European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00200.23K.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil wie folgt abgeändert:
„1. Die beklagten Parteien sind gegenüber der klagenden Partei schuldig, die zu B‑LNR * mit Kaufvertrag vom * erworbenen * Anteile an der Liegenschaft EZ *, Grundbuch *, mit welchen das Wohnungseigentum an * untrennbar verbunden ist, in das Eigentum der klagenden Partei zu übertragen, und daher in die Einverleibung des Eigentumsrechts für die klagende Partei ob den * Anteilen des * an der Liegenschaft EZ *, Grundbuch *, mit welchen das Wohnungseigentum an * untrennbar verbunden ist, einzuwilligen.
2. Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen
a) den gesamten Wohnungsinhalt der Wohnung * mit der Adresse *, insbesondere das Inventar, die Wohnungseinrichtung, die Möblierungen, die Bilder und Teppichböden, einschließlich aller zum Haushalt gehörenden beweglichen Sachen, wie die Wohnung zum Zeitpunkt des Ablebens des Verstorbenen lag und stand, herauszugeben, sowie
b) 971,77 EUR samt 4 % Zinsen seit dem 22. 2. 2020 zu zahlen.“
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 105.336,73 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 5.588,50 EUR USt und 71.805,14 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist die Verlassenschaft nach der Lebensgefährtin des 2020 verstorbenen Erblassers. Die Beklagten sind dessen Kinder aus einer früheren Ehe. Am 7. 4. 2017 schlossen der Erblasser als Hauptinhaber und seine Lebensgefährtin (idF nur: Klägerin) als Mitinhaberin einen Safevertrag für ein Bankschließfach, in dem Wertgegenstände der Familie des Erblassers aufbewahrt wurden. Wertgegenstände der Klägerin wurden in diesem Bankschließfach nicht aufbewahrt; die Klägerin verfügte dafür über ein eigenes Bankschließfach. Der Erblasser setzte die Beklagten 2012 testamentarisch je zur Hälfte zu Erben ein, wobei er ihnen sein „gesamtes, wo immer befindliches und wie immer bezeichnetes, bewegliches und unbewegliches Vermögen“ hinterließ. Die Liegenschaftsanteile verbunden mit Wohnungseigentum an der zuletzt mit der Klägerin gemeinsam bewohnten Wohnung vermachte er mitsamt dem gesamten Wohnungsinhalt und einem Kontoguthaben der Klägerin. Die Klägerin meldete ihre Vermächtnisansprüche im Verlassenschaftsverfahren nach dem Erblasser an. Am 23. 12. 2020 löste die im Besitz des Schlüssels zum Bankschließfach befindliche Klägerin dieses auf und lagerte sämtliche Wertgegenstände in ihrem eigenen Bankschließfach, obwohl sie wusste, dass sich ein Großteil dieser Sachen zum Zeitpunkt seines Ablebens im Eigentum des Erblassers befunden hatte und in weiterer Folge den Erben zustehen würde. Sie hatte den Vorsatz, sich an den der Verlassenschaft nach ihrem verstorbenen Lebensgefährten zugehörigen Gegenständen unrechtmäßig zu bereichern. Die der Verlassenschaft zugehörigen Gegenstände hatten einen Wert von 22.987 EUR. Ihrem Rechtsvertreter gegenüber gab die Klägerin wahrheitswidrig an, die Wertgegenstände seien ihr vom Erblasser noch zu seinen Lebzeiten geschenkt worden. Sie verstarb am 25. 1. 2021. Den Beklagten wurde der Nachlass des Erblassers am 3. 8. 2021 mit Teilnachlassseparation zum Vermächtnisgegenstand eingeantwortet. Die Ansprüche aus dem Vermächtnis an die Klägerin wurden bislang nicht erfüllt.
[2] Die Klägerin begehrt – nunmehr von den beiden eingeantworteten Erben – aufgrund des Vermächtnisses des Erblassers die Einwilligung in die Einverleibung ihres Eigentumsrechts am Vermächtnisgegenstand und die Herausgabe des Wohnungsinhalts sowie des Kontoguthabens, in eventu eine diesbezügliche Feststellung.
[3] Die Beklagtenwenden die Legatsunwürdigkeit der Klägerin wegen eines an der Verlassenschaft begangenenschweren Diebstahls ein.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe sich durch die Verbringung der Wertgegenstände aus dem Bankschließfach eines qualifizierten Diebstahls gemäß § 128 Abs 1 Z 5 StGB zu Lasten der Verlassenschaft nach ihrem Lebensgefährten schuldig gemacht. Die Privilegierung des § 166 StGB – Begehung im Familienkreis – komme ihr dabei nicht zugute, weil sie die Tat gegen die Verlassenschaft begangen habe. Sie sei daher aufgrund der mehr als ein Jahr betragenden Strafdrohung und der von ihr begangenen Vorsatztat gemäß § 539 ABGB erb‑ und damit auch legatsunwürdig.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung keine Folge. Ausgehend davon, dass die Klägerin nach dem Tod des Erblassers aufgrund des gemeinsamen Bankschließfachs bereits Alleingewahrsam an den gegenständlichen Wertgegenständen erlangt habe, liege ihr zwar kein Diebstahl, aber eine qualifizierte Unterschlagung gemäß § 134 Abs 3 StGB zur Last, weil sie diesen Alleingewahrsam ohne ihr Zutun erlangt habe. Wolle man von einem „Anvertrauen“ der Wertgegenstände noch durch den Erblasser im Rahmen des Erwerbs des gemeinsamen Bankschließfachs ausgehen, liege eine qualifizierte Veruntreuung gemäß § 133 Abs 2 StGB vor. Beides führe gleichermaßen zur Legatsunwürdigkeit der Klägerin. Da ein Handeln zum Nachteil des Nachlasses nach einem Angehörigen nicht von der strafrechtlichen Privilegierung des § 166 StGB umfasst sei, komme diese Bestimmung der Klägerin nicht zugute. Das Berufungsgerichtließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob bei Beurteilung einer Erb‑ oder Legatsunwürdigkeit nach § 539 ABGB bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen eine Verlassenschaft das „Angehörigenprivileg“ des § 166 StGB zur Anwendung komme.
