European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00122.24H.1024.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen über den Unterhalt ab 1. 1. 2023, die in der Festsetzung eines monatlichen Unterhalts von 353 EUR (M*), 294 EUR (S*) und 255 EUR (J*) rechtskräftig geworden sind, werden im Übrigen aufgehoben. Die Außerstreitsache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die angefochtene Entscheidung, soweit sie nicht ohnehin in Rechtskraft erwachsen ist, als Teilbeschluss bestätigt.
Begründung:
[1] Die Kinder leben im Haushalt der Mutter, der die Pflege und Erziehung zukommt. Der Vater bezieht Einkommen als Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer GmbH sowie aus Kapitalvermögen. Aufgrund einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist er derzeit zur Leistung eines monatlichen Unterhalts von 353 EUR bzw 294 EUR für seine Töchter und von 255 EUR für seinen Sohn verpflichtet. Gegenstand des Verfahrens ist die abschließende Klärung seiner Geldunterhaltsleistungsverpflichtung.
[2] Die Töchter begehrten Unterhaltszahlungen von monatlich 1.125 EUR bzw 925 EUR und der Sohn einen Unterhalt von 725 EUR pro Monat.
[3] Das Erstgericht verpflichtete den Vater für den Zeitraum von 1. 6. 2022 bis 31. 8. 2022 zur Zahlung von monatlich je 530 EUR an seine Töchter und an seinen Sohn von monatlich 465 EUR. Ab 1. 9. 2022 bis auf weiteres sei er zur Zahlung von monatlich 595 EUR bzw 495 EUR an seine Töchter und von 430 EUR an seinen Sohn verpflichtet. Es sprach aus, dass die einstweilige Verfügung mit Rechtskraft seiner Entscheidung aufgehoben werde und wies (unter anderem) das jeweilige Mehrbegehren der Kinder ab. In tatsächlicher Hinsicht ging es davon aus, dass der Vater als Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer GmbH in den Jahren 2019 bis 2021 über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 5.051 EUR und im Jahr 2022 über ein Einkommen von monatlich 3.319 EUR verfügt habe. Der Bemessung des Unterhalts, den es nach der Prozentwertmethode ermittelte, legte es ab 1. 9. 2022 (und bis auf weiteres)das monatliche Einkommen des Vaters für das Jahr 2022 zugrunde.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Vaters nicht, jenem der Kinder teilweise Folge und sprach in Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts aus, dass der Vater ab 1. 1. 2023 seinen Töchtern monatlich 790 EUR bzw 660 EUR und seinem Sohn 570 EUR zu zahlen habe. Im übrigen bestätigte es dessen Entscheidung. Bei selbständig Erwerbstätigen sei das Durchschnittseinkommen der letzten drei abgeschlossenen Wirtschaftsjahre (Beobachtungszeitraum) zur Bemessung der Unterhaltsleistungen für die Zukunft heranzuziehen. Aufgrund des Einkommens des Vaters im Jahr 2020 von monatlich 5.223 EUR, von monatlich 4.640 EUR im Jahr 2021 und von monatlich 3.319 EUR im Jahr 2022 errechne sich ein Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre von 4.394 EUR. Daraus ergebe sich ab 1. 1. 2023 ein höherer Unterhaltsanspruch der Kinder. Den Revisionsrekurs ließ es über Antrag des Vaters gemäß § 63 Abs 1 AußStrG nachträglich zu, weil darin geltend gemacht werde, dass es bei der Beurteilung der konkreten Unternehmensaussichten und damit des zukünftigen Einkommens von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei, was einer Klarstellung bedürfe.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der von den Kindern beantwortete Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist im Sinn des auf Aufhebung gerichteten Eventualantrags teilweise auch berechtigt.
[6] 1. Im Unterhaltsverfahren ist der Wert des Entscheidungsgegenstands des Rekursgerichts für jedes Kind einzeln zu beurteilen (RS0112656). Er liegt für keines der Kinder über der in § 63 Abs 1 genannten Grenze von 30.000 EUR. Entgegen der Argumentation in der Revisionsrekursbeantwortung hat der Vater daher zu Recht eine Zulassungsvorstellung nach dieser Gesetzesstelle erhoben.
[7] 2. Nach § 231 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Ist ein Elternteil geldunterhaltspflichtig, hängt die Unterhaltsbemessung von seiner Leistungsfähigkeit ab.
[8] Maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist in erster Linie die sich aus dem Gesamteinkommen des Unterhaltspflichtigen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage, somit die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel (RS0013386).
