European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121231
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.251,36 EUR (darin enthalten 208,56 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von an der Wiener Börse gehandelten und von der Zweitbeklagten emittierten Zertifikaten geltend. Die Erstbeklagte fungierte als Depotbank und war für die Platzierung der Zertifikate an der Wiener Börse zuständig. Am 23. 7. 2010 schlossen sich zahlreiche vom nunmehrigen Klagevertreter vertretene Anleger (darunter auch der Kläger) dem bei der zuständigen Staatsanwaltschaft aufgrund der fälschlich als sicher dargestellten Zertifikate geführten Ermittlungsverfahren (auch) gegen die Erst‑ und Zweitbeklagte ua wegen Anlagebetrugs an. Im Schriftsatz verwiesen sie zu den Namen, Kaufzeitpunkten und Schadensbeträgen der Anleger auf die auf einer beigelegten CD‑ROM gespeicherten Datensätze. Auf ihr fand sich nicht nur der Name des Klägers, sondern auch der Differenzbetrag zwischen Kaufpreis und Erlös in Höhe von 18.448,83 EUR als Schadensbetrag.
Der Kläger begehrt den Ersatz von 18.240,83 EUR, das sei der Differenzschaden vermindert um eine Dividendenausschüttung und einen in einem Parallelverfahren erhaltenen Betrag. Die Beklagten hätten ihn durch irreführende Werbung, Marktmanipulationen und Verletzungen der Ad-hoc-Meldepflicht unrichtig informiert; bei Kenntnis der wahren Umstände hätte er nicht diese Veranlagung gewählt, sondern sein Geld auf einem Sparbuch veranlagt und den Schaden nicht erlitten. Die Ansprüche seien ungeachtet der erst im Juni 2016 eingebrachten Klage nicht verjährt. Er habe mit einem Prozessfinanzierer eine Vereinbarung geschlossen, durch die er diesen bevollmächtigt habe, seine Ansprüche wegen der erworbenen Wertpapiere zu verfolgen; aufgrund dieser Vollmacht habe dieser dem nunmehrigen Klagevertreter Vollmacht für das Straf‑ und Zivilverfahren erteilt.
Die Erstbeklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ein. Der Privatbeteiligtenanschluss sei nicht ausreichend individualisiert erfolgt. Zudem seien die zu beurteilenden Vorwürfe weder Gegenstand des Strafverfahrens noch des Privatbeteiligtenanschlusses. Der Anschluss habe nicht den Formerfordernissen der StPO entsprochen, weil er mittels CD‑ROM erfolgt sei. Außerdem habe es vor Klagseinbringung keinen Kontakt zwischen dem Kläger und dem Klagevertreter gegeben; eine wirksame Bevollmächtigung liege daher nicht vor.
Der Kläger hat mit der Zweitbeklagten inzwischen einen gerichtlichen Vergleich geschlossen.
Die Vorinstanzen gaben der Klage (mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens) statt. Sie bejahten den Anspruch aufgrund der Verantwortlichkeit der Erstbeklagten für irreführende Werbebroschüren nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen und verneinten die Verjährung der Ansprüche wegen der Unterbrechungswirkung durch den Privatbeteiligtenanschluss.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof die Formalfrage der Unterbrechungswirkung von Privatbeteiligtenanschlüssen einer hohen Anzahl Geschädigter mittels Datenträgers noch keiner tiefergehenden Betrachtung unterzogen habe.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Erstbeklagten mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Lassen sich – wie hier – die entscheidungserheblichen Fragen trotz neuer Sachverhaltselemente mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung lösen, bewirkt auch der Umstand, dass sie in einer Vielzahl von Fällen auftreten, noch nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042656 [T48]; RS0042816).
1.1. Zunächst ist die Feststellung der Tatsacheninstanzen hervorzuheben, dass die Daten auf der CD‑ROM nach Einlangen bei der Staatsanwaltschaft Wien ausgedruckt und zum Akt genommen wurden. Auf einer dieser Listen befanden sich – ebenso wie schon in der Beilage zum Schriftsatz, mit dem der Privatbeteiligtenanschluss (für rund 8.000 Personen) erklärt wurde – auch die Daten des Klägers. Damit kommt es auf die Frage, ob ein Privatbeteiligtenanschluss (nur) mittels Übergabe einer CD‑ROM wirksam ist, nicht an (3 Ob 188/17v; 6 Ob 191/17g).