[6] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerinwegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Beklagten beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist im Sinn des Abänderungsantrags auch berechtigt.
[9] Aufgrund des Todeszeitpunkts des Erblassers sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf den Sachverhalt die einschlägigen Bestimmungen in der Fassung des ErbRÄG 2015 anzuwenden. Es ist daher zu prüfen, ob die Klägerin gegen die Verlassenschaft „eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist“ (§ 539 ABGB idF des ErbRÄG 2015). Die in diesem Fall bestehende Erbunwürdigkeit führte auch zur hier strittigen Legatsunwürdigkeit (2 Ob 100/19y; RS0012264).
I. Strafrechtliche Einordnung:
[10] I.1. Da ein Verstorbener keinen Gewahrsam mehr über seine Vermögensgegenstände ausüben kann, greift die strafrechtliche Rechtsprechung (vgl etwa 11 Os 173/82 mwN) auf einen (subsidiären) Gewahrsam des ruhenden Nachlasses zurück, wenn beim Tod des bisherigen Gewahrsamsträgers keine anderen Mitgewahrsamsträger als nunmehrige Alleingewahrsamsträger in Betracht kommen. Diese Judikatur ist im strafrechtlichen Schrifttum umstritten (vgl dazu ausführlich Salimi in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zumStGB, § 127 Rz 114 ff; Stricker in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 127 Rz 128 mwN, die beiden Autoren gehen mangels eines anderen möglichen Gewahrsamsträgers von einer Gewahrsamsfreiheit aus). Ein näheres Eingehen auf diese Streitfrage erübrigt sich jedoch, weil in der hier zu beurteilenden Konstellation aufgrund des Mitgewahrsams der Klägerin an den Wertgegenständen im gemeinsamen Bankschließfach zu Lebzeiten des Erblassers nach beiden Ansichten der Tod des Erblassers zum Alleingewahrsam der Klägerin an diesen Gegenständen führt.
[11] I.2. Diesen Alleingewahrsam hat die Klägerin ausschließlich aufgrund des Todes des Erblassers und damit ohne ihr Zutun erlangt (vgl Salimi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 134 Rz 34). Die danach mit (gegen die Verlassenschaft gerichtetem) Bereicherungsvorsatz erfolgte Zueignung der Wertgegenstände erfüllt damit das Tatbild der Unterschlagung gemäß § 134 Abs 1 dritter Fall, Abs 3 erster Fall StGB mit einer Strafdrohung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Aus den von der Klägerin im Rahmen der Revision ins Treffen geführten zu RS0120456 und RS0094555 indizierten Entscheidungen, die ein wissentliches oder einvernehmliches Erlangen des Gewahrsams nicht § 134 StGB unterstellen, ist für ihren Standpunkt deshalb nichts zu gewinnen, weil hier nicht der einvernehmlich begründete Mitgewahrsam zwischen Erblasser und Klägerin, sondern die Erlangung des Alleingewahrsams der Klägerin der Anknüpfungspunkt ist. Dass ein Bankangestellter Mitgewahrsam am Inhalt des Bankschließfachs gehabt hätte, wäre lediglich dann denkbar, wenn der Bankangestellte die Schlüssel zum Schließfach besessen hätte (vgl Stricker in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 127 Rz 107 mwN). Das ist den Feststellungen aber nicht zu entnehmen, führt doch das Erstgericht dazu aus, dass ein von den Beklagten angestrebter Termin in der Bank zur Öffnung und Inventarisierung des Schließfachs abgesagt werden musste, weil sich der Schlüssel zum Safe bei der Klägerin befunden hatte.
[12] I.3. Die Klägerin hatte nach den Feststellungen den Vorsatz, sich an den der Verlassenschaft nach ihrem verstorbenen Lebensgefährten zugehörigen Gegenständen unrechtmäßig zu bereichern, was sich auch durch die weiters festgestellte Schenkungsbehauptung erhärtet. Damit kann aber auch von einer fehlenden Zueignungshandlung, mit der die Revision argumentiert, keine Rede sein. Der Täter eignet sich die Sache zu, wenn er wie ein rechtmäßiger Eigentümer agiert, die Sache somit behält, verwertet oder wie ein Eigentümer nützt (Salimi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 134 Rz 45). Mit dem Verbringen der Gegenstände in ihr eigenes Bankschließfach und der dazu aufgestellten Schenkungsbehauptung hat die Klägerin wie ein Eigentümer agiert. Dass die Klägerin die von der Revision vermissten weiteren Zueignungshandlungen der Vermengung oder Verwertung nicht gesetzt hat, ist rechtlich ohne Relevanz.
[13] I.4. Der für die Wertqualifikation erforderliche Vorsatz auf das Übersteigen der Wertgrenze (Salimi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 134 Rz 76) lässt sich der Gesamtheit der Feststellungen zu Inhalt des Safes und Wert der darin befindlichen Gegenstände ohne weiters entnehmen.