3. Zum Unterhaltsbegehren der Kinder bis 31. 12. 2022:
[9] 3.1. Für konkrete vergangene Zeiträume ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners für genau diese Perioden zu ermitteln (RS0047509 [T9]). Zum durchschnittlichen Monatseinkommen des Vaters für die Jahre 2019 bis 2022 liegen Feststellungen vor, die das Erstgericht auf Basis eines zu seiner Leistungsfähigkeit eingeholten Sachverständigengutachtens getroffen hat. Der Vater wendet sich erkennbar gegen die Annahmen zur Bemessungsgrundlage, weil Diäten nur zum Teil einbezogen und Bewirtungskosten nicht zur Gänze berücksichtigt worden seien. Dazu macht er geltend, dass er als (teilweise) unvertretene Partei im Sinn des § 14 AußStrG anzuleiten gewesen wäre, jedenfalls seine Einvernahme als Beweismittel anzubieten. Damit wiederholt der Vater die von ihm bereits im Rekurs geltend gemachte Mängelrüge zum Verfahren in erster Instanz, mit der sich das Rekursgericht nicht (ausreichend) auseinandergesetzt habe.
[10] 3.2. Ein Mangel des Rekursverfahrens gemäß § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG läge vor, wenn sich das Rekursgericht mit der Mängelrüge überhaupt nicht befasst (RS0043144) oder sie auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigt hätte (RS0043092 [T1], RS0043166). Dazu ist es aber jedenfalls erforderlich, dassder behauptete Verfahrensmangel überhaupt aufgegriffen werden hätte können und damit für den Ausgang des Verfahrens von Relevanz wäre.
[11] 3.3. Nach der Rechtsprechung ist im Unterhaltsbemessungsverfahren die Steuerbemessungsgrundlage, wenn erforderlich, nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu korrigieren (RS0013386); Diäten und Reisekosten sind im Zweifel zur Hälfte als Aufwendungen zu berücksichtigen, die die Unterhaltsbemessungsgrundlage mindern (RS0047442). Auch für das Unterhaltsverfahren gilt dabei, dass jeder Beteiligte die für seinen Standpunkt maßgeblichen Umstände zu behaupten und unter Beweis zu stellen hat (2 Ob 93/22y Rz 30; RS0006261). Welche konkreten höheren Aufwendungen den von ihm bezogenen Diäten (Reisekosten) tatsächlich gegenübergestanden wären, gibt der Vater – wie schon in seinem Rekurs – mit dem Verweis auf sein bisheriges Vorbringen, wonach es steuerlich vorteilhaft sei, die pauschalen und nicht die tatsächlichen Ausgaben anzusetzen, daraus aber nicht automatisch abgeleitet werden könne, es gebe keine (höheren) Auslagen, nicht zu erkennen. Die Mängelrüge des Revisionsrekurses muss daher insofern jedenfalls scheitern. Zu den Bewirtungskosten enthielt der Rekurs des Vaters – wie auch sein nunmehriges Rechtsmittel – inhaltlich keine näheren Ausführungen, sodass eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Rekursgericht ebenfalls nicht erkennbar ist. Inwieweit sich aus seinem Vorbringen ergeben soll, dass Betriebsausgaben jedenfalls in der Höhe der steuerlich geltend gemachten Pauschale angefallen wären, ist nicht nachvollziehbar.
[12] 3.4. Soweit sich der Revisionsrekurs des Vaters (auch) gegen die Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit richtet, ist er daher nicht berechtigt.
4. Zur Unterhaltsbemessung für die Zeit ab 1. 1. 2023:
[13] 4.1. Bei schwankendem Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist das in einem längeren Beobachtungszeitraum erzielte Durchschnittseinkommen als Unterhaltsbemessungsgrundlage maßgeblich (RS0113405). Sofern nicht gesicherte aktuelle Daten zur Verfügung stehen, ist bei selbständig Erwerbstätigen dazu im Allgemeinen auf das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre abzustellen (RS0053251 [T6, T10]). Durch die Berücksichtigung längerer oder kürzerer, aber von wesentlichen Schwankungen freier Zeiträume soll erreicht werden, dass jenes Einkommen Bemessungsgrundlage ist, das der Unterhaltspflichtige mit einer gewissen Regelmäßigkeit bezieht; dadurch soll vermieden werden, dass der Unterhalt ständig angepasst werden muss (RS0047509 [T3]). Geht es um Unterhalt für die Zukunft, kommt es darauf an, ob das in der Vergangenheit erzielte Einkommen darauf schließen lässt, dass der Unterhaltspflichtige auch weiterhin ein Einkommen in ähnlicher Höhe erzielen werde (RS0047509 [T8]).