1.2. Mit den im Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen zum Formerfordernis und zum Inhalt des Privatbeteiligtenanschlusses hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 Ob 45/17s (RIS‑Justiz RS0041512) auseinandergesetzt und das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO verneint. Auf diese Ausführungen, denen sich inzwischen der erkennende und andere Senate des Obersten Gerichtshofs angeschlossen haben (1 Ob 183/17v; 3 Ob 188/17v; 4 Ob 141/17i; 6 Ob 191/17g; 8 Ob 124/17v ua), kann verwiesen werden.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass in jenem Straf‑ und in diesem Zivilverfahren der Schädiger vom Berechtigten wegen des gleichen Vermögensnachteils belangt wurde (1 Ob 534/95; RIS‑Justiz RS0041512) und dieser unter Angabe des Kaufpreises und Bezugnahme auf die Irreführung durch Werbeunterlagen auch ausreichend konkretisiert und individualisiert wurde, ist nicht zu beanstanden und bedarf keiner Korrektur. Es reicht aus, wenn das Bestehen eines aus der Straftat entstandenen, im Zivilrechtsweg geltend zu machenden Anspruchs schlüssig behauptet wird und sich ein Zusammenhang zwischen der Tat (also dem Lebenssachverhalt und nicht [zwingend] seiner rechtlichen Qualifikation als eine bestimmte strafbare Handlung: vgl dazu 1 Ob 116/17s = RIS‑Justiz RS0131804 [T4]; RS0113142) und dem Anspruch ableiten lässt, und zwar unabhängig davon, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorliegt bzw ob die angeklagte Straftat überhaupt begangen wurde (10 Ob 45/17s). Erkennbar war damit im Strafprozess, von wem und weswegen der Kläger als Privatbeteiligter Ersatz verlangte (vgl RIS‑Justiz RS0034631 [T3, T5, T10]).
1.3. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren dieselben rechtlichen Wirkungen im Sinne des § 1497 ABGB wie eine Klage (RIS‑Justiz RS0034631). Da ein zivilrechtlicher Anspruch auch im Strafverfahren im Wege der Privatbeteiligung geltend gemacht werden kann, kommt dieser Erklärung grundsätzlich verjährungsunterbrechende Wirkung zu (2 Ob 180/00k mwN = SZ 74/89). Diese Rechtsprechung wurde auch nach dem Strafprozessreformgesetz fortgesetzt. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 StPO beginnt das Strafverfahren, sobald die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu ermitteln beginnt. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung. Privatbeteiligter (§ 65 Z 2 StPO) kann nur sein, wer Opfer (§ 65 Z 1 StPO) ist. Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren erfolgt durch Erklärung (§ 67 Abs 2 StPO) gegenüber Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder nach Einbringung der Anklage dem Gericht (§ 67 Abs 3 Satz 1 StPO). Für die Unterbrechung der Verjährung reicht, dass der Kläger die klagsgegenständlichen Ansprüche innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist ausreichend konkretisiert und individualisiert im Strafverfahren als Privatbeteiligter geltend macht (6 Ob 71/15g; 10 Ob 45/17s).
Mit ihrer Behauptung (im Anschluss an G. Schima/Wallisch, Keine „Belangung“ gemäß § 1497 ABGB durch Privatbeteiligtenanschluss ohne Information des Schädigers, wbl 2017, 559 [561 ff]), ein Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren unterbreche per se die Verjährung des Schadenersatzanspruchs nicht gemäß § 1497 ABGB und Voraussetzung für die Verjährungsunterbrechung sei, dass der Schädiger vom Privatbeteiligtenanschluss Kenntnis erlange, weicht die Revisionswerberin von der zitierten ständigen Judikatur ab.