[14] I.5. Die Klägerin hat damit eine qualifizierte Unterschlagung gemäß § 134 Abs 1 dritter Fall, Abs 3 erster Fall StGB zu Lasten der Verlassenschaft begangen, die – unter Ausklammerung der in Folge zu prüfenden Frage der Anwendbarkeit des § 166 StGB – grundsätzlich nach den Kriterien des § 539 ABGB zu ihrer Legatsunwürdigkeit führt.
[15] I.6.1. Nach § 166 StGB verringert sich die Strafdrohung bei diversen namentlich genannten strafbaren Handlungen, unter anderem Unterschlagung, sofern sie zum Nachteil von Verwandten in gerader Linie und anderen nahen Verwandten wie auch Lebensgefährten (§ 72 Abs 2 StGB) begangen werden, auf drei bzw sechs Monate, sodass die Grenze der für die Annahme einer Erbunwürdigkeit erforderlichen Strafdrohung von einem Jahr – auch bei einer qualifizierten Begehung – nicht erreicht wird.
[16] Diese Herabsetzung der Strafdrohung führt zu einer materiell‑rechtlichen Besserstellung des Täters (Germ/Hajszan in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB [44. Lfg 2023], § 166 StGB Rz 5).
[17] I.6.2. Die strafrechtliche Judikatur sieht das Handeln zum Nachteil des Nachlasses nach einem Angehörigen nicht von der Privilegierung des § 166 StGB umfasst (RS0094991; 12 Os 93/21z).
[18] In der strafrechtlichen Literatur wird jedoch erwogen, die Privilegierung des § 166 StGB dann zur Anwendung zu bringen, wenn die Erben, die durch die Straftat zu Lasten des Nachlasses bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise den Nachteil erleiden, ausschließlich Angehörige des Täters sind (Germ/Hajszan in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB, § 166 StGB Rz 44 mwN). Ein näheres Eingehen darauf erübrigt sich aber, weil die Lebensgemeinschaft der Klägerin zum Erblasser (und die daraus ableitbare Angehörigeneigenschaft der Erben nach § 72 Abs 2 StGB) im relevanten Tatzeitpunkt (RS0094712) schon wegen des Ablebens des Erblassers nicht mehr aufrecht sein konnte.
[19] In Zivilsachen hatte sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 240/05s in verjährungsrechtlichem Zusammenhang mit der Anwendung der Privilegierung des § 166 StGB bei strafbaren Handlungen zum Nachteil einer Verlassenschaft zu befassen. Der Senat betonte, dass § 166 Abs 1 StGB nur bei Begehung der Tat zum Nachteil eines der dort genannten Angehörigen anzuwenden sei. Die Tat sei nur dann privilegiert, wenn sie ausschließlich einen solchen Angehörigen benachteilige und gegen dessen Rechtsgüter gerichtet sei. Träger des Rechtsguts der (dort) Untreue sei derjenige, dessen Vermögenswerte der Tatbestand schützen solle. Mit „Nachteil“ werde nicht nur der tatbestandsmäßige Erfolg, sondern umfassender eine vermögensschädigende Veränderung der Güterverteilung erfasst, die im konkreten Fall nur den Angehörigen treffen dürfe. Wenn ein Nachlass nach einem Angehörigen des Täters betroffen sei, scheide die Anwendung des § 166 StGB aus (2 Ob 240/05s mwN).
[20] I.7. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass die Klägerin eine qualifizierte Unterschlagung gemäß § 134 Abs 1 dritter Fall, Abs 3 erster Fall StGB zu Lasten der Verlassenschaft begangen hat und ihr aus strafrechtlicher Sicht die Privilegierung des § 166 StGB nicht zugute kommt.
[21] II. Die Revision argumentiert, dass bei Fortschreibung der soeben dargestellten Rechtsprechung ein Wertungswiderspruch vorliege, weil Vermögensdelikte gegen einen noch lebenden nahen Angehörigen aufgrund § 166 StGB in der Regel keine erbrechtlichen Konsequenzen nach sich zögen, während dasselbe Vermögensdelikt gegen die Verlassenschaft nach dem verstorbenen Angehörigen zur Erbunwürdigkeit führen würde.
Dazu hat der Senat erwogen:
[22] II.1. Die strafrechtskonnexe Erbunwürdigkeit war vor dem ErbRÄG 2015 in § 540 ABGB aF geregelt. Diese Bestimmung lautete:
[23] Wer gegen den Erblasser eine gerichtlich strafbare Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, begangen oder seine aus dem Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern sich ergebenden Pflichten dem Erblasser gegenüber gröblich vernachlässigt hat, ist so lange des Erbrechts unwürdig, als sich nicht aus den Umständen entnehmen lässt, dass ihm der Erblasser vergeben habe.
[24] Nach überwiegender Meinung im Schrifttum sollte die Erbunwürdigkeit des § 540 ABGB aF Ausdruck des vermuteten Erblasserwillens sein, wobei sich diese Vermutung durch die nachweisliche Verzeihung widerlegen ließ (vgl Likar‑Peer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 540 aF ABGB Rz 1 mwN).
[25] Die Privilegierung von Begehungen im Familienkreis nach § 166 StGB war im Rahmen des § 540 erster Fall ABGB aF zu berücksichtigen, sodass die meisten Vermögensdelikte innerhalb der Familie im Ergebnis ohne erbrechtliche Konsequenzen blieben, was dem Willen des historischen Gesetzgebers der III. Teilnovelle zum ABGB entsprach (vgl Likar‑Peer aaO Rz 14 mwN). Straftaten gegen den ruhenden Nachlass wurden – entgegen Teilen der älteren Lehre –von § 540 ABGB aF nicht umfasst (vgl Likar‑Peer aaO Rz 25 mwN).