[14] 4.2. Bei schwankenden Einkünften aus selbständiger Tätigkeit ist daher immer auch auf die konkreten Indikatoren für die Unternehmensaussichten Bedacht zu nehmen (RS0113405 [T4]; RS0053251 [T7]). Bei Heranziehen des dreijährigen Beurteilungszeitraums ist somit Bedacht auch darauf zu nehmen, wie sich das Einkommen entwickelt und ob angenommen werden kann, dass der Unterhaltspflichtige auch in Hinkunft ein Einkommen in ähnlicher Höhe werde erzielen können (4 Ob 203/07t Pkt 2.; vgl auch Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 231 ABGB, Rz 249). Steht daher fest, dass die Einkünfte eine sinkende Tendenz aufweisen und ist aufgrund dessen zu erwarten, dass das im Dreijahresdurchschnitt erzielte Einkommen nicht mehr erreicht werden kann, verfälscht allein die Betrachtung der letzten drei vor der Unterhaltsbemessung liegenden abgeschlossenen Wirtschaftsjahre das Bild der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners (8 Ob 5/17v = RS0121842 [T1]).
[15] 4.3. Ob der im Regelfall heranzuziehende dreijährige Durchrechnungszeitraum im besonders gelagerten Einzelfall zur Gewinnung eines verlässlichen Ergebnisses ausreicht und ob das im Dreijahresdurchschnitt erzielte Einkommen vom Unterhaltspflichtigen voraussichtlich auch in der Zukunft erzielt werden kann, stellt eine Tatfrage dar (RS0053251 [T2]). Der bisher von den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt ermöglicht noch keine abschließende Klärung dieser Frage:
[16] Aus den Feststellungen des Erstgerichts über das durchschnittliche monatliche Einkommen des Vaters in den Jahren 2019 bis 2022 ergibt sich eine negative Tendenz. Eine ausreichende Grundlage, die die Beurteilung zuließe, dass das festgestellte Einkommenstief für das Jahr 2022 Ausdruck einer voraussichtlich länger anhaltenden Krise des Unternehmens ist, dessen Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Vater ist, findet sich im festgestellten Sachverhalt jedoch nicht.
[17] Auf Basis der (knappen) Sachverhaltsgrundlage kann damit nicht nachvollzogen werden, warum das Erstgericht ausschließlich das im Jahr 2022 erzielte Einkommen von 3.319 EUR monatlich der Unterhaltsbemessung für die Zukunft zugrunde legte und damit offensichtlich davon ausging, dass mit einem Einkommen in der Höhe des Durchschnitts der letzten drei Jahre in Hinkunft nicht mehr gerechnet werden kann. Warum das Rekursgericht bei unveränderter Sachverhaltsgrundlage für die Zeit ab 1. 1. 2023 das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre heranzog und damit ohne Begründung unterstellte, dass das vom Vater im Jahr 2022 erzielte Einkommen lediglich Ausdruck eines vorübergehenden wirtschaftlichen Einbruchs sei, ist aber ebenfalls nicht nachvollziehbar.
[18] 4.4. Dies führt für den Unterhalt ab Jänner 2023 zur Aufhebung in die erste Instanz.
[19] Im fortgesetzten Verfahren wird aufgrund der inzwischen verstrichenen Zeit bereits die Bemessungsgrundlage für das Jahr 2023 ermittelt werden können. Diese ist der Unterhaltsbemessung für dieses Jahr zugrunde zu legen und wird für die Zeit ab Jänner 2024 auch Aufschluss darüber geben können, ob es sich bei den Zahlen des Jahres 2022 nur um einen vorübergehenden Einbruch oder aber um eine nachhaltige Verschlechterung der Ergebnisse gehandelt hatte. Im ersten Fall bliebe es bei der Durchschnittsbetrachtung über drei Jahre, bei (eindeutiger) nachhaltiger Verschlechterung wäre hingegen auf die zuletzt – hier also in den letzten beiden Jahren – erzielten Einkünfte abzustellen. Dem Vater steht es frei, in diesem Zusammenhang auch ein konkretes Vorbringen zur Frage der Reise- und Bewirtungskosten zu erstatten.
[20] 5. Dem Revisionsrekurs des Vaters ist damit teilweise Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind in Bezug auf den Unterhalt ab Jänner 2023 aufzuheben, soweit nicht zufolge Nichtanfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Vater Rechtskraft eingetreten ist. Im Übrigen ist die angefochtene Entscheidung als Teilbeschluss zu bestätigen.
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