Der Begriff „vom Berechtigten belangt“ bringt zum Ausdruck, dass die gerichtliche Geltendmachung auch auf andere Art als durch Klage erfolgen kann (10 Ob 45/17s mwN). Erst unlängst entschied der erkennende Senat in seiner Entscheidung 1 Ob 28/18a die von der Revisionswerberin aufgeworfenen Frage, ob die Kenntnis des Beschuldigten vom Privatbeteiligtenanschluss Voraussetzung für die Unterbrechung der Verjährung ist, derart, dass die Verständigung vom Privatbeteiligtenanschluss durch die Strafverfolgungsbehörden von keinem Gesetz vorgesehen ist, diese Rechtslage aber nicht dazu führt, dass die Verständigung vom Geschädigten selbst vorgenommen werden müsste, um die Unterbrechungswirkung auszulösen. Die Übermittlung der Anschlusserklärung mit beziffertem Begehren an den Schädiger durch den Privatbeteiligten verlangt § 1497 ABGB für die Unterbrechung der Verjährung gerade nicht. Der Geschädigte hat durch den ordnungsgemäßen Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren des Schädigers seine Rechte gewahrt. Ihm ist, falls er seine privatrechtlichen Ansprüche verfolgt, ein Nachlässigkeitsvorwurf auch dann nicht zu machen, wenn er im Strafverfahren keine weiteren Schritte setzt. Wird nach begangener Straftat gegen den Beschuldigten ein Strafverfahren eingeleitet, muss dieser bei Schäden mit privatrechtlichen Ansprüchen des Opfers rechnen. Ein Privatbeteiligtenanschluss ist in diesem Fall nicht ungewöhnlich. Wird der Angeklagte verurteilt, so ist im Urteil über die privatrechtlichen Ansprüche zu entscheiden (§ 366 Abs 2 Satz 1 StPO). Die Ansicht von G. Schima/Wallisch würde dazu führen, dass trotz allein ausreichenden Privatbeteiligtenanschlusses mangels Verständigung des Beschuldigten während des länger dauernden Strafverfahrens bereits Verjährung des Anspruchs eintreten könnte. Gerade dafür gibt es in der StPO aber keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber sieht für die – verjährungsunterbrechende – Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche durch den Privatbeteiligtenanschluss dessen Zustellung an den Schädiger gerade nicht vor (1 Ob 28/18a).
2. Die Revisionswerberin meint, in den Feststellungen fände sich kein Hinweis, dass zum Zeitpunkt des Privatbeteiligtenanschlusses ein Vollmachtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Klagevertreter bestanden hätte. Eine rückwirkende Beseitigung der eingetretenen Verjährung der Ansprüche durch eine nachträgliche Genehmigung des Privatbeteiligtenanschlusses komme nicht in Betracht.
Die Vorinstanzen haben in diesem Zusammenhang festgehalten, dass der Kläger nach den Feststellungen bereits im Juni 2009 einem Prozessfinanzierer Vollmacht zur Durchsetzung seiner Ansprüche erteilte („Der Anspruchsinhaber erteilt im Übrigen A* [* AG] Vollmacht im weitest möglichen Sinn, für ihn tätig zu werden ...“). Er ging davon aus, dass er damit die AG auch bevollmächtigte, einen Rechtsanwalt zur Geltendmachung seiner Ansprüche zu beauftragen. Außerdem erteilte er dem Klagevertreter (in der Tagsatzung vom 19. 5. 2017) ausdrücklich rückwirkend Vollmacht auch für den Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren.
Die Auslegung von Willenserklärungen hat stets nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen, sodass sich dabei eine erhebliche Rechtsfrage in der Regel nicht stellt (RIS‑Justiz RS0042555; RS0042936); dies gilt auch für die Erteilung und den Umfang einer Vollmacht (RIS‑Justiz RS0044358). Die Frage, ob ein bevollmächtigter Vertreter, der kein Rechtsanwalt ist, zur Substitution befugt ist, ist nach dem Inhalt seiner Vollmacht und nach § 1010 ABGB zu beurteilen (9 ObA 120/98g mwN = RIS‑Justiz RS0036015 [T2]).
Auch zu dieser Frage hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung 1 Ob 28/18a Stellung genommen und ausgesprochen, dass die Beurteilung der Vorinstanzen, der Klagevertreter sei bereits vor dem Privatbeteiligtenanschluss wirksam vom Prozessfinanzierer mit der Verfolgung der Ansprüche des Klägers beauftragt worden, keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft. Auch im vorliegenden Fall zeigt die Revisionswerberin Anhaltspunkte dafür, dass die Beauftragung des Rechtsanwalts durch den Prozessfinanzierer nicht der vom Kläger erteilten Vollmacht entsprochen hätte, nicht auf, sodass es einer nachträglichen Genehmigung der (strafgerichtlichen) Prozesshandlung des vom (nunmehrigen) Klagevertreter erklärten Privatbeteiligtenanschlusses nicht bedurfte. Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob grundsätzlich eine erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erteilte nachträgliche Genehmigung einer zunächst vollmachtslos gesetzten Prozesshandlung durch den Vertretenen eine „eingetretene Verjährung rückwirkend beseitigen“ könnte, stellt sich damit (auch) im vorliegenden Fall nicht (so schon 1 Ob 28/18a; 3 Ob 11/18s).
3. Weder die vom Berufungsgericht genannte Rechtsfrage noch die Ausführungen im Rechtsmittel geben daher Anlass zur Korrektur des Berufungsgerichts. Die Revision ist daher insgesamt mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihm die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuzusprechen sind (RIS‑Justiz RS0035979 [T22]).
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