II.2. Zur Erbunwürdigkeit in der Fassung des ErbRÄG 2015:
[26] II.2.1. Die §§ 539 bis 541 ABGB regeln die Erbunwürdigkeit. Die §§ 539 und 540 ABGB erklären, unabhängig von der Möglichkeit des Verstorbenen, jemanden zu enterben oder in seiner Erbenstellung zu beschränken, eine Person unter bestimmten Umständen für erbunwürdig („absolute“ Erbunwürdigkeitsgründe). In den in § 541 ABGB angeführten Fällen soll eine Person nur dann erbunwürdig sein, wenn der Verstorbene keine Möglichkeit hatte, ihre Erbenstellung zu beschränken und sie insbesondere zu enterben, sei es, weil er nicht mehr testierfähig war, sei es, weil er aus faktischen Gründen, etwa aus Unkenntnis, eine Beschränkung unterlassen hat („relative“ Erbunwürdigkeitsgründe, vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5).
[27] II.2.2. § 539 ABGB nF lautet:
„Wer gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, ist erbunwürdig, sofern der Verstorbene nicht zu erkennen gegeben hat, dass er ihm verziehen hat.“
[28] Die Bestimmung entspricht damit weitgehend § 540 erster Fall ABGB aF, wobei § 539 ABGB nF um die (hier relevante) gerichtlich strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft erweitert wurde.
[29] II.2.3. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5) zu § 539 ABGB lauten – soweit hier von Interesse – auszugsweise:
„§ 539 des Entwurfs entspricht weitgehend dem bisherigen § 540 und regelt die Erbunwürdigkeit auf Grund einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Verstorbenen und – neu – auch gegen die Verlassenschaft. Damit sollen strafbare Handlungen, wie etwa die Unterschlagung, die Zerstörung oder der Diebstahl von in der Verlassenschaft befindlichen Sachen oder die widerrechtliche Kontobehebung
mit Bereicherungsvorsatz zur Erbunwürdigkeit führen, weil auch dadurch der letzte Wille des Verstorbenen oder die gesetzliche Erbfolge faktisch vereitelt wird. […]“
[30] II.2.4. Von Relevanz sind im hier interessierenden Zusammenhang allerdings auch die Ausführungen zum neu eingeführten „relativen“ Erbunwürdigkeitsgrund des § 541 Z 1 ABGB, der die Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, gegen bestimmte nahe Angehörige – nämlich den Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten des Verstorbenen oder dessen Verwandte in gerader Linie – sanktioniert. Die Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung lauten auszugsweise (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5 f):
„Nach ständiger Rechtsprechung muss sich nach dem bisherigen § 540 das die Erbunwürdigkeit begründende strafbare Verhalten gegen die Person des Verstorbenen richten und nicht etwa nur gegen eine ihm nahestehende Person; sie muss auch noch zu dessen Lebzeiten begangen worden sein. Ein Angriff gegen die Rechtssphäre des Verstorbenen genügt nicht (RS0014988). Dagegen vertritt die Lehre, dass nach dem bisherigen § 540 auch Taten gegen bestimmte nahe Angehörige umfasst sein sollen (Welser, Die Reform des österreichischen Erbrechts 17 mwN).
In seiner ursprünglichen Fassung war § 540 weiter gefasst und erfasste auch vorsätzliche Offizial‑ und Privatanklagedelikte gegen Kinder, Eltern oder Gatten des Verstorbenen. Mit der dritten Teilnovelle (RGBl Nr. 69/1916) wurde die Bestimmung auf strafbare Handlungen gegen den Verstorbenen selbst eingeschränkt, weil es der Gesetzgeber als unhaltbar erachtete, dass jede Ehrenbeleidigung, etwa des Kindes oder des Vaters des Verstorbenen, zur Erbunwürdigkeit führte und selbst die Verzeihung durch den direkt Verletzten (im Beispiel durch das Kind oder den Vater des Verstorbenen) nicht genügte (siehe B. Jud, NZ 2006, 70 [71]).
Die Erbunwürdigkeit soll keinen Strafcharakter haben, also nicht aus general‑ oder spezialpräventiven Gründen (vermögensrechtlicher) Teil der gerichtlichen Strafe sein, sondern den (mutmaßlichen) Willen des Verstorbenen möglichst genau umsetzen. Das ergibt sich schon aus der Regelung, dass der Verstorbene dem Straftäter verzeihen und derart die Erbunwürdigkeit aufheben kann. Der Verstorbene kann zwar den künftigen Erben enterben, sofern ein Enterbungsgrund gegeben ist (§ 770 Z 1 des Entwurfs), was prima facie dafür spräche, die Erbunwürdigkeit nicht auf Straftaten gegen Angehörige auszuweiten. Da aber der Wille des Verstorbenen möglichst weitgehend verwirklicht werden soll (siehe auch den vorgeschlagenen § 553) und davon auszugehen ist, dass dieser einen Straftäter, der gegen bestimmte nahe Angehörige strafrechtlich tätig geworden ist, nicht zum Erben haben möchte, erscheint es geboten, die Bestimmung mit der vorgeschlagenen Z 1 moderat – in Richtung ihrer ursprünglichen Fassung – auszudehnen. Dabei soll der Personenkreis eher eng gezogen, also auf nächste Angehörige beschränkt werden. […] Den Ergebnissen des Begutachtungsverfahrens folgend soll der Strafrahmen, der hier zur Erbunwürdigkeit führt, jenem, der gegenüber dem Verstorbenen heranzuziehen ist, entsprechen.“
[31] II.2.5. Zur Anwendung des § 166 StGB ist den Gesetzesmaterialien damit weder im Hinblick auf strafbare Handlungen gegen den Erblasser noch gegen die Verlassenschaft oder nahe Angehörige etwas Näheres zu entnehmen.
