European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00060.13Z.0521.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Verfahrens aller Instanzen sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 25. 7. 2011 (rechtskräftig seit 16. 9. 2011) geschieden. Am 7. 5. 2012 stellte die geschiedene Ehefrau beim Erstgericht den Antrag, ihr in der Rechtssache wegen „Aufteilung nach §§ 81 ff EheG“ die Verfahrenshilfe im vollen Umfang zu bewilligen. Das Erstgericht gewährte die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis c und Z 3 ZPO. In der Begründung verwies es darauf, dass angesichts eines recht umfangreichen streitigen Scheidungsverfahrens die Beigebung eines Rechtsanwalts im gegenständlichen Fall zweckmäßig sei. Mit Bescheid vom 6. 8. 2012 bestellte die zuständige Rechtsanwaltskammer einen Verfahrenshelfer. In einem am 26. 9. 2012 beim Erstgericht eingelangten Schreiben führte die Antragstellerin aus, dass der bestellte Verfahrenshelfer ihr am 24. 9. 2012 mitgeteilt hätte, er könne sie im Aufteilungsverfahren nicht vertreten. Mit Bescheid vom 4. 10. 2012 wurde der jetzige Vertreter der Antragstellerin zum Verfahrenshelfer bestellt. Der Antrag der geschiedenen Ehegattin auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, mit dem sie eine Ausgleichszahlung von 45.820 EUR begehrt, langte am 19. 10. 2012 (im ERV) beim Erstgericht ein.
Dieses wies den Aufteilungsantrag zurück (richtig: ab [RIS‑Justiz RS0057717]). Die einjährige Frist des § 95 EheG werde gewahrt, wenn innerhalb dieser Frist ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gestellt werde, der als verfahrenseinleitender Schriftsatz Sachverhalt und Begehren individualisiere und den Aufteilungsanspruch ausreichend deutlich darstelle. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn wie in diesem Fall nur die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang beantragt werde.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Der Lauf der einjährigen Frist werde nur durch einen Verfahrenshilfeantrag mit deutlicher Darstellung des Aufteilungsbegehrens unterbrochen. § 9 Abs 1 AußStrG könne daran nichts ändern. Auch diese Bestimmung fordere, dass der Antrag hinreichend erkennen lassen müsse, welche Entscheidung der Antragsteller anstrebe. Davon könne bei dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe „wegen Aufteilung nach §§ 81 ff EheG“, keine Rede sein. Sachverhalt und Begehren seien nicht einmal ansatzweise individualisiert.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin ist entgegen dem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig. Er ist auch berechtigt.
1. Die einjährige Frist des § 95 EheG ist eine materiell rechtliche Fallfrist, deren Nichteinhaltung zum Anspruchsverlust führt (RIS‑Justiz RS0057726; RS0110013 [T2]). Auf diese Präklusivfrist, deren Lauf mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung über die (hier relevante) Scheidung der Ehe beginnt (RIS‑Justiz RS0110013 [T5]; RS0057726 [T7]), ist die allgemeine Verjährungsbestimmung des § 1497 ABGB analog anzuwenden (RIS‑Justiz RS0034613 [T1]).
2. Die Einbringung eines Antrags auf Verfahrenshilfe unterbricht nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0034695; vgl zuletzt 6 Ob 279/08k mwN) als verfahrenseinleitender Schriftsatz die Verjährung, wenn der Inhalt der Eingabe den Sachverhalt und das Begehren individualisiert und deutlich erkennen lässt. Dass dies auch für die Präklusivfrist des § 95 EheG gilt, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach entschieden (9 Ob 143/99s; 8 Ob 12/01z; 1 Ob 45/05g). In den Entscheidungen 9 Ob 143/99s und 1 Ob 45/05g wies er jeweils einen Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG 1854 zurück. Er erachtete die Ansicht der Vorinstanzen, dass ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (für das Aufteilungsverfahren) ohne weiteres Vorbringen nicht als verfahrenseinleitender Schriftsatz anzusehen sei, als keine zu korrigierende Fehlbeurteilung. In dem zu 8 Ob 12/01z entschiedenen Fall sah es der Oberste Gerichtshof als ausreichend deutliche Darstellung des Aufteilungsanspruchs im Verfahrenshilfeantrag an, wenn ein diesem angeschlossenes „Datenblatt“ erkennbar die der gerichtlichen Entscheidung unterworfenen Vermögensteile aufliste und den Wunsch nach deren Aufteilung zum Ausdruck bringe.
