OGH 6Ob96/99g

OGH6Ob96/99g20.5.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Unterbringungssache des mj Andreas R*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Patientenanwältin Mag. Sabine P*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 3. März 1999, GZ 6 R 44/99f, womit infolge Rekurses der Patientenanwältin der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 4. Jänner 1999, GZ 40 Ub 885/98v-3, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Unterbringungssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht wurde am 29. 12. 1998 von der am 23. 12. 1998 erfolgten zwangsweisen Unterbringung des mj Andreas R***** im geschlossenen Bereich des Landesnervenkrankenhauses Graz verständigt. Es führte am 4. 1. 1999 in der Krankenanstalt die Anhörung des mj Andreas R***** in Anwesenheit der Patientenanwältin durch, zu der es auch eine Sachverständige beizog. Das Erstgericht verkündete nach Protokollierung der Ausführungen der Sachverständigen und Befragung einer Stationsschwester sogleich den Beschluß, daß die Unterbringung des Andreas R***** im geschlossenen Anstaltsbereich bis zum 23. 3. 1999 zulässig sei.

In ihrem dagegen erhobenen Rekurs beantragte die Patientenanwältin, für den Fall der Neudurchführung des Verfahrens zur Klärung der Frage, ob beim Betroffenen eine psychische Erkrankung vorliege, Dr. Kurt S***** als Gutachter zu bestellen.

Das Rekursgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, bei der die bereits vom Erstgericht bestellte Sachverständige ein ergänzendes Gutachten erstattete. Der in dieser Verhandlung von der Patientenanwältin gestellte (neuerliche) Antrag auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen wurde vom Rekursgericht abgewiesen.

Das Rekursgericht bestätigte den Anhaltebeschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Bei Andreas R***** liege eine hochgradige geistige Behinderung aufgrund einer organischen Hirnschädigung vor, die von einer Erkrankung aus dem affektiven Formenkreis begleitet sei. Die Affektinkontinenz sei in den Bereich der psychischen Erkrankung einzureihen. Für die Aggressionszustände bedürfe es keines besonderen Anlasses. Der Erkrankte müsse untergebracht sein, um den Folgen der Aggressionsausbrüche, die sich sowohl gegen ihn selbst als auch gegen Mitpatienten richteten, entgegenzuwirken.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Patientenanwältin ist zulässig und berechtigt.

Aus dem Protokoll über die am 4. 1. 1999 durchgeführte Anhörung des Betroffenen geht nicht hervor, daß die hiebei anwesende Patientenanwältin darüber informiert worden wäre, daß das Erstgericht im Sinn der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 591/94 von einer Zweiteilung des Verfahrens Abstand nehmen, am 4. 1. 1999 nicht bloß die Erstanhörung, sondern gleich die mündliche Verhandlung nach § 22 UBG durchführen und in dieser den Beschluß über die Zulässigkeit der Unterbringung fassen werde. Es läßt sich dem Akt auch nicht entnehmen, daß der Patientenanwältin eine Ladung zur mündlichen Verhandlung und der Beschluß auf Bestellung der Sachverständigen (vgl § 22 Abs 2 UBG) zugekommen wäre. Nach dem Akteninhalt bestand daher für die Patientenanwältin kein Anlaß, sofort und noch vor der Beschlußfassung über die Zulässigkeit der Anhaltung die Bestellung eines weiteren Sachverständigen zu verlangen. Hiezu hatte sie erstmals in ihrem Rekurs Gelegenheit.

Gemäß § 22 Abs 1 UBG ist auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters jedenfalls ein zweiter Sachverständiger zu bestellen. Das Rekursgericht, das hier selbst eine mündliche Verhandlung iSd § 22 UBG zur Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung nach § 3 UBG durchgeführt hat, hätte daher dem bereits im Rekurs und dann nochmals in der Verhandlung gestellten Antrag der Patientenanwältin, einen weiteren Sachverständigen beizuziehen, entsprechen müssen. Durch die Unterlassung der Bestellung eines zweiten Sachverständigen ist das Rekursverfahren selbst mangelhaft geblieben. Deshalb war der Beschluß des Rekursgerichtes aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Beseitigung des Verfahrensmangels aufzutragen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Rekursgericht zu beachten haben, daß der mündlichen Verhandlung auch der gesetzliche Vertreter des mj Betroffenen beizuziehen ist. Gemäß § 14 Abs 1 UBG wird durch das kraft Gesetzes entstandene Vertretungsverhältnis zwischen dem Patientenanwalt und dem Kranken die Vertretungsbefugnis eines sonstigen Vertreters nicht beschränkt. Nach § 22 Abs 2 UBG ist unter anderem der Vertreter des Kranken zur mündlichen Verhandlung zu laden. Eine Einschränkung dahin, daß darunter ausschließlich der Patientenanwalt zu verstehen sei, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Neben dem Patientenanwalt kommen vielmehr auch die gewillkürten und insbesondere die gesetzlichen Vertreter des Betroffenen in Betracht (vgl Kopetzky, Unterbringungsrecht II, 647).

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