[32] In den Stellungnahmen zum Entwurf des ErbRÄG 2015 wurde ganz allgemein auf in manchen Fällen unverhältnismäßige Rechtsfolgen bei strafbaren Handlungen gegen den ruhenden Nachlass (Wendehorst, 39/SN‑100/ME 3 ) und explizit auf die in diesen Fällen fehlende Möglichkeit der Verzeihung (Österreichische Notariatskammer, 8/SN‑100/ME 2 ) hingewiesen, die hier entscheidende Frage wurde nicht aufgeworfen.
II.3. Erbunwürdigkeit und § 166 StGB:
[33] II.3.1. Zur Frage des Verhältnisses zwischen § 166 StGB und der grundlegenden Neuordnung der Erbunwürdigkeitsgründe (so etwa Nemeth in Schwimann/Kodek 5 Vor §§ 539 ff ABGB Rz 1) liegen ganz unterschiedliche Stellungnahmen vor (zusammenfassend: Likar‑Peer in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht2 Rz 8.21).
[34] II.3.2. Der Fachsenat hat bereits im Zusammenhang mit der Frage der Relevanz eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch für die Erbunwürdigkeit ausgesprochen, dass der Gesetzgeber eine zivilrechtliche Rechtsfolge an das Vorliegen einer „strafbaren Handlung“ angeknüpft hat und dieser Begriff aus systematischen Gründen (im Regelfall) im Sinn der strafrechtlichen Rechtsprechung zu verstehen ist. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine historische oder objektiv‑teleologische Auslegung trotz des systematischen Zusammenhangs zu einem vom Strafrecht abweichenden Begriffsverständnis im erbrechtlichen Zusammenhang führen kann (2 Ob 100/19y Punkt 4.). Daran ist festzuhalten.
[35] Dies hätte auf Grundlage systematischer Interpretation für den vorliegenden Fall an sich zur (von den Vorinstanzen auch gezogenen) Konsequenz, die Erbunwürdigkeit (Legatsunwürdigkeit) der Klägerin zu bejahen, weil sie eine strafbare Handlung gegen die Verlassenschaft begangen hat und in diesem Fall nach der strafrechtlichen Judikatur § 166 StGB keine Anwendung findet.
[36] II.3.3. Allerdings weist die überwiegende Ansicht im Schrifttum mit überzeugenden Argumenten darauf hin, dass dieses Ergebnis wertungswidersprüchlich wäre:
[37] (a) Soweit überblickbar verneint lediglich Pesendorfer (in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 23 f mwN) ausdrücklich das Vorliegen eines Wertungswiderspruchs zwischen der Anwendung des § 166 StGB auf strafbare Handlungen gegen den Erblasser einerseits und der Nichtanwendung im Bereich der Delikte gegen die Verlassenschaft andererseits. Grund für die strafrechtliche Begünstigung sei, dass innerhalb der Familie in der Regel zwischen „Mein“ und „Dein“ nicht so streng unterschieden werde und die Güterverteilung innerhalb der Familie diese zumeist nicht so schwer treffe wie eine Vermögensschädigung eines Fremden (zurückgehend auf Leukauf/Steiniger, StGB2 Rz 1 und die ErläutRV zum StGB 1971). Überdies sei es erbrechtlich gerechtfertigt, zu differenzieren, weil – jedenfalls vor Abgabe der Erbantrittserklärung – offen sei, wer Rechtsnachfolger werde. Es könne sich dabei ebenso um einen Verlassenschaftsgläubiger handeln oder einen Erben, der gerade kein Angehöriger sei. Die derzeitige Regelung sei daher wertungskonsistent.
[38] (b) Zahlreiche andere Autoren betonen hingegen die sich aus der ohne Bedachtnahme auf § 166 StGB erfolgten gesetzgeberischen Neuregelung ergebenden Wertungswidersprüche:
[39] Nach Rabl (Erbrechtsreform 2015 – Pflichtteilsrecht neu, NZ 2015/107, 321 [328 f]) habe der Gesetzgeber § 166 StGB übersehen, es seien im Vergleich zur alten Rechtslage eine Reihe weiterer relevanter Opfer hinzugekommen. Neben der Verlassenschaft (§ 539 ABGB) seien dies Personen, die mit dem Erblasser ein familiäres und soziales Naheverhältnis verbinde (§ 541 ABGB), wobei dieser Familienkreis ein anderer als jener des § 166 StGB sei. Die Konsequenzen seien „geradezu anstößig“, weil der qualifizierte Diebstahl am Erblasser nicht, jener an der Verlassenschaft schon zur Erbunwürdigkeit führe, was am Totenbett zu einer unsachlichen Unterscheidung führe.
[40] Auch Eccher (Die österreichische Erbrechtsreform, §§ 539–541 ABGB Rz 15 FN 82) und Zöchling‑Jud (in Rabl/Zöchling‑Jud, Das neue Erbrecht, 86) sehen in der Differenzierung zwischen Delikten gegen den Erblasser und jenen gegen die Verlassenschaft einen Wertungswiderspruch.