3. All diesen zitierten Entscheidungen wurde die Rechtslage nach dem Außerstreitgesetz 1854 zugrunde gelegt. Nach § 9 Abs 1 AußStrG 2003 (BGBl I 2003/111), das hier unstrittig anzuwenden ist, muss ein Antrag kein bestimmtes Begehren enthalten, sondern nur hinreichend erkennen lassen, welche Entscheidung oder sonstige gerichtliche Tätigkeit der Antragsteller anstrebt und aus welchem Sachverhalt er dies ableitet. Der Gesetzgeber wollte in sogenannten Rechtsgestaltungs‑ oder Regelungsverfahren dem weniger formstrengen und oft rechtsfürsorgenden Charakter des Verfahrens außer Streitsachen Rechnung tragend unbestimmte Begehren zulassen und nannte dabei als einen von zwei Beispielen für derartige Verfahren die billige Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (vgl ErlRV 224 BlgNR 22. GP 28).
4. In einem Verfahren nach den §§ 81 ff EheG können sich die Parteien daher darauf beschränken, im verfahrenseinleitenden Schriftsatz die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens durch das Außerstreitgericht zu beantragen, ohne ein detailliertes Begehren (Zuweisung bestimmter Gegenstände, Leistung einer bezifferten Ausgleichszahlung) stellen zu müssen (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth , EheG § 85 EheG Rz 7; vgl Gitschthaler , Aufteilung [2009] Rz 420.3). Die Parteien sind auch nicht verpflichtet, bereits im Aufteilungsantrag jene Gegenstände anzuführen, die dem Aufteilungsverfahren unterzogen werden sollen. Die Judikatur nimmt nämlich im Fall der fehlenden Beschränkung des Antrags an, dass die Aufteilung des gesamten ehelichen Gebrauchsvermögens und der gesamten ehelichen Ersparnisse beantragt wird (2 Ob 636/86; 2 Ob 285/97v; noch zum AußStrG 1854 mwN). Nur wenn die Aufteilungsmasse im Antrag präzisiert wird, darf das Außerstreitgericht im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0008525; RS0109615) keine Anordnung über die Zuweisung von anderen Vermögensgegenständen treffen, es muss aber dennoch bei der Entscheidung über die Aufteilung nach Billigkeit das gesamte nach den §§ 81 und 82 EheG der Aufteilung unterliegende Vermögen erfassen und berücksichtigen. Nach der jüngeren, mittlerweile gefestigten Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 158/08d ua; zuletzt 1 Ob 73/12k; RIS‑Justiz RS0109615 [T5]) können die Parteien zudem nach Ablauf der Jahresfrist des § 95 EheG zwar nicht die Zuweisung weiterer, nicht rechtzeitig behaupteter Vermögensgegenstände verlangen, dennoch aber (weitere) Ausgleichszahlungen fordern.
5. Der in diesem Fall innerhalb der Jahresfrist des § 95 EheG gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang „in der Rechtssache wegen Aufteilung nach §§ 81 ff EheG“ lässt ausreichend erkennen, dass die Antragstellerin bei jenem Gericht, das ihre Ehe rechtskräftig geschieden hatte und (unbestritten) für die Entscheidung in einem außerstreitigen Aufteilungsverfahren zuständig war, eine Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse erreichen wollte. Die Tatsache der rechtskräftigen Scheidung war gerichtsbekannt, wie auch das Erstgericht in seinem Beschluss über die Bewilligung des Verfahrenshilfeantrags zum Ausdruck brachte. Das Begehren auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einleitung eines Aufteilungsverfahrens enthält implizit die Behauptung der Antragstellerin, dass überhaupt eine Aufteilungsmasse vorhanden sei. Ein weiteres Tatsachenvorbringen zur Darlegung ihres Aufteilungsanspruchs war demnach nicht notwendig, um die einjährige Frist des § 95 EheG zu wahren. Der am 7. 5. 2012 gestellte Verfahrenshilfeantrag unterbrach damit diese Jahresfrist.
6. Die Unterbrechungswirkung eines rechtzeitigen Aufteilungsantrags setzt die „gehörige Fortsetzung“ des Verfahrens voraus (RIS‑Justiz RS0034613 [T4]). Der Verfahrenshelfer der Antragstellerin, der anstelle eines anderen, im August 2012 als Verfahrenshelfer beigestellten, Rechtsanwalts mit Bescheid der zuständigen Rechtsanwaltskammer vom 4. 10. 2012 bestellt worden war, brachte den Aufteilungsantrag am 19. 10. 2012 beim Erstgericht ein. Eine grundlose, zu lange andauernde Untätigkeit kann der Antragstellerin in diesem Fall keinesfalls vorgeworfen werden.
7. Da der Aufteilungsantrag der Antragstellerin aus diesen Erwägungen nicht verfristet ist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die inhaltliche Behandlung des Antrags aufzutragen.
8. Der Kostenvorbehalt folgt aus einem Gegenschluss zu § 78 Abs 1 zweiter Satz erster Fall AußStrG.
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