreicht wird, in denen seine Aggressionsausbrüche zu einem derart hohen Grad der Gefährdung seiner Person führen, dass die freiheitsbeschränkende Maßnahme zur Gefahrenabwehr unerlässlich und geeignet und durch Gefährdung durch gelindere Maßnahmen nicht abwendbar ist. Dabei wird das Medikament nur angewendet, soweit dies zu Erreichung des gewünschten Ziels, „nämlich das Leid des Bewohners zu lindern und ihn zu beruhigen" tatsächlich erforderlich ist. Eingehenderer Feststellungen zu „Eignung, Dauer und Intensität der Verabreichung des Medikaments" bedarf es nicht.
Die Bewohnervertreterin hat das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Vornahme einer Freiheitsbeschränkung (§§ 5 bis 7 HeimAufG) weder in erster noch in zweiter Instanz in Frage gestellt. Ihre im Revisionsrekurs erstmals aufgestellte Behauptung, hinsichtlich eines Vorfalls vom 22. 11. 2007 fehle es an der ärztlichen Anordnung (§ 5 Abs 2 Satz 2 HeimAufG) und der erforderlichen Dokumentation (§ 6 HeimAufG), verstößt gegen das in dritter Instanz geltende Neuerungsverbot (§ 66 Abs 2 AußStrG) und ist daher unbeachtlich.
Anhaltspunkte, die auf eine Vernachlässigung der die Vorinstanzen im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 16 AußStrG) treffenden Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung der formellen Voraussetzungen hindeuten würden, werden mit dem Hinweis auf die erstinstanzlichen Ausführungen der Sachverständigen ebenfalls nicht dargetan. Zu § 5 Abs 2 Satz 1 HeimAufG wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass bei einer voraussichtlich länger als 24 Stunden dauernden oder wiederholt erforderlichen (sonstigen) Freiheitsbeschränkung die Anordnung nicht für jede dieser Einzelmaßnahmen gesondert erfolgen muss, sondern die einmalige Anordnung durch den Arzt genügt (Barth/Engel aaO § 5 HeimAufG Anm 10). Das selbe muss gelten, wenn die Freiheitsbeschränkung durch die anlassbezogene Verabreichung von Medikamenten angeordnet wird (§ 5 Abs 2 Satz 2 HeimAufG). Wenn daher für die Sachverständige in einem Einzelfall keine (gesonderte) ärztliche Anordnung „erkennbar" war, so begründet dies noch kein ausreichendes Indiz für die Rechtswidrigkeit der Freiheitsbeschränkung, das den Vorinstanzen Anlass zu weiteren amtswegigen Erhebungen und Feststellungen geben musste. Der gerügte Feststellungsmangel liegt somit nicht vor.
3. Zur Verabreichung von Zoldem, Dominal forte, Xanor, Seroquel und Haldol:
Das Rekursgericht hat insoweit das Vorliegen einer Freiheitsbeschränkung im Sinne des § 3 HeimAufG verneint und dabei auch die bereits erörterten rechtlichen Grundsätze dargestellt, diese jedoch missverstanden. Wenngleich die Entscheidung des Rekursgerichts in diesem Umfang aus den in Punkt I. dargestellten Erwägungen jedenfalls aufgehoben werden muss, ist daher bereits jetzt klarzustellen, dass anhand der Feststellung, der Einsatz der genannten Medikamente sei „therapeutisch indiziert", die abschließende Beurteilung, ob eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, keinesfalls möglich ist. Besagter Feststellung ist keine Aussage zu den entscheidungserheblichen Fragen entnehmbar, 1. welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente (zu Dominal forte liegt im Übrigen überhaupt keine Feststellung vor) verfolgt, 2. ob die Medikamente - insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung und Kombination („bunter Mix") - dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden bzw werden und 3. welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist. Zu Recht verweist die Bewohnervertreterin in ihrem Rechtsmittel auf die auch hier einschlägige Rechtsprechung zum Unterbringungsgesetz, wonach selbst die therapeutisch indizierte medikamentöse Behandlung als Freiheitsbeschränkung zu beurteilen ist, wenn sie primär der Unterbindung von Unruhezuständen und der Beruhigung, also zur „Ruhigstellung" des Kranken (hier: des Bewohners) dient (7 Ob 2423/96s = SZ 70/16 mwN; 1 Ob 251/00v = SZ 74/32; vgl Barth/Engel aaO § 3 HeimAufG Anm 7).
III. Zusammenfassung und Ergebnis:
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen ist, soweit das Rekursgericht den gemäß § 15 Abs 2 HeimAufG näher konkretisierten erstinstanzlichen Ausspruch über die Zulässigkeit der Verabreichung des Narkotikums Nalbufine bestätigt hat.
Im übrigen angefochtenen Umfang ist die Entscheidung des Rekursgerichts hingegen aufzuheben. Da aber die bisherigen Feststellungen im Sinne der Ausführungen zu Punkt II.3. jedenfalls ergänzungsbedürftig sind und auch das aktenkundige Ergänzungsgutachten voraussichtlich einer weiteren Ergänzung zur Klärung der angesprochenen Fragenkomplexe bedarf, erscheint es zweckmäßig, auch den erstinstanzlichen Beschluss in diesem Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren zunächst das bereits erstattete Ergänzungsgutachten an sämtliche Parteien zuzustellen und sodann nach den für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Verfahrensbestimmungen vorzugehen haben.
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