[41] Tschugguel (Erbunwürdigkeit und Begehung im Familienkreis, EF‑Z 2016/143, 311) argumentiert, dass die Neuregelung des Erbrechts der Verwirklichung des Willens des Verstorbenen dienen solle. Damit sei aber nicht nachvollziehbar, wieso eine Tat, die sich bloß mittelbar (über die Verlassenschaft) gegen den Verstorbenen richte, eher erbunwürdig machen solle als eine solche, die sich unmittelbar gegen den (noch lebenden) Verstorbenen richte. Mittels teleologischer Auslegung spreche somit vieles dafür, nicht zu differenzieren, ob die Tat gegen den Verstorbenen oder gegen die Verlassenschaft begangen worden sei.
[42] II.3.4. Der Senat sieht ebenfalls einen massiven und damit verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen Wertungswiderspruch in der nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 539 ABGB an sich gebotenen Differenzierung zwischen Delikten gegen den Erblasser und jenen gegen die Verlassenschaft. Dabei überzeugt vor allem die Überlegung Tschugguels, dass eine unmittelbar zum Nachteil des Erblassers ausgeführte Tat nicht „weniger erbunwürdig“ machen dürfe als eine ganz vergleichbare Tat gegen die Verlassenschaft. Das Vorliegen eines Wertungswiderspruchs stützen auch die Gesetzesmaterialien zu § 541 Z 1 ABGB. Diese betonen, dass der für die Erbunwürdigkeit nach § 541 Z 1 ABGB relevante Strafrahmen jenem entspreche, „der gegenüber dem Verstorbenen heranzuziehen ist“.
[43] II.4. Zur Auflösung dieses Wertungswiderspruchs finden sich im Schrifttum zwei gegensätzliche Lösungsansätze:
II.4.1. Anwendung des § 166 StGB in allen Fällen des § 539 ABGB:
[44] (a) Kletečka (Erbunwürdigkeit auf Grund von betrügerischer Krida [§ 156 StGB] im Familienkreis? NZ 2019/124, 361 [363 ff]) will die Verlassenschaft eines Angehörigen überhaupt zum Familienkreis iSd § 166 StGB zählen, dies sowohl im Erb‑als auch im Strafrecht. Er begründet dies damit, dass die Rechtsgüter des Verstorbenen mit seinem Tod lediglich aus rechtskonstruktiven Gründen einer diesen repräsentierenden juristischen Person zugewiesen werden, es sich aber immer noch um dessen Rechtsgüter handle. Somit liege aufgrund der bei § 166 StGB gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine gegen den Verstorbenen gerichtete Straftat vor.
[45] (b) Tschugguel (EF‑Z 2016/143, 311) argumentiert, dass das Strafrecht und das Zivilrecht im Bereich der Erbunwürdigkeit unterschiedliche Regelungsziele verfolgten. Während im Strafrecht lediglich der Unwert der Tat im Verhältnis zwischen Täter und Opfer sanktioniert werde, gehe es bei der Erbunwürdigkeit – und zwar bei der Tat gegen die Verlassenschaft sowie gegen die Angehörigen des Verstorbenen (vgl § 541 ABGB) – jeweils um den Unwert, der sich hierdurch im Verhältnis zum Verstorbenen verwirkliche. Die durch die III. Teilnovelle erfolgte Einschränkung der Erbunwürdigkeitsgründe auf strafbare Handlungen – konkret Verbrechen – gegen den Erblasser sei in der Lehre grundsätzlich begrüßt worden. Kritik sei nur daran geübt worden, dass schwere Straftaten gegen bestimmte nahe Angehörige nicht mehr zur Erbunwürdigkeit führten. Genau dieser Kritik habe der Gesetzgeber des ErbRÄG 2015 gerecht zu werden versucht. Insgesamt spreche daher eine teleologische und eine historische Auslegung dafür, dass Straftaten gegen die Verlassenschaft (und auch solche gegen Angehörige iSd § 541 Z 1 ABGB) nur dann zur Erbunwürdigkeit führten, wenn sie auch bei unmittelbarer Begehung zum Nachteil des Erblassers zu einer solchen geführt hätten. Dieses Ergebnis sei dadurch gerechtfertigt, dass die vom Gesetzgeber erweiterten strafrechtskonnexen Erbunwürdigkeitsgründe ihren eigentlichen Grund in jenem Unwert hätten, der sich durch die Tat im Verhältnis zum Erblasser verwirkliche.
[46] (c) Perner/Spitzer/Kodek (Bürgerliches Recht7 577) sprechen sich ebenfalls für eine teleologische Reduktion des § 539 ABGB aus, sodass im Ergebnis § 166 StGB auch auf strafbare Handlungen gegen die Verlassenschaft anzuwenden sei.
[47] II.4.2. Andere Autoren beschreiten den umgekehrten Weg und möchten den auch von ihnen erblickten Wertungswiderspruch durch eine generelle Nichtanwendung des § 166 StGB im erbrechtlichen Kontext auflösen:
[48] (a) Binder/Giller (in Gruber/Kalss/Müller/Schauer,Erbrecht und Vermögensnachfolge § 9 Rz 35 ff, 41) sprechen sich für die gänzliche Nichtbeachtung des § 166 StGB aus, auch wenn dies der Absicht des historischen Gesetzgebers der III. Teilnovelle widerspreche. Der Wertungswiderspruch erscheine so gravierend, dass er es gebiete, den Willen des historischen Gesetzgebers geringer zu bewerten, zumal dieser auf das Jahr 1916 zurückgehe. Mit dem ErbRÄG 2015 hätten die Enterbungsgründe maßvoll erweitert werden sollen, dem könne so entsprochen werden.
[49] (b) Auch Likar‑Peer (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 §§ 539, 541 nF ABGB Rz 69) spricht sich mit ähnlichen Argumenten wie Binder/Giller unter Hinweis auf das offensichtliche Übersehen der Bestimmung durch den Gesetzgeber für ein Überdenken der Anwendung des § 166 StGB auf die Erbunwürdigkeit insgesamt aus.
[50] (c) Diesen Ansatz vertritt jüngst auch Kepplinger (Strafrechtskonnexe Erbunwürdigkeit und § 166 StGB, NZ 2023/169, 482) im Rahmen einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der Berücksichtigung des Familienprivilegs im Erbrecht. Im Herrenhausbericht 1912 (78 BlgHH 21. Sess [1912] 107) sei der „Familiendiebstahl“ als ein Beispiel für die in der Fassung 1811 als zu weit empfundene Erbunwürdigkeit angeführt. Im Rahmen der III. Teilnovelle (RGBl 1916/69) habe man den Kreis der strafbaren Handlungen, die Erbunwürdigkeit begründen konnten, auf Verbrechen iSd StG 1852 (RGBl 1852/115) eingeschränkt und damit bloße Vergehen – wie den „Familiendiebstahl“ iSd § 463 StG 1852 – aus dem Tatbestand des § 540 ABGB (alt) ausgenommen. Da § 463 StG 1852 die Vorläuferbestimmung des heutigen § 166 StGB sei, habe man aus dem HHB gefolgert, dass die Privilegierung wegen Begehung im Familienkreis die strafrechtskonnexe Erbunwürdigkeit determinieren müsse. Die Bestimmung des § 463 StG 1852 unterscheide sich aber stark von § 166 StGB. In der aktuellen Bestimmung seien beinahe alle Vermögensdelikte erfasst. Die damalige Privilegierung habe im Übrigen dem damaligen Verständnis von Familie Rechnung getragen: Es habe verhindert werden sollen, dass ein Familiendiebstahl Erbunwürdigkeit begründen könnte, wenn das „Haupt der Familie“ dessen Verfolgung gar nicht begehrt hatte (vgl § 463 StG 1852), was nicht mehr dem heutigen Verständnis entspreche. An die strafrechtlichen Kategorien sei man im Rahmen der Auslegung des Begriffs „gerichtlich strafbare Handlung“ ohnehin nicht zwingend gebunden, hänge doch die Erbunwürdigkeit auch nicht von der Einleitung eines Strafverfahrens oder einer Verurteilung ab. Das Element der Verzeihung spiele im Strafrecht keine Rolle, wohingegen es bei der Erbunwürdigkeit um den vermuteten Willen des Erblassers gehe. Es dränge sich damit die Frage auf, ob tatsächlich anzunehmen sei, einem Erblasser missfalle eine Vermögensschädigung durch einen Angehörigen niemals so stark, um von einer Erbunwürdigkeit des Delinquenten ausgehen zu können. Zur Kontinuitätsvermutung müsse berücksichtigt werden, dass die Stammfassung des § 540 ABGB (aus 1811) den vermuteten Willen des Erblassers dadurch umgesetzt habe, dass jede vorsätzlich begangene strafbare Handlung an Ehre, Leib oder Vermögen zu Lasten des Erblassers oder „dessen Kinder, Eltern oder Gatten“ mit Erbunwürdigkeit sanktioniert wurde. Der Familiendiebstahl sei in dieser Fassung nicht ausgenommen gewesen. Das sei erst durch die Einschränkung auf Verbrechen gegen den Erblasser selbst in der III. Teilnovelle passiert. Da mit den nunmehrigen Bestimmungen erkennbar und nachweislich das Ziel verfolgt werde, den (mutmaßlichen) Willen des Erblassers möglichst genau umzusetzen, würde diese Intention durch Berücksichtigung des Familienprivilegs konterkariert.
[51] III. Nach Ansicht des Fachsenats sprechen insgesamt die besseren Argumente für die von Tschugguel vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 539 ABGB:
[52] Vorweg ist zu betonen, dass das zentrale Tatbestandselement in § 539 ABGB – nämlich die Begehung einer „gerichtlich strafbaren Handlung“ – einen engen Konnex zu strafrechtlichen Begrifflichkeiten aufweist. Hinsichtlich der für die Annahme von Erbunwürdigkeit erforderlichen Schwere der Tat trifft § 539 ABGB nämlich keine selbständige Entscheidung, sondern knüpft an die mit der Strafdrohung verbundenen Wertungen des Strafrechts an (Kletečka, NZ 2019/124, 361 [364]; U. Neumayr, Keine Erbunwürdigkeit bei Strafaufhebungsgründen?, NZ 2020/81, 299 [300]).
[53] Unter diesem Blickwinkel steht der von Tschugguel gewählte Ansatz im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach der Begriff der „strafbaren Handlung“ in § 539 ABGB (im Regelfall und aus systematischen Gründen) im Einklang mit der strafrechtlichen Judikatur zu verstehen ist.
[54] Der gegenteilige Ansatz hätte hingegen zur Konsequenz, dass die gesetzgeberische Wertung einer milderen strafrechtlichen Beurteilung bei Begehung von Vermögensdelikten im Familienkreis im Erbrecht gänzlich unbeachtet bliebe. Auch wenn der „gesetzgeberische Kunstgriff“ – also der in der Formulierung des § 539 ABGB gelegene Verweis auf das Strafrecht – keinen Blankoverweis darstellt (Burtscher, Keine Erbunwürdigkeit bei Rücktritt vom Versuch, ÖJZ 2020/133, 1127), lässt sich die gänzliche Außerachtlassung des § 166 StGB im Rahmen des § 539 ABGB nach Ansicht des Senats nicht mit historischen oder objektiv-teleologischen Überlegungen rechtfertigen (vgl 2 Ob 100/19y Punkt 4.3.).
[55] Kepplinger zeigt zwar nachvollziehbar auf, dass sich § 166 StGB und die Vorgängerbestimmung des § 463 StG 1852 stark voneinander unterscheiden und die hinter der Privilegierung der Begehung im Familienkreis stehenden gesetzgeberischen Wertungen teilweise überholt sein mögen. Seine Argumentation vernachlässigt jedoch, dass der historische Gesetzgeber der III. Teilnovelle insgesamt eine Einschränkung bei den strafrechtskonnexen Erbunwürdigkeitsgründen vornehmen wollte und dafür eine – auch im ErbRÄG 2015 beibehaltene – Verweisungstechnik verwendete, ohne im Speziellen auf die Ausnahme des § 463 StG 1852 („Familiendiebstahl“) abzuzielen. Überzeugende historische oder objektiv‑teleologische Gründe, warum (im Übrigen als einzige strafsatzbestimmende Norm) § 166 StGB unter gänzlicher Außerachtlassung strafrechtlicher Wertungen im Konzept der Erbunwürdigkeit überhaupt keine Rolle (mehr) spielen sollte, liegen nach Ansicht des Senats nicht vor.
[56] Die Lösung Tschugguels ermöglicht – anders als die von Kletečka vorgeschlagene, in der strafrechtlichen Judikatur aber abgelehnte Ausdehnung des (strafrechtlichen) Anwendungsbereichs des § 166 StGB auf Verlassenschaften – eine wertungskonsistente Lösung auch für die – im vorliegenden Fall aber nicht einschlägigen – Fälle des § 541 Z 1 ABGB. Beim Ansatz Kepplingers bleibt letztlich offen, ob dieser bei § 541 Z 1 ABGB eine teleologische Reduktion im Sinn der Ausführungen Tschugguels bevorzugt (so NZ 2023/169, 482 [487]) oder auch in diesem Umfang für ein generelles Außerachtlassen des § 166 StGB plädiert (so NZ 2023/169, 482 [492]).
[57] Schließlich spricht die der ganz allgemeinen Absicht des Gesetzgebers des ErbRÄG 2015 entsprechende Kontinuitätsvermutung (2 Ob 195/19v Rz 59 ff) für die Lösung Tschugguels. Zwar hat der Gesetzgeber die Erbunwürdigkeitsgründe durch das ErbRÄG 2015 in weiten Teilen neu geregelt, allerdings fehlt sowohl im Wortlaut der Bestimmungen als auch nach den Gesetzesmaterialien jeder Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber eine beträchtliche Ausweitung der im ErbRÄG 2015 insoweit unverändert beibehaltenen Erbunwürdigkeit bei strafbaren Handlungen gegen den Erblasser selbst beabsichtigt hätte.
[58] Der Senat verkennt nicht, dass der in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Absicht des Gesetzgebers, an gerichtlich strafbare Handlungen gegen die Verlassenschaft die Konsequenz der Erbunwürdigkeit zu knüpfen (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 5), durch den Ansatz Kepplingers deutlich besser zum Durchbruch verholfen wäre. Da aber auch nach der Lösung Tschugguels für eine Erbunwürdigkeit aufgrund eines Delikts gegen die Verlassenschaft (immerhin noch) der Anwendungsbereich der Begehung außerhalb des Angehörigenkreises verbleibt, sprechen insgesamt die besseren Gründe für die Vornahme einer teleologischen Reduktion.
Als Ergebnis ist damit festzuhalten:
[59] Auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 ist bei Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen den Erblasser die Privilegierung des § 166 StGB zu beachten. Im Fall der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft ist § 539 ABGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen dahin teleologisch zu reduzieren, dass Erbunwürdigkeit nur dann eintritt, wenn auch die Tatbegehung zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers unter Beachtung des § 166 StGB zu Erbunwürdigkeit führen würde.
[60] IV. Da eine Tatbegehung durch die Klägerin zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers – ihres Lebensgefährten – aufgrund der Anwendbarkeit von § 166 StGB nicht zu ihrer Erbunwürdigkeit geführt hätte, tritt durch das von ihr gegen die Verlassenschaft begangene Delikt keine Erbunwürdigkeit ein. Da keine sonstigen Einwände gegen die Gültigkeit des Legats erhoben wurden, war dem Klagebegehren in Abänderung der angefochtenen Entscheidung stattzugeben.
[61] V. Aufgrund der Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung ist auch die Kostenentscheidung neu zu treffen, die sich auf § 41 ZPO gründet.
[62] V.1. Die Einwendungen der Beklagten gemäß § 54 Abs 1a ZPO sind zutreffend. Die Vollmachtsbekanntgabe samt Urkundenvorlage des Klägers vom 8. 2. 2022 ist nach TP 1 RATG zu honorieren. Für sämtliche Schriftsätze und Streitverhandlungen war die Bemessungsgrundlage aufgrund der Höhe des Streitwerts nach der Formel für Streitwerte über 363.360 EUR zu berechnen. Für das vor dem Eintritt der beiden Erben geführte Verfahren gegen die Verlassenschaft steht der Klägerin überdies kein Streitgenossenzuschlag zu.
[63] V.2. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO, wobei auch für das Berufungsverfahren die von der Klägerin fälschlich herangezogene Bemessungsgrundlage zu korrigieren war.
[64] V.3. Insgesamt ergibt sich damit der aus dem Spruch ersichtliche Kostenzuspruch.
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